Hameln/Weser (Niedersachsen)

Jüdische Gemeinde - Lügde (Nordrhein-Westfalen)Datei:Hameln in HM.svg Hameln (Weser) hat derzeit eine Einwohnerzahl von ca. 58.000 Menschen und ist die Kreisstadt des Landkreises Hameln-Pyrmont – ca. 45 Kilometer südwestlich der Landeshauptstadt Hannover gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von Lippe, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und  Kartenskizze 'Landkreis Hameln', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Ansiedlungen von Juden in der Stadt Hameln wurden erstmals im „großen Stadtrechtsprivileg“ von 1277 urkundlich erwähnt; eindeutige Quellen stammen dann aus dem frühen 14.Jahrhundert; die knapp zehn jüdischen Familien wohnten damals in einer eigenen Straße, der „Jodenstrate“. Erwerbsquelle der meisten Juden war das Pfandgeschäft. Nach einer langen Zeit, in der sich Vertreibung und Duldung einander abwechselten, waren ab Ende des 16.Jahrhunderts wieder einige jüdische Familien in Hameln ansässig; sie hatten gegen Geldzahlungen zeitlich befristete Schutzbriefe erhalten.

Durchschnittlich lebten im 18.Jahrhundert etwa zwölf Familien in der Stadt; einige davon waren recht wohlhabend. 1732 gründete sich formal eine jüdische Gemeinde in Hameln, die dem Landesrabbinat Hannover unterstand. Neben einer Betstube, die sich in einem erstmals 1670 erwähnten angemieteten Raume in der Bäckerstraße befand, richtete man auch eine kleine Schule ein. Etwa ein Jahrhundert später war der Synagogenraum im Hause der Alten Marktstraße 12 untergebracht; diese Betstube diente wiederum für etwa 100 Jahre als gottesdienstlicher Versammlungsort; das Haus gehörten einer christlichen Familie und wurde erst in den 1860er Jahren gekauft. Seit den 1860er Jahren wurden Überlegungen zum Neubau bzw. Kauf eines Synagogengebäudes angestellt; ein eigens dafür ins Leben gerufener Synagogenbaufonds stellte die notwendigen Finanzmittel bereit.

1879 war der Neubau der Synagoge in der Bürenstraße, ein Werk des Architekten Edwin Oppler, nach zweijähriger Bauzeit fertiggestellt. Der monumentale Bau im romanischen Stil war mit seinen mehr als 300 Plätzen recht groß für die Hamelner Gemeinde.

                                      Fassade der Synagoge, Entwurfszeichnung von Edwin Oppler (1876)

Der dem Landesrabbinat Hannover unterstehenden Synagogengemeinde Hameln waren die folgenden Ortschaften angeschlossen: Emmern, Hilligsfeld, Kirchohsen, Tündern und seit 1912 Börry. Wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg ging die Gemeinde Ohsen-Grohnde in der Synagogengemeinde Hameln auf.

                      Synagoge Hameln (hist. Aufn., um 1900, Stadtarchiv) 

Das seit dem 17.Jahrhundert bestehende Areal der ältesten Begräbnisstätte für Hamelner Juden musste im Gefolge des Festungsbaues aufgegeben werden; nach dem Kauf eines Areals „Am Sandfelde” (heute Sandstraße) - vor dem "Ostentor" der Stadt - legte die hiesige Judenschaft in den 1740er Jahren hier einen neuen Friedhof an, der gegen Ende des 19.Jahrhunderts eine flächenmäßige Erweiterung auf insgesamt ca. 2.100 m² erfuhr.

Juden in Hameln:

    --- um 1340 ...........................   7 jüdische Familien,

    --- um 1560 ........................... eine    “       “  (),

    --- um 1690 ...........................   4     “       “    ,

    --- 1797 ..............................  13     “       “    ,

    --- 1853 ..............................  76 Juden,

    --- 1864 .............................. 129   “  ,

    --- 1875 .............................. 149   “  ,

    --- 1895 .............................. 220   “  ,

    --- 1902 .............................. 237   “  ,

    --- 1913 .............................. 210   “  ,

    --- 1925 .............................. 184   “  ,

    --- 1933 .............................. 133   “  ,

    --- 1935 ..............................  86   “  ,

    --- 1939 ..............................  44   “  ,

    --- 1942 (Dez.) .......................  keine.

