Hanau/Main (Hessen)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4b/Kurhessen_Kr_Hanau.pngMain-Kinzig-Kreis Karte Hanau ist eine Stadt mit derzeit ca. 100.000 Einwohnern im Osten des Rhein-Main-Gebiets - an der Mündung der Kinzig in den Main gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte 'Kurhessen-Krs. Hanau', aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).

 

In Hanau - im 13.Jahrhundert entstanden und seit 1303 mit Stadtrechten versehen - sind Juden erstmals um 1315 bezeugt. Mitte des 14.Jahrhunderts wurden die jüdischen Bewohner der Brandstiftung angeklagt, verfolgt und aus der Stadt verjagt. Bereits 1367 ist erneut eine jüdische Familie in Hanau bezeugt; weitere folgten nach, doch waren es stets nur sehr wenige. Die Juden Hanaus trieben Geld- und Pfandhandel im geringen Umfang. Ansonsten sind nur wenige Informationen über die spätmittelalterliche jüdische Gemeinschaft bekannt; auch die Lage des damaligen „Judenkirchhofes“ lässt sich nicht sicher ausmachen.

Es folgten Jahrhunderte, in denen Juden mal geduldet, mal vertrieben wurden.

Stadtansicht von Hanau, Stich von M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Ein im ausgehenden 16.Jahrhundert entbrannter Streit, ob man die Hanauer Juden weiterhin dulden oder ob man sie ausweisen müsse, wurde dann zugunsten der Juden entschieden: Anfang des 17.Jahrhunderts kehrten sie wieder dauerhaft nach Hanau zurück; der Landesherr Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg hatte sie im Zuge seiner merkantilistischen Politik in seine Grafschaft gerufen und besonders in der Residenzstadt Hanau ihre Ansiedlung gefördert; eine Urkunde von 1603 besiegelte die „Judenstättigkeit“. Die jüdischen Bewohner waren direkt der gräflichen Verwaltung unterstellt, mussten aber auch dem Stadtmagistrat von Alt- Hanau eine Art Kopfsteuer zahlen.

In einem Punkt der „Judenordnung“ finden sich die Rechte für das religiöse Leben der Gemeinde in Hanau und damit auch für die Anstellung von „Schulmeistern“ und über den Unterricht der Kinder: „ wollen wir den Juden eine zusammenkunft, allda sie ihr gebet in einer stuben, nach erforderung ihres gesetzes oder wo es am füglichsten wäre, zu thun, zu laßen, also daß sie an einem besonderen orth ihre feyertage und begrabnuß zu halten, wie auch nicht weniger ein kaltbad haben mögen, desgleichen ihn auch freystehen soll, ihre söhne nach sechs tagen zu beschneiden, Rabbiner und schulmeister auß der Judenschaft anzunehmen, die jugend nach ihren gesetz lehren zu laßen und zu dem ende ein schulbehaußung darzu ihnen und ihren erben zu gebrauchen hiermit erofnet und erlaubet haben.“ 

Ab 1609 gab es dann den ersten offiziell bestätigten Rabbiner in Hanau, der - wie dann auch seine Nachfolger – für die Gemeinde in Windecken zuständig ist. Von der Gemeinde beschäftigt war auch ein sog. „Schulklopfer“, der an Türen und Fenster der Gemeindeangehörigen klopft und sie zu den täglichen Gebetszeiten erinnert.

Auf dem zugeschütteten Stadtgraben wurde die „Judengasse“ (heute Nordstraße) angelegt. Durch zwei, später durch drei Tore war die „Judengasse“ vom übrigen Stadtgebiet abgeschlossen; das Ghetto besaß sogar einen eigenen Nachtwächter und eine eigene Feuerspritze. An christlichen Feiertagen wurde die „Judengasse“ verschlossen.

Zwischen 1610 und 1630 bestand in Hanau eine hebräische Druckerei, einer der ersten Betriebe dieser Art überhaupt.

