Heddernheim (Hessen)
Heddernheim ist seit der Eingemeindung (1910) ein Stadtteil von Frankfurt/Main mit derzeit ca. 17.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Stadtteile von Frankfurt/M.', TUBS 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im späten 18./frühen 19.Jahrhundert war die jüdische Kultusgemeinde Heddernheim die größte im damaligen Herzogtum Nassau.
In dem zum Kurfüstentum Mainz gehörenden Heddernheim soll es bereits im 12.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde gegeben haben. Nach 1700 sind jüdische Ansiedlungen in Heddernheim lückenlos nachweisbar; zunächst waren sie Schutzjuden des Kurfürsten von Mainz, der sie dann dem Mainzer Domprobst verpfändete. Zu napoleonischer Zeit gehörte Heddernheim zum Herzogtum Nassau; damit standen seine jüdische Bewohner nun unter dem Schutz des Nassauer Herzogs.
Der Schutzbrief des Heddernheimer Juden Abraham Buseck von 1843 ist als einziger noch erhalten; darin heißt es:
Wir ... beurkunden hiermit, daß Abraham Buseck von Heddernheim, Amts Höchst, in den Landesherrlichen Schutz nach Heddernheim aufgenommen und denselben unter der Bedingung, daß er sich nach den über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in der Folge erscheinenden Verordnungen genau zu richten habe, gestattet worden sey, sich daselbst häuslich niederzulassen, alle Nahrungs- und Gewerbearten zu treiben, und alle Rechte und Freiheiten zu genießen, welche den Juden nach der bestehenden und künftig erlassen werdenden Verordnung an diesem Orte zukommen.
Wir versehen Uns zu demselben, daß er sich allenthalben ordentlich betragen und den obrigkeitlichen Befehlen in schuldigen Gehorsam nachkommen werde, zu dessen Legitimation Wir ihm gegenwärtige Urkunde ertheilen.
Wiesbaden den 21 ten Februar 1843
Insgesamt wurden im Laufe der Zeit 15 verschiedene „Judenordnungen“ erlassen, die auch noch unter der nassauischen Herrschaft Geltung besaßen. Erst nach der Annexion Nassaus durch Preußen (1866) wurde den jüdischen Bewohnern volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung gewährt. Die jüdischen Familien lebten bis gegen Mitte des 19.Jahrhundert mehrheitlich in sehr armseligen Verhältnissen. Ein Grund ihrer misslichen Lage bestand in der Tatsache, dass sie zahlreiche Abgaben an den Landesherrn - im 18.Jahrhundert an den Dompropst zu Mainz - zu entrichten hatten. Um 1760 wurde eine Synagoge in Heddernheim eingeweiht; damit wurde ein älteres Bethaus wohl aus dem 16.Jahrhundert abgelöst. Um die Synagoge in der Langgasse gruppierten sich damals die von Juden bewohnten Häuser.
Eine jüdische Religionsschule hat es in Heddernheim wohl spätestens seit 1815 gegeben; sie bestand bis 1916; daneben besuchten die Kinder die örtliche Elementarschule.
Stellenangebote der Gemeinde von 1871 und 1875
Der älteste jüdische Friedhof entstand im Zentrum von Heddernheim bereits um 1375; er wurde bis in die 1820er Jahre belegt; hier fanden auch verstorbene Juden aus umliegenden Orten wie Eschborn, Eschersheim und Harheim ihre letzte Ruhe. Nach zwischenzeitlicher Nutzung der Begräbnisstätten in Rödelheim und Niederursel stand ab 1840 in Heddernheim ein neues Friedhofsgelände an der Straße nach Praunheim zur Verfügung.
Friedhof Heddernheim (Aufn. Gerbil, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Zeitweise gehörten die Orte Niederursel und Eschborn zur Heddernheimer Gemeinde.
Obwohl die kommunale Gemeinde 1910 Frankfurt eingemeindet wurde, verblieb die Kultusgemeinde in der Zuständigkeit des Bezirksrabbinats Wiesbaden.
Juden in Heddernheim:
--- 1716 .......................... 34 jüdische Familien,
--- 1779 .......................... 66 “ “ ,
--- um 1805 ................... ca. 80 “ “ ,
--- um 1830 ................... ca. 60 “ “ ,
--- um 1845 ................... ca. 350 Juden (ca. 24% d. Bevölk.),
--- 1860 .......................... 230 “ ,
--- 1871 .......................... 115 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1887 .......................... 110 “ ,
--- 1895 .......................... 69 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1901 .......................... 60 “ ,
--- 1911 .......................... 63 “ ,
--- 1924/25 ....................... 52 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- 1932/33 ....................... 132 “ ,* * incl. neuerbaute Römerstadt
--- 1935 .......................... 37 “ .
