Hammelburg (Unterfranken/Bayern)

 Datei:Karte Landkreis Bad Kissingen.pngDatei:Hammelburg in KG.svgHammelburg ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Bad Kissingen - an den Ausläufern der bayerischen Rhön gelegen (topografische Karte, Lencer 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Kartenskizze 'Landkreis Bad Kissingen', Hagar 2010, aus: commons.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In Hammelburg bestand eine der ältesten jüdischen Gemeinden Unterfrankens; in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts machte der Anteil der jüdischen Einwohner etwa 5% aus.

Erste Hinweise auf jüdische Familien in Hammelburg findet man bereits im 13.Jahrhundert; im „Nürnberger Memorbuch“ erscheint die Ortsbezeichnung „Hamelburk” im Zusammenhang mit den sog. „Rindfleisch-Unruhen“, bei denen jüdische Bewohner beraubt und ermordet wurden. Nach den Verfolgungen von 1337 und 1349 ließen sich Juden erst 1399 wieder in Hammelburg nieder; ihre Ansässigkeit wae durch Schutzbriefe vom Fürstabt Johann garantiert worden. In den folgenden Jahrhunderten soll es mehrfach zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die wenigen hier lebenden Juden gekommen sein, von weiteren Vertreibungen ist aber nichts bekannt. Mit der Urkunde König Albrechts aus dem Jahre 1301 wurde dem Fürstabt von Fulda die Verfügungsgewalt über die Juden des Stiftsgebiets und auch die von Hammelburg übertragen; diese Schutzgewalt übte das Stift bis zu Beginn des 19.Jahrhunderts aus.

Mitte des 14.Jahrhunderts wurde in Hammelburg ein aus 362 Pergamentblättern bestehendes Gebetsbuch angefertigt, das bis heute erhalten geblieben ist; es ist ein mit Bildern ausgestatteter Machsor für hohe Feiertage.

                                               Aus dem Hammelburger Machsor

Ab dem 16.Jahrhundert existierte in Hammelburg eine jüdische Gemeinde, die bereits damals über eine Synagoge verfügte. Den wirtschaftlichen Einfluss der Juden versuchten die Zünfte und der Stadtrat zu brechen, indem sie sich mehrfach mit Klagen an den Fürstabt von Fulda wandten. Erfolg hatten sie mit den Klagen erst mehrere Jahrzehnte später, als der Fürstabt des Fuldaer Hochstifts die allermeisten jüdischen Familien aus seinem Bereich auswies; bleiben durften nur wenige wohlhabende jüdische Familien. Noch um 1645 hatten sich mehr als 40 jüdische Familien in der Stadt aufgehalten, darunter zahlreiche, die auf Grund der kriegerischen Wirren aus umliegenden Dörfern in das ummauerte sichere Hammelburg geflüchtet waren.

 Stadtansicht von Hammelburg aus der Topographia Hassiae M. Merian, um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Ab Mitte des 17.Jahrhunderts setzte in Hammelburg eine in der christlichen Bevölkerung um sich greifende antijüdische Haltung ein, die sich auch durch tätliche Übergriffe kund tat. Diese Stimmung nutzte Fürstabt Bernhard Gustav von Baden-Durlach aus und vertrieb die Juden aus der Stadt (um 1670); sie flüchteten zumeist in die Freihöfe reichsritterschaftlicher Gutsherrn oder ins Hochstift Würzburg,

Erst zu Beginn des 18.Jahrhunderts siedelten sich wieder zögerlich Juden dauerhaft in Hammelburg an.

