Guben (Brandenburg)
Gemäß dem Potsdamer Abkommen (1945) wurde das an der Neiße liegende Guben geteilt; das Gebiet der historischen Altstadt - infolge der Kriegseinwirkung nahe vollständig zerstört - ist das polnische Gubin mit derzeit 16.500 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Spree-Neiße', aus: ortsdienst.de/brandenburg/spree-neisse).
Guben um 1850 (Abb. aus: wikipedia.org, PD-alt-100)
Die ersten jüdischen Familien können bereits Anfang des 14.Jahrhunderts in Guben - einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt - nachgewiesen werden; sie standen unter dem Schutz des dortigen Herzogs. Als dieser in Geldnöten war, verpfändete er „seine“ Juden. Während der Pestpogrome soll es auch hier zu Verfolgungen gekommen sein; doch wenige Jahre später lebten erneut jüdische Bewohner in der Stadt; ihre Wohnsitze hatten sie zumeist am östlichen Stadtrand, in der späteren „Judenstraße“, wie aus dem ältesten Gubener Stadtbuch aus dem Jahre 1431 hervorgeht.
Bis ins 19.Jahrhundert hinein lebten nur wenige jüdische Familien hier, ab den 1840er Jahren stieg deren Zahl aber stetig an. Die Synagogengemeinde wurde offiziell 1849 gegründet; zu ihr gehörten auch die Juden der Kreise Guben und Sorau, sowie die der Kleinstädte Sommerfeld und Fürstenberg. Bereits 1837 war der Bau einer kleinen Synagoge erfolgt; aber sie war bald zu klein für die wachsende jüdische Gemeinde, deshalb ließ diese 1878 ein neues Gotteshaus an der Kastanienpromenade errichten.
Synagoge um 1940 (Familienarchiv Laudon, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Eine Begräbnisstätte für die hiesigen Juden existierte bereits seit Mitte des 15.Jahrhunderts; um 1840 wurde ein neuer Friedhof auf der Flur des Dorfes Reichenbach angelegt; der älteste erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahre 1856.
Juden in Guben:
--- 1834 ............................. 31 Juden,
--- 1852 ............................. 80 “ ,
--- 1855 ............................. 92 “ ,
--- 1861 ............................. 122 “ ,
--- 1884 ............................. 229 “ ,
--- 1895 ............................. 208 “ ,
--- 1925 ............................. 217 “ ,
--- 1930 ............................. 98 “ ,
--- 1933 ............................. 202 “ ,
--- 1939 (Mai) ....................... 98 “ ,
(Dez.) ...................... 39 “ .
Angaben aus: Irene Diekmann/Julius H.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, S. 148
und Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band I, S. 519 - 524
Neißebrücke und Berliner Straße in Guben, um 1920 (Aufn. J.R., aus: wikipedia.org, CCO)
Mit der zunehmenden Industrialisierung Gubens in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war auch eine vermehrte Zuwanderung von Juden verbunden, die sich hier günstige Wirtschaftsbedingungen versprachen. Mehrheitlich übten die in Guben ansässigen Juden kaufmännische Berufe aus; im Jahre 1930 wurden von 98 aufgeführten Berufstätigen 43 unter der Berufsbezeichnung „Kaufmann“ geführt. Sieben jüdische Fabrikanten, u.a. Tuch- und Hutfabrikanten, spielten im Wirtschaftsleben der Stadt eine wichtige Rolle. Mit Beginn der NS-Herrschaft weitete sich auch in Guben die antisemitische Hetze aus; Sprachrohr war u.a. der „Forster Beobachter”, der gezielt Personen in aller Öffentlichkeit diffamierte. Auch der Boykott vom 1.4.1933 gab der Presse Gelegenheit, hämische Artikel zu verfassen, die die Betroffenen ängstigen sollten. Aus einem Zeitungsartikel des „Forster Beobachter” vom 1.4.1933:
... Ängstlich rücken die Juden zusammen und hocken gedrückt beieinander, der Dinge harrend, die heute Vormittag kommen sollen. In den Amtsstuben der Gerichte, in den Büros der Rechtsanwälte, in den Prunkhallen der jüdischen Warenhäuser, in den Theatern und Konzertsälen, kleinen und kleinsten Geschäften, stehen und sitzen sie ängstlich herum und zittern und bangen um ihre Existenz, ja, um ihr nacktes Leben. ...
