Grebenau/Vogelsberg (Hessen)

Kreis Nidda - WikiwandDatei:Mittelhessen Vogelsberg Greb.png Grebenau ist heute eine Kleinstadt mit derzeit ca. 2.400 Einwohnern im mittelhessischen Vogelsbergkreis - ca. 25 Kilometer nordwestlich von Fulda gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Vogelsbergkreis', Andreas Trepte 2005, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 2.5).

 

In den Jahrzehnten um die Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde von Grebenau ihren personellen Zenit; zeitweise war damals jeder 4. Ortsbewohner mosaischen Glaubens.

Obwohl das Gründungsjahr der Kultusgemeinde Grebenau offiziell erst mit 1806 angegeben ist, scheint die Gemeinde doch schon wesentlich eher bestanden zu haben. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse jüdischer Bewohner sind Einträge in einem Geburtsregister aus dem Jahre 1734. Neben Niedenstein gehörte die Gemeinde Grebenau zu den Ortschaften, die zeitweise den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil Hessens besaß; um 1880 zählte hier jeder vierte Ortsbewohner zur mosaischen Glaubensgemeinschaft.

Mitte der 1860er Jahre errichtete die Gemeinde ein neues Synagogengebäude; es war relativ groß und bot ca. 150 Männern und Frauen Platz. Im Gebäude waren auch die Schule und das rituelle Bad untergebracht.

             Synagogengebäude (hist. Aufn. um 1920) 

Eine eigene Elementarschule wurde am Ort 1839 eingerichtet. Über die Einsetzung des ersten Lehrers berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ in ihrer Ausgabe am 7.12.1839:

Grebenau (Großherzogth. Hessen), 30. Okt. (Eingesandt) Die Großh. Hess. Regierung genehmigt auf Nachsuchen der israelitischen Gemeinde zu Grebenau im Kreise Alsfeld die Errichtung einer eignen Elementarschule. Diese trat denn auch alsbald ins Leben. Manchen widrigen Verhältnissen wurde dadurch abgeholfen und vielen Hoffnungen für die Zukunft Raum gegeben, die, wenn sie einst in Erfüllung gegangen, der schönste Lohn für die Opfer der Gemeinde sind. - Wer es weiß, wie wenig der Satz „der Buchstabe tödtet, nur der Geist macht lebendig“ bei der hiesigen Gemeinde seither in Anwendung kam; wer es weiß, wie störend für die geistige Entwickelung der Religionsunterricht namentlich seither ertheilt wurde, der wird gewiß die Errichtung dieser Schule mit Dank anerkennen und eine Regierung segnen, die, ohne einen Unterschied hinsichtlich des Glaubens zu machen, für alle ihre Unterthanen sorgt. Die Gemeinde, aus 28 Familien bestehend, hat eine Besoldung regulirt, mit welcher schon auszukommen ist, und daher wurde auch ihrem Wunsche, einen Seminaristen zu bekommen, höchsten Orts willfahrt. Dem isr. Schulkandidaten Hrn. Saul Buchsweiler aus Friedberg, einem jungen eifrigen Manne, wurde das Vicariat übertragen. Die Einweihung geschah am jüdischen Freudenfeste, den 1sten October d.J. in der Synagoge bei Anwesenheit der ganzen Gemeinde und der christlichen Honoration. Nachdem der hiesige Geistliche einige ergreifende, den Zweck der Schule betreffende Worte gesprochen, hielt auch Herr Buchsweiler eine Anrede an seine Glaubensbrüder, worin er sich zuletzt ihr Vertrauen erbat und sie seines Eifers und seines guten Willens versicherte. Namentlich bewies er ihnen, wie durch ruhige Ueberlegung und freundliche Rücksprache mehr das Wohl der Schule befördert werde, als durch rasches und unüberlegtes Handeln.  Möchte Gott es geben, daß diese Worte, sowol der Gemeinde, als auch dem Lehrer im Gedächtniß bleiben und eine Ursache werden segensreicher Folgen.    

Die jüdischen Lehrer erteilten auch den christlichen Kindern Grebenaus Unterricht.

Verstorbene Gemeindeangehörige begrub man anfangs auf dem weit entfernten jüdischen Sammelfriedhof in Angenrod. Die Trauergemeinde musste dabei einen ca. vierstündigen Fußmarsch auf sich nehmen. Ab Ende des 18.Jahrhunderts stand dann ein Beerdigungsareal in Ortsnähe zur Verfügung; dieses Gelände wurde dann auch zentrale Begräbnisstätte für die umliegenden Gemeinden.

Juden in Grebenau:

    --- um 1770 .......................    6 jüdische Familien,

    --- 1814 ..........................   18     “       “    ,

    --- 1830 ..........................  122 Juden,

    --- 1861 ..........................  186   “   (ca. 27% d. Bevölk.),

    --- 1880 ..........................  170   “   (ca. 25% d. Bevölk.),

    --- 1895 ..........................  127   “   (ca. 19% d. Bevölk.)

