Helmstedt (Niedersachsen)

File:Magdeburger Boerde.pngHelmstedt (Landkreis) Karte Helmstedt ist eine Kreisstadt mit derzeit ca. 25.500 Einwohnern – in Grenzlage zu Sachsen-Anhalt zwischen Braunschweig (im Westen) und Magdeburg (im Osten) gelegen (topografische Karte, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Helmstedt', aus: ortsdienst.de/niedersachsen/helmstedt).

 

Gegen Mitte des 13.Jahrhunderts wurden erstmals Juden in Helmstedt urkundlich erwähnt; als Schutzjuden unterstanden sie dem Abt des Klosters St. Ludgeri, der vom Kaiser das Judenregal verliehen bekommen hatte. Jahrzehnte später übten die Herzöge von Braunschweig und der Magistrat dieses Privileg aus.Die wenigen jüdischen Familien - sie lebten meist vom Geldverleih auf Pfandbasis - wohnten ausnahmslos in der „Judenstraße“, dort soll sich auch die 1320 erstmals urkundlich erwähnte Synagoge befunden haben, die im Eigentum des Abtes gewesen sein soll. Von spätmittelalterlichen Pogromen sind die jüdischen Familien in Helmstedt verschont geblieben. Seit 1479 besaß die Stadt Helmstedt das Recht, innerhalb ihrer Mauern keine jüdischen Familien mehr aufzunehmen („daß hinführo und zu ewigen Zeiten alhier ... kein Jude soll gelitten werden”); die Helmstedter Bürger hatten sich dieses Privileg beim Stadtherrn, dem Abt Dietrich Hagedorn, erkaufen müssen. Wenige Jahre später lebten bereits keine Juden mehr in der Stadt.

Stadtansicht von Helmstedt - Stich von Merian, 1654 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Das Verbot jüdischer Ansässigkeit in Helmstedt blieb jahrhundertelang gültig; erst zu Beginn des 19.Jahrhunderts wurde es - gegen den Willen des Stadtrats - aufgehoben. Der erste Jude ließ sich in Helmstadt 1808 nieder; zehn Jahre später hielten sich bereits acht jüdische Familien hier auf. Die meisten Juden Helmstedts verdienten damals ihren Lebensunterhalt als Trödler bzw. Kleinhändler in verschiedenen Branchen.

Zu den Einrichtungen der kleinen jüdischen Gemeinschaft in Helmstedt gehörten ein Synagogenraum in der Neumärker Straße und seit ca. 1875 ein neues Friedhofsareal am Magdeburger Tor; das alte Gelände auf dem Schwarzenberg wurde fortan nicht mehr belegt. Ein jüdischer Lehrer konnte nur zeitweilig bezahlt werden. Die Synagoge musste Ende der 1850er Jahre aufgegeben werden, da nur noch fünf Familien in Helmstedt lebten. Es folgte eine erneute Gemeindegründung, die aber auch nur wenige Jahre Bestand hatte. Erst von 1924 bis 1933 gab es wieder eine kleine Kultusgemeinde; ihr hatten sich auch die Juden im Dorf Emmerstedt angeschlossen.

Juden in Helmstedt:

         --- 1808 .......................... eine jüdische Familie,

    --- 1819 ..........................   8 jüdische Familien,

    --- 1831 ..........................  34 Juden,

    --- 1871 ..........................  13   “  ,

    --- 1895 ..........................  26   “  ,

    --- 1925 ..........................  29   “  ,*      * mit Emmerstedt

    --- 1933 ..........................  24   “  ,

    --- 1939 ..........................   6   “  ,

    --- 1942 ..........................   3   “  .

Angaben aus: Susanne Weihmann, Die jüdische Gemeinde in Helmstedt

Marktplatz von Helmstedt um 1890 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei) und Kornstraße (aus: Sammlung W. Betz, Helmstedt)

 

Die wenigen Juden Helmstedts setzten sich Mitte der 1920er Jahre aus sechs Kaufleuten, einem Produktenhändler, drei Viehhändlern und einem Fabrikbesitzer zusammen; ihre Geschäfte befanden sich überwiegend in der Innenstadt.

Nach den ersten Boykottmaßnahmen von 1933 verließ bereits ein Teil der jüdischen Familien Helmstedt. 1935 erreichte die antisemitische Propaganda einen weiteren Höhepunkt: Sammelanzeigen „arischer“ Geschäftsleute wurden in der Lokalpresse veröffentlicht und judenfeindliche SA-Plakate in der Stadt aufgestellt. Weitere jüdische Geschäftsleute schlossen ihre Läden und zogen weg.

