Hemsbach/Bergstraße (Baden-Württemberg)
Hemsbach ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 12.000 Einwohnern im äußersten Norden des Rhein-Neckar-Kreises in der Metropolregion Rhein-Neckar - etwa 35 Kilometer südlich von Darmstadt bzw. 25 Kilometer nordöstlich von Mannheim gelegen (Kartenskizze 'Rhein-Neckar-Kreis', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/rhein-neckar-kreis).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörte jeder 10.Ortsbewohner dem mosaischen Glauben an.
Die Anfänge einer jüdischen Gemeinde in Hemsbach reichen bis in die Mitte des 17.Jahrhunderts zurück; 1661 wurde erstmals ein jüdischer Bewohner erwähnt; zwei Jahrzehnte später haben bereits mehrere Familien hier gelebt.
Als erste Gemeindeeinrichtung wurde um 1675 ein eigener Friedhof im Mühlwegtal (im Gewann Teufelsloch) angelegt (auf der Ortskarte um 1890, Friedhof im NO des Dorfes weiß markiert, Abb. hemsbach.de, aus: wikipedia.org, CCO), auf dem seit ca. 1715 auch verstorbene Juden aus umliegenden Ortschaften entlang der Bergstraße und der Rheinebene beerdigt wurden. Für die Unterhaltung des Verbandsfriedhofs hatten sich die Gemeinden Dossenheim, Feudenheim, Großsachsen, Ilvesheim, Ladenburg, Laudenbach, Lampertheim, Leutershausen, Lützelsachsen, Schriesheim, Viernheim und Weinheim zu einem Begräbnisverein zusammengetan.
Eingangstor zum jüdischen Friedhof (Aufn. J. Hahn) - alte Grabsteine (Aufn. Frank C. Müller, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Einige der obig genannten Gemeinden legten dann gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ihre eigenen Friedhöfe an.
Vor den 1840er Jahren war eine erste Synagoge vermutlich an der ehemaligen pfälzischen Zollstätte am Wehrtorhaus untergebracht. 1845 wurde dann in der Mittelgasse ein Grundstück erworben, auf dem eine neue Synagoge mit Frauenempore und kleiner Schule errichtet wurde; sie wurde 1847 eingeweiht. An der Südseite des Synagogenhofes befand sich das rituelle Bad. Über dem Eingangsportal wurde folgende Inschrift (auf Hebräisch) angebracht: „Jedes Gebet und Flehen eines jeden einzelnen Menschen, der inne wird und die Not seines Herzens erkennt, und seine Hände zu diesem Hause erhebt, das höre Du im Himmel, dem Ort Deines Wohnens, verzeih und führe es aus.”
Carl Mayer Freiherr von Rothschild (geb. 1788 in Frankfurt/M.), der 1839 der erste Ehrenbürger der Gemeinde Hemsbach wurde, hatte der jüdischen Gemeinde einen günstigen Kredit zur Verfügung gestellt, sodass die Synagoge errichtet werden konnte. Etwa 50 Jahre nach der Einweihung wurde das Synagogengebäude bei einem Großbrand schwer beschädigt; der Dachstuhl musste komplett erneuert werden.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29.4.1895
Ehemalige Synagoge und deren Eingangstür mit Inschrift (Aufn. Th. Pusch, 2012 u. R Stricker, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Religiöse Betreuung der Gemeinde erfolgte durch einen angestellten Lehrer (bis 1872 Elementar-, danach Religionslehrer). Da die Gemeinde nur ein relativ geringes Gehalt zahlen konnte, wechselten die Lehrer recht häufig. Da war die Tätigkeit des Religionslehrers Samuel Dokow eher die Ausnahme, der seit 1881 in Hemsbach tätig war und hier sein 40-jähriges Ortsjubiläum feiern konnte.
Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16.Febr. 1876 und vom 15.Aug. 1877
Juden in Hemsbach:
--- 1678 .......................... 4 jüdische Familien,
--- 1722 .......................... 9 “ “ ,
--- 1765 .......................... 12 “ “ (60 Pers.),
--- 1801 .......................... 73 Juden,
--- 1825 .......................... 61 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- um 1850 ................... ca. 145 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1875 .......................... 111 “ ,
--- 1900 .......................... 101 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1910 .......................... 89 “ ,
--- 1925 .......................... 86 “ ,
--- 1933 .......................... 54 “ ,
--- 1940 (Sept.) .............. ca. 20 “ ,
--- 1941 .......................... keine.
