Heilbronn (Baden-Württemberg)
Heilbronn ist eine Großstadt im Norden des Landes Baden-Württemberg mit derzeit ca. 128.000 Einwohnern (Ausschnitt aus Karte Kgr. Württembg. von 1812, aus: deutsche-schutzgebiete.de - topografische Kartenskizze 'Baden-Württemberg' - aktuelle Karte 'Heilbronn u. seine Nachbarorte', S. 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ansicht der Reichsstadt Hailbrunna (Heilbronn) von 1617, Stadtarchiv Heilbronn (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
In Heilbronn gab es spätestens seit Mitte des 11.Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde, deren Angehörige in der „Judengasse“, der heutigen Lohtorstraße, wohnten. Ihre erste Synagoge wurde vermutlich 1298 (oder 1349) im Zusammenhang blutiger Pogrome zerstört, die vermutlich die gesamte Gemeinde ausrotteten. Doch spätestens 1316 sollen wieder jüdische Familien in der Stadt gelebt haben.
Als eines der ältesten steinernen Zeugnisse in Südwestdeutschland gilt ein hebräischer Inschriftenstein für „Nathan den Vorsteher“, der in einem Kellergewölbe eines Hauses in der Lohtorstraße aufgefunden wurde.
Aufn. P. Schmelzle, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
Von einer zweiten Synagoge (in der Lohtorstraße) wurde im Jahre 1357 berichtet; bei der Vertreibung der Juden aus der Stadt soll sie enteignet und in den Besitz der Stadt überführt worden sein. Im Mittelalter gab es in Heilbronn zwei jüdische Friedhöfe; der erste befand sich bis 1415 in der Nähe der Judengasse am Kieselmarkt. Um diese Zeit soll die jüdische Bevölkerung in Heilbronn etwa 200 Personen gezählt haben. Die zweite Begräbnisstätte lag auf der gegenüberliegenden Neckarseite „Vor dem Brückentor“.
Bereits wenige Jahre nach den Verfolgungen der Pestjahre wurde auf Befehl Kaiser Karls IV. in Heilbronn wieder eine jüdische Gemeinde gebildet, die bald zu gewissem Wohlstand gelangte. 1414 hatte König Sigismund den Heilbronner Juden nach einer Zahlung von 400 rheinischen Gulden die gleichen Rechte wie den Nürnberger Juden eingeräumt. Doch einige Jahre später führte die Verschuldung von Heilbronner Bürgern bei ihren jüdischen Geldgebern zu Spannungen, die seitens der Kirche noch angeheizt wurden.
Unter seinem Nachfolger wurden die Juden Heilbronns zu verstärkten finanziellen Abgaben herangezogen; dies führte zur Verarmung und Verschuldung der Juden, die den Rat der Stadt Heilbronn bewog, „seine Juden“ loszuwerden. Wurde jüdische Ansiedlung 1437 erneut erlaubt, erfolgte schon 1476 ihre erneute Vertreibung „auf ewige Zeiten“; nur wenige ausgewählte privilegierte Schutzjuden durften bleiben. Auch auswärtigen Juden war verboten worden, in der Stadt Handel zu treiben. Nach dem Dreißigjährigen Kriege hielt die Stadt Heilbronn daran fest, Juden nicht in ihren Mauern zu dulden; Ausnahmen wurden nur bei den dreimal im Jahre stattfindenden Jahrmärkten gemacht. Ein Dekret aus dem Jahre 1744 untersagte den Juden das Betreten der Stadt an Sonn- und Feiertagen; bereits einige Jahre zuvor war eine Judenordnung erlassen worden, die die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden regelte.
