Hovestadt (Nordrhein-Westfalen)
Hovestadt ist eine Ortschaft mit derzeit ca. 1.200 Einwohnern in der Kommune Lippetal im Kreis Soest - westlich von Lippstadt zwischen den Städten Soest und Beckum gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Soest', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde ihre maximale Mitgliederzahl; um 1860 betrug der jüdische Bevölkerungsanteil in Hovestadt immerhin ca. 15%.
Erste jüdische Familien siedelten sich nachweislich um 1730 in Hovestadt und Herzfeld an. Damals erlaubte die gräfliche Herrschaft von Plettenberg-Lenhausen knapp 30 Familien die Ansässigkeit, um die Wirtschaftskraft des Herrschaftsgebietes zu stärken. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts betrug die Zahl der jüdischen Gemeindeangehörigen knapp 100 Personen, nachdem in der ersten Jahrhunderthälfte ein verstärkter Zuzug jüdischer Familien erfolgt war. Um 1860 betrug der jüdische Bevölkerungsanteil immerhin fast 15%.
Fanden gottesdienstliche Zusammenkünfte zunächst in einem Privathaus statt, erhielt die Gemeinde in den 1760er Jahren vom Grafen von Plettenberg die Erlaubnis, eine Synagoge einzurichten; diese befand sich in einem an der Nordwalder Straße gelegenen Fachwerkgebäude. Als das Haus baufällig geworden war, errichteten die Hovestädter Juden 1856/1857 an der Brückenstraße - gegenüber dem Schloss - einen schlichten Backsteinneubau, der ca. 120 Männern Platz bot; für die Frauen war eine Empore vorhanden.
Synagoge in Hovestadt (hist. Aufn., Bildband von August Adrian, aus: felixbierhaus.de)
Seit den 1820er Jahren unterhielt die Hovestädter Judenschaft einen (staatlich geprüften) Lehrer; die Besetzung der Stelle war einem steten Wechsel unterworfen.
Der seit ca. 1830 genutzte Friedhof der Juden Hovestadts lag am Alten Postweg in der Ortschaft Schoneberg (zwischen Hovestadt und Eickelborn); das ca. 800 m² große Areal hatten die Grafen von Plettenberg der Gemeinde unentgeldlich zur Verfügung gestellt. In der Folgezeit wurde das Begräbnisgelände noch erweitert. Ein älteres Begräbnisgelände – im Kataster von 1828 als „Juden-Ecke“ bezeichnet - befand sich ganz in der Nähe im Krähenbrink.
Jüdischer Friedhof (hist. Aufn., aus: bunker-nrw.de)
Die Synagogengemeinde Hovestadt setzte sich - laut Statut von 1856* - aus den jüdischen Bewohnern der Bürgermeisterei Oestinghausen und von den kleineren Dörfern Dinker (heute Welver), Eilmsen, Herzfeld, Ostinghausen, Vellinghausen und Weslarn (heute Bad Sassendorf) zusammen.
* Statut der Synagogengemeinde Hovestadt und Untergemeinde Oestinghausen (Abschrift) siehe: felixbierhaus.de
Juden in Hovestadt:
--- 1831 ........................... 12 jüdische Familien,
--- 1843 ........................... 103 Juden,
--- 1855 ........................... 95 “ ,
--- um 1860 .................... ca. 160 “ ,* * gesamte Synagogengemeinde
--- 1871 ........................... 29 “ ,
--- 1895 ........................... 20 " ,
--- um 1925 ........................ 7 “ (in 2 Familien),
--- 1932/33 ........................ 5 “ .
Angaben aus: Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen - Reg.bez. Arnsberg, S. 548
und Joachim Rüffer (Bearb.), Lippetal-Hovestadt, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, S. 512
Bahnhofstraße - hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Anfang der 1870er Jahre löste sich die Kultusgemeinde wegen des Wegzugs vieler ihrer Angehörigen offiziell auf. Das seit der Jahrhundertwende nicht mehr genutzte Synagogengebäude wurde verkauft und schließlich 1934 abgerissen; auch das benachbarte jüdische Gemeindehaus wurde veräußert. Die wenigen in Hovestadt verbliebenen Juden richteten nun einen Betraum in einem Privathause ein. Als "Untergemeinde" gehörten die Hovestädter Juden fortan dem Synagogenbezirk Soest an.
Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Hovestadt nur noch zwei jüdische Familien; fünf Jahre später war es nur noch eine einzige.
Am 10.November 1938 richteten SA-Angehörige schwere Zerstörungen am Wohnhaus dieser Familie an. In einem offiziellen Bericht des Amtsbürgermeisters hieß es dazu:
„ In der Nacht vom 10.11. zum 11.11.1938 haben bisher noch unbekannte Täter an dem einzigen Haus in Hovestadt, in dem noch Juden wohnten, die Fenster eingeschlagen, die Schornsteine umgebrochen und die Inneneinrichtung völlig zerschlagen. Der Grund hierfür wird die Erregung der Bevölkerung über die Mordtat des Juden Grynszpan an dem deutschen Botschaftsrat vom Rath sein, zumal der in dem Hause wohnende Jude Cohn wiederholt und dauernd der Anstoß der Erregung und des Ärgernisses der Bevölkerung war. ... Zur Verhütung von Feuer und zur Sicherstellung einer weiteren Plünderung sind am 11.11.1938 Posten von der SA und der Feuerwehr aufgestellt worden. Die Fenster- und Türöffnungen sind dieserhalb mit Brettern zugenagelt worden.”
Die jüdischen Bewohner des teilzerstörten Hauses mussten nach Soest umziehen; dort wurden sie vermutlich im Juli 1942 – zusammen mit den Soester Juden - deportiert.
Mehrere „Stolpersteine“ erinnern in Hovestadt seit 2019 an Angehörige jüdischer Familien, die Opfer der NS-Gewaltherschaft geworden sind.
drei von sieben Steinen (Aufn. aus: wikipedia.org, CCO)
Auf dem alten jüdischen Friedhof in Hovestadt informiert eine an einem Felsblock angebrachte Gedenktafel: „Dies ist die letzte Ruhestätte der jüdischen Bürger dieser Gemeinde, die bis 1830 gestorben sind. Die ewige Ruhe und die Würde der Toten sind wichtige Gebote im Judentum. Wir bitten höflichst, dies zu respektieren.“
jüdischer Friedhof in Hovestadt (Aufn. Ath, 2022, aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Auf dem Gebiet der heutigen Kommune Lippetal existieren insgesamt vier jüdische Friedhöfe: in der Ortschaft Schoneberg am Alten Postweg, der ältere Judenfriedhof „Krähenbrink” und zwei kleine Begräbnisstätten in Oestinghausen.
Jüdischer Friedhof in Schoneberg (Aufn. Ath, 2022, aus: wikipedia.org, CCO)
In zwei anderen Ortsteilen Lippetals, in Oestinghausen und Herzfeld, gab es im 19.Jahrhundert kleine jüdische Gemeinschaften.
In Oestinghausen lebte im 19.Jahrhundert eine aus nur wenigen Familien bestehende jüdische Gemeinschaft, die seit 1856 eine Untergemeinde innerhalb der Synagogengemeinschaft von Hovestadt bildete; nach deren Auflösung wurde Oestinghausen bzw. Hovestadt dem Synagogenbezirk Soest zugewiesen.
Ein ca. 1805 errichtetes kleines Synagogengebäude an der heutigen Kayserstraße war nur unter großen finanziellen Belastungen realisiert worden. Auch ein Friedhofsgelände (Weimeskamp/Berensberg) stand seit ca. 1830 den hiesigen Juden zur Verfügung (es war im Privatbesitz der Fam. Neukircher).
Juden in Oestinghausen:
--- 1806 ........................ 11 jüdische Familien,
--- 1831 ........................ 6 jüdische Familien,
--- 1843 ........................ 47 Juden,
--- 1858 ........................ 26 “ ,
--- 1871 ........................ 16 “ ,
--- 1895 ........................ 3 “ ,
--- 1925 ........................ 4 “ .