Angaben aus: Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen, S. 77 f.

und                 Bernhard Gelderblom, Die jüdische Gemeinde in Hameln

Osterstraße um 1900, Lithographie (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die jüdische Gemeinde in Hameln gehörte zunächst zu den kleineren in Deutschland; durch Zuzüge aus dem ländlichen Umland nach 1850/1860 wuchs die Anzahl der Gemeindeangehörigen aber deutlich an. Während ihrer Blütezeit um 1900 zählte die Gemeinde etwas mehr als 200 Personen; 1933 umfasste die Gemeinde noch 136 Angehörige - bei einer Bevölkerungszahl Hamelns von ca. 26.000 Einwohnern waren das nur 0,5 %. Zu Beginn der 1930er Jahre verdienten die meisten, seit Generationen alteingesessenen jüdischen Familien in Hameln ihren Lebensunterhalt im Einzelhandel - durch den Verkauf von Kleiderkonfektion und Manufakturwaren; eine andere traditionelle jüdische Domäne im Geschäftsleben waren der Vieh- und Pferdehandel sowie Landhandel. Das letzte jüdische Bankhaus der Stadt - Moses Katzenstein - war am Ende des Ersten Weltkrieges bankrott gegangen. Von ihren Berufen her gehörte ein Teil der Hamelner Juden dem gehobenen bürgerlichen Mittelstand an. Im Jahre der NS-Machtübernahme lebten in Hameln etwa 130 jüdische Bürger. Unmittelbar nach der Reichstagswahl vom 5.3.1933 kam es in Hameln zu Anschlägen auf jüdisches Eigentum.

                       Brennende Benzinkannen vor der Synagoge

Heute früh um 6 Uhr wurden Polizei und Feuerwehr alarmiert, da vor dem Portal der Synagoge in der Bürenstraße zwei gefüllte Benzinkannen in Brand gesteckt worden waren. ... Die Feuerwehr löschte die brennenden Kannen, und es wurde eine sorgfältige Durchsuchung des Gebäudes vorgenommen, die aber keine Anhaltspunkte für die Täterschaft erbrachte. - Es ist selbstredend, daß derartige Handlungen, gleichviel, wer die Anstifter seien, von sämtlichen anständig denkenden Menschen verurteilt werden.

(aus: „Deister- und Weserzeitung” 6.März 1933)

Mitte März 1933 gab es auf Initiative von SA-Mitgliedern in Hameln die ersten inoffiziellen Boykottmaßnahmen, die zu Schließungen jüdischer Geschäfte führten. Der vorläufige Höhepunkt der Kampagne fand dann auch in Hameln am 1.April 1933 statt. In einer ganzseitigen Anzeige in der „Deister- und Weserzeitung” erschien ein „Aufruf an die deutschen Schwestern und Brüder in Hameln-Stadt und -Kreis”, jüdische Handels- und Dienstleistungsbetriebe zu boykottieren.  Namentlich wurden insgesamt 29 jüdische Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte genannt. In den Folgejahren kam es dann zu Konkursen und Verkäufen jüdischer Geschäfte und Firmen. Von den 29 im Boykott-Aufruf genannten Geschäften, Rechtsanwälten und Ärzten gaben bis Ende des Jahres 1935 bereits über 20 auf; zu den ersten hatten das Warenhaus Karl Friedheim (Bäckerstraße) und das Schuhgeschäft Louis Keyser gehört.

    Frühe „Arisierung“ (1934) in Hameln

Welchen Erfolg der Boykott und die Repressalien hatten, zeigen Lageberichte des Hamelner Bürgermeisters Detlef Schmidt an den Regierungspräsidenten Hannover (1934/1935), in denen es u.a. hieß: "Durch die gegen das Judentum ergriffenen Maßnahmen ist der Umsatz in den jüdischen Geschäften stark zurückgegangen,, wodurch einige der größeren Geschäfte in die Hände von Nicht-Juden übergingen. (...) Mehrere hiesige jüdische Geschäfte sind in letzter Zeit auf arische Inhaber übergegangen. In absehbarer Zeit wird in Hameln kein Geschäft mehr von Juden betrieben werden".