Angaben aus: J.F.Kastner (Hrg.), Die israelitische Gemeinde bis 1940
Mit knapp 150 Mitgliedern erreichte die jüdische Gemeinde Mitte des 19.Jahrhunderts ihren numerischen Höhepunkt; dies entsprach etwa 10% der Einwohnerschaft von Hemsbach. Im Wirtschaftsleben spielten Juden eine relativ große Rolle, da sie wichtige Handels- und Gewerbebetriebe besaßen. Größte Bedeutung am Ort hatte die Zigarrenfabrik von Moses Pfälzer & Cie., in der zeitweilig bis zu 150 Personen beschäftigt waren. Weitere Betriebe mit jüdischen Eigentümern waren die Zigarrenfabrik Ernst Günzburger, das Textilwarengeschäft Cäsar Oppenheimer, das Manufakturwarengeschäft Jakob u. Josef Oppenheimer, die Metzgerei Louis u. Wilhelm Oppenheimer, die Eisenwarenhandlung Julius Ottenheimer, die Gastwirtschaft "Zum Hirsch" von Moses Simon und der Großhandel mit Landesprodukten Pfälzer & Plaut.
Gemeindemitglieder vor der Synagoge 1936 (aus: E.H.Höhn, Die Hemsbacher Synagoge)
Im Jahre der NS-Machtübernahme lebten noch etwa 50 jüdische Bewohner in Hemsbach.
In der Pogromnacht versuchten auswärtige SA-Angehörige das Synagogengebäude zu sprengen; dabei wurden vor allem im Innern erhebliche Zerstörungen angerichtet; eine Brandlegung wurde allerdings durch die Anwohner verhindert, die ein Übergreifen des Feuers auf ihre Gehöfte fürchteten. Auch verschiedene jüdische Wohnungen wurden während des Pogroms demoliert. Bis 1940 konnten 35 jüdische Einwohner von Hemsbach noch emigrieren, zumeist in die USA. Am 20.Oktober 1940 mussten sich die verbliebenen 20 Juden den Deportationstransporten ins südfranzösische Internierungslager Gurs anschließen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 26 gebürtige bzw. länger am Ort ansässig gewesene Hemsbacher Juden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hemsbach_synagoge.htm).
Wurde das Synagogengebäude zunächst gewerblich genutzt (Matratzenfabrikation), so diente es nach Kriegsende als Unterkunft für Flüchtlinge und ab den 1960er Jahren als Wohnhaus für Gastarbeiter. Nach dem Erwerb des baufälligen Synagogengebäudes durch die Stadt Hemsbach 1983 bildete sich der „Förderverein Ehemalige Synagoge in Hemsbach e.V.”, der sich - zusammen mit anderen Interessierten - für die Restaurierung desselben einsetzte.
Nach mehrjährigen und kostenintensiven Baumaßnahmen wurde 1987 dann das wiederhergestellte Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es dient seitdem als Veranstaltungs- u. Bibliotheksraum, aber auch als Gedenkstätte.
In der ehemaligen Mikwe befindet sich heute ein kleines Museum, das an die ehemalige jüdische Gemeinde und ihre in der NS-Zeit ermordeten Mitglieder erinnert.
Mikwe (an das Synagogengebäude angebaut) vor und nach der Restaurierung (Aufn. Hundsnurscher, um 1965 und M. Ohmsen, 2010)
Seit 1990 trägt ein Platz in der Hemsbacher Altstadt den Namen von Cäsar Oppenheimer; er war als 91jähriger im Oktober 1940 nach Gurs deportiert worden und dort an den Folgen des Transportes verstorben.
2008/2009 wurden in Hemsbach zahlreiche sog. „Stolpersteine“ verlegt; derzeit zählt man mehr als 20 Steine, die an die Opfer des NS-Regimes erinnern (Stand 2022).
"Stolpersteine" in der Bachgasse und der Schlossgasse (Aufn. Förderverein Ehem. Synagoge in Hemsbach e.V.)