Erst 1831 - nach mehr als drei Jahrhunderten Ansiedlungsverbot - wurde Juden wieder gestattet, in Heilbronn ansässig zu werden; der erste jüdische Bürger Heilbronns war Isidor Veit, der hier eine Tuchfabrik gründete. In den Folgejahrzehnten siedelten sich weitere jüdische Familien an dem für Juden attraktiven Handelsplatz Heilbronn an; 1857 sollen es bereits 20 Familien gewesen sein. Die neuzeitliche Gemeinde wurde offiziell im Jahre 1864 gegründet. Die nach 1830 zugezogenen jüdischen Familien nutzten zunächst die gemeindlichen Einrichtungen der Sontheimer Judenschaft; bald schlossen sich aber sieben Familien im „Israelitischen Wohltätigkeitsverein“ zusammen und richteten in einem Privathause in der Rappenstraße ihren Betsaal ein. Da sich diese Räumlichkeit bald als zu klein erwies, nutzte die Heilbronner Gemeinde fortan einen Saal im Mittelbau des Deutschhofes.
Seit Ende der 1860er Jahre war Heilbronn Sitz eines Rabbinats, das von Lehrensteinfeld hierher verlegt worden war.
In den 1860er Jahren begannen auch erste Planungen für den Bau einer eigenen Synagoge. Dabei traten erhebliche Gegensätze innerhalb der Gemeinde zutage, die in einem Artikel der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 20. März 1872 deutlich wurden:
Heilbronn, 2. März. In einer heute stattgehabten Gemeindeversammlung wurde mit großer Majorität der Bau einer neuen Synagoge beschlossen, die einschließlich des Kaufpreises für den schönen Bauplatz und die innere Ausstattung auf 100.000 fl. (Anm.: Gulden) zu stehen kommen dürfte. Eine Minorität, in der die Orthodoxie stark vertreten war, protestirte gegen die für die gegenwärtigen Verhältnisse zu große Belastung der Contribuenten und verwahrte sich gegen Einführung einer Orgel und eines Reformgottesdienstes mit dem Anfügen, daß in letzterem Falle, wenn und sobald die Gesetze es ermöglichen, sie aus dem Gemeindeverband ausscheiden würde. Ueber Reformen und Orgeleinführung ist vorerst kein Beschluß gefaßt worden. Diese Fragen sollen in besonderer Versammlung berathen und erledigt werden. Ein solcher Austritt müßte die Steuerlast der Verbleibenden noch mehr erhöhen. ... Der Synagogenbau bringt unsere Gemeinde, namentlich solange die Domiziliantensteuerfrage noch nicht definitiv zu Gunsten des Domizils entschieden ist, in eine finanzielle und religiöse Krisis. Möge sie dieselbe glücklich und zur Ehre Gottes überstehen.
Im August 1873 wurde der Grundstein der Synagoge gelegt. Nach mehrjähriger Bauzeit – der Entwurf stammte vom Stuttgarter Architekten Adolf Wolff - konnte die Synagoge dann im Juni 1877 feierlich eingeweiht werden; die Festpredigt hielt Rabbiner Dr. Moses Engelbert.
Der Baustil der neuen Synagoge vermischte verschiedene Bauelemente, wobei neo-islamische Stilmittel vorherrschten; die Kuppeln erinnerten an Bauwerke aus dem indischen bzw. persischen Raume.
Die Einrichtung des bislang benutzten Betsaales wurde öffentlich versteigert.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28.3.1877
Synagoge in Heilbronn (Holzstich L. Hartmann, 1877, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
hist. Postkarten mit Synagoge, um 1900 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
virtuelle Rekonstruktion/Bildmontage (Bernd Pfoh)
Stellenausschreibungen der Kultusgemeinde aus den Jahren 1862 - 1884 - 1901
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts bildete sich in Heilbronn eine eigenständige orthodoxe Gemeinde („Adass Jeschurun”), die im Hinterhause der Uhlandstraße 7 über einen Betsaal verfügte; als Rabbiner fungierte Dr. Feinberg. Auch eine eigene Schule war vorhanden.
Stellenausschreibung aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10.6.1920
Diese orthodoxe Gemeinde setzte sich Mitte der 1920er Jahre aus etwa 30 Familien zusammen; im Jahre 1933 zählte diese ca. 60 Mitglieder.
Der neuzeitliche jüdische Heilbronner Friedhof „Im Breitenloch“ wurde Ende der 1860er Jahre am Fuße des Wartberges angelegt; die Begräbnisstätte wird bis in die Gegenwart belegt.
