Harpstedt (Niedersachsen)

Amt Delmenhorst.jpgDatei:Harpstedt in OL.svg Harpstedt ist eine Kommune mit derzeit ca. 4.500 Einwohnern im niedersächsischen Landkreis Oldenburg im Oldenburger Land – ca. 15 Kilometer südlich von Delmenhorst gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1895, aus: wikipedia.org, PD-alt-100 und Kartenskizze 'Landkreis Oldenburg', DaBro 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im einstigen Marktflecken Harpstedt - unweit von Oldenburg gelegen - ist erste jüdische Ansässigkeit zu Beginn des 18.Jahrhunderts nachweisbar. Damals ließ sich die jüdische Familie Jacob Goldschmidt - gegen Widerstände im Ort - hier nieder und arbeitete erfolgreich als Händler und Metzger. Bis zu Beginn des 20.Jahrhunderts waren die Goldschmidts die führende jüdische Familie in Harpstedt. Im Hause der Familie Goldschmidt war bis gegen Ende der 1830er Jahre auch der Betraum der kleinen jüdischen Gemeinschaft eingerichtet; 1840 wurde ein kleines Synagogengebäude in der Großen Eßmerstraße erstellt, dessen Baukosten im wesentlichen wiederum von den Goldschmidts getragen wurden.

Die wenigen jüdischen Kinder erhielten bis in die 1850er Jahre ihren Unterricht ausschließlich von jüdischen Lehrern, deren Bezahlung ebenfalls die Familie Goldschmidt übernommen hatte; später wurden die Privatlehrer von der Gemeinde bezahlt. Seit ca. 1855 besuchten die Kinder die örtliche Volksschule.

Seit Beginn des 18.Jahrhunderts begruben die Juden Harpstedts ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof der nahe gelegenen Stadt Wildeshausen; erst wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wurde ein kleines Friedhofsareal westlich von Harpstedt erworben, auf dem bis 1937 einige Beerdigungen stattfanden.

Juden in Harpstedt:

         --- 1702 ........................... eine jüdische Familie,

    --- 1753 ...........................   3     “        “   n,

    --- 1801 ...........................   3     “        “    (18 Pers.),

    --- 1828 ...........................  27 Juden,

    --- 1848 ...........................  42   “  (in 5 Familien),

    --- 1861 ...........................  28   “  ,

    --- 1885 ...........................  21   “  ,

    --- 1905 ...........................  19   “  ,

    --- 1925 ...........................  14   “  ,

    --- 1933 ...........................   7   “  ,

    --- 1939 ...........................   3   “  .

Angaben aus: Werner Meiners, Harpstedt, Angaben aus: rrzn-uni-hannover.de/hdb.synagogen-nds

 

Seit Mitte des 19.Jahrhunderts kann von einer Integration der wenigen jüdischen Familien in die dörfliche Gemeinschaft Harpstedts gesprochen werden. Iwan Goldschmidt personifizierte diese Integration geradezu; er vereinigte in der Wilhelminischen Zeit zahlreiche Ämter/Funktionen in seiner Person.

Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch sieben Juden im Dorf, die nun auch hier zunehmend ausgegrenzt und durch „Aktionen“ der lokalen NSDAP und SA wirtschaftlich bedrängt wurden. 1936 wurde das Synagogengebäude an einen hiesigen Handwerkerbetrieb verkauft, der den einstigen Betraum als Werkstatt nutzte.

Die letzten vier jüdischen Einwohner wurden während des Novemberpogroms 1938 von „wütenden Volksgenossen“ angegriffen und im Keller des Amtshofes eingesperrt. Zwei Jahre später war Harpstedt „judenrein“ - wie es im NS-Jargon hieß. Von den während der 1930er Jahre in Harpstedt ansässigen jüdischen Bürgern wurden neun Opfer des Holocaust.

 

Auf dem ca. 600 m² großen Friedhofsgelände - am Wohlder Weg, westlich vom Harpstedter Ortskern gelegen - befinden sich heute elf Grabsteine; in den 1900er Jahren wurde der Friedhof geschändet.

jüdischer Friedhof Harpstedt (Aufn. MJS, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem Friedhof und auf dem Gelände vor dem Amtshof erinnern seit 1996 gleichlautende Gedenktafeln an die neun Mitglieder der kleinen jüdischen Gemeinschaft Harpstedts, die Opfer der Shoa geworden sind. Auf dem Begräbnisareal sind auch einige Kriegsgefangene/ausländische Zwangsarbeiter begraben worden; mehrere Steine erinnern an sie.

             http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20300/Harpstedt%20Friedhof%20125.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20300/Harpstedt%20Friedhof%20127.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20300/Harpstedt%20Friedhof%20126.jpg

Eine Verlegung von sog. "Stolpersteinen“ wurde vom Rat des Fleckens Harpstedt mehrfach abschlägig beschieden.

 

[vgl. Wildeshausen (Niedersachsen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Kosubek (Red.), Der jüdische Friedhof in Harpstedt wird im Frühjahr 1979 hergerichtet, in: „NWZ – Nordwestzeitung“ vom 24.11.1978

Johannes Fritz Töllner, Die jüdischen Friedhöfe im Oldenburger Land, in: "Oldenburger Studien", No. 25/1983, S. 588 - 594

Hans Hochgartz (Bearb.), Die Synagoge von Harpstedt, in: Enno Meyer (Hrg.), Die Synagogen des Oldenburger Landes, Oldenburg 1988, S. 40   

Werner Meiners, Juden im Landkreis Oldenburg. Verachtete Außenseiter und geachtete Mitbürger, in: "Der Landkreis Oldenburg. Menschen - Geschichte - Landschaft", Oldenburg 1992, S. 203 - 220

Dirk Heile, Die Juden in Harpstedt, in: Chronik der Samtgemeinde Harpstedt (Band II), Wildeshausen 1996, S. 701 - 717

Hans-Hermann Böttcher, Der Jüdische Friedhof in Harpstedt - Dokumentation, Eigenverlag, Syke 2003

Werner Meiners (Bearb.), Harpstedt, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 801 - 806

Jürgen Ellwanger, 12 Jahre. Harpstedt im Nationalsozialismus, Hrg. Gemeinde Harpstedt, Harpstedt 2006

Martin J. Schmid (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Harpstedt, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Aufnahmen)

Karsten Kolloge (Red.), Verschwiegene Geschichte rekonstruiert, in: „NWZ - Nordwest-Zeitung“ vom 26.8.2017

boh (Red.), Gedenktafeln wider das Vergessen erinnern an NS-Opfer, in: kreiszeitung.de vom 16.10.2019

N.N. (Red.), Holocaust-Gedenktag in Harpstedt – Vor 75 Jahren im KZ gestorben, in: “NWZ - Nordwest-Zeitung“ vom 25.1.2020

N.N. (Red.), Der Weg der Harpstedter Juden, in: kreiszeitung.de vom 29.1.2020

N.N. (Red.), „Nicht auf den Namen früherer ehrbarer Bürger herumtrampeln“, in: kreiszeitung.de vom 21.2.2020

Katia Backhaus (Red.), Keine Stolpersteine für Harpstedt, in: kreiszeitung.de vom 23.6.2020

Jürgen Bohlken (Red.), Wie die Erinnerung an die Shoa wachhalten?, in: kreiszeitung.de vom 17.5.2021

N.N. (Red.), Gedenken an Harpstedter Juden. Damit die Erinnerung nicht verblasst, in: "NWZ – Nordwest-Zeitung“ vom 2.6.2021