Aus der Chronik der Stadt Hammelburg von Heinrich Ullrich (1956): Unterm 23. März 1718 klagten die neu zugezogenen Israeliten bei der Regierung, daß auf dem Platz der früheren Judenschule ein Schweinestall stehe. Der Hammelburger Amtsverwalter Weishahn klärte die Sache dahin auf, daß nach der Judenaustreibung seinerzeit die frei gewordenen Häuser von den Bürgern gekauft worden seien, also auch die Judenschule. Jetzt befinde sich daselbst 'öd und wüst Mauerwerk im Quadrat 6 Ruten 20 Schuh'. Man habe vor, eine Kapelle dahin zu stellen. Ein Kirchlein wurde zwar nicht auf dem erwähnten Platz erbaut, aber etwa 50 Jahre später (1768) erhob sich daselbst wieder eine neue Synagoge (…) Die Hammelburger Judenschaft vermehrte sich langsam aber stetig. Im Jahr 1762 wohnten wieder zehn Judenfamilien in der Stadt. Damit war die Grundlage geschaffen, eine Synagoge zu errichten. Sie sollte auf dem Platz der früheren zu stehen kommen. Trotzdem nur noch ruinöses Grundgemäuer vorhanden war, sprachen die Juden mit ihrem Baugesuch nur von der Reparierung des alten zum Einsturz geneigten Bethauses.
Als jedoch das Bauvorhaben bekannt wurde, erhob die Bürgerschaft dagegen scharfen Einspruch. Die Juden seien gesonnen, einen prächtigen Bau zu erstellen, weil sie noch zahlreicher werden wollten und 'dann denen armen Christen die Nahrung nicht nur äußerst schwächen, als vielmehr vor dem Maul hinweg ziehen wollten.' Durch den jüdischen Gottesdienst sodann, 'der mit fast unmenschlichem Geschrei und Getön' verknüpft sei, würden die umwohnenden Bürger namentlich in ihrer Hausandacht sehr gestört' (…).  Diese Darlegung der Hammelburger Bürgerschaft scheint die Regierung zu Fulda lächelnd ad acta gelegt zu haben. Denn tatsächlich ward die Synagoge erbaut und diente ihren Zwecken bis in die Neuzeit."

Zu den gemeindlichen Einrichtungen der Hammelburger Judenschaft gehörten eine Synagoge, ein Gemeindehaus, eine Mikwe und eine jüdische Schule; die Gemeindeangehörigen gehörten mehrheitlich der religiös-orthodoxen Richtung an.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2091/Hammelburg%20Israelit%2028111907.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2091/Hammelburg%20Israelit%2008101908.jpg gemeindliche Stellenanzeigen von 1907/1908

Ihre Verstorbenen begrub die Judenschaft Hammelburgs auf dem jüdischen Friedhof im nahen Dorfe Pfaffenhausen, heute ein Ortsteil von Hammelburg, der bereits um 1580 südlich des Lindenberges angelegt wurde. Dieser diente jahrhundertelang als Verbands- u. Bezirksfriedhof für Verstorbene aus ca. 25 jüdischen Gemeinden aus dem Umland, so u.a. aus Oberthulba, Untererthal, Unterriedenberg, Bad Kissingen (bis 1801), Bonnland, Dittlofsroda, Hessdorf, Westheim, Gemünden und Hammelburg. Für die Beerdigung eines Erwachsenen waren z.B. im 18.Jahrhundert drei Gulden, für die eines Kindes ein Gulden als Beisetzungsgebühr zu entrichten.

Juden in Hammelburg:

         --- um 1490 ........................   9 jüdische Familien,

    --- 1570 ....................... ca. 100 Juden,                       

    --- 1645 ...........................  42 jüdische Familien,

    --- 1701 ...........................   2     ”       ”    ,

    --- 1762 ...........................  10     ”       ”    ,

    --- 1797 ...........................  66 Juden,

    --- 1833 ........................... 139   ”  ,  

--- 1867 ........................... 129   ”  ,

    --- 1880 ........................... 160   ”  (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1890 ........................... 172   "  ,

    --- 1895 ........................... 165   “  ,

    --- 1910 ........................... 117   “  (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1925 ...........................  98   “  ,

    --- 1933 ....................... ca.  75   “  ,

    --- 1935 ....................... ca.  70   “  ,

    --- 1939 (Sept.) ...................   3   “  ,

             (Dez.) ....................   keine.  

Angaben aus: Volker Rieß, Katalog zur Ausstellung ‘Jüdisches Leben in und um Hammelburg’

 

Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren für Hammelburg insgesamt 20 jüdische Familienvorstände aufgeführt.

Bei dem verheerenden Stadtbrand in Hammelburg (April 1854) überstand die hiesige Synagoge „wie durch ein Wunder unverrsehrt“ das Großfeuer.