Angaben aus: K.Werner/H.Krohn/Chr. Fischer, Juden in Heddernheim, S. 18
Viele Heddernheimer Juden lebten zu Beginn des 19.Jahrhunderts vor allem vom Klein-, Hausier- und Trödelhandel; dabei spielte die Nähe Frankfurts als Handelsplatz eine wichtige Rolle. Zahlreiche Heddernheimer Juden lebten damals in bitterer Armut. Ab den 1840er Jahren änderte sich die Berufsstruktur der hiesigen Judenschaft; immer mehr Handwerker und immer weniger „Handelsmänner“ gab es nun. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts setzte eine starke Abwanderung der Heddernheimer Juden in die Mainmetropole ein; das aufstrebende Frankfurt bot ihnen günstigere Lebensperspektiven als das dörfliche Heddernheim. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte ging die Zahl der Heddernheimer Juden um zwei Drittel zurück; Folge war eine Verarmung der Gemeinde. Ab ca. 1900 wurde es für die Heddernheimer Kultusgemeinde zunehmend schwieriger, einen Minjam zustande zu bringen; so fanden Gottesdienste nur noch an hohen Feiertagen statt.
Trotz erster NS-Boykottaktionen soll sich in den ersten Jahren nach der Machtübernahme zunächst nur wenig im Zusammenleben jüdischer und „arischer“ Bewohner geändert haben.
Im November 1938 verwüsteten NSDAP-Anhänger die kleine Synagoge; ihre Reste wurden 1943 dann abgetragen.
Synagoge in Heddernheim kurz vor ihrem Abriss (Aufn. aus K. Werner/H.Krohn/Chr. Fischer)
In der Pfarrchronik werden die Ereignisse des 10.November 1938 - wohl nachträglich - wie folgt geschildert: „ ... In Heddernheim, wo einige jüdische Familien seit Jahrhunderten ansässig sind, hielt sich die Bevölkerung zurück. Als sich Nationalsozialisten in Zivil, aus der Innenstadt gekommen, in das Haus des jüdischen Metzgermeisters May ... begaben, strömte eine große Menschenmenge herbei und nahm eine drohende Haltung gegenüber den Nationalsozialisten ein, so daß diese es vorzogen, sich nach Frankfurt wieder zurückzuziehen ... Das jüdische Bethaus war an jenem schrecklichen Tage stehen geblieben, wurde dann aber abgetragen. ... Am Sonntag nach diesem grauenvollen Geschehen war das Gotteshaus (Anm. evangelische Kirche) bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gemeinde erwartete ein Wort ihres Hirten zu den Vorkommnissen. An Gottes Wort gebunden konnte ich nur lakonisch erklären: Mord bleibt Mord, auch wenn er an Juden geschieht, Grausamkeit bleibt Grausamkeit, auch wenn sie Juden zugefügt wird. Die Gemeinde war ergriffen und dankbar, daß ihr Pfarrer mutig Gottes Wort und Gebot aussprach. ...”
Ende November 1942 wurden die letzten im Ort lebenden jüdischen Familien abgeholt und anschließend „in den Osten“ deportiert. Die genaue Zahl der jüdischen Opfer Heddernheims lässt sich nicht exakt feststellen.
[vgl. dazu: Frankfurt/Main]
Gedenkstele (Aufn. Institut für Stadtgeschichte)
Eine im Jahre 1988 errichtete Stele aus rotem Sandstein - am Standort des ehemaligen Zentrums des jüdischen Gemeindelebens - trägt eine trapezförmige Bronzeplatte mit der folgenden Inschrift:
Hier in der früheren Langgasse,
im Viertel der größten jüdischen Gemeinde des Herzogtums Nassau,
stand die um 1760 erbaute Heddernheimer Synagoge.
Sie wurde im November 1938 verwüstet und 1943 abgetragen.
2006 wurden die ersten sog. „Stolpersteine“ in Alt-Heddernheim verlegt; inzwischen sind weitere Verlegeaktionen gefolgt, so dass derzeit etwa 25 Steine im Gehwegpflaster Heddernheimer Straßen liegen (Stand 2023).
verlegt in der Hessestr., Domitianstr. u. Heddernheimer Landstraße (Aufn. Gerbil, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
verlegt in Alt-Heddernheim (Aufn. 2013, Initiative Stolpersteine Frankfurt/M., aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 de)
Der mehrfach erweiterte, mit einer roten Backsteinmauer umgebene jüdische Friedhof (letzte Beerdigung 1937) erlitt im Verlauf des Zweiten Weltkriegs erhebliche Schäden. Mit dem Bau der Rosa-Luxemburg-Straße Anfang der 1970er Jahre wurde das Friedhofsareal etwas verkleinert und die Mauer versetzt.