                                            Druckerzeugnis (Hanau um 1610)

Im Gefolge des Fettmilch-Aufstandes von 1618 konnten mehr als 200 aus Frankfurt vertriebene Juden in Hanau vorläufig Unterschlupf finden. Nach dem Großbrand der „Judengasse“ in Frankfurt 1796 fanden abermals viele jüdische Familien vorübergehend Aufnahme in Hanau.

Die französische Besetzung Hanaus brachte den Ghettobewohnern die Freiheit; die Ghettotore wurden geöffnet und dessen Bewohner durften nun auch außerhalb ihres bisherigen Wohngebiets sich niederlassen. Nach den kurhessischen Gesetzen von 1823/1830 erlangten die Juden weitere Freiheiten.

Die erste Synagoge soll bereits Mitte des 14.Jahrhunderts in Hanau gestanden haben. 1608 wurde in der Judengasse, der späteren Nordstraße, ein Synagogenneubau errichtet; mehr als zwei Jahrhunderte später wurde das Gebäude restauriert bzw. erweitert (1845) und 1922 nochmals umgebaut.

In der Zeitschrift „Der treue Zionswächter“ vom 23. September 1845 hieß es:

Hanau. Unser Synagogen-Bau steht jetzt vollendet da, ... Wenn der Bau einer neuen Synagoge von je her, für die betreffende Gemeinde ein Ereigniß von nicht ganz untergeordneter Bedeutung war, so ist derselbe jetzt zu einer wahren Lebensfrage geworden, indem kein neues Gotteshaus eingeweihet wird, es sei denn zuvor die Frage über moderne Einrichtung des Baues, über Reform des Gottesdienstes zur Sprache gekommen. Es ist somit der Bau einer neuen Synagoge in unsern Tagen ein wahrer Barometer für den höheren und niederen Grad religiöser Wärme, der in einer Gemeinde vorherrschend, und die Meinung, die aus diesem Kampfe siegreich hervorgegangen, darf sich getrost als Repräsentant der religiösen Überzeugung der Gesammtheit darstellen. In diesem Sinne sind wir wahrhaft erfreut, Ihnen mittheilen zu können, wie unsere alte, glaubensfeste Gemeinde ihren Ruf vom Neuen bewährt, wie sie sich würdig den andern Mutter-Gemeinden Israels angereiht, wie sie es beurkundet, daß sie nur eins wolle, die Erhaltung der altehrwürdigen Gottesreligion. Da unsere Modernen, deren Anzahl G. s. D. nicht gar zu groß ist, es wohl wußten, daß für Orgel und deutsche Gebete hier kein Terrain sei, so traten sie in milderer Form auf, forderten nur eine Kanzel, ein modernisirtes Almemor, einige wenige Veränderungen in der Gebetform und dgl. m. Allein unsere Alten waren behutsam, denn sie hatten in ihrer größten Nähe zu bittere Erfahrungen gemacht. Deshalb hieß es, eine Synagoge und weiter nichts, ein jüdisches Gotteshaus, kein moderner Tempel. Zwar kostete es viele Mühe, ja sogar die Entscheidung der Regierung mußte in Anspruch genommen werden, doch diese ist, wie zu erwarten, dahin ausgefallen, daß wir jetzt eine Synagoge haben, in der jeder treue Jude ohne Gewissens-Scrupel mitbeten kann, eine Synagoge, von uns verehrt (als kleines Heiligtum), geweiht der wahren Frömmigkeit und Gottes-Erbauung."       