  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20248/Hammelburg%20Stadtbrand%201854.jpgAbb. aus: hammelburger-album.de

Ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts bis zu Beginn der 1930er Jahre lebten christliche und jüdische Bewohner Hammelburgs einträchtig zusammen; sie kamen besonders in den verschiedenen Vereinen in Kontakt und arbeiteten auch in kommunalen Angelegenheiten zusammen.

Haupterwerbszweig der Hammelburger Juden war neben dem Vieh- besonders der Tuchhandel. Die bedeutendste jüdische Kaufmannsfamilie der Stadt war die Großfamilie Nußbaum, die zeitweise vier Geschäfte in Hammelburg besaß.

                        Geschäftsanzeige der Eisenhandlung Adolf Nussbaum 

Lehrstellenangebote jüdischer Geschäftsleute in Hammelburg (Anfang der 1890er Jahre):

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20298/Hammelburg%20Israelit%2012061889.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20130/Hammelburg%20Israelit%2019021891.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2091/Hammelburg%20Israelit%2014111892.jpg

 

                          https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20430/Hammelburg%20Stuehler%20PK%20020.jpg Schuhgeschäft B.Stühler, Markt um 1908 (Abb. aus: hammelburger-album.de)

Am 1.4.1933 hatten sich vor einigen jüdischen Geschäften SA- bzw. NSDAP-Angehörige postiert, um Kaufwillige als „Volksverräter der deutschen Wirtschaft“ zu beschimpfen. Weitere Ausgrenzungen bzw. Verbote wirtschaftlicher Tätigkeit folgten.

     https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20454/Hammelburg%20Die%20Stimme%2019350129.jpg Artikel in "Die Stimme" vom 29. Januar 1935

Aus einem Schreiben des Hammelburger Bürgermeisters vom 8.Juli 1936:„ ... Nachdem nun mit allen Mitteln versucht werden muß, die Juden aus dem Viehhandel auszuschalten, sind die neuen Großviehmärkte eingeführt. Die Bauernschaft begrüsst diese neue Markteinteilung und hat der bisherige Besuch gezeigt, dass auch ein Bedürfnis hierfür vorliegt. ...” 

 „Arisierungs“-Anzeige, aus: „Hammelburger Zeitung“, Febr.1936

Mit dem Entzug ihrer Wirtschaftsgrundlagen verließen zunehmend jüdische Geschäftsleute Hammelburg.

Verstärkt durch auswärtige SA-Trupps zogen in den Morgenstunden des 10.November 1938 Hammelburger Nationalsozialisten durch die Straßen, verschafften sich Zugang in von Juden bewohnte Häuser und Geschäfte, zerschlugen Mobiliar und warfen es auf die Straße. Am nächsten Tage wurde auch das jüdische Gotteshaus zerstört; so wurden Kultgegenstände und Inneneinrichtung demoliert, aus dem Gebäude herausgeschleppt und auf dem Hof verbrannt. Das Synagogengebäude, das während des Krieges von der NSDAP-Ortsgruppe genutzt wurde, nach 1945 dem Verfall preisgegeben war und später in Privatbesitz überging, dient nach Umbauten heute als Wohnhaus. Jüdische Männer (aber auch einige Frauen und Kinder) - auch aus den Nachbarorten - wurden in den Novembertagen ins Hammelburger Stadtgefängnis „in Schutzhaft“ genommen, die meisten nach einigen Tagen aus der Haft entlassen; einige verbrachte man ins KZ Dachau. 1939 endete die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Hammelburg.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich mindestens 33 gebürtige bzw. länger in der Stadt ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Verfolgung (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hammelburg_synagoge.htm).

 

An der Rückseite des einstigen Synagogengebäudes (am Seelhausplatz) ließ die Stadt Hammelburg 1995 ein Denkmal aus mehreren Steinen errichten; eine Inschrift ist zum Gedenken an die einstige jüdische Gemeinde angebracht.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2025/Hammelburg%20Synagoge%20011.jpg Gedenken an die ehemalige Synagoge (Aufn. J. Hahn, 2003)

Die Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ wurde 2010 vom Stadtrat abschlägig beschieden; zehn Jahre später wurde dieser Standpunkt nochmals bekräftigt.