                 Am 12.Aug. 1935 berichtete das „Helmstedter Kreisblatt” wie folgt:

... Im Verfolg des Abwehrkampfes gegen die Dunkelmänner unserer Zeit und gegen die Wühlmäuse, welche versuchen, auf Schleichwegen ihre staatsschädigenden Ziele zu erreichen, versammelte sich am vergangenen Sonnabendabend die gesamte SS, SA, die Hitlerjugend, die deutsche Arbeitsfront mit ihren Betriebsgefolgschaften und ein großer Teil der hiesigen Einwohnerschaft zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz. Gegen Abend waren die SA-Leute damit beschäftigt, an den Straßen, die in das Innere der Stadt führen, Plakattafeln aufzustellen, auf denen die Juden darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie hier in Helmstedt nichts zu suchen haben und die sich gegen die Einwohner richten, die es noch für nötig halten, mit Juden geschäftlich oder gesellschaftlich in Verbindung zu stehen.

Vom Novemberpogrom von 1938 waren auch die noch in Helmstedt verbliebenen jüdischen Geschäftsleute betroffen: Schaufensterscheiben wurden eingeschlagen, Auslagen und Inventar geplündert. Dies betraf auch das Geschäft Waldbaum in der Kornstraße; Josef Mindus wurde zusammengeschlagen, inhaftiert (und wie weitere zwei jüdische Männer via Schöningen-Braunschweig ins KZ Buchenwald überstellt). Danach wurde seine Textilhandlung geschlossen, das Haus zwangsverkauft.

Unmittelbar nach dem Novemberpogrom mussten alle übrigen hier noch verbliebenen Juden ihre Geschäfte schließen.

                 Der Helmstedter Bürgermeister vermeldete am 12.Dez.1938 dem Landrat:

Betrifft: Ausschaltung der Juden. Das ehemalige jüdische Geschäft Henschel ist bereits von der Firma Tengelmann übernommen. Die ehemaligen Geschäfte Waldbaum und Wegmann sind geschlossen u. sollen nicht mehr geöffnet werden, da die Branchen hier übersättigt sind. Weitere jüdische Geschäfte bzw. selbständige Handwerker sind hier nicht mehr vorhanden.

1942 lebten noch drei Personen jüdischen Glaubens in Helmstedt; vermutlich erfolgte ihre Deportation noch im gleichen Jahre.

 

Vor dem Amtsgericht Helmstedt wurde 1985 die ca. fünf Meter hohe sog. „Gerechtigkeitssäule“ - eine Arbeit des Bildhauers Siegfried Neuenhausen – errichtet. Die als Lern- und Mahnort verstandenen Stele zeigt verschiedene Bildelemente, u.a. auch eine Darstellung eines jüdischen Bürgers im Rahmen der Thematik zur ‚Justiz im NS-Staat‘.

                    ©Martina Borrass_Detailaufnahme Gerechtigkeitssäule Helmstedt Detail der Stele (Aufn. Martina Borrass, aus: stadt-helmstedt.de)

Im Jahre 1998 wurde im Eingangsbereich des Helmstedter Rathauses eine Gedenktafel angebracht, die namentlich an die jüdischen Opfer der NS-Herrschaft in Helmstedt erinnert.

Im Jahre 2011 wurden die ersten neun sog. „Stolpersteine“ in Helmstedt verlegt - so u.a. vor dem Grundstück Kornstraße 5, dem Wohn- u. Geschäftshaus der Familie Mindus; weitere folgten. Insgesamt findet man derzeit in Helmstedter Gehwegen ca. 20 solcher Gedenktäfelchen (Stand 2024).

Stolperstein Kybitzstr 6 Martha LilienfeldStolperstein Kybitzstr 1 Kurt LilienfeldStolperstein Kybitzstr 6 Horst LilienfeldStolperstein Kybitzstr 6 Marion Lilienfeld "Stolpersteine“, Kybitzstraße 

 Stolpersteine Kornstr 5 Josef MindusStolpersteine Kornstr 5 Frieda MindusStolpersteine Kornstr 5 Carla Mindus Kornstraße (Aufn. Mirko Marhenke, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

Die jüdische Begräbnisstätte am Rande des St.Stephani-Friedhofs (Magdeburger Tor) weist heute noch 15 Grabsteine auf; die letzte Belegung erfolgte hier 1955.