                                 

                                          Synagoge in Hanau (Aufn. um 1905/1910, Stadtarchiv)                und                  Gemeindesiegel

Anzeigen in "Allgemeine Israelitische Zeitung" vom 17.6.1844 und in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16.7.1879

 Ein Schofarbläser wird gesucht - Anzeige in "Der Israelit" vom 24.8.1911

aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16.2.1922     

1890 wurde die dreiklassige Israelitische Schule in der Nürnberger Straße eröffnet.

 aus: "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 11.12.1890

 

 

Im Jahre 1603 war in Hanau auch ein jüdischer Friedhof angelegt worden, der in der Mühltorstraße gelegen war und im Laufe der Jahrhunderte mehrfach erweitert wurde; bis dato mussten die Juden Hanaus ihre Toten in Frankfurt/M. und in Windecken begraben. Ein zweiter jüdischer Friedhof aus dem 19.Jahrhundert, auf dem bis heute Begräbnisse stattfinden, befindet sich in Hanau-Steinheim.

Zur Kultusgemeinde Hanau zählten auch die Juden von Kesselstadt sowie die von Hochstadt, Bischofsheim und Dörnigheim.

Seit Anfang der 1820er Jahre war Hanau Sitz eines Provinzialrabbinats. Unter den Amtsinhabern übte der Rabbiner Samson Felsenstein fast ein halbes Jahrhundert (von 1835 bis 1882) diese Tätigkeit aus. Nach seinem Tode wurde die Stelle neu ausgeschrieben (siehe ff. Anzeige):

 Freie Rabbinatsstelle, Anzeige aus: "Allgemeine Israelitische Zeitung" vom 9.1.1883

Der letzte in der Reihe der Hanauer Rabbiner war 1920 bis 1938 Dr. Zvi (Hirsch) Hugo Gradenwitz.

Hirsch Gradenwitz wurde 1876 in Rawitsch/Prov. Posen) als Sohn einer Rabbinerfamilie geboren. Nach seinem Besuch des Rabbinerseminar in Berlin und dem Studium an den Universitäten Berlin und Erlangen trat er 1905 seine erste Stelle als Rabbiner in Tarnowitz/Oberschlesien an. Im Ersten Weltkrieg war er Feldrabbiner auf dem Balkan. 1921 übernahm er das Provinzialrabbinat in Hanau, das er bis 1938 führte. Nach dem Novemberpogrom flüchtete Gradenwitz mit seiner Familie in die Niederlande. Von dort erfolgte später seine Deportation via Westerbork ins KZ Auschwitz, wo er und seine Frau 1943 ermordet wurden.

Juden in Hanau:

         --- um 1430 ............................   2 jüdische Familien,

    --- 1565 ...............................  12     "        "   ,

    --- 1607 ............................... 159 Juden,

    --- 1632 ...............................  28 jüdische Familien,

    --- 1739 ............................... 630 Juden,

    --- 1805 ............................... 540   “  ,

    --- 1835 ............................... 539   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1861 ............................... 379   “  ,

    --- 1871 ............................... 447   “  ,  

    --- 1890 ............................... 608   “  ,

    --- 1900 ............................... 657   “   (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1928/30 ............................ 620   “  ,

    --- 1933 ........................... ca. 600   “  ,*    * andere Angabe: ca. 480 Pers.

    --- 1937 ........................... ca. 300   “  ,

    --- 1939 ...............................  82   “  ,

    --- 1940 ...............................  45   “  .

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 319

und                  M.I.Pfeifer/M.Kingreen, Hanauer Juden 1933 - 1945, S. 83/84

 

Ansichtskarte / Postkarte Hanau am Main, Römerstraße, | akpool.de Ansichtskarte / Postkarte Hanau am Main, Steinheimer | akpool.de

Römerstraße und Steinheimer Straße - hist. Postkarten (beide Abb. aus: akpool.de)

Bereits wenige Wochen nach der NS-Machtübernahme gab es Mitte März 1933 erste „Aktionen“ gegen jüdische Geschäftsleute. Unmittelbar vor dem reichsweit durchgeführten Boykott wurde die Hanauer Bevölkerung mehrfach über den geplanten Verlauf des Boykotts informiert; dabei wurde den Bewohnern dringend empfohlen, ab dem 1.April 10.00 Uhr jeglichen geschäftlichen Kontakt mit Juden einzustellen.

