Herborn (Hessen)
Herborn ist eine Stadt mit derzeit ca. 21.000 Einwohnern im hessischen Lahn-Dill-Kreis – ca. 20 Kilometer nordwestlich von Wetzlar gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Lahn-Dill-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/lahn-dill-kreis).
Blick auf Herborn – Stich M. Merian, um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Schon gegen Ende des 14.Jahrhunderts wird eine „Judenschul“ in Herborn erwähnt. In den folgenden Jahrhunderten liegen kaum Hinweise auf jüdische Ansiedlung vor, erst im Laufe des 18.Jahrhunderts finden sich mehrfach Angaben über einzelne Schutzjuden in Herborn. Seit gegen Ende des 17.Jahrhunderts nutzten die Herborner Juden ein Fachwerkhaus am Kornmarkt, in dem im ersten Stock ein Betraum eingerichtet war; dieser wurde vermutlich bis um 1875 als solcher genutzt. Im Kellergeschoss befand sich ein Ritualbad.
Kornmarkt 22 (Aufn. Oliver Abels, 2015, aus: wikipedia.org CC BY-SA 4.0)
Die kleine Herborner Judenschaft lebte im 19.Jahrhundert meist in ärmlichen Verhältnissen; ihre Zahl war damals zu gering, um eine eigene Gemeinde zu gründen. Erst gegen Ende des Jahrhunderts nahm die Zahl der Juden Herborns zu und es wurde eine kleine Religionsschule eingerichtet.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben war seitens der Gemeinde ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. In besonderer Erinnerung blieb Maier Rosenbaum, der von ca. 1908 bis zu seinem Tode (1934) in der Gemeinde wirkte.
Stellenangebote der Herborner Gemeinde aus den Jahren 1875 und 1886
Gottesdienste wurden in einem angemieteten Betlokal hinter dem Amtsgericht abgehalten; für den Bau einer eigenen Synagoge fehlten der Gemeinde die finanziellen Mittel.
Kleinanzeige der Gemeinde aus dem Jahre 1901:
Über einen eigenen Friedhof verfügte die jüdische Gemeinschaft vermutlich seit Anfang des 19.Jahrhunderts.
Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Weilburg (Weilburg-Ems).
Juden in Herborn:
--- 1807 ............................ 28 Juden,
--- 1843 ............................ 27 “ ,
--- 1871 ............................ 48 “ ,
--- 1875 ............................ 87 “ ,
--- 1885 ............................ 67 " ,
--- 1905 ............................ 61 “ ,
--- 1925 ............................ 124 “ ,
--- 1933 ............................ 92 “ ,
--- 1938 (Nov.) ..................... 54 “ ,
--- 1942 (Aug.) ..................... 14 “ ,
(Okt.) ..................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 352
alte Ansichten von Herborn (Abb. aus: akpool.de bzw. ansichtskartenversand.com)
In der NS-Zeit verließen die allermeisten Juden Herborns ihre Heimatstadt; entweder sie emigrierten (meist in die USA und in Länder Südamerikas) oder sie verzogen in größere deutsche Städte.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurde der Betraum verwüstet, mehrere jüdische Männer verhaftet und für etwa zwei Monate ins KZ Sachsenhausen eingewiesen. Die letzten 13 in Herborn noch lebenden jüdischen Bewohner wurden Ende August 1942 unter Polizeibewachung nach Frankfurt/M. überführt und von dort aus deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind namentlich 75 Personen mosaischen Glaubens bekannt, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sein; unter den zahlreichen Ermordeten sind neben gebürtigen Herbornern auch die früheren jüdischen Patienten der "Landesheilanstalt" (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/herborn_synagoge.htm).
Der jüdische Friedhof an der Gerichtskoppel – er besitzt eine Fläche von ca. 2.500 m² – liegt am Südrand von Herborn.
(Aufn. J. Hahn, 2009)
Auf dem Friedhofsgelände steht ein Gedenkstein, der an die Mitglieder der einstigen jüdischen Gemeinde Herborns erinnert.
Am Gebäude der ehemaligen Synagoge ist eine Tafel mit folgender Inschrift angebracht:
Erbaut 1609 von dem Herborner Stadtschreiber Andreas Jakob Hoen als Doppelhaus mit seitlichem Eingang.
Ab ca. 1680 bis um 1840 diente die südliche Hälfte als Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Herborn.
Seit November 2013 erinnert in der Grünanlage in der Walter-Rathenau-Straße (am Eisernen Steg) ein Mahnmal an die ermordeten jüdischen Herborner. "Wer die Geschichte vergisst, muss sie wieder erleben", prangt in großen Lettern auf dem schwarzen Gedenkstein; darüber sind die Namen von 63 Herborner Opfern des nationalsozialistischen Terrors zwischen 1933 und 1945 verzeichnet.
Einweihung des Mahnmals (Aufn. Gerald Stern, Newcastle, 2013)
Seit 2009 erinnern 15 sog. „Stolpersteine“ vor sechs Häusern Herborns an jüdische NS-Opfer. Die Initiative für die Verlegung ging von Jonathan Stoll aus, der sich des Projektes (im Rahmen seiner Abitur-Prüfungsarbeit) annahm. Jüngst kamen weitere acht Gedenkquader hinzu (Stand 2024).