Juden in Heilbronn:
--- 1857 ......................... ca. 65 Juden (in 20 Familien),
--- 1862 ............................. 137 “ ,
--- 1864 ............................. 369 “ ,
--- 1871 ............................. 610 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1875 ............................. 825 “ ,
--- 1885 ............................. 994 “ ,
--- 1900 ............................. 815 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1912 ............................. 855 “ ,
--- 1925 ............................. 900 “ ,
--- 1933 ............................. 790 “ ,
--- 1938 ......................... ca. 610 “ ,
--- 1939 ......................... ca. 430 “ ,
--- 1942 ............................. wenige.
Angaben aus: Hans Franke, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn - Vom Mittelalter bis zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050 - 1945)
hist. Ansichten: Fleiner Str./Sülmerstraße, um 1895 und Sülmerstraße, um 1910 (Stadtarchiv Heilbronn, aus: wikipedia.org, PD-alt-100)
Wenige Jahre nach der Gemeindegründung existierten in Heilbronn ca. 50 jüdische Geschäfte und Gewerbebetriebe; bis 1931 hatte sich ihre Zahl verdreifacht. Im Wirtschaftsleben der aufstrebenden Stadt spielten sie eine nicht geringe Rolle.
Kleinanzeigen von 1877 - 1884 - 1904 - 1921:
Im Jahre 1861 vom jüdischen Kaufmann Max Landauer gegründet, entwickelte sich das Unternehmen Landauer & Macholl (mit dem Markenzeichen "Hammer") zum größten Spirituosenhersteller im südwestdeutschen Raum (Abb. anlässlich der Gewerbeausstellung 1897 in Heilbronn, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
1931 befanden sich 149 der insgesamt 634 in Heilbronn eingetragenen Firmen in jüdischem Besitz.
Antisemitische Tendenzen zeigten sich in der Stadt bereits ab 1930 im Wochenblatt „Heilbronner Beobachter”, dessen Artikel im Jargon des „Stürmers” geschrieben waren. Zwei Jahre später wurde diese Hetze - in abgeschwächter Form - auch vom NSDAP-abhängigen „Heilbronner Tageblatt” fortgeführt. Am 1.April 1933 kam es auch in Heilbronn zum „Judenboykott“; ein „Aktionskomitee“ - bestehend aus dem NSDAP-Kreisleiter, SA- und SS-Führern und Vertretern der NS-Bauernschaft – organisierten die „spontanen Kundgebungen“. SA, SS und HJ postierten sich vor den jüdischen Geschäften, einzelne SA-Männer bezogen vor Kanzleien und Arztpraxen Posten. Auch in den folgenden Wochen setzten sich die Gewaltaktionen gegen die Juden Heilbronns fort; so warfen „unbekannte Täter“ Ende April 1933 einen Sprengkörper in ein Schaufenster des Warenhauses Landauer - seit 1933 im Besitz der Familie Kaufmann.
Boykott des Kaufhauses Landauer (Stadtarchiv Heilbronn)
Seinen Höhepunkt erreichte der antijüdische Terror in den Novembertagen des Jahres 1938. Auf Anweisung einer NS-Behörde aus Stuttgart wurde in den frühen Morgenstunden des 10. November die Synagoge in Brand gesteckt; sie brannte völlig aus. Die Synagogenreste wurden im Februar 1940 abgebrochen; die Kommune kaufte das Gelände der jüdischen Gemeinde für 10.000 Reichsmark ab und stellte ihr den gleichen Betrag für die Abfuhr des Schutts in Rechnung.
