Heydekrug (Litauen)
Heydekrug - es ist das heutige Siluté mit derzeit ca. 15.000 Einwohnern - entwickelte sich zum bedeutendsten Marktort zwischen Memel und Tilsit (hist. Karte 'Kreis Heydekrug', 1890, aus: wikipedia.org, PD-alt-100 und topografische Karte des Memellandes, aus: genwiki.genealogy.net/Heydekrug).
Um 1820 siedelten sich die ersten Juden – sie stammten aus Westpreußen – in der Region an, und zwar in Ruß (im Mündungsgebiet der Memel gelegen); nur allmählich nahm ihre Zahl zu. Ihren Lebenserwerb bestritten sie anfänglich mit Holzhandel, später dann mit anderen Handelsgütern. Gegen Ende der 1850er Jahre bildete sich in Heydekrug eine jüdische Gemeinde, die 1863 (andere Angabe: 1872) ein kleine Synagoge in der Sudermannstraße errichten ließ.
Mitte der 1840er Jahre wurde ein jüdischer Friedhof angelegt und 1869/1870 ein weiterer eingerichtet.
Nach 1870 vergrößerte sich die Gemeinde infolge Zuwanderung aus nahegelegenen Orten Litauens. Diejenigen Familien, die die preußische Staatsbürgerschaft annahmen, durften hier verbleiben, die anderen wurden 1885 ausgewiesen; ausgenommen waren auch diejenigen, die wirtschaftlich erfolgreich waren.
Juden in Heydekrug:
--- 1825 ......................... wenige jüdische Familien,
--- 1855 ..................... ca. 90 Juden,* * im gesamten Kreis Heydekrug
--- 1880 ..................... ca. 330 “ ,*
--- 1905 ..................... ca. 250 “ .*
Angaben aus: Ruth Leiserowitz, Juden in Memel und Heydekrug im 19.Jahrhundert
Tilsiterstraße - Hauptstraße in Heydekrug (hist. Postkarte, um 1910)
Als Heydekrug 1923 unter litauische Verwaltung geriet, verließen zahlreiche jüdische Familien die Kleinstadt in Richtung Ostpreußen. Eine gegenteilige Bevölkerungsbewegung setzte ein, als im Frühjahr 1939 das Memelland an Deutschland abgetreten wurde. Wenigen gelang es zu emigrieren. Synagoge und jüdischer Friedhof wurden nach dem Einmarsch deutscher Truppen zerstört.
Im Sommer 1941 richtete die SS in/bei Heydekrug ein Arbeitslager für männliche Juden ein, die aus nahegelegenen litauischen Kleinstädten hierher gebracht worden waren und bis zur Auflösung des Lagers (1943) zu Zwangsarbeiten im Straßenbau und bei der Moormelioration eingesetzt wurden. Nichtarbeitsfähige wurden erschossen bzw. wurden nach Auschwitz verbracht.
In Ruß (Rusné, derzeit ca. 1.300 Einw.) – einem Städtchen im Kreis Heydekrug – ließen sich jüdische Familien in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts nieder, um am aufstrebenden Holzhandel zu partizipieren. Die sich hier gebildete jüdische Gemeinde – offiziell erst 1863 gegründet - war im 19.Jahrhundert die größte in der Region; sie zählte um 1880 etwa 130 Angehörige. Ihren Lebensunterhalt erzielten sie als Besitzer von Handelsunternehmen und Gasthäusern, als Kleinhändler und Handwerker. Aus dem Jahre 1857 stammt die Rußer Synagoge.
Synagoge in Ruß am Atmath-Ufer (hist. Aufn.)
Ein eigener Friedhof am Ort konnte wegen der oft auftretenden Überschwemmungen nicht angelegt werden; deshalb nutzte man zunächst das Begräbnisgelände in Szibben. Gegen Ende der 1860er Jahre legten die Juden aus Heydekrug und Ruß einen gemeinsamen Friedhof in Barsduhnen an.
Als nach dem Ersten Weltkrieg der Ort wirtschaftlich in Randlage geriet und auch der Holzhandel nahezu bedeutungslos wurde, wanderte ein Teil der Rußer Bevölkerung ab, so auch jüdische Familien. Um 1920 sollen im Ort nur noch ca. 15 jüdische Familien gelebt haben.
1939 wurde die Synagoge zerstört. Das Schicksal der Rußer Juden während der Zeit des Zweiten Weltkrieges ist wenig bekannt. Doch kann davon ausgegangen werden, dass sie – wie viele der in Litauen lebenden Juden – Opfer der NS-Mordmaschinerie geworden sind.
Im Kreis Heydekrug gab es eine weitere jüdische Gemeinde in der Ortschaft Švėkšna (jidd. Shvekshne, derzeit ca. 1.600 Einw.); das ehemalige Synagogengebäude ist äußerlich noch erhalten, aber in einem maroden Zustand. Dieses Haus war erst Ende der 1920er Jahre erbaut worden und hatte nur kurze Zeit gottesdienstlichen Zusammenkünften gedient; zuvor hatte es aber im Ort bereits eine Synagoge gegeben.
Anm.: Feuersbrünste hatten mehrfach im 19.Jahrhundert große Teile der Ortschaft in Schutt und Asche gelegt; ein weiterer Großbrand wütete 1925.
Um 1900 sollen in der Ortschaft ca. 1.000 Juden gelebt haben; sie bestritten ihren Lebensunterhalt zumeist im Handel und Handwerk, einige mit Landwirtschaft. Mitte der 1920er Jahre waren nur noch etwa 500 jüdische Bewohner zu verzeichnen.
Um 1930/1932 existierten in Švėkšna zehn von Juden betriebene Geschäfte (von insgesamt 15 Läden im Ort). Weiterhin waren ein Sägewerk, eine Mühle und zwei Lederfabriken in jüdischem Besitz. Von den ca. 15 als Handwerker tätigen Juden betrieben damals allein sieben das Metzgergewerbe.
Synagoge (Aufn. um 1930/1935) ehem. Synagogengebäude in Švėkšna (Aufn. aus: lt.wikipedia.org, 2005)
Weitere Informationen:
Isaak Rülf, Zur Geschichte der Juden in Memel, Memel 1900
Johannas Sembritzki/Arthur Bittens, Geschichte des Kreises Heydekrug, Memel 1920
Ruth Leiserowitz, Juden in Memel und Heydekrug im 19.Jahrhundert, Vortrag in Klaipeda aus dem Jahre 2001
R. Kibelka, Klaipedos ir Šilutes žydai XIX. amžiuje (Die Juden von Memel und Šilute im 19. Jahrhundert), Klaipeda 2001
Esther (Herschman) Rechtschafner,Švėkšna – Our town, Israel 2004 (online abrufbar unter: kehilalinks.jewishgen.org/sveksna)