Datei:Jüdischer Friedhof, 1, Friedhof St. Stephani, Helmstedt, Landkreis Helmstedt.jpgJüdische Grabstätten (Aufn. G., 2024, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Hingegen sind vom alten israelitischen Friedhof (am Schinderkamp auf dem Schwarzenberg) keine Grabstätten mehr sichtbar.

 

An den Reformer Israel Jabobson, der 1807 von der Helmstedter Universität die Doktorwürde erhielt, erinnert eine kleine steinerne Brücke, die heute noch seinen Namen trägt. Eine dort angebrachte Inschrift gibt Auskunft auf ihren Stifter mit den Worten:“ Ob Deutschen oder Franken, des Gesunden oder Kranken, das nahe Bad erquicke, erbaute diese Brücke der edle Jacobsohn. Ihm gilt der Dank als Lohn." 

Durch eine Stiftung für sozial schwache Stadtbewohner Helmstedts verdiente sich Israel Jacobson allgemeine Anerkennung..“

 

[vgl. Schöningen (Niedersachsen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

W. Schrader, Die Juden in Helmstedt, in: "Alt-Helmstedt – Beilage zum Helmstedter Kreisblatt", No.19/1955

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 351 – 353 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 542/543

Susanne Weihmann, Ortsbesichtigung. Spuren jüdischer Geschichte in Helmstedt, Helmstedt 1992

Susanne Weihmann, Vor 500 Jahren “ ... kein Jude soll gelitten werden”, in: Landkreis Helmstedt (Hrg.), Kreisbuch 1994/95, S. 19 - 25

Susanne Weihmann, “ Die sind doch alle weggemacht.” Juden in Helmstedt 1933 - 1945, Helmstedt 1996

Susanne Weihmann (Bearb.), Helmstedt, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 821 – 827

Susanne Weihmann, Konversion von Angehörigen der Helmstedter Familie Salomon-Ornstein im 19.Jahrhundert, Vortrag vor der Historischen Kommission von Niedersachsen und Bremen, Arbeitskreis Geschichte der Juden, Celle 2005

Susanne Weihmann (Bearb.), Jüdisches Leben im Helmstedter Land. Teil: Eine Spurensuche in Calvörde, Helmstedt und Schöningen, in: Beiträge zur Geschichte des Landkreis Helmstedt und der ehem. Universität Helmstedt, Hrg. Landkreis Helmstedt, Heft 17, Helmstedt 2006, S. 24 – 31 und S. 48 f.

Jürgen Paxmann (Red.), Kleine Denkmäler auf Bürgersteigen, in: „Braunschweiger Zeitung – Helmstedter Nachrichten“ vom 27.9.2011

Stolpersteine in Helmstedt und Königslutter. Überlegungen zu einem frag-würdigen Konzept, in: Arbeitskreis Andere Geschichte e.V., Rundbrief Dez. 2011 (Braunschweig)

Susanne Weihmann, „Stolpersteine“ in Helmstadt, in: Bürger-Aktion Alt-Helmstedt (Hrg.), "Altstadt-Kurier", No.17/2012, Heft 1 + 2

Auflistung der in Helmstedt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Helmstedt

Hartmut Beyer (Red.), Stolpersteine erinnern an Opfer des Naziterrors, in: „Braunschweiger Zeitung – Helmstedter Nachrichten“ vom 22.10.2012

Josef Mindus, in: Geschichte.Bewusst.Sein, hrg. von der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: geschichte-bewusst-sein.de

Jens-Christian Wagner (Red.), HELMSTEDT– Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/helmstedt/

Jürgen Paxmann (Red.), Stolpersteine – wenn Gedenktafeln in Vergessenheit geraten, in: "Helmstedter Nachrichten“ vom 5.3.2019

Christian Werner (Hrg.), Israel Jacobson Bildkarte – Jüdisches Leben in der Region Braunschweig. Ein Projekt von Schüler/innen der Neuen Schule Wolfsburg, 2021 (Helmstedt S. 36/37)

Erik Beyen (Red.), Bewegende Geschichten: Helmstedt hat fünf neue Stolpersteine, in: „Helmstedter Nachrichten“ vom 4.3.2024