Angaben aus: Joachim Rüffer (Bearb.), Lippetal-Oestinghausen, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, S. 517
In den 1930er Jahren lebte nur noch eine jüdische Familie in Oestinghausen (Fam. Neukircher), die hier ein Textilgeschäft betrieb. Zwei Familienmitglieder wurden im November 1938 verhaftet und zeitweise ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Im Sommer 1942 erfolgte die Deportation der Familie nach Theresienstadt; von dort kamen sie nach Treblinka und wurden hier ermordet.
Das Synagogengebäude wurde bereits vor der NS-Zeit verkauft und abgerissen.
Auf dem ca. 500 m² großen jüdischen Friedhofsgelände sind heute noch sechs Grabsteine und eine -stele erhalten.
Initiiert vom Heimatverein Oestinghausen wurde 2019 mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“, die Opfern der NS-Gewaltherrschaft gewidmet sind, begonnen.
Ostinghausen – zum Amt Oestinghausen zählend – war seit ca. 1855 Teil einer Untergemeinde des Synagogenbezirks Hovestadt (wurde 1871 aufgelöst und als Untergemeinde Soest angegliedert). Seit dem letzten Viertel des 18.Jahrhunderts sind in Ostinghausen einzelne jüdische Familien ansässig geworden, die von Handelsgeschäften lebten. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts lebten im Dorf ca. 25 Bewohner mosaischen Glaubens. In einem Privathaus war eine Betstube eingerichtet; zu hohen Feiertagen suchte man die Synagoge in Hovestadt auf. Ein eigener Friedhof war auf Ländereien der Freiherren von Ledebur angelegt worden; die letzte Beerdigung soll hier 1872 erfolgt sein.
Um die Jahrhundertwende lebten dann keine jüdischen Bewohner mehr in Ostinghausen.
Weitere Informationen:
Gerd Oeding/u.a., Lippetal. Damals 1933 - 1948, Lippetal 2000, S. 229 - 242
Archive Felix Bierhaus (Hovestadt) und Gerd Oeding (Oestinghausen)
Felix Bierhaus (Red.), Orte der Stille und der Erinnerung, in: „Die Glocke“ vom 7.8.2003
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen - Regierungsbezirk Arnsberg, J.P.Bachem Verlag, Köln 2005, S. 548 - 554
Julian Hamann/Daniel Schröer, Friedhöfe der Synagogengemeinde Hovestadt, hrg. von F.Bierhaus/M.Hunecke, Georgsmarienhütte 2007
Juden in der Synagogengemeinde Hovestadt, online abrufbar unter: felixbierhaus.de
Elisabeth Frische, Zwischen Duldung uind Pogrom. Ein Beitrag zur Geschichte der jüdischen Einwohner in den ehemals selbstständigen Dörfern der heutigen Gemeinde Lippetal, in: Schriftenreihe des Brücke e.V., 2013, S. 17 ff.
Joachim Rüffer (Bearb.), Bad Sassendorf-Ostinghausen, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 189 – 193
Joachim Rüffer (Bearb.), Lippetal-Hovestadt, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 510 – 515
Joachim Rüffer (Bearb.), Lippetal-Herzfeld, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 507 – 509
Joachim Rüffer (Bearb.), Lippetal-Oestinghausen, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 515 - 519
Andreas Rother (Red.), Heimatverein will mit „Stolpersteinen“ an Lippetaler NS-Opfer erinnern, in: „Soester Anzeiger“ vom 18.3.2019
Michael Dülberg (Red.), Zeichen jüdischer Vergangenheit, in: „Soester Anzeiger“ vom 7.8.2019
Michael Dülberg (Red.), Künstler verlegt Stolpersteine, in: "Soester Anzeiger" vom 12.11.2019
gl (Red.), Demnig verlegt Stolpersteine persönlich, in: „Die Glocke“, Nov. 2019
Auflistung der in Lippetal verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Lippetal
N.N. (Red.), Lippetal: Friedhöfe Zeichen jüdischer Vergangenheit, in: „Die Glocke“ vom 20.7.2022