Hohenlimburg (Nordrhein-Westfalen)
Hohenlimburg ist seit der Gebietsreform (1975) ein östlich vom Stadtzentrum gelegener Stadtteil Hagens mit derzeit ca. 29.000 Einwohnern - am Übergang des östlichen Ruhrgebietes zum Sauerland gelegen (topografische Karte des Ruhrgebietes um 1940, aus: genwiki.genealogy.net und Skizze der Stadtteile aus: wikipedia.org, CCO).
Die Existenz jüdischen Lebens im Raum Hohenlimburg ist erstmals gegen Mitte des 14.Jahrhunderts dokumentiert. Das älteste Zeugnis ist ein Schutzbrief des Grafen von Limburg aus dem Jahre 1350, in dem es u.a. hieß:
„ ... All denen, die vorliegenden Brief sehen oder hören, sei kund und zu wissen: Wir, Dietrich, Edler und Graf von Limburg .... verkünden mit diesem Schreiben unumstößlich, für die nächsten unmittelbar folgenden fünf Jahre tatkräftig und treu zu helfen den Juden Nathan, Lefmann und Vyvus als auch den Kindern ..., ihre Außenstände vor Gericht einzutreiben ... Wir werden eben dieselbigen Juden von außerhalb Dortmunds bis nach Dortmund und ihre Boten sicher geleiten, wie und wo auch immer sie wollen, häufig gemäß unserer Macht und zu ihrem Gewinn und Nutzen. Falls die vorgenannten Juden beschließen sollten, unter unserer Herrschaft bei uns zu wohnen, werden wir sie von da ab in den vorgenannten fünf Jahren ... ständig so wie unsere Diener freundschaftlich schützen. Dabei sollen List und Betrug gegen diese völlig ausgeschlossen sein und sie selbst vor jeglicher Zufügung von Gewalt gesichert sein. Zum Zeugnis und zur Bekräftigung dieses allen haben wir, Dietrich, Edler und Graf von Limburg, und unser Sohn, Baron und Ritter Cracht, unsere Siegel auf den vorliegenden Brief setzen lassen.
Gegeben am Vorabend (des Festes) des heiligen Papstes Gregor im Jahre des Herrn 1350. „
Ob sich Juden im späten Mittelalter hier angesiedelt haben, ist allerdings nicht zu belegen.
Grafschaft Mark und Grafschaft Limburg um 1790 (Abb. aus: commons.wikimedia.org gemeinfrei)
Von einer kontinuierlichen Ansässigkeit jüdischer Familien in der Grafschaft Limburg kann erst nach 1650 ausgegangen werden; Jahrzehnte später erteilten die Grafen einzelnen Juden Schutz und Geleit für Hohenlimburg. Die Grafen von Bentheim-Tecklenburg förderten bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Ansiedlung von zahlreichen jüdischen Familien in ihrem Territorium; dabei ließen sie sich weniger von wohltätigen oder religiösen Motiven leiten, sondern einzig und allein von den Aussicht auf damit verbundene Einnahmen. Um 1800 war der Anteil der jüdischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung im kleinen Limburg um ein Vielfaches höher als in den wesentlich größeren Nachbarstädten Hagen, Altena und Iserlohn.
Im Laufe des 18.Jahrhunderts wurden zunächst angemietete Räumlichkeiten als Betstube genutzt. 1782 erstand der Limburger Kaufmann Jacob Weisel ein Fachwerkaus im Wesselbachtal (später Eggestr., heutige Jahnstr.), das zur Synagoge ausgebaut und auch als Schule genutzt wurde. Als diese in den 1860er Jahren baulich den Anforderungen nicht mehr genügte, ließ die jüdische Gemeinde 1868/1870 an gleicher Stelle einen Neubau errichten. Eine geplante Einweihungsfeier fand wegen des Dt.-Franz. Krieges nicht statt.
Bei der Synagoge handelte es sich um einen eingeschossigen Bau auf nahezu quadratischem Grundriss mit einem Pyramidendach. Im Betsaal fanden ca. 125 Männer, auf der Empore ca. 40 Frauen Platz. Die Finanzierung des Baues konnte die finanzschwache Gemeinde nicht aus eigener Kraft leisten; ein Drittel der Bausumme steuerten christliche Spender bei; weitere Gelder kamen auch von anderen jüdischen Gemeinden des Landkreises Iserlohn.
