Hüttenbach (Mittelfranken/Bayern)

Datei:Simmelsdorf in LAU.svg Hüttenbach mit derzeit ca. 1.000 Einwohnern ist heute einer von 24 Ortsteilen der Kommune Simmelsdorf im Landkreis Nürnberger Land - knapp 30 Kilometer nordöstlich von Nürnberg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Nürnberger Land', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Zu Beginn des 19.Jahrhunderts machte der jüdische Bevölkerungsteil im Dorf nahezu 50% (!) aus.

Im Dorfe Hüttenbach sollen bereits gegen Mitte des 14.Jahrhunderts jüdische Familien gelebt haben; doch urkundlich nachweisbar ist deren Ansässigkeit aber erst in der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts; sie standen unter der Schutzherrschaft der Herren der Veste Rothenberg bei Schnaittach. Die Juden von Hüttenbach gehörten damals der jüdischen Gemeinde Schnaittach an. Als die Grundherrschaft auf die Herren Lochner von Hüttenbach überging, durften sich weitere Juden im Dorfe ansiedeln; der bayrische Kurfürst hatte zuvor noch deren Zwangsausweisung angeordnet. Für die Freiherren von Lochner bildeten die Abgaben der jüdischen Dorfbewohner eine dauerhafte Einnahmequelle; zeitweilig soll mehr als die Hälfte der Lochner Untertanen in Hüttenbach mosaischen Glaubens gewesen sein. „Hüttenbach ist mit landgerichtlichen Unterthanen und Hintersassen vermengt, wozu leztere nebst einem herrschaftlichen Schlosse dem Freyherrn von Lochner zugehören. ... Die Hintersassen sind ein Wirth, ein Fleischhacker, und die übrigen meistens Juden. ... Seine Einwohner nähren sich blos vom Feldbau, und nur einzelne von Professionen, die Juden vom Handel und allerley Geschäften.“ (Aufzeichnungen Joseph v. Destouches, 1809)

Um 1820/1830 erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner Hüttenbachs mit etwa 380 Personen (n ca. 70 Familien) ihren Höchststand. 1844 weihte die jüdische Gemeinde mit einem großen Dorffest ihr neues Synagogengebäude ein, das einen älteren, vermutlich aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stammenden, inzwischen baufällig gewordenen Fachwerkbau (in der Burkhardgasse) ersetzte. „ [ ... ] Erst mit dem Bau der neuen Synagoge 1844 erhalten wir Hinweise auf das Aussehen der älteren; daß sie auf dem nämlichen Platz blieb, daß sie weder kleiner noch größer war. Der Neubau war notwendig geworden, weil die alte Synagoge nicht mehr genügend Raum bot, der nun durch eine Galerie geschaffen werden sollte. Da die bisherigen Fachwerkwände aber diese neu zu errichtende Galerie nicht tragen konnten, wurden die Wände massiv aus Steinen aufgezogen. Den alten Dachstuhl konnte man wieder verwenden, da er noch gut erhalten war. [ ... ]“  (aus: Lorenz Baumann in der Pegnitz-Zeitung, 25. Nov. 1995)

Der Zugang zum Gotteshaus war zweigeteilt: Im unteren Bereich befand sich der Eingang zum Betraum, darüber gelangte man über eine Treppe zur Frauenempore. In einem Anbau war eine Mikwe untergebracht.

                       Synagoge in Hüttenbach (hist. Aufn., um 1930, aus: juden-im-nuernbergerland)

Die Gemeinde, die Teil des Rabbinatsverbandes „OSchPaH“ war, hatte stets einen eigenen Vorsänger („Reber“).  * Anm.: OSchPaH = Ottensoos, Schnaittach, Pahres, Hüttenbach

 Mit diesem Stempel wurden Lebensmittel markiert, die den rituellen Vorschriften („koscher“) entsprachen.

Religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde führte ein seitens der Gemeinde angestellter Lehrer aus; zeitweise teilten sich zwei Personen diese Aufgaben.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2089/Huettenbach%20Israelit%2017051876.jpg 

Stellenangebote der Kultusgemeinde von 1876 - 1878 - 1892 (alle Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit")

Aus dem 19. Jahrhundert blieb in besonderer Erinnerung der Lehrer Seligmann Bär Lamm, der von Ende der 1820er Jahre mehr als ein halbes Jahrhundert in Hüttenbach wirkte. Anlässlich seines 50.Dienstjubiläums erschien in der Zeitschrift „Der Israelit“ (26.3.1879) ein Artikel mit einer Würdigung seiner Verdienste, in dem es u.a. hieß: „ ... Dem Lehrer an der israel. Elementarschule dahier, Herrn Seligmann Bär Lamm, ist von Sr. Maj. dem Könige die Ehrenmünze des Ludwigsordens für zurückgelegte 50 Dienstjahre verliehen worden. Herr Lamm ist der erste isr. Volksschullehrer in Bayern, der ein 50-jähr. Dienstjubiläum beging, und somit auch der erste israel. Lehrer, dem jene höchste Auszeichnung zu Theil geworden. Herr Lamm wurde am 20. Oct. 1828 von der Regierung als wirklicher Lehrer bestätigt ... Seit diesen Jahren nun wirkt derselbe ununterbrochen in unserer Mitte in segensreicher Weise. Seine Schule zählt zu den besten Volksschule im Lande, wovon zahlreiche Belobungen, Anerkennungen und außerordentliche Unterstützungen, mit welchen er Seitens der vorgesetzten Schulbehörden, resp. der Regierung, im Laufe der Jahre ausgezeichnet wurde, hinlänglich Zeugniß geben.  Ebenso genießt dieser pflichttreue und pflichteifrige Jugendlehrer das Vertrauen, die Liebe und Verehrung seiner Gemeinde, mit welcher er seit mehr als einem halben Jahrhundert im schönsten Einklange lebt, in hohem Maße; und diese seine hervorragende Friedensliebe, sein gottesfürchtiges Leben, seine Bescheidenheit und Gelehrsamkeit.  Herr Lamm ist besonders ein tüchtiger und fleißiger Talmudgelehrter - gewannen ihm auch die Hochachtung und Zuneigung Aller, die ihn kennen.

Auf Grund von Hygiene-Vorschriften musste 1829 die gemeindliche Mikwe geschlossen werden; an deren Stelle wurde damals ein neues Warmwasser-Badehaus erstellt.

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden im nahen Schnaittach beerdigt. Laut einer vertraglichen Vereinbarung musste später die Kultusgemeinde Hüttenbach ein sog. „Jahrgeld“ und bei jeder Beerdigung einen festgelegten Betrag an die Schnaittacher Gemeinde zahlen.

Die Kultusgemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Schnaittach; nach dessen Auflösung zum Rabbinatsbezirk Schwabach, in den letzten Jahren ihres Bestehens zum Rabbinatsbezirk Ansbach.

Juden in Hüttenbach:

         --- 1615 ........................   8 jüdische Familien,

--- 1698 ........................  32 jüdische Haushalte,

    --- 1725 .................... ca. 210 Juden (in ca. 40 Fam.),

    --- 1799 ........................ 286   “  ,

    --- 1813 ........................ 349   “   (in 30 Haushalten),

    --- 1818 ........................  26 jüdische Familien*           * Matrikelbegrenzung

    --- um 1830 ................. ca. 380 Juden (in ca. 70 Familien),

    --- 1844 .................... ca.  65 jüdische Familien,

    --- 1867 ........................ 208 Juden (ca. 23% d. Dorfbev.),

    --- 1871 ........................ 164   "   (ca. 19% d. Dorfbev.)

    --- 1880 ........................ 134   “   (ca. 15% d. Dorfbev.),

    --- 1893 ........................ 112   “  ,

    --- 1900 ........................  89   "   (ca. 14% d. Dorfbev.)  

    --- 1910 .................... ca.  60   “   (ca. 9% d. Dorfbev.),

    --- 1925/28 .....................  41   “  ,

    --- 1933 ........................  49   “  ,

    --- 1938 ........................  20   “  ,

             (Dez.) .................  keine.

Angaben aus: Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz, Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz Vereins, Bd. 11

und                 Hüttenbach, in: alemannia-judaica.de

 

Besonders in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts gewannen die größeren Städte wegen ihrer zunehmenden Industrialisierung an Anziehungskraft. Dazu setzte sich eine liberalere Judengesetzgebung durch, weswegen extrem viele Gemeindemitglieder aus Hüttenbach abwanderten; innerhalb weniger Jahrzehnte hatte der größte Teil der Gemeindeangehörigen seinem Heimatdorf den Rücken gekehrt; neben Abwanderung in die größeren Städten emigrierten auch viele in die USA.