Über den Erfolg des Boykotts berichtete der „Hanauer Anzeiger” am 3. April 1933:

Der Boykott in Hanau

Der von der NSDAP. am Samstag in ganz Deutschland durchgeführte Abwehrkampf gegen die Greuelpropaganda im Ausland verlief auch in Hanau in völliger Ruhe unter Wahrung strengster Disziplin. Vor sämtlichen jüdischen Geschäften hatten, ..., SA.- und SS.-Leute um die zehnte Vormittagsstunde Aufstellung genommen, die auch weiterhin auf ihren Posten verharrten, als im Laufe des Vormittags die ... betroffenen Geschäfte fast durchweg zur Schließung ihrer Lokalitäten schritten. Das Straßenbild war den ganzen Tag über außerordentlich belebt. Der Verkehr selbst wickelte sich aber vollkommen reibungslos ab, da die verschärft im Außendienst tätige Schutzpolizei überflüssige Ansammlungen erst gar nicht zustande kommen ließ. Viel Beachtung fanden auch die Abwehrplakate, die an allen jüdischen Geschäften angebracht waren und einen großen gelben Punkt auf schwarzem Hintergrund zeigten. ...

Mitte Mai 1938 kam es in Hanau erneut zu Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte. Zum gleichen Zeitpunkt fanden die Mitglieder der jüdischen Gemeinde die Eingänge zu ihrer Synagoge zugemauert. Darüber informiert ein Bericht der SD-Außenstelle Hanau vom 15.Mai 1938:

Im Laufe der Nacht vom 13.5. auf den 14.5.38 Samstag wurden an der hiesigen Synogoge(sic!) sämtliche Eingänge kunstvoll zugemauert, sodaß die Juden am Samstag früh zur Sabbathfeier nicht in ihre Synogoge gehen konnten und die Feier nach der jüdischen Gemeindeschule verlegt wurde. Zur Zeit ist die Synogoge noch geschlossen, da sich bis jetzt noch kein Maurer gefunden hat, der diese öffnet. Außerdem war eine Inschrift angebracht ‘Verkäuflich’. ... Am gestrigen Samstag wurde nunmehr durch die Partei eine Aktion gegen jüdische Geschäfte eingeleitet, wie diese schon in der letzten Zeit in anderen Städten durchgeführt waren. Man hat durch Aufstellung von Posten die Leute vor dem Betreten der jüdischen Geschäfte gewarnt und die Personen, welche trotz Warnung ein solches Geschäft betraten, beim Verlassen desselben fotografiert und diese Personen durch Schilder:’ Ich habe beim Judd gekauft’, ‘Wer beim Juden kauft ist ein Volksverräter’ oder ‘Ich bin ein Judenknecht’ gekennzeichnet. ... Diese Aktion hat in der Bevölkerung großen Anklang gefunden und hofft man, daß nunmehr diese restlichen Judengeschäfte bald verschwinden. Die Aktion ging in voller Disziplin vor sich und kam es nirgends zu irgendwelchen Ausschreitungen. Es mußte festgestellt werden, daß zu den Käufern in jüdischen Geschäften in erster Linie die Landbevölkerung und zweitens die sogenannten besseren Leute der Stadt gehören...”

Unter dem immer stärker werdenden Druck verkauften weitere jüdische Geschäftsleute in Hanau ihre Länden bzw. Unternehmen und bereiteten ihre Emigration vor.