Hohenlimburg war seit 1856 nur eine „Untergemeinde“ im Synagogenbezirk; einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Gemeinden Hohenlimburg, Berchum, Lethmathe und Oestrich zum Synagogenbezirk Hohenlimburg zusammengeschlossen. Die Gemeinde war eine Einheitsgemeinde; d.h. in ihr waren religiös-liberale und -orthodoxe Familien vereint; der Gottesdienst wurde in hebräischer Sprache in der traditionellen Form abgehalten. Aus dem Jahre 1890 liegt eine Synagogenordnung der ‚Untergemeinde Hohenlimburg’ vor. In unmittelbarer Nachbarschaft der Synagoge besaß die Gemeinde seit 1906 auch ein eigenes Schulgebäude, in dem die jüdischen Kinder während der ersten vier Schuljahre unterrichtet wurden; gegen Mitte der 1920er Jahre wurde die Schule wegen Schülermangels geschlossen.
Der „Judenkirchhof“ Hohenlimburgs wurde vermutlich bereits gegen Ende des 18.Jahrhunderts angelegt; er befand sich in unmittelbarer Nähe des neuen, Ende der 1880er Jahre eingeweihten Friedhofs an der Heidestraße. 1903 wurde der alte Friedhof geschlossen; einige Grabmale wurden auf dem neuen Areal wieder aufgestellt.
Juden in Hohenlimburg:
--- 1753 ......................... 20 jüdische Familienvorstände,* *gesamte Grafschaft L.
--- um 1765 ...................... 10 jüdische Familien,
--- 1775 ......................... 12 “ “ ,
--- um 1820 ...................... 16 “ “ (ca. 125 Pers.),
--- 1843 ......................... 115 Juden,
--- 1858 ......................... 123 “ ,
--- 1865 ......................... 24 jüdische Familien,
--- 1871 ......................... 144 Juden,
--- 1895 ......................... 156 " ,
--- 1907 ......................... 150 ” ,
--- 1925 ......................... 90 ” ,
--- 1931/32 .................. ca. 70 “ ,
--- 1934 ......................... 55 “ ,
--- 1938 ..................... ca. 30 “ ,
--- 1942 (Mai) ................... keine.
Angaben aus: Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938, S. 626 (Anhang)
und R. Blank/St. Marra (Bearb), Hagen-Hohenlimburg, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, S. 377
Blick auf Hohenlimburg - Stahlstich um 1840 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die im 19.Jahrhundert in Hohenlimburg lebenden Juden verdienten ihren Lebensunterhalt zumeist als „Handelsmänner“; es gab auch einige Handwerker.
In den 1920er Jahren lassen sich in Hohenlimburg vermehrt antijüdische Aktivitäten nachweisen. Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Hohenlimburg ca. 70 Juden, die als Gewerbetreibende in verschiedenen Branchen und in freien Berufen ihren Lebensunterhalt bestritten.
Vom Boykott am 1.April 1933 waren im Ort einzelne Geschäftsleute betroffen, u.a. die Modegeschäfte Mosbach und Hugo Schönebaum und die Metzgerei Paul Löwenstein.
Aus einem Schreiben der Ortsbehörde an den Landrat in Iserlohn vom 20.2.1934:
„ ... Ich berichte ergebenst, dass die hier ansässigen Juden sich nach der politischen Umwälzung vollständig reserviert verhalten. Zur Zeit des politischen Kampfes traten sie in geradezu hetzreicher Weise gegen den Nationalsozialismus hervor. Sie empfinden den Ausschluß aus nationalen und sonstigen Vereinen bezw.Verbänden als eine Härte, vermeiden aber, in irgend einer Form ihrer Meinung Ausdruck zugeben. Am 29.Oktober 1933 fand in der Synagoge unter dem Vorsitz des Lehrers Hartmann in Iserlohn eine Versammlung zwecks Gründung einer Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten statt. Die Ortsgruppe, wie geplant, kam nicht zustande, weil die Zahl ihrer Mitglieder zu gering war. Die jüdischen Frontkämpfer Hohenlimburgs fanden daher in der Ortsgruppe Iserlohn Aufnahme ... „
Im Laufe des Sommers 1935 erlebte auch Hohenlimburg verschiedene antisemitische 'Vorgänge'; propagandistisch unterstützt und dokumentiert wurden die von SA-Angehörigen getragenen Maßnahmen durch die Anbringung eines sog. „Stürmer-Kastens“.