Seit 1936 stellten die lokalen Polizeibehörden Listen mit den jüdischen Einwohnern Gubens zusammen, die später als Grundlage für die Verhaftungen bzw. Deportationen dienten.
Der Pogrom im November 1938 verlief in Guben ähnlich wie in anderen deutschen Städten: SA-Trupps zogen durch die Straßen der Stadt, zerstörten Fensterscheiben jüdischer Geschäfte, demolierten die Inneneinrichtung der Synagoge, setzten das Gebäude in Brand und misshandelten jüdische Einwohner, von denen einige „in Schutzhaft“ genommen und einem Konzentrationslager überstellt wurden. Die Synagogenruine wurde in den Kriegsjahren abgerissen.
Ende 1939 betrug die Zahl der jüdischen Einwohner nur noch 39 Personen. Wer bis 1939/1940 nicht die Stadt verlassen hatte, wurde anschließend in Ghettos polnischer Städte deportiert; von dort führte der Weg in die Vernichtungslager. Ältere jüdische Bewohner verfrachteten die NS-Behörden nach Theresienstadt; von hier aus wurden die meisten nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Nur zwei Gubener Juden sollen die Shoa überlebt haben.
In Guben befand sich ab Sommer 1944 ein Außenkommando des KZ Groß-Rosen, in dem mehrere hundert Jüdinnen aus Ungarn bei der Fa. Lorenz AG (Radioteile) Zwangsarbeit leisten mussten. Das Lager wurde im Februar 1945 evakuiert.
Am Eingangstor des jüdischen Friedhofs in Guben informiert eine Tafel über diesen Ort:
“Makom ha tov”, “Guter Ort”, heißt dieses Flecken Erde auf hebräisch.
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts haben hier die jüdischen Mitbürger Gubens und Umgebung ihre Verstorbenen bestattet.
Der älteste erhaltene Grabstein ist aus dem Jahr 1852.
Es ist ein guter Ort, der Liebe zu gedenken, mit der diese Menschen gelebt haben und bestattet worden sind.
Es ist der einzige Ort in Guben, der mehr als 200 ermordete Gubener Frauen, Männer und Kinder jüdischen Glaubens zu gedenken.
Schützen wir das Gedächtnis vor Zerstörung !
Ab ca. 1990 wurde dieser Friedhof weitgehend restauriert; auf dem ca. 4.000 m² großen Gelände an der Cottbuser Straße sind heute noch mehr als 100 Grabsteine erhalten.
Jüdischer Friedhof und ehem. Trauerhalle (Aufn. Jurek, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der Standort der einstigen Synagoge der Gubener Gemeinde liegt jenseits der Neiße auf polnischem Staatsgebiet. Im November 1998 wurde hier ein Gedenkstein aufgestellt:
An dieser Stelle befand sich die Gubener Synagoge.
Erbaut 1837, verwüstet am 9.November 1938.
Die Juden wurden von den Nazis aus der Stadt vertrieben, verschleppt und ermordet.
Findling als Markierung für den einstigen Synagogenstandort (Aufn. Assenmacher, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
2008 wurde in Guben Berthold Lissner (1857-1928), einer der bedeutendsten Gubener Hutfabrikanten, geehrt, indem eine Straße nach ihm benannt wurde; dessen Söhne wurden in der NS-Zeit verfolgt.