In den Morgenstunden des 10.November 1938 begannen auch in Hanau die reichsweit gesteuerten Aktionen gegen Juden, die in Hanau vom NSDAP-Kreisleiter Max Else geleitet wurden; der hiesige Ortsgruppenleiter Bender und SD-Leiter Kern führten sie aus. Im Laufe des Vormittags zogen mehrere hundert Menschen johlend zur Synagoge in der Nordstraße und demolierten sie; danach wurde das jüdische Gotteshaus angezündet, es brannte bis auf die Umfassungsmauern nieder. Nach dem Synagogensturm richtete sich die Zerstörungswut gegen den jüdischen Friedhof in der Mühltorstraße und gegen die jüdische Schule in der Nürnberger Straße.

                          Brand der Synagoge November 1938 (Stadtarchiv Hanau)

Etwa 40 jüdische Männer wurden ins KZ Buchenwald verschleppt. Das Synagogengrundstück, das jüdische Gemeindezentrum in der Nürnberger Straße und das Friedhofsareal gingen wenig später in den Besitz der Stadt Hanau über. Wenige Tage nach Kriegsbeginn wurden die noch in Hanau verbliebenen Juden aus ihren Wohnungen vertrieben; dabei kam es zu gewaltsamen Übergriffen der Räumkommandos. Die jüdischen Bewohner mussten innerhalb kürzester Zeit mit ihrer Habe in das jüdische Gemeindehaus umziehen. Ab Anfang 1940 wurden die wenigen Juden Hanaus zu Zwangsarbeiten herangezogen.

1942 wurden Juden aus dem Landkreis und der Stadt Hanau sowie aus den Kreisen Gelnhausen und Schlüchtern verschleppt; die erste Deportation erfolgte Ende Mai und betraf 84 Personen, die zweite Anfang September 1942.  

                        

Auf dem Hanauer Bahnhof – Warten auf die Deportation (Aufn. Stadtarchiv Hanau/Yad Vaschem)

„Hauptumschlagpunkt“ war der Hanauer Hauptbahnhof; von hier ging es nach Kassel, wo die großen Transporte zusammengestellt wurden. Noch im Februar 1945 (!) wurden einige Hanauer Juden nach Theresienstadt deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich ca. 230 gebürtige bzw. länger in der Stadt wohnhaft gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Verfolgung geworden (siehe namentliche Nennung der Personen in: alemannia-judaica.de/hanau_synagoge.htm).

 

Nach Kriegsende sind keine der früheren Mitglieder der jüdischen Gemeinde nach Hanau zurückgekehrt. Mitte der 1960er Jahre sollen ca. 20 Personen mosaischen Glaubens in Hanau ansässig gewesen sein.

2005 gründete sich in Hanau wieder eine jüdische Gemeinde; die heute etwa 200 Mitglieder zählende Gemeinschaft (Stand 2022) setzt sich vor allem aus Zuwanderern aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion zusammen. Sie richtete auf einem sanierten Anwesen in der Wilhelmstraße ihr Gemeindezentrum mit Synagoge ein.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20246/Hanau%20Synagoge%20176.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20246/Hanau%20Synagoge%20177.jpg Aufn. J. Hahn, 2010

In einer Grünanlage - in unmittelbarer Nähe des Standortes der zerstörten Synagoge in der Nordstraße und vor den Relikten der alten Stadtbefestigung gelegen - erinnert seit 1964 ein Gedenkstein mit einer bronzenen -tafel an das Schicksal der Hanauer Juden mit den Worten:

Rachel weint um ihre Kinder

und will sich nicht trösten lassen

Jeremia 31, 15

Ihren jüdischen Mitbürgern, Opfern der Schreckensjahre 1933 - 1945,

errichtet gegenüber dem Standort der zerstörten Synagoge als Zeichen des Gedenkens

Die Stadt Hanau - 1964

Seit 2006 erinnert am Gleis 9 eine Gedenktafel an die Deportationen; diese zeigt auch Bilder des früheren Stadtfotografen Franz Weber, der den Abtransport der Hanauer Juden mit der Kamera dokumentiert hat.