Brennendes und ausgebranntes Synagogengebäude in Heilbronn (Aufn. Stadtarchiv Heilbronn)
In fast allen jüdischen Geschäften wurden die Schaufensterscheiben zertrümmert, Wohnungen aufgebrochen und Hausrat zerschlagen; den Befehl dazu hatte der NSDAP-Kreisleiter Drauz gegeben. Aus dem „Heilbronner Tageblatt” vom 11.11.1938:
Auch in Heilbronn antijüdische Demonstrationen
Deutliche Antwort an die Juden
... Auch in Heilbronn fanden sich in der Nacht ... die Volksgenossen zu spontanen Vergeltungsmaßnahmen zusammen. Wie in allen größeren Städten unseres Gaues, so in Stuttgart, Ulm, Ludwigsburg, Göppingen, Tübingen, Schwäbisch Hall, Laupheim, Horb, Rexingen und Haigerloch, so ging auch in Heilbronn die Synagoge als Tempel talmudistischer Rachsucht und Verschwörung in Flammen auf. In Heilbronn war es etwa um 5 Uhr in der Frühe, als das Innere der Synagoge in Flammen stand. Mit gewohnter Pünktlichkeit und Raschheit war dieFeuerwehr zur Stelle, um sofort an ihre Arbeit zu gehen und die umliegenden Gebäude zu schützen. Ein Eindringen der Feuerwehrmänner in die mit Rauch und Qualm ausgefüllte Synagoge erwies sich auch mit Gasmasken als unmöglich. Das Schauspiel der brennenden Synagoge hatte bald viele Volksgenossen angelockt. ... Wie ein Fanal loderten die Flammen zum Himmel empor. Wenn man die Gesichter der zu Tausenden um den Brandplatz stehenden Volksgenossen sah und ihre Gespräche hörte, so konnte man immer wieder feststellen: Von allen wurde dieser Brand als gerechte Strafe empfunden. ...
Auch das jüdische Altersheim wurde in den folgenden Tagen von SA-Trupps heimgesucht; die verängstigten alten Menschen wurden aus ihren Betten geholt und das Inventar des Heims verwüstet. Nach dem Pogrom emigrierten immer mehr Heilbronner; bereits 1938 hatten mehr als 150 Juden ihrer Heimatstadt den Rücken gekehrt, im Jahre 1939 folgten weitere 159 Personen; zumeist gingen sie in die USA und nach Großbritannien. Die Heilbronner Stadtverwaltung kaufte dabei jüdische Anwesen zu Spottpreisen auf. Die israelitische Kultusgemeinde wurde im August 1939 offiziell aufgelöst.
Bei Kriegsbeginn wurden die meisten noch in Heilbronn lebenden Juden in sog. „Judenhäuser“ eingewiesen, von denen es in der Stadt ca. 12 gab. Ältere Menschen mussten in das in Sontheim gelegene "Landesasyl Wilhelmsruhe" übersiedeln.
In den Jahren 1940/1941 wurden etwa 30 Juden/Jüdinnen zum Arbeitseinsatz in lokalen Betrieben verpflichtet. Die Jüdische Kultusvereinigung teilte im Juli 1941 ihren Angehörigen folgende behördliche Anweisung mit:
Jüdische Kultusvereinigung Heilbronn, den 9.Juli 1941
An die Mitglieder der Gemeinde Heilbronn und Sontheim
Wir sind behördlicherseits beauftragt, Nachstehendes bekannt zu geben.
Es wird gewünscht,
1. daß Juden den Wochenmarkt nicht betreten.
2. daß Juden die Straßenbahn, einschließlich der Sontheimer Linie, nicht benützen. Ausnahmen sollen nur in dringenden Fällen vorkommen.
Wir verlangen, daß diese Weisung, die als Befehl zu betrachten ist, strengstens beachtet wird. Gleichzeitig wird wiederholt darauf hingewiesen, daß es Pflicht jedes einzelnen ist, sich in der Öffentlichkeit, in Läden usw. größter Zurückhaltung zu befleißigen. Zuwiderhandelnde werden durch Namensnennung bekannt gegeben und haben sich Weiteres selbst zuzuschreiben.
Jüdische Kultusvereinigung
aus: Hans Franke, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn, S. 272 (Anhang)
Die Deportationen der Heilbronner jüdischen Einwohner erfolgten über Stuttgart; von hier wurden die Menschen in die Nähe von Riga verfrachtet und dort meist ermordet. Die ersten 47 Juden aus Heilbronn wurden am 1.Dezember 1941 vom Stuttgarter Güterbahnhof aus nach Riga abtransportiert. Ein zweiter Transport ging am 23.März 1942 zunächst nach Haigerloch, wo die Juden in dem geschlossenen Ortsteil Haag untergebracht wurden; sie lebten dort so lange, bis sie nach Theresienstadt "umgesiedelt" wurden; zwei weitere Transporte folgten noch. Nach den Deportationen hielten sich in Heilbronn nur noch wenige „in Mischehe“ lebende jüdische Bewohner auf; in den letzten Kriegsmonaten wurden sie zum „geschlossenen Arbeitseinsatz“ für die „Organisation Todt“ verpflichtet.