Im Zusammenleben zwischen Christen und Juden soll es in Hüttenbach bis in die 1930er Jahre hinein keine nennenswerten Probleme gegeben haben; dörfliche Feste wurden gemeinsam gefeiert, und Nachbarschaftshilfe war allgemein üblich. Der später als Bürgermeister eingesetzte überzeugte Nationalsozialist Franz Rost soll bereits vor 1933 in Hüttenbach antijüdische Agitation betrieben haben, die aber bei der Bevölkerung zunächst kaum auf Resonanz gestoßen sein soll. Ab 1935 wurden Juden Hüttenbachs dann zunehmend aus der dörflichen Gemeinschaft ausgegrenzt; verantwortlich für die Einschüchterung waren auch auswärtige SA-Angehörige, die vor jüdischen Anwesen/Geschäften aufzogen und antisemitische Parolen zeigten. Am Ortseingang wurden zudem Transparente mit der Aufschrift „Juden und Hunden ist der Zutritt verboten” aufgehängt. In der Nacht zum 10.November 1938 drang ein Trupp auswärtiger SA-Männer in die Synagoge ein, warf Thorarollen und andere Ritualgegenstände auf einen Haufen und zündete diesen an; die Synagoge brannte daraufhin größtenteils nieder; Löschversuche der Feuerwehr waren vergeblich bzw. wurden unterbunden.

in Brand gesetztes Synagogengebäude (Aufn. H. Gumann, aus: Th. Schlick, in: juden-im-nuernbergerland)

Etwa eine Woche später wurden die Häuser der noch im Dorfe lebenden jüdischen Bewohner beschlagnahmt; am 28.November 1938 verließen die letzten Juden ihr Heimatdorf. Tags darauf wurde die Tatsache, dass Hüttenbach nunmehr „judenfrei” war, öffentlich gefeiert

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 30 gebürtige bzw. längere Zeit in Hüttenbach ansässig gewesene Juden Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/huettenbach_synagoge.htm).

Drei Jahre nach Kriegsende fand vor dem Landgericht Nürnberg/Fürth ein Prozess gegen 17 Männer statt, die am Novemberpogrom in Hüttenbach aktiv beteiligt waren; einige wurden zu kurzen Haftstrafen verurteilt, die meisten freigesprochen.

 

Seit 1995 erinnert am einstigen Standort der Synagoge, dem heutigen Synagogenplatz, eine Bronzetafel an die jüdische Gemeinde von Hüttenbach. Ihre Inschrift lautet:

Zum Gedenken unserer jüdischen Bürger und aller Opfer von Verbrechen und Gewalt.

Standort der Synagoge der israelitischen Kultusgemeinde Huettenbach

urkundlich erwähnt 1609 – erneuert 1844 – am 9.Nov. 1938 durch Nationalsozialisten zerstört.

Damit wurde nach fast 500 Jahren das friedliche Zusammenleben von Juden und Christen jaeh beendet.

Ehre ihrem Andenken   Huettenbach, 1995

Auf dem neuen jüdischen Friedhof in Schnaittach steht seit 1952 ein Gedenkstein, der den verstorbenen Juden aus der Region gewidmet ist; seine Inschrift lautet:

Errichtet 1952

Zum Gedächtnis jener Toten, deren Grabmale während des 3.Reiches zerstört wurden

 

Mitte der 1980er Jahre wurden auf dem Dachboden eines Gasthauses der Thoraschrein der Hüttenbacher Synagoge aufgefunden; dieser befindet sich heute als Exponat im Jüdischen Museum Franken in Schnaittach. 1988 entdeckte man in einem Privathaus die Relikte einer alten Mikwe.

Beginnend 2017 wurden inzwischen zahlreiche sog. „Stolpersteine“ verlegt, die ehemaligen jüdischen Bewohnern gewidmet sind, die der NS-Herrschaft zum Opfer gefallen sind.