In Anwesenheit der Präsidentin des Zentralrates, Charlotte Knobloch, wurden im Rahmen einer Gedenkfeier im Mai 2010 am Relikt der alten Ghettomauer - zwischen Sandeldamm und Nordstraße gelegen – 230 Bronzetäfelchen mit den Namen Hanauer Juden angebracht, die während der NS-Zeit gewaltsam ums Leben kamen. Deshalb verzichtete man zunächst auf die Verlegung sog. "Stolpersteinen" in der Kernstadt. Hingegen wurden dann ein Jahr später die ersten sog. „Stolpersteine“ in die Gehwegpflasterung verschiedener Straßen in Ortsteilen Hanaus eingelassen; inzwischen sind es ca. 25 Steine (Stand 2022).

Stolperstein Jakob Oppenheim, 1, Steinheimer Vorstadt 24, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpgStolperstein Emma Oppenheim, 1, Steinheimer Vorstadt 24, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpg  Stolperstein Leopoldine Herz, 1, Steinheimer Vorstadt 9, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpgStolperstein Alfred Herz, 1, Steinheimer Vorstadt 9, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpgStolperstein Bertha Herz, 1, Steinheimer Vorstadt 9, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpg verlegt in der Steinheimer Vorstadt (alle Aufn. G., 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Stolperstein Nathan Selig, 1, Steinheimer Vorstadt 22, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpg Stolperstein Ruth Aufseeser, 1, Steinheimer Vorstadt 22, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpg Stolperstein Manfred Selig, 1, Steinheimer Vorstadt 22, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpgStolperstein Fritz Selig, 1, Steinheimer Vorstadt 22, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpgStolperstein Melitta Selig, 1, Steinheimer Vorstadt 22, Steinheim, Hanau, Main-Kinzig-Kreis.jpg

Der mehr als vier Jahrhunderte alte jüdische Friedhof am Rande der Hanauer Innenstadt (Mühltorstraße) weist heute auf einer Fläche von ca. 10.000m² noch fast 1.300 Grabsteine auf; die ältesten stammen aus der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts.

Jüdischer Friedhof in Hanau (Aufn. J. Hahn, 2010)  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20246/Hanau%20Friedhof%20171.jpg

  

ältere Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Hanau (Aufn. Stadt Hanau und L. 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf Grund der Belegung des alten Hanauer jüdischen Friedhofs wurde im Stadtteil Kesselstadt eine neue Begräbnisstätte angelegt und 2022 eingeweiht.

Die Jüdische Gemeinde Hanau setzt seit 2019 eine alte Lehrtradition fort, indem sie mit der Schaffung des jüdischen Lehrhauses allen Interessierten die Möglichkeit bietet, mehr über die jüdische Religion in Erfahrung zu bringen.

 

Aus Hanau stammte Moritz Daniel Oppenheim (1800-1882); er gilt als der „Maler des jüdischen Lebens“; weltweit wurde er mit seinem Zyklus „Bilder aus dem altjüdischen Familienleben“, in dem er Szenen aus dem häuslichen Bereich und aus der Synagoge zeigt, bekannt. Als erster jüdischer Künstler erhielt er eine akademische Ausbildung. Nach seinen Wanderjahren durch mehrere europäische Hauptstädte kehrte er Mitte der 1820er Jahre nach Frankfurt zurück. Als Maler des emanzipierten jüdischen Bürgertums machte er sich bald einen Namen. Der Zyklus „Bilder aus dem altjüdischen Familienleben“ erschien ab 1866 in ständig erweiterten Ausgaben und wurde so zum meistverkauften deutsch-jüdischen Buch; 1913 wurde er zum letzten Mal in Deutschland veröffentlicht. Seitdem gerieten Moritz Daniel Oppenheim und sein Werk weitgehend in Vergessenheit. Erst in jüngster Vergangenheit begann die „Wiederentdeckung“ Moritz Daniel Oppenheims. Ein Teil seiner Werke ist heute im Besitz des Jüdischen Museums in Frankfurt/M.