In den Jahren bis 1938 konnten sich noch einzelne jüdische Geschäfte halten, so u.a. die Metzgerei Paul Löwenstein, das Modegeschäft Schönebaum, die Viehhandlung Moritz Meyberg und die Damenschneiderei Erna Levy.
Während der Pogromnacht wurde - unter den Augen von mehreren hundert Menschen - die Synagoge verwüstet, Türen, Fenster und Inneneinrichtung zerschlagen und der Davidstern vom Gebäude heruntergerissen. Das Synagogengebäude blieb aber baulich erhalten. (Anm.: Das Gebäude wurde schon vorher nicht mehr zu Gottesdiensten benutzt, sondern diente einem Kaufmann als Warenlager. Das Gebäude musste im Dezember 1938 von der jüdischen Gemeinde verkauft werden; es wurde später zu einer Fabrikationshalle umfunktioniert und bis 1975 von verschiedenen Firmen genutzt.)
Auch fast alle Wohnungen jüdischer Familien wurden vom fanatisierten Mob demoliert und geplündert; mit den erbeuteten Gegenständen zog die Menge zum Rathaus. Mehrere jüdische Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen und ins KZ Sachsenhausen „überstellt“, wo sie einige Wochen inhaftiert waren.
In den Folgetagen hielt die antijüdische Propaganda in der Heimatzeitung unverändert an. Im Dezember wurde über die „Arisierungen“ am Ort berichtet.
Die wenigen am Ort verbliebenen jüdischen Einwohner Hohenlimburgs – sie waren zuletzt in dem als „Judenhaus“ dienenden Schulgebäude untergebracht - wurden Ende April 1942 deportiert. Via Güterbahnhof Hagen ging die Fahrt zunächst in ein Sammellager der Gestapo Dortmund auf dem Bahnhof Dortmund-Süd; von dort brachte sie ein Sammeltransport „in den Osten“ (ins Ghetto Zamosc). Das bewegliche Eigentum der deportierten Juden wurde öffentlich versteigert.
Unmittelbar vor der Deportation (Aufn. Historisches Zentrum, Stadtarchiv Hagen)
Mindestens 16 jüdische Bürger Hohenlimburgs wurden Opfer des Holocaust.
1949 mussten sich vor dem Hagener Schwurgericht insgesamt 17 Angeklagte wegen ihrer aktiven Beteiligung an den Aktionen der „Reichskristallnacht“ in Hohenlimburg verantworten. Der als Rädelsführer geltende ehemalige NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Boecker erhielt eine zweijährige Haftstrafe; einige andere Angeklagte wurden zu kurzzeitiger Haft verurteilt, andere freigesprochen.
Die nach Ende des Krieges zurückgekehrten Juden schlossen sich 1946 der neu gebildeten jüdischen Gemeinde Hagen an.
Ab 1986 dient die Alte Synagoge Hohenlimburg als Mahn- und Gedenkstätte der Stadt Hagen; die Initiative dazu ging von der 1980 gegründeten „Bürgeraktion Synagoge Hohenlimburg” aus, die sich für eine Restaurierung und angemessene Nutzung des Gebäudes einsetzte. Das ehemalige Synagogengebäude war eines der wenigen im Land Nordrhein-Westfalen, das in seiner Bausubstanz einigermaßen erhalten geblieben war. Die Stadt Hagen hatte das Gebäude 1984 erworben und finanzierte mit öffentlichen Mitteln die vollständige Renovierung. Seit 1994 ist die Alte Synagoge Hohenlimburg der „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ zur Nutzung überlassen worden. Das Gebäude dient seitdem der Durchführung von Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten u.ä.; im ehemaligen Synagogenraum ist eine kleine Dokumentation zur jüdischen Stadtgeschichte untergebracht.
Ehemalige Synagoge Hohenlimburg (Aufn. Dietrich Hackenberg und Klaus Bärwinkel, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)
Thora-Nische und Gedenkplatte (Aufn. Klaus Bärwinkel, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf dem (neuen) jüdischen Friedhof im Hohenlimburger Ortsteil Elsey (Heidestraße) erinnert auch ein Gedenkstein an die jüdischen Opfer der NS-Herrschaft.
