Hartmanitz (Böhmen)
Der böhmische Bergort Hartmanitz - wenige Kilometer südwestlich von Schüttenhofen (Susice) im deutsch-tschechischen Grenzgebiet gelegen - ist das heutige tsch. Hartmanice mit derzeit kaum 1.000 Einwohnern. Die um 1320 zur Stadt erhobenen Ortschaft Hartmanitz lag an einem wichtigen Handelsweg von Bayern nach Böhmen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Tschechien' mit Hartmanice rot markiert).
Seit wann in Hartmanitz Juden lebten, kann nicht genau datiert werden; da aber in der Nachbargemeinde Kundratitz seit dem 17.Jahrhundert Juden ansässig waren, könnten sich bereits auch zu dieser Zeit in Hartmanitz jüdische Familien aufgehalten haben. Die während des Dreißigjährigen Krieges niedergebrannte Ortschaft war dann dem Verfall preisgegeben, bis sich in der Folgezeit deutsche Handwerker und Bauern niederließen und den Ort wieder aufbauten; in ihrem Gefolge kamen auch jüdische Handelsleute hierher; allerdings war deren Ansässigkeit nicht von Dauer.
Nach längerer Abstinenz ließen sich erst Ende der 1860er Jahre (möglicherweise auch schon ein Jahrzehnt eher) wieder jüdische Familien in Hartmanitz nieder. Um 1880 zählte die Judenschaft des Ortes mehr als 100 Personen, das waren ca. 12% der Gesamtbevölkerung; der Bau der Synagoge stammt aus dieser Zeit.
Bauplan der Synagoge in Hartmanitz (Abb. J. Erbenová, aus: commons.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Synagoge von Hartmanitz (hist. Aufn.) Siegel der Synagogengemeinde
Zur neugegründeten Kultusgemeinde Hartmanitz-Kundratitz zählten auch die Glaubensgenossen aus den naheliegenden Dörfern.
Anfang der 1870er Jahre legte man - gemeinsam mit den Juden aus Kundratitz/Kundratice - einen eigenen kleinflächigen Begräbnisplatz an der Straße nach Langendorf an.
Juden in Hartmanitz:
--- 1880 ........................... 102 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1890 ........................... 119 “ (ca. 13% d. Bevölk.),
--- 1900 ........................... 104 “ ,
--- 1910 ........................... 65 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1921 ........................... 50 “ ,
--- 1930 ........................... 21 “ (ca. 3% d. Bevölk.).
Angaben aus: Tina Walzer, Die gerettete Synagoge: Hartmanitz im Böhmerwald
Straßenzug in Hartmanitz (colorierte hist. Postkarte)
Der prominenteste Hartmanitzer Jude war Isaak Bloch, der am Ort eine Spiegelglas-Produktion ins Leben rief; später produzierte sein Unternehmen im benachbarten Chlum (tschech. Chlumo) auch andere Produkte, wie Stanniol-Papier, Flaschenkapseln und Einwickelpapier für Süßigkeiten. Der Handel in Hartmanitz lag fast ausschließlich in Händen jüdischer Familien: die Fam. Barth handelte mit Getreide, die Familien Adler, Eisenschimmel und Fröhlich mit Pelzwaren. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts setzte eine Abwanderung der jüdischen Familien in die größeren Städte ein. Anfang der 1930er Jahre kam das religiöse Leben der Synagoge fast völlig zum Erliegen und die Hartmanitzer jüdische Gemeinde wurde mit der in Schüttenhofen (Sušice) zusammengelegt. Nach der „Angliederung“ an das Deutsche Reich (Oktober 1938) wurden die wenigen jüdischen Familien vertrieben. Das Synagogengebäude wurde beschlagnahmt und zu einer Tischlerwerkstatt umgebaut. Das Friedhofsgelände wurde seiner Grabsteine beraubt.
Zwei Wochen vor Kriegsende erreichte ein Transport von ca. 500 polnischen, ungarischen und tschechoslowakischen Jüdinnen Hartmanitz; die völlig erschöpften Frauen wurden - im Zuge der Auflösung der Konzentrationslager - aus der Stadt Helmbrechts über den Böhmerwald nach Wallern(Volary) getrieben, wo nur einige Dutzend Frauen lebend ankamen und von der US-Armee befreit wurden. Zwölf Frauen des Todesmarsches wurden auf dem jüdischen Friedhof in Hartmanitz begraben.
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg diente das einstige Synagogengebäude als Lagerraum des Militärs; in den 1980er Jahren der Stadt bereits zum Abriss überlassen, konnte es aber davor bewahrt und in die Hände der Jüdischen Religionsgemeinschaft Pilsen übergeben werden. Diese veräußerte alsbald das völlig marode Gebäude, das nun mehrfach den Besitzer wechselte. Dank der seit 2002 aktiven Bürgerinitiative „Památník Hartmanice“ konnte das stark verfallene Synagogengebäude vier Jahre später als restauriertes Baudenkmal der Öffentlichkeit übergeben werden. Heute beherbergt das dank privater Förderer wiedererstandene Synagogengebäude das erste und einzige private Museum der Tschechischen Republik, das in einer Dauerausstellung die jüdische Geschichte des Ortes bzw. der Region dokumentiert und an das Zusammenleben von Tschechen, Deutschen und Juden erinnert.
Im Museum befindet sich auch der einzig erhalten gebliebene Grabstein des jüdischen Friedhofs; alle anderen sollen Ende 1938 vom Friedhof entfernt und für den Straßenbau benutzt worden sein.
Synagogengebäude vor und nach der Sanierung (Aufn. Jitka Erbenová, 2003 bzw. 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
sanierter Innenraum u. Thora-Schrank
2006 ist die Bergsynagoge in Hartmanice in die Liste der Kulturdenkmäler Tschechiens aufgenommen worden.
Das ehemalige Friedhofsgelände weist heute kaum mehr sichtbare Steinrelikte auf.
vgl. dazu: Schüttenhofen/Susice (Böhmen)
Weitere Informationen:
Kommunalverwaltung Hartmanice (Tschechien)
Michael Klíma, Vorbildliche Renovierung der Synagoge in Hartmanice - Mitte Mai wird das Denkmal eingeweiht, in: "Prager Zeitung" vom 26.4.2006
Martina Schneibergova, Renovierte Bergsynagoge in Hartmanice wurde wieder eröffnet, Radio Prag (20.5.2006)
Tina Walzer, Die gerettete Synagoge: Hartmanitz im Böhmerwald, in: "DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 75/2007, S. 3 f.
The Jewish Community of Hartmanice (Hartmanitz), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/hartmanice
Stephan Temple, Synagoge im Niemandsland, in: "Jüdische Allgemeine" vom 19.8. 2010
Mountain Synagogue in Hartmanice, online abrufbar unter: hartmanice.cz/en/jews-in-hartmanice/
Jewish families from Hartmanice, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Hartmanice-Hartmanitz-Bohemia-Czech-Republic/people/39250