Auf Beschluss der Kommunalvertretung wurde 2014 auf dem Seelhausplatz eine kleine Gedenkstätte erstellt. Auf einem Findling wurde eine Tafel mit folgenden Worten angebracht: „In Erinnerung an die vertriebenen, verschleppten und ermordeten jüdischen BürgerInnen und all die namenlos gebliebenen.“ Dann folgt eine Auflistung von 33 Namen jüdischer Bürger, die während der NS-Zeit verschleppt und ermordet wurden. Ergänzt wurde die Gedenkstätte durch eine sog. "Koffer-Skulptur", die im Zusammenhang des Projektes "DenkOrt Deportationen 1941-1944" geschaffen wurde (vgl. dazu: Würzburg).

                   HammelburgGedenkstätte Hammelburg (Aufn. Cornelia Mence, 2020, aus: denkort-deportationen.de)

An einen ehemaligen jüdischen Bewohner der Stadt, den Bäckermeister und Getreidewarenhändler Samuel Sichel (geb. 1876), erinnert heute ein nach ihm benannter Platz; am ehemaligen Lagerhaus der Sichel´schen Getreidehandlung stellte die Stadt Hammelburg 1995 einen Gedenkstein auf.

 

Auf dem jüdischen Friedhof des zu Hammelburg gehörenden Ortsteils Pfaffenhausen, der heute auf einer Fläche von etwa 12.000 m² noch mehr als 1.100 Grabsteine/-stätten aufweist und als ältester jüdischer Begräbnisplatz im Landkreis Bad Kissingen gilt, erinnert an der Friedhofshalle eine Gedenktafel mit der folgender Inschrift an diese jüdische Begräbnisstätte:

Dieser jüdische Friedhof wurde seit dem 16.Jahrhdt. ununterbrochen benutzt.

Im Juli 1938 wurden der Jüdischen Kultusgemeindeweitere Begräbnisse verboten.

Zur Erinnerung und Mahnung

Nach 1939 war das Friedhofsgelände nach Schändung der Gräber als Viehweide benutzt und einige von hier entfernte Grabsteine waren als Uferbefestigung zweckentfremdet worden.

 

jüdischer Friedhof in Pfaffenhausen (Aufn. J. Hahn, 2003 und Tilman 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

  

 

Im nur wenige Kilometer entfernten Untererthal – seit 1972 ein Stadtteil von Hammelburg - gab es bis 1941/1942 eine kleine jüdische Gemeinde. Deren Anfänge lagen in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts; erstmals wurde ein Jude bereits 1524 erwähnt. Um 1605 hielten sich bereits fünf jüdische Familien im Ort auf; sie standen unter dem Schutz der Freiherren von Erthal und wohnten in der Burganlage. Von der 1671 erfolgten allgemeinen Ausweisung aus dem Gebiet des Fuldaer Hochstifts waren die Untererthaler Juden nicht betroffen; den hier lebenden drei Familien war durch die Freiherren Schutz garantiert. Bis 1768 vergrößerte sich die Zahl der jüdischen Familien auf elf. Um 1840 zählte die jüdische Bevölkerung Untererthals fast 70 Personen; damit war jeder zwölfte Einwohner mosaischen Glaubens. Die Gemeinde besaß einen Bet- und Schulraum im Obergeschoss eines Privathauses sowie eine Mikwe nahe der alten Burgmühle. Zur Besorgung religiöser Aufgaben hatte die Gemeinde im 19. Jahrhundert zeitweise einen Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schächter fungierte; ab 1830 unterrichteten dann Lehrer aus Hammelburg die Kinder.

Verstorbene wurden auf dem Distriktsfriedhof in Pfaffenhausen beigesetzt.