Der Dokumentarfilm der Regisseurin Isabel Gathof "Moritz Daniel Oppenheim - Der erste jüdische Maler" wurde 2017 mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet; ein Jahr später kam er in die Kinos.

File:Moritz Daniel Oppenheim Der Segen des Rabbi.jpg"Der Segen des Rabbi” in der Synagoge Hanau, Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO

 

 

In Steinheim/Main – heute ein Stadtteil von Hanau – existierte auch eine jüdische Gemeinde, der auch Familien aus Hainstadt, Kleinauheim und Dietesheim angehörten. Um 1900 zählte die Gemeinde ca. 120 Angehörige.  

vgl. Steinheim/Main (Hessen)

 

 

In Großauheim – heute ebenfalls ein Stadtteil von Hanau – lebte eine kleine jüdische Gemeinschaft. An die Angehörigen der wenigen jüdischen Familien erinnert heute eine Gedenktafel am Hans-Gruber-Platz.

 

 

In der Kommune Hammersbach – etwa 15 Kilometer nordöstlich von Hanau - wurden im Nov. 2023 insgesamt 22 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige jüdischer Familien erinnern. Die Initiative zur Aufarbeitung der Schicksale der Familien trug der Verein für Kultur und Heimatgeschichte Hammersbach.

 

 

 

 

Weitere Informationen:

Leopold Löwenstein, Das Rabbinat Hanau nebst Beiträgen zur Geschichte der dortigen Juden, Frankfurt/M. 1921

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 336/337 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 511 - 514

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 319 - 336

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 83 - 88

Gerhard Fläming, Hanau im Dritten Reich, Hanau 1983/1987 (2 Bände)

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 171

Wolf-Arno Kropat, Kristallnacht in Hessen - Der Judenpogrom vom November 1938 - Eine Dokumentation, in: "Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen X", Wiesbaden 1988, S. 97 f.

Helga Krohn/Helmut Ulshöfer, Juden in Bergheim-Enkheim, in: Die vergessenen Nachbarn. Juden in den Frankfurter Vororten Bergen-Enkheim, Bockenheim, Heddernheim, Höchst und Rödelheim - Begleitbuch zur Ausstellung des Jüdischen Museum Frankfurt/M., 1990/1991

Monica Kingreen, Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim und Heldenbergen, Hrg. Stadt Nidderau, CoCon-Verlag, Hanau 1994

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 211 f.

Monica Kingreen/Ruth Dröse/Frank Eisermann/Anton Merk, Bilder aus dem altjüdischen Familienleben und sein Maler Moritz Daniel Oppenheim, Cocon Verlag, Hanau 1996

M.I.Pfeifer/M.Kingreen, Hanauer Juden 1933 - 1945. Entrechtung, Verfolgung, Deportation, Hrg. Evangelischer Arbeitskreis “Christen - Juden” Hanau, CoCon-Verlag, Hanau 1998

Georg Heuberger/Anton Merk, Moritz Daniel Oppenheim - Die Entdeckung des jüdischen Selbstbewußtseins in der Kunst, Wienand-Verlag, Köln 1999

Ruth Dröse (Hrg.), Fritz Canathal - Lebenserinnerungen eines jüdischen Unternehmers aus Hanau zwischen den Revolutionen 1848 und 1918, CoCon-Verlag, o.J.

Monika Kingreen, Hanauer Banken im Besitz jüdischer Familien. Zwischen Emanzipation und "Arisierung" 1835-1935, in: Unser Geld. Vom römischen Denar zum Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte, Stadtzeit 4. Hanau 2000, S. 87 - 94 

M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 163

Hanau, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Der jüdische Friedhof in Hanau, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Aufnahmen)

Monica Kingreen, Die Hanauer Synagoge: Das Gotteshaus der Hanauer Juden, in: 700 Jahre Stadtrechte, Hanau 2003, S. 251 f.