Anfang August 1935 fand im Monopolsaal in Hameln eine gut besuchte „Massenkundgebung gegen die Staatsfeinde und Wühlmäuse” statt; Veranstalter war der NSDAP-Ortsverein. Am Ende der Veranstaltung gab der NSDAP-Kreispropagandaleiter Krüger einen an den Hamelner Oberbürgermeister gerichteten Antrag bekannt:

„ In der letzten Zeit haben wir erleben müssen, wie das Judentum mit seinen Bundesgenossen nicht nur im Deutschen Vaterland, sondern auch in unserer nächsten Umgebung (Hessisch-Oldendorf und Hemmendorf) wieder frecher denn je sein Haupt ... erhebt. ... In Erkenntnis dieser Tatsache soll jetzt ein rücksichtsloser aber legaler Kampf gegen die Juden und Judenknechte sowie alle Staatsfeinde einsetzen, und ich stelle daher im Namen der alten Pgg. von Hameln folgenden Antrag:

1. An den Stadteingängen Tafeln anzubringen mit der Aufschrift:   Juden sind in Hameln nicht erwünscht.

2. An den verkehrsreichsten Stellen der Stadt, Plätze auf Antrag für Anbringung von Stürmerkästen zu genehmigen, um die Volksgenossen aufzuklären.

3. Kein Handwerker und Geschäftsmann oder sonst ein Volksgenosse erhält Arbeit oder Aufträge von der Stadt, der bzw. dessen Familienmitglieder beim Juden kaufen, mit Juden Verkehr pflegen oder jüdische Ärzte und Rechtsanwälte in Anspruch nehmen.

4. Einen Beschluß herbeizuführen, daß Zuzug von Juden, auch wenn getauft, nach Hameln unerwünscht ist und daß ein Verkauf von Grundstücken jeder Art an Juden untersagt wird.

5. Juden zu verbieten, in offenen sowie geschlossenen Badeanstalten zu baden. "

Der Antrag wurde zwar öffentlich bejubelt, aber viele Hamelner Bürger - auch NSDAP-Angehörige - müssen diesem wohl nicht Folge geleistet haben.

Die Zahl der jüdischen Bürger Hamelns ging von 136 Personen im Jahre 1933 auf 86 im Jahre 1935 zurück; 1939 waren es dann noch 44; vor allem alte und erwerbslose Menschen blieben in Hameln wohnen. Durch das Gesetz über „die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen” vom 28.März 1938 verlor auch die jüdische Gemeinde Hameln ihren öffentlich-rechtlichen Status und unterlag von nun an der Aufsicht der Verwaltungsbehörden.

Von den reichsweiten Deportationen polnischer Juden Ende Oktober 1938 war auch eine dreiköpfige Familie aus Hameln betroffen. 

Beim Novemberpogrom von 1938 wurde die hiesige Synagoge von Hamelner SA- und einigen SS-Männern in Brand gesetzt; die Nachbarhäuser wurden durch die Feuerwehr geschützt. Das Synagogengebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder; kurz danach wurde die Ruine abgetragen. Auch der jüdische Friedhof in der Scharnhorststraße wurde total verwüstet.

 Synagogenruine (Aufn. Stadtarchiv, Hameln, aus: B. Gelderblom, Die Stadt Hameln und ihre Juden)

Die beiden noch bestehenden jüdischen Textilgeschäfte Bernstein und Hammerschlag wurden geplündert und das noch vorhandene Warenlager zugunsten der NSV beschlagnahmt. Zehn jüdische Männer wurden festgenommen und ins Hamelner Polizeigefängnis gebracht, hier in „Schutzhaft“ genommen und über Hannover ins KZ Buchenwald verschleppt. In einer Kurzmeldung berichtete die „Deister- und Weserzeitung” am 10.11.1938:

(...) Vergeltungsmaßnahmen
Als gestern Abend die Nachricht vom Tode des deutschen Legationssekretärs vom Rath in der Stadt bekannt wurde, machte sich auch in Hameln die Empörung der Bevölkerung über den feigen jüdischen Mordanschlag in der deutschen Botschaft in Paris in einer Reihe von Vergeltungsmaßnahmen Luft. Wie wir erfahren, mußten einige Juden in Schutzhaft genommen werden.