Juden in Untererthal:

--- 1530 ...........................  2 jüdische Familien,

--- 1604 ...........................  5     "        "   ,

--- 1671 ...........................  3     "        "   ,

--- 1737 ...........................  6     "        "   ,

--- 1768 ........................... 11     "        "   ,

--- 1800 ........................... 10     "        "  ,

--- 1822 ........................... 65 Juden,

--- 1837 ........................... 68   “  (ca. 8% d. Bevölk.),

--- 1867 ........................... 22   “  ,

--- 1890 ........................... 43   “  (ca. 5% d. Bevölk.),

--- 1900 ........................... 32   “  ,

--- 1910 ........................... 41   “  ,

--- 1925 ........................... 31   "  ,

--- 1933 ........................... 20   "  ,

--- 1938 (Nov.) .................... 14   "  ,

--- 1942 (Juni) .................... keine.

Angaben aus: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Untererthal, S. 318

 

Anfang der 1930er Jahre lebten noch ca. 20 Juden am Ort. Einigen gelang die Emigration, die im Ort verbliebenen galten fast alle als verarmt und unterstützungsbedürftig. Während des Novemberpogroms wurde das Inventar des Betraumes vernichtet. SA-Angehörige aus Hammelburg/Brückenau waren für die Ausschreitungen – u.a. Plünderungen von Häusern – verantwortlich. Gegen Ende des Monats durchsuchte die Polizei - auf Anweisung des Landrats von Hammelburg - die jüdischen Häuser/Wohnungen nach „gehamsterten“ Lebensmitteln; die Durchsuchungen verliefen ergebnislos.

Acht Juden aus Untererthal wurden Ende April 1942 nach Izbica /b. Lublin, zwei weitere im September ins Ghetto Theresienstadt deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 25 gebürtige bzw. länger im Ort lebende jüdische Bürger Opfer der NS-Verfolgung (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/untererthal_synagoge.htm).

2014 wurde in der Ortsmitte eine Gedenktafel enthüllt, die die Namen der 25 Shoa-Opfer trägt. Diese befindet sich auf einem kleinen Platz am Zugang zur Judengasse und trägt die Worte: „In Erinnerung an die vertriebenen, verschleppten und ermordeten jüdischen Bürger und Bürgerinnen und an die namenlos Gebliebenen.“

UntererthalDer Beitrag von Untererthal zum unterfränkischen Erinnerungsprojekt "DenkOrt Deportationen 1941-1944" in Würzburg ist eine "Rucksack-Skulptur" (Aufn. Cornelia Mence, 2020, aus: denkort-deportationen.de).

 

 

 

In Bonnland, einer 1938 aufgelassenen Siedlung auf dem Gelände eines Truppenübungsplatzes südlich von Hammelburg, bestand seit dem 18.Jahrhundert eine jüdische Gemeinde; sie gehörte später dem Bezirksrabbinat Schweinfurt an. Um 1800 lebten in dem kleinen Dorf ca. 75 Juden, das waren knapp 20% der Einwohner; bei der Erstellung der Matrikel (1817) waren für das Dorf 16 Haushaltsvorstände aufgelistet.

Juden in Bonnland:

--- 1731 ....................  4 jüdische Familien,

--- um 1800 ............ ca.  50 Juden,

--- 1814 ...................  73 Juden (in 15 Familien),

--- 1835 ...................  76   “  ,

--- 1848 ...................  51   “  ,

--- 1867 ...................  50   “  ,

--- 1892 ...................  30   “  ,

--- 1910 ...................  17   “  ,

--- 1925 ...................  10   “  ,

--- 1933 ...................   8   “  .

Angaben aus: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, S. 111

 

Im Laufe des 19.Jahrhunderts nahm deren Zahl durch Aus- und Abwanderung deutlich ab; um 1900 wohnten in Bonnland nur noch 27 Juden, 1933 waren es nur noch acht. Betsaal und Mikwe gehörten zu den gemeindlichen Einrichtungen. Als um 1900 kein Minjan mehr erreicht mehr zustande kam, wurden auswärtige jüdische Männer gegen Geldzahlunge „angemietet“, um überhaupt Gottesdienste abhalten zu können. Religionsunterricht für die wenigen Kinder erteilte über viele Jahre der Lehrer Salomon Anfänger aus Heßdorf. Ein eigenes Begräbnisgelände am Ort war nicht vorhanden; Verstorbene wurden auf dem Friedhof in Pfaffenhausen beerdigt. 