Blick auf den jüdischen Friedhof Hohenlimburg (Aufn. Klaus Bärwinkel, 2015/2018, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0/4.0)
Seit 2008 nimmt auch Hagen-Hohenlimburg an der "Aktion Stolpersteine“ teil; so sind z.B. vier Steine in Erinnerung an Angehörige der jüdischen Familie Stern in der Wesselbachstraße verlegt worden.
verlegt in der Stennertstraße und Wesselbachstraße (Aufn. Klaus Bärwinkel, 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
2023 wurde der Margot-Stern-Platz eingeweiht, der an das 15jährige Hohenlimburger jüdische Mädchen erinnert, das ehemals mit seiner Familie - nur ca. 300 Meter von der Synagoge entfernt - in der Wesselbachstraße gewohnt hatte und nach ihrer Deportation ermordet wurde.
[vgl. Hagen (Nordrhein-Westfalen)]
Weitere Informationen:
Hermann Esser, Die Limburger Juden, in: "Heimatblätter", 4. Jg., Heft 11/1930, S. 161 - 176
Stadtverwaltung Hohenlimburg (Hrg.), Gedenkschrift zu Ehren der ehemaligen jüdischen Mitbürger Hohenlimburgs, Hohenlimburg 1980
Adalbert Böning/Matthias Böning, Der jüdische Friedhof in Hohenlimburg. Dokumentation, Selbstverlag, Hagen 1986
Bürgeraktion Synagoge Hohenlimburg (Hrg.), Wenn eine Ruine zum Prüfstein wird. Ein Lehrstück gegen das Vergessen, Historie in der Blauen Eule, Band 5, Essen 1988
A. Böning/H.Zabel (Hrg.), Gedenkschrift zu Ehren der ehemaligen jüdischen Mitbürger Hohenlimburgs, Hagen 1988
Hermann Zabel, Zerstreut in alle Welt. Zur Geschichte und Nachgeschichte einer jüdischen Kleinstadtgemeinde, Hagen 1988
Kulturamt der Stadt Hagen (Hrg.), Zur Geschichte der Synagoge Hohenlimburg, (Faltblatt, Hagen o.J.)
Elmar Hartmann, Kirchen und Synagoge in Hohenlimburg, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Hagen 1990
Hermann Zabel (Hrg.), Hohenlimburg unterm Hakenkreuz. Beiträge zur Geschichte einer Kleinstadt im Dritten Reich, in: "Beiträge zur Förderung des christlich-jüdischen Dialogs", No. 17, Hagen 1998, S. 345 ff.
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 253 - 255
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen - Regierungsbezirk Arnsberg, J.P.Bachem Verlag, Köln 2005, S. 145 - 151
Wilhelm Bleicher (Red.), Vier Stolpersteine nahe dem ehemaligen Haus Stern Wesselbachstraße 4, in: „Hohenlimburger Heimatblätter für den Raum Hagen und Iserlohn“, Heft 9/2015S. 308 ff.
Ralf Blank/Stephanie Marra (Bearb.), Hagen-Hohenlimburg, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 373 - 383
Ricarda Wollweber (Red.), Fünf neue Stolpersteine liegen seit heute in Hohenlimburg, Wehringhausen, Haspe und der Innenstadt, in: radiohagen.de vom 29.8.2017
H.-W. Schroth/L. Risse (Red.), Schüler präsentieren Broschüre in Hohenlimburger Synagoge, in: “Westfalenpost” vom 8.2.2019
Schüler des Rahel-Varnhagen-Kolleg (Hrg.), Tatort Hohenlimburg: Das Pogrom 1938 und die Zerstörung der jüdischen Gemeinde (Broschüre), 2018/2019
Auflistung der in Hagen/Hohenlimburg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Hagen
Sheri Stern, Reuniting The Neshamas. A journey of Remembrance, Commemoration and Healing, Mazo Publishers 2021 (betr. Geschichte der Familie Stern aus Hohenlimburg)
Annalena Koch/Michael Kleinrensing (Red.), Hagen. Lost place: Keiner betritt mehr diesen mystischen Ort, in: „Westfalenpost“ vom 20.5.2022
Radio Hagen (Red.), „Nie wieder“: Einweihung des neuen Margot-Stern-Platz, in: „Radio Hagen“ vom 5.6.2023