Von den Anfang der 1930er Jahre in Heilbronn lebenden jüdischen Bürgern kamen mindestens 235 Personen während der NS-Verfolgung gewaltsam ums Leben.
In drei Verfahren in den 1950er Jahren beschäftigte sich die Staatsanwaltschaft Heilbronn mit den Vorgängen der Synagogenbrandstiftung; wegen mangelnder Beweise wurden diese aber eingestellt.
Nach Ende des Krieges ist in Heilbronn keine neue jüdische Gemeinde mehr entstanden. Von den ehemaligen jüdischen Bürgern, die vor dem Zweiten Weltkrieg hier gelebt haben, kehrte nur eine einzige Familie wieder nach Heilbronn zurück.
Seit dem Jahre 1966 erinnert ein Gedenkstein „Am Synagogenweg“ mit den Worten an den Novemberpogrom:
Auf der Ostseite der Allee stand die im Jahre 1877 erbaute Synagoge.
Das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde unserer Stadt wurde am 10.November 1938 von nationalsozialistischen Machthabern in Brand gesteckt.
Auf dem neuen jüdischen Friedhof am Wartberg (Erlenbacher Straße) erinnern fast 500 Grabsteine an die Angehörigen der einstigen Heilbronner Kultusgemeinde.
Ältere und Grabmale jüngeren Datums (Aufn. X., 2011, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Seit 1984 ist hier eine Gedenktafel mit der folgenden Inschrift zu lesen:
1933 lebten in Heilbronn über 800 Bürger jüdischen Glaubens.
Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurden sie gedemütigt, entrechtet, verfolgt.
Wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, wurde deportiert, in Konzentrationslager geschunden und ermordet.
Was ihnen angetan wurde mahnt zu Brüderlichkeit, Toleranz und Frieden.
Am Friedhofseingang wurde 1987 ein weiteres Mahnmal - eine Stele mit den Namen von 235 umgekommenen Heilbronner Juden - aufgestellt.
Gedenkstele (Aufn. Peter Schmelzle, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Das 1993 eingeweihte Mahnmal „Kuppel“ der Künstlerin Bettina Bürkle soll an die zerstörte Synagoge in Heilbronn erinnern; das Metallgerippe symbolisiert dabei die brennende Kuppel des Heilbronner jüdischen Gotteshauses.
„Kuppel-Mahnmal“ (Aufn. P. Schmelzle, 2006, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Im Zuge von Straßenbaumaßnahmen wurde das bisherige Mahnmal Ende 2009 versetzt bzw. verändert: die Kuppel-Skulptur befindet sich jetzt an der Einmündung zum Synagogenweg; hier steht auch der an die ehemalige Synagoge erinnernde Gedenkstein.
Aufn. M., 2009, aus: wikipedia.org, CCO
Erst 1958 war wieder die erste jüdische Familie nach 1945 nach Heilbronn zugezogen. Bis um 1980 bestand die Heilbronner jüdische Gemeinschaft aus sechs Familien; seit Anfang der 1990er Jahre ist deren Zahl auf Grund der jüdischen Immigranten aus der ehemaligen UdSSR auf ca. 150 Angehörige angewachsen. Seit Ende der 1990er Jahre wurde die Neugründung einer jüdischen Gemeinde in Heilbronn angestrebt; bislang gehören die hier lebenden Juden der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg an. Anfang 2006 wurde ein neues Gemeindezentrum in Betrieb genommen.
Seit 2009 nimmt Heilbronn am sog. „Stolperstein-Projekt“ teil; auf Initiative von Schüler/innen der Dammrealschule wurden die ersten messingfarbenen Gedenktäfelchen ins Gehwegpflaster eingelassen. Inzwischen zählt man ca. 230 sog. „Stolpersteine“, die an zahlreichen Verlegeorten im Stadtgebiet aufzufinden sind und an Verfolgte des NS-Regimes erinnern (Stand 2023).