 

Die wenigen noch in Hameln verbliebenen Juden wurden dann 1940/1941 in die beiden „Judenhäuser“ an der neuen Marktstraße 13 und am Pferdemarkt 8 eingewiesen. Von den großen Deportationen Ende 1941/Anfang 1942 waren auch die noch wenigen, meist hochbetagten Hamelner Juden betroffen; organisiert wurden die Transporte jeweils von der Gestapostelle Hannover. Ihr Abtransport von Hannover erfolgte vermutlich nach Lublin und ins Ghetto Warschau. Aber auch das Deportationsziel Theresienstadt ließ sich für einige Hamelner Juden nachweisen; die meisten kamen dort bzw. in Auschwitz-Birkenau ums Leben. Insgesamt sollen etwa 100 gebürtige Hamelner Juden deportiert, die allermeisten davon umgekommen sein. Nur die „in Mischehe“ verheirateten Juden konnten vermutlich bis Febr. 1945 in der Stadt verbleiben.

Mitte der 1920er Jahre hatte sich bei Hameln der „Kibbutz Cheruth” (= „Kommune Freiheit“) gegründet, dessen Mitglieder dem „Brith Haolin“ (= „Bund der Einwanderer“) angehörten; diese jungen Zionisten bereiteten sich auf eine Emigration nach Palästina vor und übten landwirtschaftliche und handwerkliche Tätigkeiten aus. Die teils aus Osteuropa stammenden Mitglieder des „Kibbutz Cheruth” lebten in der Nähe von Hameln, Aerzen, Holzhausen und Lügde; der “Kibbutz Cheruth” existierte nur bis Anfang der 1930er Jahre.

 

In den Nachkriegsjahren wurde versucht, den total zerstörten jüdischen Friedhof in der Scharnhorststraße zu rekonstruieren; die wiederaufgerichteten Grabsteine sind allerdings unvollständig und stehen oft nicht an ihrem alten Platz.

jüdischer Friedhof (Aufn. Axel Hindemith, 2010, aus: wikipedia.org, gemeinfrei) 

In Übersetzung lautet die Grabsteininschrift des aus der Zeit um 1750 stammenden Steins: „Hier ist begraben ein Mann, redlich, zum Lob in seinen Geschlechtern. Er zehrte von seiner Hände Arbeit, seine Thora War sein Glauben. Er hörte nicht auf mit Lernen bis zu seinem Tode. An jeder Stelle ist die Halacha wie er sie lehrte. Mit einem Kuss ging seine Seele heraus. Nach ihm möge sein Verdienst bleiben. Das ist der Thorakundige und Ausgezeichnete, unser Lehrer und Meister Elieser Leser, Sohn des Rabbi, unseres Lehrers Meir aus Langenzenn. Er verstarb und wurde begraben am 2. Tag (Montag), 23. Ijar 509, nach der kleinen Zählung (1749). Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.“

 

Die neue liberale Jüdische Gemeinde Hameln - im Jahre 1997 von der Amerikanerin Rachel Dohme gegründet - schuf sich vier Jahre später auf dem städtischen Friedhof „Am Wehl“ ein gesondertes Gräberfeld.

Datei:Jüdische Synagoge Hameln Gedenkstätte Gedenkstein.jpg Ein schlichter Gedenkstein am ehemaligen Standort der Hamelner Synagoge in der Bürenstraße (Aufn. A. Hindemith, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0) - das Gelände blieb nach dem Kriege unbebaut - erinnert seit 1963 mit der folgenden Inschrift:

Menschen verstummen Steine reden immer   Zum Gedenken an den Untergang der Jüdischen Gemeinde Hameln in den Jahren 1933 - 1945

Anfang 1980 erhielt der Platz an der Bürenstraße, an dem die Synagoge gestanden hatte, durch Ratsbeschluss offiziell den Namen „Synagogenplatz“. Mitte der 1990er Jahre begannen dann die Arbeiten zur Umgestaltung des Synagogenplatzes und zur Aufstellung des neuen, vom Hannoverschen Künstler Hans-Jürgen Breuste geschaffenen Mahnmals, das aus einer zerborstenen Stahlsäule und fünf stählernen Tafeln besteht; auf diesen Tafeln sind die Namen aller derjenigen festgehalten, die während der NS-Zeit aus Hameln vertrieben, in den Selbstmord getrieben, deportiert und ermordet wurden.