Initiiert vom Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Region Guben wurden in der Stadt diverse sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Opfer der NS-Herrschaft erinnern. Bereits 2006 waren auf dem Gelände des Naemi-Wilke-Stifts zehn Steine platziert worden, die an behinderte junge Frauen erinnern, die der NS-Vernichtungspolitik zum Opfer fielen. 2011 waren es an fünf Standorten insgesamt 13 Steine, die an deportierte/ermordete jüdische Bewohner Gubens erinnern; derzeit sind es insgesamt ca. 25 Steine (Stand 2023).
verlegt in der Berliner Straße
Aufn. Assenmacher, 2013, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 3.0
Aufn. Chr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
In Fürstenberg/Oder – heute Ortsteil von Eisenhüttenstadt – erinnert bis heute ein jüdischer Friedhof an die einstige kleine israelitische Gemeinschaft, die der Gubener Gemeinde zugeordnet war. Verstorbene wurden zunächst in Friedland beigesetzt. Ein eigenes Begräbnisareal wurde in Fürstenberg 1840 weit außerhalb der Stadt angelegt, das etwa fünf Jahrzehnte in Nutzung war. Danach wurde ein neuer jüdischer Friedhof genutzt, der im Jahre 1890 eingeweiht worden war; die letzte Beisetzung fand hier 1939 statt.
Ende der 1920er Jahre lösten sich die wenigen jüdischen Familien aus der Gubener Gemeinde und gründeten eine autonome Gemeinde.
In der NS-Zeit und danach wurde die Begräbnisstätte am Kirchhofweg mehrfach geschändet und teilweise abgeräumt; von den ursprünglich 20 bis 25 Steinen sind nur noch 15 erhalten. Vom ersten jüdischen Friedhof gibt es heute keinerlei Spuren mehr.
vgl. Fürstenberg/Oder (Brandenburg)
In Sorau (poln. Zary) - jenseits der Oder gelegen - haben jüdische Familien seit Ende des 18.Jahrhunderts dauerhaft gelebt. Möglicherweise haben aber bereits im 14.Jahrhundert vereinzelt jüdische Familien kurzzeitig sich hier aufgehalten; ebenfalls liegen Hinweise für die Zeit um 1540 und die des Dreißigjährigen Krieges vor; doch immer wieder fanden hier Vertreibungen statt. Die Wurzeln einer neuzeitlichen Gemeinde bildeten sich um 1820, als zwei Juden in Sorau sich niederlassen und ihrem Gewerbe nachgehen durften. Die bis Mitte des 19.Jahrhundert sehr kleine jüdische Gemeinschaft war derzeit der Kultusgemeinde in Guben angeschlossen. Als die Zahl der Sorauer Juden zunahm, konstituierte sich eine eigene Gemeinde, die um 1880 immerhin mehr als 150 Angehörige zählte. Eine Synagoge an der Wilhelmstraße und ein Beerdigungsgelände waren gemeindliches Eigentum.
Juden in Sorau:
--- 1819 ........................... 18 Juden,
--- 1849 ........................... 50 “ ,
--- 1880 ........................... 154 “ ,
--- 1890 ........................... 157 “ ,
--- 1925 ........................... 104 “ ,
--- 1933 ........................... 90 “ ,
--- 1939 ....................... ca. 90 “ ,
--- 1944 ........................... 7 “ ,
--- 1945 ........................... 3.500 “ ,
--- 1947 ....................... ca. 1.200 “ ,
--- 1962 ....................... ca. 250 “ ,
--- 1967 ....................... ca. 300 “ .
Angaben aus: Zary, in: sztetl.org.pl
Anfang der 1930er Jahre zählte die Sorauer Judenschaft noch etwa 90 Personen, die zumeist bis Kriegsbeginn hier verblieben. Über ihr weiteres Schicksal liegen keine Angaben vor.
Nach Kriegsende erreichten mehrere tausend Juden, die in der UdSSR überlebt hatten und nun nach Polen zurückkehrten, die Stadt; 1945/1946 sollen es etwa 3.500 Menschen gewesen sein. Die Beziehungen zu den eingesessenen Stadtbewohnern waren gespannt, zuweilen feindselig. Bis 1950 hatten die meisten jüdischen Neuankömmlinge den Ort verlassen und waren emigriert.