    --- 1905 ..........................  127   “   (ca. 19% d. Bevölk.),

    --- 1910 ..........................  128   "  ,

    --- 1924 ..........................   86   "  ,

    --- 1933 (Jan.) ...................   60   “  ,

       --- 1938 ..........................   13 jüdische Familien,

    --- 1939 ..........................   32 Juden,

    --- 1941 ..........................    keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 274

 

Die Juden Grebenaus bestritten ihren Lebenserwerb im Vieh- und Einzelhandel; auch einige handwerkliche Berufe wurden ausgeübt.

private Stellengesuche (1900/1903) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20192/Grebenau%20Israelit%2031101900.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20192/Grebenau%20Israelit%2019021903.jpg

Das Zusammenleben mit der christlichen Bevölkerung soll einvernehmlich gewesen sein; die jüdischen Bewohner waren auch weitgehend in die dörfliche Gesellschaft integriert, wie ihre Zugehörigkeit zu diversen Vereinen bewies. Aus den Lebenserinnerungen des jüdischen Lehrers Heinrich Lichtenstein (geb. 1889): „Zwischen dem jüdischen Bevölkerungsteil und dem nichtjüdischen herrschte das denkbar beste Verhältnis. Die Familien lebten mit ihren Nachbarn christlichen Bekenntnisses meist in freundschaftlichem Verkehr. Sie teilten tatsächlich Leid und Freud miteinander. Juden gehörten den Ortsvereinen an und waren geschätzte und aktive Mitglieder. Es gab keine Beerdigung auf dem Friedhof der einen Gemeinschaft, bei der nicht Mitglieder der anderen Gemeinschaft im Trauergeleit mitgingen. Die Festveranstaltungen der Juden wurden von den christlichen jungen Leuten ebenso gern besucht wie die allgemeinen Veranstaltungen von den Juden“.

Mit Beginn der NS-Zeit setzte eine Abwanderung ein; im Jahre 1938 wohnten aber immer noch zwölf jüdische Familien in Grebenau. Eine Woche nach der „Kristallnacht“ ging das Synagogengebäude in der Jahnstraße in Flammen auf und brannte völlig aus. Die noch hier lebenden jüdischen Familien verließen nun den Ort, zumeist in Richtung Frankfurt/M.; wer dann nicht mehr emigrieren konnte, der wurde später deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 59 gebürtige jüdische Bewohner Grebenaus Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/grebenau_synagoge.htm).

 

Auf dem jüdischen Friedhof - etwas abseits vom Ort an einem Hanggelände gelegen - sind noch ca. 120 Grabstellen vorhanden.

 jüdischer Friedhof (Aufn. R. Hauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

  Grabsteinsymbolik

Seit 1975 erinnert hier ein Mahnmal an die Opfer der Shoa; unter einem Davidstern trägt der Gedenkstein die folgende Inschrift:

Schauet und sehet,

ob der Schmerz gleichet meinem Schmerze,

der mir angetan wurde.

Klagelieder, Kapitel 1, Vers 12

Dieses Denkmal ist gewidmet unserer 44 jüdischen Mitbürger,

die in den Jahren 1938 - 1945 der Brutalität des damaligen Nationalsozialismus zum Opfer fielen.

ALS MAHNMAL ERRICHTET 1975

        

                2008 wurde auf dem Grundstück der zerstörten Synagoge eine Gedenktafel mit folgendem Text angebracht:

Hier stand in unmittelbarer Nähe seit 1825 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Grebenau. Als Folge der Pogromnacht des 9. November 1938 wurde das Haus, das auch als Schule für alle Grebenauer diente, von den Nationalsozialisten geschändet und anschließend durch Feuer zerstört. 
Kommenden Generationen zur Mahnung für Demokratie, Völkerverständigung, Frieden und religiöse Toleranz einzutreten. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Grebenau.  Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung.  

                      Abb. der Synagoge auf der Gedenktafel (Aufn. J. Hahn)

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 274/275

Heinrich Dittmar, Spuren ... Spurensuche im Vogelsberg - Wegweiser zu den jüdischen Stätten im Vogelsberg, Alsfeld 1994

Kulturverein Lauterbach (Hrg.), Fragmente jüdischen Lebens im Vogelsberg, Lauterbach 1994, S. 80

www.judaica-vogelsberg.de

Grebenau, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Nathan M. Reiss, Some Jewish Families of Hesse and Galicia, 2.Aufl. 2005, S. 97 - 125 (betr. die jüdischen Familien Gottlieb und Strauß)

Norbert Hansen, Heinrich Lichtenstein - ein jüdischer Lehrer in Grebenau 1909 – 1929, in: "Mitteilungen des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld", Heft 1/Juni 2011, S. 3 - 26