Die Widmungstafel trägt neben der Silhouette der Synagoge die Inschrift:

An dieser Stelle stand seit 1879 die Synagoge, das Gebetshaus der jüdischen Gemeinde Hameln. In der Nacht des 9.November 1938 haben Hamelner Nationalsozialisten die Synagoge geplündert und niedergebrannt. Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof wurden zerschlagen und zehn jüdische Männer in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Dieses Mahnmal ist zur Erinnerung an die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Hamelns errichtet worden. Sie waren Deutsche, und viele lebten seit Generationen in der Stadt. In der zeit des Nationalsozialismus 1933 – 1945 wurden sie ohne nennenswerten Protest der Bevölkerung von Bürgern der Stadt entrechtet und gedemütigt. Sie wurden verjagt, in den Selbstmord getrieben oder deportiert und in den Vernichtungslagern ermordet.Ihre Namen sind, soweit bekannt, auf diesen Tafeln verzeichnet.

                  Vor der zerborstenen Stahlsäule sind auf einer liegenden Tafel die Worte von Elie Wiesel zu lesen:

Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, das Gegenteil von Erinnerung und Gedächtnis nicht Vergessen, es ist wiederum Gleichgültigkeit. Nur Erinnerung kann gegen sie ankämpfen. Wenn wir aus dieser Gleichgültigkeit ausbrechen, kann die Vergangenheit mit all dem Grauen, das sie enthält, ein Schutzschild für die Menschheit werden.

 

In bislang fünf Verlegeaktionen wurden in die Gehwege Hamelns zahlreiche sog. „Stolpersteine“ eingelassen, die an Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern; allein bei der vorletzten Aktion (April 2016) wurden an fünf Stellen insgesamt 22 Steine verlegt. 2018 kamen an drei Standorten weitere zehn Steine hinzu, so dass nun insgesamt mehr als 80 Stolpersteine zu finden sind (Stand 2023).

Stolperstein in Hameln für Karl Bernstein.jpgStolperstein in Hameln für Paula Bernstein.jpgStolperstein in Hameln für Johanne Michaelis.jpg Stolperstein Hameln Helene Bloch.jpg Stolperstein in Hameln für Moses Moritz Marcus.jpgStolperstein in Hameln für Erna Marcus.jpg

Stolperstein in Hameln für Rosa Culp.jpgStolperstein in Hameln für Sophie Friedhelm.jpgStolperstein in Hameln für Ingrid Friedhelm.jpg

verlegt am Münsterkirchhof, in der Osterstraße u. Neue Marktstraße (Aufn. A., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Stolpersteine in Hameln für Familie Blank.jpg in der Kaiserstr. (Aufn. G.F., 2020 aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Mehr als 72 Jahre nach der Zerstörung der Hamelner Synagoge eröffnete die inzwischen auf ca. 200 Angehörige angewachsene liberale jüdische Gemeinde (gegründet im Landkreis Bad Pyrmont-Hameln 1997/98) - sie setzt sich zumeist aus Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion zusammen - am gleichen Standort ein neues Gemeindezentrum. Die Einweihung des schlichten ellipsenförmigen Baues erfolgte im Februar 2011.

    neues jüdisches Gemeindezentrum (Aufn. architekten-team.de, 2011)

Ende Dez. 2016 übernahm die in Jerusalem ordinierte Rabbinerin Ulrike Offenberg das Amt als Rabbinerin der liberalen jüdischen Gemeinde von Hameln; sie ist damit Nachfolgerin der aus Jerusalem stammenden Irit Shillor, die über Jahre hinweg das religiöse Leben der Hamelner Gemeinde geprägt hat.

Bei den Bauarbeiten für die neue Synagoge kamen Reste des alten Gebäudes zum Vorschein; so wurden im Bauschutt zerschmolzene Glasscherben, Bleieinfassungen der bunten Fenster, Reste von Geschirr und von Asche verfärbte Dachziegel entdeckt; die Relikte sollen im Hamelner Museum verwahrt werden.

