Hochstadt - früher: Niederhochstadt (Rheinland-Pfalz)

 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3d/Karte_Landkreis_S%C3%BCdliche_Weinstra%C3%9Fe.png?uselang=deHochstadt an der südlichen Weinstraße ist mit seinen derzeit ca. 2.600 Einwohnern Teil der Verbandsgemeinde Offenbach a.d. Queich - ca. zehn Kilometer östlich von Landau/Pfalz gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Südliche Weinstraße', 2007, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der jüdischen Familien in Niederhochstadt ihr Maximum.

Erst gegen Ende des 17.Jahrhunderts sind jüdische Bewohner in Niederhochstadt urkundlich nachweisbar; sie waren Schutzjuden des Johanniterordens und diesem abgabepflichtig. Im Laufe des 18.Jahrhunderts bildete sich in Niederhochstadt eine jüdische Gemeinde heraus, die um 1850 mit mehr als 200 Personen ihren numerischen Höhepunkt erreichte.

Vermutlich um 1800 richtete die jüdische Gemeinde Niederhochstadts in einem Fachwerkgebäude eine Synagoge ein (erstmals 1815 urkundlich erwähnt); neben 60 Männer- standen 30 Frauenplätze zur Verfügung. Im Keller des Gebäudes befand sich eine Mikwe. Die aus dem Jahre 1832 stammenden Synagogenordnung wurde schriftlich durch „Lokal-Polizei-Beschluß” verkündet. Darin hieß es u.a.:

1. Der Gottesdienst soll mit gehöriger Andacht und nach den Vorschriften der Religion verrichtet werden.

2. Während der Gebete darf keiner mit dem anderen sprechen oder seinen Platz verlassen.

3. Dem Vorsänger vorbeten, vorsingen oder vorlesen, wird als Störung des Gottesdienstes streng untersagt.

4. Unanständig gekleidete, sollen nicht nur Vorlesung der Thora und zu sonst einer Verrichtung bei derselben zugelassen werden, und überhaupt keiner in der Synagoge geduldet werden, der durch seinen äußeren Anzug der Versammlung und dadurch dem Gottesdienst diejenige Achtung versagt, die er seiner weltlichen Obrigkeit zu erweisen schuldig ist.

5. Ohne Erlaubnis des Vorstandes darf nichts, selbst was das Ritual betrifft, in der Synagoge verkündigt werden.

6. Der Besuch der Synagoge ist den Kindern, welche das 4.Jahr zurückgelegt haben, gestattet, jedoch sind die Eltern verpflichtet solche kleinen Kinder bei sich auf ihren Plätzen zu behalten, damit durch das Herumlaufen derselben in der Synagoge keine Störung des Gottesdienstes veranlaßt werde.

Den Vorstehern aber kommt das Recht zu, den Kindern jeden Alters, welche sich nicht ordnungsgemäß verhalten, den Zutritt auf eine bestimmte Zeit oder auch bis zu reiferen Jahren zu untersagen.

...

12. Niemand soll über den ihm angewiesenen Raum seines Platzes, der durch aufgenagelte Latten genau bezeichnet ist, wegschreiten, oder sonst etwas daran abändern.

13. Alle alten, bisher bestandenen und noch bestehenden, den Cultus betreffenden, Gebräuche und Verordnungen bleiben soweit in Kraft, als sie mit dem gegenwärtigen in Einklang stehen, ...

14. Sollte vorschriebener Beschluß übertreten, von einem oder dem Anderen eine Unruhe veranlaßt, oder ein Unfug begangen werden, der, wenn auch nicht als eine direkte Störung des Gottesdienstes, doch als eine unerlaubte Handlung betrachtet werden könnte, so unterzieht sich die Gemeinde dem Ausspruch des königlichen Friedens-Gerichts. - Absichtliche oder grobe Zuwiderhandlungen, werden ... mit einer Geldbuße von 1 bis 15 Francs und mit einer Gefängnisstrafe von 1 bis 5 Tagen bestraft.

(aus: Gerd Pressler, Zur Geschichte der jüdischen Kultusgemeinde Niederhochstadt, S. 264/265)

Einen ersten Hinweis für das Bestehen einer jüdischen Schule findet sich in einem Schriftwechsel von 1832, in dem es u.a. heißt:

... Die hiesige israelitische Privatschule zählt 30 schulpflichtige Kinder, die keine Volksschule besuchen. Es kann bei besten Willen nichts geleistet werden, weil der Lehrer den Unterricht zu viel nach den Launen der Eltern zu erteilen hat und diese ihre Kinder erst nach dem 7. oder 8.Lebensjahr zum erstenmal in die Privatschule schicken und wenn sie kaum ein wenig hebräisch lesen können, so werden sie derselben schon wieder entzogen, ungeachtet sie erst 11 Jahre sind.”

Mitte der 1830er Jahre erhielt diese Schule den Status einer öffentlichen Elementarschule; sie bestand bis 1924.

Die Juden Niederhochstadts begruben ihre Verstorbenen zunächst vermutlich auf dem alten Judenfriedhof in Essingen, danach in Oberlustadt. Seit 1856 verfügten sie über einen eigenen Begräbnisplatz. Im Zuge der Vergrößerung des allgemeinen Dorffriedhofs wurde eine Sektion der jüdischen Kultusgemeinde zugewiesen.