Jüdischer Friedhof Heddernheim (Aufn. Karsten Ratzke, 2013, aus: wikipedia.org, CCO
In Niederursel (heute ein Stadtteil von Frankfurt/M.) war im 18.Jahrhundert eine selbstständige israelitische Gemeinde existent; im Laufe des 19. Jahrhunderts gehörten die jüdischen Familien zunächst der jüdischen Gemeinde in Rödelheim, dann der in Heddernheim an. Die um 1750 in Niederursel lebenden jüdischen Familien bestritten ihren bescheidenen Lebensunterhalt vom Altkleiderhandel und vom Handel mit Altmetallen. Ihren personellen Zenit erreichte die Gemeinde mit knapp 20 Familien um 1780. Zu den Einrichtungen zählten ein Betsaal/eine Synagoge und ein um 1720 angelegter Friedhof, der später (1876) durch ein nahes ca. 800 m² großes Gelände abgelöst wurde. Der Rückgang der jüdischen Bevölkerung Niederursels machte nach 1810 einen Anschluss an die Gemeinde Rödelheim notwendig. Um 1885 lebten dann nur noch drei Familien im Ort; sie waren zuletzt der Heddernheimer Gemeinde verbunden. Um 1870/1880 war die schon längere Zeit unbenutzte Synagoge aufgegeben worden; die Thorarollen wurden auf dem Friedhof begraben.
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17.3.1932
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden zwei aus Niederursel stammende Juden Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der beiden Personen siehe: juden-in-baden.de/niederursel_synagoge.htm).
Der alte jüdische Friedhof wurde in der NS-Zeit abgeräumt; auch vom neuen, seit den 1870er Jahren bestehenden Friedhof sind nur noch einzelne Grabsteinfragmente erhalten
Steinfragmente - Friedhofsgelände in Niederursel (Aufn. J. Hahn, 2008) .
Weitere Informationen:
Walter Carow, Zur Geschichte der Gemeinde Niederursel, in: "Jüdische Familienforschung", Jg. 14 Bd. III, Heft 48, S. 905
Ludwig Rosenthal, Die Geschichte der Juden in der Grafschaft Hanau, Hanau 1963
Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933 - 1945, Hrg. Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, Frankfurt/M., 1963
Fritz Altheimer, Die jüdischen Friedhöfe in Frankfurt am Main - Heddernheim, in: "Frankfurter Jüdisches Gemeindeblatt", No.2/1976
Paul Arnsberg, Die Geschichte der Juden in Frankfurt seit der Französischen Revolution (drei Bände), Darmstadt 1983
Wolfgang Wippermann, Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit, Band 1: Die nationalsozialistische Judenverfolgung, Frankfurt/M. 1986
Rachel Heuberger/Helga Krohn, Hinaus aus dem Ghetto ... Juden in Frankfurt a.M. 1800-1950. Begleitbuch zur ständigen Ausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Frankfurt am Main, Fischer Verlag GmbH, Frankfurt/M. 1988
K.Werner/H.Krohn/Chr. Fischer, Juden in Heddernheim, in: Die vergessenen Nachbarn. Juden in den Frankfurter Vororten Bergen-Enkheim, Bockenheim, Heddernheim, Höchst und Rödelheim, Begleitbuch zur Ausstellung des Jüdischen Museum Frankfurt/M., 1990/1991
Heddernheim (Stadt Frankfurt), in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Niederursel (Stadt Frankfurt), in: alemannia-judaica.de
Nicole Koller, Vom Frontkämpfer Sundheimer – Eingemeindung 1910. Eine Serie (VII), in: "Frankfurter Rundschau" vom 6.3.2010
Judith Dietermann (Red.), Steine gegen das Vergessen, in: „Frankfurter Neue Presse“ vom 18.11.2013
Angelika Rieber (Red.), Jüdische Geschichte. Das Geheimnis des Grabsteins von Oberstedten, in: „Taunus-Zeitung“ vom 6.10.2018 (betr. jüdischer Friedhof in Niederursel)
Auflistung der in Frankfurt-Heddernheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Frankfurt-Heddernheim