Die in der Literaturwissenschaft als „Glückel von Hameln“ bekannt gewordene Glikl bas Judah Leib wurde gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges als Tochter des Juwelenhändlers und Judenältesten der aschkenasischen Gemeinde zu Hamburg geboren. Weil sie im Alter von 13 Jahren Chaim Goldschmidt aus Hameln geheiratet hatte, erhielt sie obig genannten Namen. Nach zweijährigem Aufenthalt im Hause der Schwiegereltern in Hameln zogen die Eheleute nach Hamburg und gründeten dort ein Handelsgeschäft, das sie mit dem erworbenen Reichtum in die gehobene soziale Klasse der jüdischen Kaufleute Hamburgs führte, sie damit auch in die Lage versetzte, wohltätig zu wirken. Nach dem Tod ihres Mannes führte Glikl - Mutter von 14 Kindern – das Geschäft erfolgreich weiter. Mit der Verheiratung ihrer Kinder gelangen ihr wichtige geschäftliche Verbindungen in verschiedenen Städten Mitteleuropas. Glikl schrieb insgesamt sieben Bücher über ihr Leben und ihre Ansichten (Anm. 1896 wurden ihre Memoiren erstmals im jiddischen Originaltext veröffentlicht, mehr als ein Jahrzehnt später auch in einer hochdeutschen Version).

                           siehe auch: Hamburg

                         

 

 

Im südlich von Hameln gelegenen Hämelschenburg – heute einer von insgesamt 17 Ortsteilen von Emmerthal – befinden sich am nördlichen Ortsrand Relikte eines aus dem 18.Jahrhundert stammenden jüdischen Friedhofs; dessen Belegung erfolgte wohl bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts. Das völlig verwahrloste kleine Begräbnisareal (ca. 150 m²) mit seinen beiden noch verbliebenen Grabsteinen (aus der Zeit um 1750) soll wieder aus der Vergessenheit zurückgeholt werden.

Zugang zum ehem. jüdischen Friedhof (Aufn. A., 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

Weitere Informationen:

Moses Keyser, Wie durfte man mein Haus schänden? Zur Erinnerung an die Synagogen-Brandnacht in Hameln 1938, in: "Deister-Weser-Zeitung" vom 11.11.1961

Rudolf Feige, Mitbürger schon seit dem Mittelalter. Aus der Geschichte der Israelitischen Gemeinde in Hameln. Zur heutigen Gedenksteinweihung in der Bürenstraße, in: "Deister-Weser-Zeitung" vom 26.11.1963

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 323 – 334 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 509/510

Bruno Scharf, Das Schicksal der Juden in Hameln in der Zeit des 3.Reiches, Band 1 + 2 (Examensarbeit Gesamthochschule Paderborn aus dem Jahre 1977)

Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen - Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Verlag Gerhard Rautenberg, Leer 1979

H. Spanuth/R. Feige/F. Seifert, Geschichte der Stadt Hameln, Hameln 1983

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Regierungsbezirke Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 15 f.

Bernhard Gelderblom, Der jüdische Friedhof in Hameln, Hameln 1988

Hans-Peter Schwarz (Hrg.), Die Architektur der Synagoge. Ausstellungskatalog Dt. Architekturmuseum Frankfurt/M., Frankfurt/M. 1988, S. 250

Johann Wittkowsky, Zur Geschichte der Juden in Hameln 1919 - 1943, in: "Beiträge zur Stadtgeschichte Hamelns", Band 5, Hameln 1990

Bernhard Gelderblom, Sie waren Bürger der Stadt - Die Geschichte der jüdischen Einwohner Hamelns im Dritten Reich - Ein Gedenkbuch, Verlag CW Niemeyer, Hameln 1996 (2.Aufl., 1997)

Christine Magin, Zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Hameln, in: "Jahrbuch des Museumsverein Hameln 1997", S. 14 – 38

Bernhard Gelderblom, Von Christen und Juden in Hameln. Ein Gang durch 700 Jahre gemeinsamen Lebens, Vortrag anlässlich des 20jährigen Jubiläums der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hameln e.V., Hameln 2000

Monika Richarz (Hrg.), Die Hamburger Kauffrau Glikl. Jüdische Existenz in der Frühen Neuzeit, Hamburg 2001

M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 188/189

Bernhard Gelderblom, Der jüdische Friedhof in der Scharnhorststraße, in: Die Stadt Hameln und ihre Juden, online abrufbar unter: juedische-geschichte-hameln.de

Natalie Zemon Davis, Mit Gott rechten. Das Leben der Glikl bas Judah Leib, genannt Glückel von Hameln, Berlin 2003