Die Gemeinde unterstand dem Bezirksrabbinat Landau.

                        Juden in Niederhochstadt:

         --- um 1765 .......................   12 jüdische Familien,

    --- 1808 ...................... ca.  100 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1823 ..........................  153   "   (ca. 14% d. Bevölk.),

    --- 1843 ..........................  151   “   (in 29 Familien),

    --- 1848 ..........................  221   “   (in 40 Familien),

    --- 1875 ..........................  148 Juden,

    --- 1900 ..........................   99   “   (ca. 5% d. Bevölk),

    --- 1924 ..........................   76   "  ,

    --- 1932 ..........................   35   “  ,

    --- 1936 ..........................   24   “  ,

    --- 1938 ..........................   17   “  ,

    --- 1940 (Nov.) ...................   keine.

Angaben aus: Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden, S. 102

und                 Gerd Pressler, Zur Geschichte der jüdischen Kultusgemeinde Niederhochstadt, S. 260 f.

 

Alte Ansichtskarte: AK Niederhochstadt, Strassenzug mit Kirche Hauptstraße Niederhochstadt, hist. Postkarte (aus: akansichtskarten.de)

Die Juden übten in der Regel hier ihre traditionellen Berufe aus. Einigen jüdischen Familien war es gelungen, auch in der Landwirtschaft Fuß zu fassen. Für die in Niederhochstadt lebenden Juden zeigt sich 1850/1851 folgende berufliche Struktur: 7 Frucht- und Gesämhändler, 6 Makler, 5 Holz- und Eisenhändler und 6 Händler in anderen Branchen, darunter nur ein Viehhändler. Im Zusammenleben von Christen und Juden soll es, wie eine Aussage von 1914 deutlich macht, keine Probleme gegeben haben: „Unsere Bevölkerung ist weltoffen, beweglich und verträglich. Die drei hier vertretenen Konfessionen haben stets im besten Einvernehmen miteinander gelebt.

Die jüdische Bevölkerung in Niederhochstadt zählte zu Beginn der NS-Machtübernahme nur noch etwa 30 Personen; von ihnen verließ etwa die Hälfte bis 1938 das Dorf, viele emigrierten in die USA. Während der „Reichskristallnacht“ wurde die Synagoge aufgebrochen, die Fenster zerstört und die gesamte Inneneinrichtung demoliert; zwei Tage später legte die Ortsfeuerwehr das angeblich baufällige Gebäude nieder. Das Synagogengrundstück musste die Gemeinde für 200,- RM an einen Nachbarn verkaufen. Während der Novembertage waren auch Übergriffe auf jüdische Wohnungen zu verzeichnen.

Die zehn noch im Ort verbliebenen jüdischen Bewohner wurden im Oktober 1940 im Rahmen der sog. „Aktion Bürckel“ nach Gurs/Südfrankreich verschleppt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind nachweislich 33 gebürtige bzw. längere Zeit in Niederhochstadt wohnhaft gewesene Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/niederhochstadt_synagoge.htm).

 

Nach Kriegsende kehrten drei ehemalige Gemeindemitglieder in ihren Heimatort zurück.

Bis heute erinnert nur der jüdische Friedhof (am nördlichen Rand des Kommunalfriedhofs) an die einstige israelitische Gemeinde; auf dem ca. 600 m² großen Gelände findet man heute ca. 90 Grabsteine.

 Jüdischer Friedhof Hochstadt (Aufn. R. Wild, 2016, in: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Eine Gedenktafel an die während der NS-Zeit deportierten und ermordeten Juden Hochstadts gibt es bislang allerdings nicht.

 

Hinweis: Im benachbarten Oberhochstadt sind seit den 1820er Jahren erstmals sehr wenige jüdische Familien nachweisbar; sie lebten hier aber nicht dauerhaft

 

Anmerkungen: Die Vorfahren von Anne Frank stammten aus der Südpfalz; ihr Urgroßvater war Zacharias Frank (geb. 1811 in Niederhochstadt). Die Familie war z. Zt. seiner Geburt noch nicht lange in der Südpfalz ansässig; die Eltern von Zacharias stammten aus dem bayerischen Fürth. Sein Vater Abraham war Lehrer und Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Hochstadt.

Zur Geschichte der Familie Frank siehe: Thomas Klein (Red.), Anne Frank und ihre südpfälzische Verwandtschaft, in: „Wochenblatt – Stadtanzeiger Landau“ vom 12.6.2019

 

 

 

Weitere Informationen:

Gerd Pressler, Zur Geschichte der jüdischen Kultusgemeinde Niederhochstadt, in: Über 1200 Jahre Hochstadt, Hrg. G.Pressler im Auftrag der Ortsgemeinde Hochstadt, Hochstadt 1982, S. 258 - 271

Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, Pfälzische Verlagsanstalt, 2.Aufl., Landau/Pfalz 1988

Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Eigenverlag 1988, S. 101 f.

Franz Schmidt, Die Steine reden. Zeugnisse jüdischen Lebens im Landkreis Südliche Weinstraße, Rhodt 1989

Bernhard Kukatzki, Der jüdische Friedhof in (Nieder-)Hochstadt, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz, Landau i.d. Pf. 1995

Niederhochstadt, in: alemannia-judaica.de

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 187

Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 89