Stolpersteine, Austraße (alle Aufn. T., 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
in der Nassaustraße
in der Hauptstraße
In Haiger – in unmittelbarer Nähe von Dillenburg – gab es eine winzige jüdische Gemeinde, die nur knapp drei Jahrzehnte bestand, nämlich von ca. 1910 bis zu ihrer Vernichtung Ende der 1930er Jahre. Mitte der 1920er Jahre erreichte die hiesige jüdische Gemeinschaft mit ca. 35 Angehörigen ihren personellen Höchststand; sie gehörte zum Rabbinatsbezirk Weilburg. In einem angemieteten Haus in der Bahnhofstraße hatten die jüdischen Familien um 1910 ihren Betraum eingerichtet. Dieser blieb im November 1938 unzerstört, da das Gebäude in nicht-jüdischem Besitz war und zudem die Ritualien bereits zuvor nach Gießen gebracht worden waren.
Gebäude, in dem sich der Betraum befand (hist. Aufn., aus: P. Arnsberg)
Eine kleine Begräbnisstätte war vermutlich erst um 1925/1930 "unter dem Frauenberg" angelegt worden; hier befinden sich nur zwei Gräber.
Anfang der 1930er Jahre lebten in Haiger sechs jüdische Familien, die zumeist ihren Lebenserwerb mit dem Viehhandel bestritten. 1939 wohnten nur noch drei Personen im Ort; die übrigen waren verzogen bzw. emigriert. 1941 war Haiger "judenfrei".
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sollen neun aus Haiger stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sein (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/haiger_synagoge.htm).
Das Gebäude mit der ehemaligen Synagoge (in der Bahnhofstraße) ließ der Eigentümer 1989 abbrechen, obwohl es unter Denkmalschutz stand.
2020 wurden an vier Standorten in Haiger mehrere sog. „Stolpersteine“ in die Gehwegpflasterung eingelassen, die an Angehörige jüdischer Familien erinnern, die deportiert und ermordet wurden; so findet man in der Hauptstraße, Johann-Textor-Straße, Kreuzgasse (fünf Steine für Fa. Hirsch) und am Frigghof Hinweise auf die zu erinnernden Personen.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 352/353 (Herborn) und S. 314 - 316 (Haiger)
Rüdiger Mack, Juden an den hessischen Hochschulen im 18.Jahrhundert, in: "Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen VI, Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen", Wiesbaden 1983, S. 293 - 295
Helmut Groes, Dokumente der Judenverfolgung in Herborn, in: "Heimatjahrbuch für das Land an der Dill", Dillenburg 1985
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen II - Regierungsbezirke Gießen und Kassel, Hrg. Studienkreis Deutscher Widerstand, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1996, S. 114 f.
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dillenburg e.V. (Hrg.), Das Schicksal der Haigerer Juden, Dillenburg 2000 (basiert auf einer Projektarbeit einer 10.Realschulklasse der Haigerer Johann-Textor-Schule)
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein im Taunus 2007, S. 215 - 221
Herborn, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Klaus Kordesch (Red.), Wer sie lesen will, muss sich verbeugen. „Stolpersteine“ in Herborn verlegt, in: „Herborner Tageblatt“ vom 13.2.2009
Auflistung der in Herborn verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Herborn
Christian Röder (Red.), Auch Herborn war ein Tatort. Einweihung Mahnmal am Eisernen Steg erinnert an ermorderte Juden, in: „Herborner Tageblatt“ vom 8.11.2013
Holocaust Denkmal in Herborn, online abrufbar unter: natursteinonline.de/zeitschrift/
Christian Hoge (Red.), Entrechtet, deportiert, ermordet, in: „Herborner Tageblatt“ vom 9.11.2018
Christoph Weber (Red.), „Stolpersteine“ für Opfer der NS-Zeit, in: mittelhessen.de vom 24.10.2019 (betr. Haiger)
Christoph Weber (Red.), Stolpersteine erinnern in Haiger an ermordete Juden, in: mittelhessen.de vom 22.6.2020 (Anm. mit kurzen biografischen Daten der betroffenen Personen)
N.N. (Red.), Haiger. Stolpersteine gegen das Vergessen, in: „Sonntags-Morgenmagazin“ vom 28.6.2020
Christoph Weber (Red.), Familie Simon bleibt die Flucht verwehrt, in: mittelhessen.de vom 27.1.2021
Christian Hoge (Red.). „Ein Mahnmal für ein ‚Nie wieder‘“: Neue „Stolpersteine“ in Herborn?, in: mittelhessen.de vom 6.11.2021
Christian Hoge (Red.), Acht neue Stolpersteine erinnern an ermordete Herborner, in: mittelhessen.de vom 1.3.2024
Felix Leyendecker (Red.), Herborn verlegt acht neue Stolpersteine, in: mittelhessen.de vom 18.4.2024