Spätestens mit der Anlage des Truppenübungsplatzes 1938 mussten alle Einwohner das Dorf verlassen - auch die wenigen noch hier verbliebenen Juden.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich fünf in Bonnland ansässig gewesene jüdische Personen Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bonnland_synagoge.htm).

1945 richtete die US-Army auf dem Truppenplatz ein Entnazifizierungslager für NS-Belastete ein; vier Jahre später diente das Dorf als neues Zuhause für ca. 500 deutsche Flüchtlinge. Ab Mitte der 1960er Jahre mussten die Dorfbewohner Bonnland aber wieder verlassen, da nun das Dorf innerhalb des Truppenübungsplatzes als "Ortskampfanlage" genutzt wurde; dabei bilden die Fachwerkhäuser des Dorfes die "Kulissen" bei der Ausbildung von Bundeswehrangehörigen im Häuserkampf.

 

 

 

Auch in Westheim – seit 1971 ein Stadtteil von Hammelburg - gab es eine relativ große jüdische Kultusgemeinde, deren Wurzeln bis ins 16.Jahrhundert zurückreichen. Die Familien standen unter dem Schutz der Freiherren von Erthal. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) sind beinahe 50 Familienvorstände berücksichtigt. Während ein Großteil vom wenig ertragreichen Klein- und Kramhandel lebte, war eine Reihe der Familien im Viehhandel tätig. Die 1731 (oder 1768) eingerichtete Synagoge war in einem stattlichen Steinbau mit Fachwerkanbau untergebracht. Bis Mitte der 1920er Jahre existierte in Westheim eine jüdische Elementarschule. Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Pfaffenhausen beerdigt. Die Gemeinde gehörte zum Bezirksrabbinat Bad Kissingen.

Juden in Westheim:

    --- 1655 ....................... ca.  40 Juden,

    --- um 1700 .................... ca. 100   „  ,

    --- 1816 ........................... 206   „  (ca. 35% d. Bevölk.)

    --- 1848 ........................... 174   „  ,

    --- 1867 ........................... 143   „  ,

    --- 1880 ........................... 116   „  (ca. 22% d. Bevölk.),

    --- 1900 ...........................  84   „  ,

    --- 1910 ...........................  75   „  ,

    --- 1924 ....................... ca.  60   „  ,

    --- 1933 ....................... ca.  40   "  ,

    --- 1937 ...........................  18   "  ,

    --- 1942 ...........................   3   "  .

Angaben aus: Westheim, aus: alemannia-judaica.de

 

Während des Novemberpogroms brach ein auswärtiger SA-Trupp die Synagoge auf, demolierte das Innere und vernichtete die Kultgegenstände. Das Synagogengebäude in der Kellergasse blieb baulich erhalten und diente zunächst als Holzlager, Jahrzehnte später dann als Wohnhaus; nur eine kleine Tafel erinnert heute an die einstige Funktion des Gebäudes.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden insgesamt 30 aus Westheim stammende bzw. über einen längeren Zeitraum hinweg hier ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/westheim_hab_synagoge.htm)

Auf dem Dachboden eines Privathauses wurden bei Umbauarbeiten in den 1980er Jahren zahlreiche Gegenstände entdeckt, die Teil einer einstigen Genisa gewesen waren. In der europaweit gezeigten Ausstellung „Genisa - Verborgenes Erbe der deutschen Landjuden” wurden auch Fundestücke von Westheim („Hirschenbergers Genisa“) gezeigt.

Der Aufsatz des Thora-Schreins der Westheimer Synagoge befindet sich heute im Mainfränkischen Museum in Würzburg; zudem sind hier weitere Ritualgegenstände aus Westheim ausgestellt.

Seit 2013 erinnert ein Gedenkstein an die jüdischen NS-Opfer Westheims; der Platz vor der früheren Synagoge trägt nun den Namen von Benjamin Hirschenberger (gest. 1904), einst Vorsteher der hiesigen jüdischen Gemeinde und engagierter Bürger seines Heimatortes.   

vgl. Westheim - Hammelburg (Unterfranken/Bayern)

 

 

 

Weitere Informationen:

Heinrich Ullrich, Chronik der Stadt Hammelburg – Bilder aus der Geschichte einer uralten Frankensiedlung, 1956 (darin: Geschichte der Synagoge Hammelburg)

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag München/Wien 1979, S. 311 - 313

Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, Band 1, S. 227 ff.

