Ibbenbüren (Nordrhein-Westfalen)
Ibbenbüren ist eine Stadt mit derzeit etwa 51.000 Einwohnern und damit größte Kommune in der westfälischen Region Tecklenburger Land im Kreis Steinfurt - zwischen Rheine und Osnabrück gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Steinfurt', TUBS 2013 bzw. 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die ersten beiden jüdischen Familienväter siedelten sich Ende des 17./Anfang des 18.Jahrhunderts im Kirchspiel Ibbenbüren an, nachdem sie ein Geleitpatent erhalten hatten; danach hatten sie die Erlaubnis erhalten, „datt hij te Ibbenbüren moge sijn woon plaetze neemen“. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kam noch eine dritte Familie hinzu. 1816 belief sich die Zahl der Juden in Ibbenbüren auf insgesamt 44 Personen.
Ortsansicht von Ibbenbüren - Zeichnung von August Dorfmüller von 1844 (Stadtmuseum Ibbenbüren)
Eine Synagogengemeinde konstituierte sich offiziell hier aber erst im Jahre 1863; ihr angeschlossen war Hopsten. Im 18. und 19.Jahrhundert dienten zunächst private Räumlichkeiten in Häusern von Gemeindeangehörigen als Betraum. Über die damals durchgeführten Gottesdienste äußerte sich der Vorsteher Levi Nathan wie folgt: Der Gottesdienst ist "in sehr schlechtem Zustande und würde ohne alle Regelmäßigkeit getrieben, denn ein gewisser hiesiger ansässiger Israelit namens Isaak Salomon, in dessen Privathaus ihre Synagoge etabliert sei, maße sich dieserhalb an, ihren Kaiser[er], Vorsänger und Prediger vorzustellen, obgleich er diesem Amte gar nicht gewachsen sei,ja, es gehe mit ihm sogar soweit, daß er sich erlaube, die größten Verstöße gegen ihren Gottesdienst zu begehen."
Für ihre Gottesdienste mietete die kleine jüdische Gemeinschaft ein an der Hauptstraße (heute Münsterstraße) gelegenes, eingeschossiges Fachwerkgebäude an; das Haus wurde 1871 angekauft und diente bis 1906 als Synagoge, ehe es für baufällig erklärt wurde.
Alte Synagoge, Gebäude rechts im Bild (hist. Aufn., Stadtmuseum)
Wenige Jahre später ließ die Gemeinde einen Neubau in der damaligen Ringstraße (danach Schul-, heute Synagogenstraße) errichten, der Ende August 1913 feierlich eingeweiht wurde. Seine Fassade war mit vielen Ornamenten ausgeschmückt; über dem Eingang fand sich auf Hebräisch die Inschrift: „Öffnet Euch, Ihr Tore, damit einziehen kann ein Volk der Gerechtigkeit.“ Der Bau bot 64 Männern Platz, auf der Empore konnten ca. 30 Frauen sitzen.
Über die Einweihungsfeierlichkeiten berichtete die „Ibbenbürener Volkszeitung” am 2.Sept. 1913:
„ Am vergangenen Sonntag fand hierselbst die Einweihung der von der hiesigen israelitischen Gemeinde an der Ringstraße neu errichteten Synagoge statt. Die Feier wurde um 12 Uhr durch einen Festgottesdienst, bei dem der Osnabrücker jüdische Chor mehrere herrliche Gesangsvorträge zu Gehör brachte, eingeleitet. In großer Zahl waren die israelitischen Glaubensgenossen von nah und fern erschienen, auch hatte sich eine Anzahl Andersgläubiger bei der Feier eingefunden. Die Festpredigt hielt Rabbiner Dr. Cohn aus Essen, der auch den Weiheakt vollzog. Nach Beendigung des Gottesdienstes begann im Saale der ‘Werthmühle’ ein Festmahl von 150 Gedecken. Den Reigen der Tischreden eröffnete Herr Rechtsanwalt und Notar Löwenstein mit der Begrüßung der erschienenen Gäste. ... Herr Pfarrverwalter Grove wies in seiner Ansprache vor allem auf das gute Einvernehmen zwischen den hiesigen Religionsgemeinschaften hin. An das Festessen schloß sich ein Konzert ... an. “
Gegen den Bau der Synagoge im Stadtzentrum hatte der Amtmann von Ibbenbüren in einem Schreiben an den Landrat (vom Febr. 1912) noch Bedenken angemeldet und sich u.a. wie folgt geäußert:
„ ... Die Platzfrage anlangend, erlaube ich mir auszuführen, daß die Lage des Grundstücks wenig geeignet erscheint, um zu einem Synagogenbau Verwendung zu finden. Gegenüber dem Grundstück ... befindet sich das evangelische Gemeindehaus ... In geringer Entfernung befinden sich neun Klassen der katholischen Stadtschule ... sowie eine Rektoratsschule. ... Während der Pausen bewegen sich große Massen Kinder auf der Straße und in der Nähe derselben. Da hierdurch ein geräuschvolles Leben entsteht, so liegt es auf der Hand, daß ohne Störung der Gottesdienst in der Synagoge ... nicht ausgeführt werden kann. es erscheint auch nicht ausgeschlossen, daß es zu anderweitigen Belästigungen kommt ...”