Stolperstein für Mathilde Hirschmann (Simmelsdorf).jpgStolperstein für Clara Hirschmann (Simmelsdorf).jpg Stolperstein für Babette Sundheimer (Simmelsdorf).jpg Stolperstein für Klara Isner (Simmelsdorf).jpgStolperstein für Benno Isner (Simmelsdorf).jpgStolperstein für Justin Isner (Simmelsdorf).jpg

verlegt in der Fichtenbergstraße und Haunachstraße (alle Aufn. Chr. Michelides, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Stolperstein für Moritz Moses Lamm (Simmelsdorf).jpgStolperstein für Karoline Lamm (Simmelsdorf).jpgStolperstein für Mathilde Lamm (Simmelsdorf).jpg Stolperstein für Pauline Paula Wassermann (Simmelsdorf).jpgStolperstein für Nelly Nannette Wassermann (Simmelsdorf).jpg in der Bürgermeister-Roth-Str.

 

Bereits seit 1975 trägt eine Straße den Namen von Hugo Burkhard, der 1899 in Hüttenbach geboren wurde, sieben Jahre in den KZs Dachau und Buchenwald inhaftiert war und 1940 nach Shanghai auswandern konnte. Nach Kriegsende siedelte er in die USA über, kehrte 1960 nach Deutschland zurück. Nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben war Hugo Burkhard schriftstellerisch tätig; so veröffentlichte er u.a. in „Der Bimberle Bamberle Bomberle“seine Erinnerungen an die jüdiscge Gemeinde Hüttenbach. Er starb 1971 in Nürnberg.

 

[vgl. Schnaittach und Ottensoos (Bayern)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Magnus Weinberg, Geschichte der Juden in der Oberpfalz III: Der Bezirk Rothenberg (Schnaittach, Ottensoos, Hüttenbach, Forth), Sulzbürg 1909

Hugo Burkhard, Tanz mal Jude. Von Dachau bis Shanghai. Meine Erlebnisse in den Konzentrationslagern Dachau – Buchenwald – Getto Shanghai 1933 – 1948, 2.Aufl., Nürnberg 1967

Hugo Burkhard, Der Bimberle-Bamberle-Bomberle - Erinnerungen an eine Kehille, Nürnberg 1969

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 193/194

V.Alberti/H.Gebhard/P.Gumann, Hüttenbach - Geschichte eines Dorfes 1140 - 1990, Lauf 1989

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 171

Christian u. Maria Guthmann, Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Hüttenbach, in: Historischer Verein für Mittelfranken (Hrg.), "96.Jahrbuch des Historischen Vereins", 1992/1993, S. 143 - 196

Arbeitskreis Heimatkunde im Fränkische-Schweiz-Verein (Hrg.), Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz, Erlangen 1997, S. 632 ff.

Aus dem religiösen Leben der jüdischen Gemeinde Hüttenbach, in: Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz, "Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz-Vereins", Band 11, Palm & Enke, Erlangen 1997, S. 784 f.

Walter Tausendpfund, Das Leben in einer alten Kehille - Zur Erinnerung an Hugo Burkhard (7.6.1899 - 7.12.1972), in: Jüdische Landgemeinden in Franken II, Schriften des Fränkischen Schweiz-Museum Band 5/1998, S. 115 ff.

Andreas Angerstorfer, Der Brief eines jüdischen Hopfenhändlers aus Hüttenbach an seinen Geschäftspartner in Floß, in: "Jüdische Landgemeinden in Franken - Beiträge zu Kultur und Geschichte einer Minderheit", Hrg. Zweckverband Fränkische-Schweiz-Museum Tüchersfeld, Band 5/1998, S. 11 - 18

Horst M. Auer, Ausbruch des Hasses, aus: "Nürnberger Nachrichten" vom 7./8.11.1998

B. Eberhardt/H.-Chr. Haas (Bearb.), Hüttenbach, in: Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band II: Mittelfranken, Kunst Verlag Josef Fink, Lindenberg 2010, S. 383 - 403

Hüttenbach, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)

Thomas Schlick (Bearb.), Hüttenbach, online abrufbar unter: juden-im-nuernbergerland

Heike Herold, Namentliche Auflistung der jüdischen NS-Opfer der Gemeinde Hüttenbach, online abrufbar unter: denkmalprojekt.org/2018/huettenbach-juden_gde-simmelsdorf_lk-nuernberger-land_wk2.html

Auflistung der verlegten Stolpersteine in Simmelsdorf (Hüttenbach), online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Simmelsdorf