Aufn. X., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Nach dem Heilbronner Bezirksrabbiner Max Beermann (1873-1935), einem deutschlandweit geschätzten jüdischen Theologen, Philosophen und Philantropen, der das kulturelle Leben in Heilbronn 1915 bis 1935 weitgehend mitgestaltet hatte, wurde 2021 der ehemalige Uhland-Platz benannt.
Jüngst wurde der "Jüdische Kulturweg Heilbronner Land" eröffnet, der die Spuren des jahrhundertelangen Zusammenlebens aufzeigen und die Bedeutung der jüdischen Kultur für die Region wachhalten will (2023). Dieser Weg verbindet Orte mit jüdischer Historie und informiert dort jeweils an Hand von Tafeln den interessierten Besucher.
Im Stadtteil Sontheim existierte seit dem 17.Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, die um 1850 mit mehr als 110 Mitgliedern ihren numerischen Höhepunkt erreichte. Zusammen mit den jüdischen Gemeinden Talheim und Horkheim verfügten die Sontheimer Juden über einen eigenen Friedhof nahe des Ortes. Im Laufe ihrer etwa 250jährigen Geschichte wurden hier nacheinander drei Synagogen errichtet; während des Novemberpogroms blieb die hiesige Synagoge unzerstört.
[vgl. Sontheim (Baden-Württemberg)]
Im Stadtteil Horkheim gab es im 18.Jahrhundert auch eine jüdische Gemeinde, die aber nie mehr als 100 Angehörige zählte.
[vgl. Horkheim (Baden-Württemberg)]
In Biberach, einem anderen Stadtteil Heilbronns, ist jüdische Ansässigkeit seit der zweiten Hälfte des 13.Jahrhunderts nachweisbar. In der Zeit des Schwarzen Todes fielen die Biberacher Juden den Verfolgungen zum Opfer. Spätestens um 1375 sollen Juden hier wieder gelebt haben, allerdings nur kurzzeitig. Unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden Juden von der Gutsherrschaft hier ansässig gemacht. Nachdem der Ort ca. 20 Jahre später erneut in den Besitz des Deutschen Ordens gekommen war, ließ dieser weitere jüdische Familien ansiedeln. Doch bereits wenige Jahrzehnte später wurden sie wegen ihrer schlechten Vermögensverhältnisse ausgewiesen (ab 1726). Danach bildete sich keine jüdische Gemeinde mehr am Ort. Doch lebten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten wiederum wenige jüdische Familien bzw. Einzelpersonen in der Stadt. Im Jahre 1933 wurden neun Bewohner mosaischen Glaubens gezählt.
Zwei aus Biberach stammende jüdische Personen wurden Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der beiden Personen siehe: alemannia-judaica.de/biberach_juedgeschichte.htm).
In einem ehem. Kriegsgefangenenlager waren im Nov. 1944 orientalische jüdische Familien aus Tripolis (Bengasi) inhaftiert (darunter 29 Kinder, 56 Frauen und 64 Männer). Im Jan. 1945 kamen weitere ca. 130 Personen aus dem KZ Bergen-Belsen (vorwiegend holländische Juden) hinzu. Die in dieser Zeit in Biberach verstorbenen Juden wurden auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim beerdigt.
Im Laufe der Jahrhunderte hat es in Weinsberg - nur wenige Kilometer östlich von Heilbronn gelegen - zu keiner Zeit eine jüdische Gemeinde gegeben; vielmehr handelte sich stets nur um einzelne Familien, die zeitweilig in der Stadt wohnhaft waren. Vom 16. bis 19.Jahrhundert galt das Verbot für Juden, sich in der Stadt niederzulassen. Um 1900/1905 zählte man hier maximal 15 Personen mosaischen Glaubens; zu Beginn der NS-Zeit waren es neun, die zu den beiden Familien Thalheimer gehörten
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 23 jüdische Personen (incl. der in Grafeneck untergebrachten Patienten) Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/weinsberg_jued_geschichte.htm).