Das Synagogengebäude diente nach 1945 zunächst den jüdischen Immigranten als Versammlungsort; gegenwärtig wird es von einer christlichen Freikirche genutzt.
vgl. Sorau (brandenb. Neumark)
Nur wenige Kilometer östlich von Sorau liegt Sagan/Bober (poln. Zagan); hier sollen Juden bis zu ihrer Vertreibung im Jahre 1462 gelebt haben. Eine neuzeitliche Gemeinde gründete sich erst wieder zu Beginn des 19.Jahrhunderts; in den 1880er Jahren zählte diese etwa 170 Köpfe. Während der Novembertage 1938 wurden Synagogengebäude und Läden jüdischer Eigentümer niedergebrannt; zum damaligen Zeitpunkt lebten nur noch etwa 30 Juden in Sagan.
vgl. Sagan/Bober (Schlesien)
In Sommerfeld (poln. Lubsko) - einer Kleinstadt nordwestlich von Sorau – ist erste jüdische Ansässigkeit nicht exakt zu belegen; vermutlich hat sich hier eine kleine Gemeinschaft in nachnapoleonischer Zeit gebildet. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts sollen in Sommerfeld ca. 50 Bewohner mosaischen Glaubens gelebt haben. Eine Synagoge gab es hier nicht; ein Friedhof wurde nach 1850 angelegt. Im Ort bestand eine Hutfabrik mit mehr als 100 Arbeitskräften, die einem jüdischen Unternehmer (Wilhelm Gattel) gehörte.
Weitere Informationen:
Aron Ackermann, Geschichte der Juden in Brandenburg a.H., Berlin 1906
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 307 – 309
Fritz Rothstein, Schicksale jüdischer Bürger in Sorau, in: „Sorauer Heimatblatt“, No. 10/Okt. 1986
Manfred Augustyniak, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Guben, in: "Gubener Heimatkalender", 32/1988
Josef Fischer, Die Rettung der Familie Morgenstein, in: "Gubener Heimatkalender", 1989, S. 48 – 50
Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band I, S. 519 - 524
Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 95/96
Klaus Arlt, Aufbau und Niedergang jüdischer Gemeinden in der Mark Brandenburg im 19. und beginnenden 20.Jahrhundert, in: "Menora - Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte", 1993
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 387/388
Jutta u. Otto Rückert, Guben, in: Irene Diekmann/Julius H.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, Edition Hentrich, Berlin 1995, S. 142 – 156
Gisela Möllendorf, Ein Rabbiner aus Westfalen in Guben. Leben und Sterben von Dr. Julius Voos (1904 – 1944), in: "Gubener Heimatkalender 1998", Guben 1997, S. 10 – 16
Andreas Peter, Nachbarn von einst - Bilder und Dokumente jüdischen Lebens in Guben, Ausstellungskatalog, Guben 1999
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 285
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1214
Wolfgang Weißleder, Der Gute Ort - Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, hrg. vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam 2002, S. 114 – 117
Andreas Peter. Juden in Guben. Ein Überblick, in: Gestern sind wir gut hier angekommen“ – Beiträge zur jüdischen Geschichte in der Niederlausitz, in: „Der Speicher“, Heft 9, Finsterwalde 2005, S. 10 ff.
Andreas Peter, Guben, in: Irene A. Diekmann (Hrg.), Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart, Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Band 5, Berlin 2008, S. 154 – 184
Jan Augustin (Red.), Die Namen zurückgeholt, in: „Lausitzer Rundschau“ vom 22.3.2011
Gubener und Gubiner erinnern an den Pogrom, in: „Lausitzer Rundschau“ vom 10.11.2011
Gubin, in: sztetl.org.pl
Zarya, in: sztetl.org.pl
Auflistung der in Guben verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Guben