Gerhard W. D. Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 347/348

Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 510/511

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 69

Volker Rieß, Sie gehören dazu ... Erinnerungen an die jüdischen Schüler der Lateinschule und des Progymnasiums – verbunden mit einigen Aspekten zur Geschichte der Juden in der Stadt Hammelburg u. ihren Stadtteilen, Frobenius-Gymnasium Hammelburg - Festschrift zum Schuljubiläum 1994, Hammelburg 1994, S. 83 – 102

Roland Flade, 50 Jahre danach - Die Stadt Hammelburg erinnert sich. Eine Dokumentation, Hrg. Stadt Hammelburg, Hammelburg 1995

Michael Trüger, Artikel zum jüdischen Friedhof Pfaffenhausen, in: "Der Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", No. 78/ Dezember 1998

Volker Rieß, Jüdisches Leben in und um Hammelburg. Gemeinschaftsprojekt Frobenius-Gymnasium/Stadt Hammelburg, Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Herrenmühle Okt./Dez. 2000, Hammelburg 2001

Cornelia Binder/Michael Mence, Nachbarn der Vergangenheit - Spuren von Deutschen jüdischen Glaubens im Landkreis Bad Kissingen mit dem Brennpunkt 1800 bis 1945, Selbstverlag, o.O. 2004

Hammelburg, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Opfer des Holocaust der Stadt Hammelburg, online abrufbar unter: victims-of-holocaust-hammelburg.de

Jüdischer Friedhof in Pfaffenhausen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen des Begräbnisareals)

Untererthal, in: alemannia-judaica.de

Bonnland, in: alemannia-judaica.de

Westheim (Stadt Hammelburg), in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Cornelia Mence/Michael Mence, Hirschenberger's Genisa (deutsch-englisch), Eigenverlag 2008

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 88/89 (Bonnland), S. 114/115 (Westheim) und S. 140/141 (Hammelburg u. Untererthal)

Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 146 - 149

Karl Stöckner, Fundmaterialien zu einstmaligen jüdischen Bürgern Hammelburgs, Stadtarchiv Hammelburg, Hammelburg

Wolfgang Dünnebier (Red.), Im Versteck sicher vor den Nazis, in: „Main-Post“ vom 12.6.2013 (betr. Genisa-Fund in der ehemaligen Synagoge)

Gerd Schaar (Red.), Jeder Name steht für ein Schicksal, in: „Fränkischer Tag“ vom 25.11.2013 (betr. Westheim)

Barbara Oschmann (Red.), Untererthal. Die Tafel soll das Gedenken wachhalten, in: "Main-Post" vom 28.4.2014

Gerd Schaar (Red.), Gedenktafel für Hammelburger Juden, in: inFranken.de vom 10.11.2014

Petra Kaup-Clement (Red.), Hinterher wollte keiner dabei gewesen sein - Hammelburger Album, online abrufbar unter: hammelburger-album.de/index.php/component/content/article?id=122:hinterher-wollte-keiner-dabei-gewesen-sein

Christiine Riedl-Valder (Bearb.), Gemeinde Hammelburg, hrg. vom Haus der Bayrischen Geschichte, online abrufbar unter: hdbg.eu/jedisches_leben/gemeinde/hammelburg

Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Jüdische Friedhöfe in der Rhön, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2018 (betr. Pfaffenhausen)

Ralf Ruppert (Red.), Stadtrat Hammelburg bekräftigt Verbot von Stolpersteinen, in: inFranken.de vom 13.10.2020

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Hammelburg, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 166 - 212

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Bonnland, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 106 - 113

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Untererthal, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 302 – 322

N.N. (Red.), Hammelburg. Jüdische Geschichte erleben, in: „Main-Post“ vom 6.6.2021 (betr. Westheim)

Ralf Ruppert (Red.), Jüdischer Friedhof Pfaffenhausen soll online gehen, in: „Fränkischer Tag“ vom 5.9.2023

Marion Eckert (Red.), Pfaffenhausen: 1155 Grabsteine und ihre Geschichten, in: „Fränkischer Tag“ vom 26.7.2024