In Weinsberg war 1903 die "Königliche Heilanstalt" (später "Heil- u. Pflegeanstalt") auf dem Weißenhof (heute Psychiatrisches Landeskrankenhaus) erbaut worden, in der auch jüdische Patienten Aufnahme fanden. Die seelsorgerliche Betreuung der jüdischen Kranken lag in den Händen des Bezirksrabbiners von Heilbronn, der mehrfach im Jahr in die Anstalt kam. Rabbiner Dr. Beermann hielt seit 1915 regelmäßige Andachten für die Patienten, die auch von nicht-jüdischen Kranken besucht wurden.
Jüngst wurden in der Bahnhof- u Kanalstraße Weinsbergs acht sog. "Stolpersteine", die Angehörigen der beiden jüdischen Familien Thalheimer gewidmet sind (2021).
verlegt in der Bahnhofstraße (Abb. aus: weinsberg.de).
Weitere Informationen:
Friedrich Dürr, Chronik der Stadt Heilbronn, 2.Aufl., Heilbronn 1926
Oskar Mayer, Die Geschichte der Juden in Heilbronn - Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Synagoge in Heilbronn, Heilbronn 1927
Götz Krusemarck, Die Juden in Heilbronn, in: "Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn 1", Heilbronn 1938 (Anm. antisemitisch gefärbt)
Hans Franke, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn - Vom Mittelalter bis zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050 - 1945), in: "Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn", No. 11, Heilbronn 1963
Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 95 – 100
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 79/80 (Biberach), S. 346 – 350 (Heilbronn) und Band III/1, Tübingen 1987, S. 531 – 540
Hubert Weckbach, Von einer Judentaufe anno 1727 in der Reichsstadt Heilbronn, in: "Schwaben und Franken - Heimatgeschichtliche Beiträge der Heilbronner Stimme", 15/1969
Reinhold Adler, Zur Geschichte der Juden in Biberach, in: " Zeit und Heimat. Beilage zur Schwäbischen Zeitung Biberach" vom 25.2.1972
Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 321 und Teil 2, Abb. 233
Franz Andritsch, Die israelitische Seelsorge in der königlichen Heil- und Pfleganstalt Weinsberg (1905-1918), in: "Schwaben und Franken. Beilage zur Heilbronner Stimme" vom 25.2.1984
W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden im Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: Landkreis Heilbronn (Hrg.), Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1/1986, S. 91 – 101 (Heielbronn) und S. 237/238 (Weinsberg)
Joachim Hahn, Synagogen in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 206 f.
Dan Bondy, Jüdischer Friedhof im Breitenloch, Übersetzung hebräischer Grabinschriften, Heilbronn 1991 (Maschinenmanuskript)
Friedrich Battenberg, Heilbronn und des Königs Kammerknechte. Zu Judenschutz und Judennutzung in Stadt, Region und Reich, in: "Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn", Band 1, Stadtarchiv Heilbronn, 1992
Christhard Schrenk (Red.), Die Chronologie der sogenannten „Reichskristallnacht“ in Heilbronn, in: "Jahrbuch für schwäbisch-fränkische Geschichte 32", hrg. vom Historischen Verein Heilbronn, Heilbronn 1992, S. 293 – 314
Steffen Zürger/u.a., Die Synagoge in Heilbronn (1877-1938). Arbeit der 12. Klasse des Robert-Mayer-Gymnasiums Heilbronn im Rahmen des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte 1992/1993
Martin Uwe Schmidt, Warum die Synagogen brannten ... Eine lokalgeschichtliche Dokumentation zur Erinnerung an die jüdischen Gemeinden in Heilbronn und Umgebung und ihre Zerstörung nach 1933, 2. Aufl., Heilbronn 1993
Dt.-Jüdischer Freundeskreis Heilbronn e.V. (Hrg.), Warum die Synagogen brannten ... Eine lokalhistorische Dokumentation zur Erinnerung an die jüdischen Gemeinden in Heilbronn und Umgebung und ihre Zerstörung nach 1933, 2. Aufl., Heilbronn 1993
Susanne Schlösser, Spuren jüdischen Lebens in Heilbronn vor und nach der Wiederzulassung jüdischer Einwohner in der Stadt im Jahr 1828, in: Gerhard Taddey (Hrg.), ... geschützt, geduldet, gleichberechtigt ... Die Juden im baden-württembergischen Franken vom 17.Jahrhundert bis zum Ende des Kaiserreiches (1918), in: "Forschungen aus Württembergisch Franken", Band 52, Ostfildern 2005, S. 125 f.