Eckhard Meise, Hanaus Jüdischer Friedhof, in: Stadtzeit 6. 700 Jahre Stadtrecht, 400 Jahre Judenstätigkeit, Hanau 2003, S. 261 f.

Eckhard Meise/Hanauer Geschichtsverein 1844 e.V. (Hrg.), Der jüdische Friedhof in Hanau, in: "Hanauer Geschichtsblätter", Band 42, Hanau 2005

Eckhard Meise, Für jede Gemeinde einen Totenhof. Historische Friedhöfe in Hanau, in: KulturRegion Frankfurt RheinMain GmbH (Hrg.), Garten RheinMain. Vom Klostergarten zum Regionalpark, Societäts-Verlag, Frankfurt 2006, S. 110 f.

Pamela Dörhöfer, Jüdische Gemeinde – Im Zeichen des Neubeginns, in: "Frankfurter Rundschau" vom 1.11.2008

Eckhard Meise, Kurzer Überblick über die Geschichte der Hanauer Juden und ihrer Synagogen, in: "Neues Magazin für Hanauische Geschichte", Hanau 2010, S. 45 – 107

Peter Gbiorczyk, Die Entwicklung des Landschulwesens in der Grafschaft Hanau von der Reformation bis 1736. Die Ämter Büchertal und Windecken. 2 Bände, Aachen 2011, S. 432 – 440 (unter 18.1 Schulunterricht in der jüdischen Gemeinde Windecken)

Martin Hoppe, Gedenkstätte Ehemalige Ghettomauer Hanau, in: "Mitteilungen des Hanauer Geschichtsvereins 1844 e.V.", 2011

Hanau, in: Vor dem Holocaust – Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen (mit zahlreichen, meist personenbezogenen Aufnahmen, online abrufbar unter: vor-dem-holocaust.de)

Peter Gbiorczyk, "Zur Ehre Gottes und zum gemeinen Nutzen“ - Das Landschulwesen unter Graf Philipp Ludwig II. von Hanau–Münzenberg (1576–1612), Aufsatz 2012 (online abrufbar unter: peter-gbiorczyk.de)

            Auflistung der in Hanau verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Hanau

            Jüdisches Museum (Hrg.), Moritz Daniel Oppenheim (1800 -1882) – Der erste jüdische Maler, online abrufbar unter: juedischesmuseum.de/erkunden/bildende-kunst/detail/moritz-daniel-oppenheim-1800-1882/

            Isabel Gathof (Regisseurin), Moritz Daniel Oppenheim - Der erste jüdische Maler, Dokumentarfilm 2017

N.N. (Red.), Die jüdische Tradition fortführen, in: „Main-Echo“ vom 27.2.2019

Jutta Degen-Peters (Red.), HA-Adventskalender: Historischer Friedhof in Hanau gleicht aufgeschlagenem Geschichtsbuch, in: op-online.de/region/hanau vom 8.12.2020

N.N. (Red.), Neuer jüdischer Friedhof im Hanauer Stadtteil Kesselstadt, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 5.7.2022

Detlef Sundermann (Red.), Erstmals seit dem 17.Jahrhundert wieder ein jüdischer Friedhof eingeweiht, in: op-online.de vom 23.9.2022

Eckhard Meise (Bearb.), Hanau im letzten Drittel des 16.Jahrhunderts: Sollen die Juden ausgewiesen werden? in: "Neues Magazin für Hanauische Geschichte 2022", S. 43 - 10

Peter Gbiorczyk (Bearb.), Christlicher Antijudaismus und obrigkeitliche Politik gegenüber den Juden in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im 16./17.Jahrhundert, in: „Neues Magazin für Hanauische Geschichte 2022“, S. 106 -141

Jan-Otto Weber (Red.), Erschütternde Schicksale: In Hammersbach werden 22 Stolpersteine verlegt, in: op-online.de vom 9.11.2023