Am Rande des Rathaus-Vorplatzes wurde 2011 ein Mahnmal zur Erinnerung an die 1940 aus Hemsbach deportierten jüdischen Bewohner aufgestellt; es ist auf Initiative von Schülern des Bergstraßen-Gymnasiums unter Anleitung des Bildhauers Wolf Münninghoff geschaffen worden. Eine Doublette des Memorialsteines befindet sich zudem am zentralen Mahnmal in Neckarzimmern (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).
Mit mehr als 1.000 Grabsteinen gehört der großflächige jüdische Friedhof in Hemsbach zu den größten erhaltenen Friedhöfen in Baden-Württemberg, wobei zahlreiche Steine eine reiche Ornamentik aufweisen; der älteste Grabstein stammt aus dem Jahre 1682.
Aufn. C.p, 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Impressionen vom Hemsbacher Friedhof im Winter (Aufn. F.C.Müller, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 131 - 133
Julius Friedrich Kastner (Hrg.), Die israelitische Gemeinde bis 1940, in: Stadt Hemsbach (Hrg.), Hemsbach an der Bergstraße im Wandel der Zeit - Heimatbuch Hemsbach 1980, S. 434 - 462
Renate Kienle, Das ehemalige jüdische Gemeindezentrum in Hemsbach, Rhein-Neckar-Kreis, in: "Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1983", S. 8 - 12
Harald Hößler, Juden in Hemsbach von 1660 - 1933, Zulassungsarbeit Pädagogische Hochschule Heidelberg, 1984
Margret Richter, Spuren - Erinnerungen. Unsere Nachbarn jüdischen Glaubens, Schülerarbeit der Schiller-Schule, Hemsbach 1984
Joachim Hahn, Synagogen in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, S. 79 f.
Die Hemsbacher Synagoge. Sonderdruck aus dem "Hemsbacher Stadt-Anzeiger" - Heimatbeilage "Die Dorfheimat", hrg. von Edwin H. Höhn. Hemsbach 1988
Die Hemsbacher Synagoge, 1988. 150 Jahre Synagoge - 1200 Jahre Hemsbach (Faltblatt)
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 464 - 466
Christa-Renata Fischer-Hoffmann (Bearb.), Der jüdische Verbandsfriedhof Hemsbach (in zwei Bänden), Hrg. Stadt Hemsbach in Zusammenarbeit mit dem ’’Verein Ehemalige Synagoge Hemsbach’, 1993
150 Jahre Synagoge - 1200 Jahre Hemsbach. “Der Vorzeit Tage Gedenke. Geschichte der Juden in Hemsbach und an der mittleren Bergstraße” - Ausstellung 1995
Gedenkstätten in Baden-Württemberg, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1998, S. 20
Magistrat der Stadt Lampertheim (Hrg.), Lampertheim - Ein Blick in die Stadtgeschichte, Band 2: Beiträge aus der Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde, Lampertheim 1998, S. 32 f.
Hemsbach, in: alemannia-judaica.de (mit diversen zumeist personenbezogenen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie und zahlreichen Aufnahmen)
M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 108/109
Rudolf Beringer, Synagoge und Judenfriedhof in Hemsbach, in: Orte des Gedenkens u. Erinnerns in Baden-Württemberg, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 2007, S. 179 - 184
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 198 – 200
Karl Döringer, Aufnahmen vom jüdischen Friedhof (von 2008), abrufbar unter: geschichtsverein-hemsbach.de/Bilder/Judenfriedhof/Graber/graber.html
Förderverein Ehem. Synagoge in Hemsbach e.V. (Hrg.), detaillierte Internetpräsentation zur jüdischen Ortsgeschichte (2015), abrufbar unter: ehemalige-synagoge-hemsbach.de
Stolpersteine in Hemsbach, in: Förderverein Ehem. Synagoge in Hemsbach e.V. (mit Kurzbiografien), abrufbar unter: ehemalige-synagoge-hemsbach.de/
Erhalt ist ein „echter Glücksfall“, aus: „Weinheimer Nachrichten“ vom 15.11.2016 (betr. jüdischer Friedhof Hemsbach)
Thomas Klein (Red.), Jüdisches Erbe verpflichtet, in: „Frankfurter Allgemeine“ vom 5.11.2020