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 190 - 198 (incl. Stadtteile)
Klaus Cuno, Die ältesten jüdischen Grabsteine in den Rheinlanden (bis ca. 1100): onomastische Aspekte und die Traditionen der Epitaphgestaltung seit der Antike, Dissertation Trier 2010, S. 37 – 104
Helmut Müller, "Wieviel schöner ist das Leben, wenn wir einen Hammer heben" - Die Geschichte der Heilbronner Hammer-Brennerei Landauer & Macholl, Heilbronn 2007
Heilbronn, in: alemannia-judaica.de (mehrere Seiten mit einer Vielzahl von Text- und Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Weinsberg - jüdische Geschichte, in: alemannia-judaica.de
Martin Heigold, Die Reichspogromnacht in Heilbronn, online abrufbar unter: stadtarchiv.heilbronn.de
Auflistung der verlegten Stolpersteine in Heilbronn, online abrufbar unter: stolpersteine-heilbronn.de
Auflistung aller in Heilbronn und seinen Stadtteilen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Heilbronn
Kilian Krauth (Red.), Pfarrer bewahrt Rabbiner vor dem Vergessen, in: stimme.de vom 2.12.2016
Kilian Krauth (Red.), Stolpersteine erinnern an NS-Opfer in Heilbronn, in: stimme.de vom 9.7.2018
Kilian Krauth (Red.), Stolpersteine zur Erinnerung, in: stimme.de vom 3.7.2019 (mit Kurzbiografien zu den betroffenen Personen)
Simon Gajer (Red.), Stadt Weinsberg erhält Stolpersteine, in: stimme.de vom 19.2.2020
Jüdischer Kulturweg (Hrg.), Auf den Spuren jüdischen Lebens im Heilbronner Land, online abrufbar unter: juedischer-kulturweg-heilbronnerland.de
Kilian Krauth (Red.), Jüdisches Leben in Heilbronn erwacht langsam wieder, in: stimme.de vom 1.2.2021
Kilian Krauth (Red.), Stadt Heilbronn ehrt fast vergessenen Rabbiner, in: stimme.de vom 10.2.2021
SWR (Red.), „Stolpersteine“ in Weinsberg erinnern an Familien Thalheimer, in: SWR-Aktuell vom 24.10.2021
Rita Gold (Red.), Stolpersteine in Weinsberg – gelebte Erinnerungskultur am JKG, Justus-Kerner-Gymnasium Weinsberg vom 15.11.2021
Lisa Könnecke (Red.), Der Künstler Gunter Demnig verlegt 16 neue Stolpersteine in Heilbronn, in: stimme.de vom 24.6.2022
Christhard Schrenk/Anna Aurast/Annette Geisler/Daniela Gugg/Lothar Heinle (Bearb.), Jüdisches Leben in Heilbronn. Skizzen einer tausendjährigen Geschichte, in: Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn, Band 53, Heilbronn 2022 (Aufsatzsammlung)
Lisa Könnecke (Red.), Schicksale, die nie vergessen werden: 22 neue Stolpersteine in Heilbronn verlegt, in: „Die Stimme“ vom 30.6.2023
Andreas Zwingmann (Red.), „Jüdischer Kulturweg Heilbronner Land“ eröffnet: Der Erinnerung eine Heimat geben, in: „Die Stimme“ vom 3.9.2023
Daniela Somers (Red.), Jüdischer Friedhof in Heilbronn – Eintauchen in die Geschichte, in: „Die Stimme“ vom 21.11.2023
Kilian Krauth (Red.), Juden setzen gegen Anfeindungen Zeichen der Hoffnung, in: „Heilbronner Stimme“ vom 9.3.2024