Elvira Grözinger, Glückel von Hameln. Kauffrau, Mutter und erste jüdisch-deutsche Autorin, in: "Jüdische Miniaturen", Teetz 2004

Bernhard Gelderblom (Bearb.), Hameln, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 698 - 720

Rotmund Ries, Glikl: der Blick einer jüdischen Frau auf die Gesellschaft der frühen Neuzeit, in: A.Herzig/C.Rademacher (Hrg.), Die Geschichte der Juden in Deutschland, Hamburg 2007, S. 66 – 71

Inge Grolle, Die jüdische Kauffrau Glikl (1646 - 1724), Edition Temmen, Bremen 2011

Bernhard Gelderblom, Die Juden von Hameln: Von ihren Anfängen im 13.Jahrhundert bis zu ihrer Vernichtung durch das NS-Regime, Holzminden 2011

Bernhard Gelderblom, Der jüdische Friedhof in Hämelschenburg, online abrufbar unter: gelderblom-hameln.de/judenhameln/friedhoefe/judenfriedhaemelschenburg.php?name=haemelschenburg

Vor 70 Jahren: Der Weg der jüdischen Familien Hamelns in die Vernichtung“ – Ausstellung in der Hamelner Synagoge, Okt./Nov. 2012

Dorothee Balzereit (Red.), Erinnern für die Zukunft - Die ersten zehn Hamelner Stolpersteine wurden gestern verlegt, in: "DeWeZet - Deister- Weser-Zeitung" vom 27.11.2013

Bernhard Gelderblom, Die Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmonnt, in: geschichte-hameln.de/gedenkbuch/dokumentation/

Verein für regionale Kultur- u. Zeitgeschichte Hameln e.V. (Hrg.), Stolpersteine in Hameln, in: stolpersteine.geschichte-hameln.de

Auflistung der in Hameln verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Hameln

Rocco Thiede (Red.), „Keine reine Männersache“ - Rabbinerin Ulrike Offenberg über ihre Stelle in Hameln und künfitige Aufgaben, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 26.1.2017

Philipp Killmann (Red.), Zehn neue „Stolpersteine“ in Hameln – zehn bewegende Geschichten, in: „DeWeZet – Deister- Weser-Zeitung“ vom 10.8.2018

Kathrin Hollweg/Tobias Mielich(Red.), HAMELN – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/hameln/

Gerhard Haase-Hindenberg (Red.), Porträt der Woche: „Lange war es nur ein Traum“ - Rachel Dohme ist Pädagogin und baute in Hameln die liberale Gemeinde auf, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 27.2.2019

N.N. (Red.), Jüdischer Friedhof erhält seine Würde zurück – Restaurierte Grabsteine in Hämelschenburg aufgestellt, in: „DeWeZet – Deister-Weser-Zeitung“ vom 15.3.2019

Ruth Hoffmann (Red.), „Ich habe das Meinige dazu beigetragen“, in: "Der SPIEGEL - GESCHICHTE", 4/2019, S. 48 - 51 (betr. Glückel von Hameln)

Bernhard Gelderblom, „… nur weil wir Juden sind“ - Das Schicksal der Unternehmerfamilie Albert Blank und die Teppichfabrik oka in Hameln, CW Niemeyer Buchverlage Hameln 2020

Bernhard Gelderblom, Stolpersteine in Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont, Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2021

Philipp Killmann (Red.), Neues Buch veröffentlicht: Stolpersteine bekommen Gesichter, in: „DeWeZeT – Deister-Weser-Zeitung“ vom 22.3.2021

Ingeborg Grolle (Bearb.), Hamburg zur Zeit der Glückel von Hameln, online abrufbar unter: sharedhistoryproject.org/essay (2021)

Rocco Thiede (Red.), Rabinerinnen in Deutschland – Reginas Erben, in: deutschlandfunk.de vom 18.8.2021 (mit Erwähnung von Hamelns Rabinerinnen)

Bernhard Gelderblom (Red.), 800 Jahre jüdisches Leben in Hameln: Als der Judenhass erneut erstarkte, in: "DeWeZeT – Deister- u. Weser-Zeitung“ vom 22.1.2022

Nadja Juskowiak (Red.), Hameln „Nach 25 Jahren etabliert“. Die liberale Gemeinde im Weserbergland blickt auf ein Vierteljahrhundert Gemeinschaft zurück, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 19.2.2022