Synagoge in Ibbenbüren (hist. Aufn., Stadtarchiv Ibbenbüren)
Einen Rabbiner besaß die kleine Gemeinde aus Kostengründen nicht. Von 1838 bis 1876 verfügte die Gemeinde über eine Elementarschule am Ort, die aber nur wenige Jahre als öffentliche Schule geführt wurde, danach besuchten die jüdischen Kinder wieder die christlichen Bildungseinrichtungen.
Die jüdische Begräbnisstätte nördlich des Stadtkerns - vermutlich in den 1820er Jahren angelegt (anderen Angaben zufolge vermutlich bereits ein Jahrhundert eher) - ist heute Teil des städtischen Zentralfriedhofs; zuvor waren Verstorbene vermutlich auf dem israelitischen Friedhof in Lengerich begraben worden, der als zentrale Begräbnisstätte für die Juden der Grafschaft Tecklenburg diente.
Nachdem sich die Gemeinde 1910 dem Rabbinat des „orthdoxen Vereins zur Wahrung der religiösen Interessen des Judentums in der Provinz Westfalen“ angeschlossen hatte, gehörte sie zu Beginn der 1930er Jahre zum Rabbinat des Münsteraner Rabbiners Dr. Fritz Steinthal an.
Juden in Ibbenbüren:
--- um 1700 ....................... 2 jüdische Familien,
--- 1816 .......................... 44 Juden,
--- 1843 .......................... 106 “ ,
--- 1871 .......................... 84 “ ,* * Amt Ibbenbüren
--- 1895 .......................... 65 “ ,
--- 1913 .......................... 69 “ ,
--- 1925 .......................... 46 " ,
--- um 1930 ................... ca. 25 “ ,
--- 1933 .......................... 51 “ ,
--- 1938 .......................... 17 “ ,
--- 1939 (Sept.) .................. 3 “ .
Angaben aus: 850 Jahre Ibbenbüren - Portrait einer Stadt in Text und Bild
und Rita Schlautmann-Overmeyer/Marlene Klatt (Bearb.), Ibbenbüren, in: Historisches Handbuch ..., S. 422
Die Juden Ibbenbürens lebten überwiegend in bescheidenen Verhältnissen; neben Vieh- und Pferdehändlern arbeiteten sie vorwiegend als Metzger und Manufakturwarenhändler.
Nach der NS-Machtübernahme hatten die jüdischen Bewohner unter den Anfeindungen Ibbenbürener Nationalsozialisten zu leiden; so wurde z.B. im August 1935 vor der Haustür des jüdischen Viehhändlers Rosenthal ein Schild mit der folgenden Aufschrift angebracht: „Hier wohnt ein Viehjude. Kein Deutscher handelt mit ihm. Nur Lumpen.”
Am Morgen des 10.November 1938 ging das Synagogengebäude an der Schulstraße in Flammen auf; in der Nacht war bereits die Inneneinrichtung verwüstet worden. Die Feuerwehr ließ das Gebäude ausbrennen und beschränkte sich auf den Schutz der umliegenden Häuser. SA-Angehörige hatten zuvor die jüdischen Männer misshandelt. Im Jahre 1939 ging das Synagogengrundstück in das Eigentum der Stadt Ibbenbüren über, die die Ruine im Sommer 1940 niederlegen ließ. Nach dem Pogrom verließen die meisten der hier noch lebenden Juden den Ort; Stadtverwaltung, Firmen und Privatleute nutzten die Gelegenheit, um günstig Grundeigentum zu erwerben.
1983 wurde in der Nähe des ehemaligen Synagogengrundstücks eine Gedenktafel angebracht, 1995 eine Gedenkstele aufgerichtet.
Aufn. Gudrun Meyer, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
Die auf der Stele angebrachte Inschrift endet mit einem Vers der jüdischen Schriftstellerin Nelly Sachs:
Zum Gedenken und zur Mahnung.
An diesem Ort stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde Ibbenbüren.
Sie wurde am 10.November 1938 in Brand gesteckt.
Wir Geretteten bitten Euch:
Zeigt uns langsam Eure Sonne, lasst uns das Leben leise wieder lernen.
Zwei Jahre später wurde ein Teil der Schulstraße in „Synagogenstraße“ umbenannt.
Seit 2016 erinnert man auch in Ibbenbüren mit sog. "Stolpersteinen" an ehemalige jüdische Bewohner, die während der NS-Zeit verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden. Zu den bislang 23 verlegten Steinen kamen 2017 bzw. 2024 weitere 18 bzw. fünf Steine hinzu, so dass derzeit an mehr als 15 Standorten insgesamt ca. 65 messingfarbene Gedenkquader aufzufinden sind (Stand 2024).
verlegt für Angehörige der Familie Goldschmidt, am Unteren Markt (Aufn. R., 2019, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 4.0)
und für Fam. Löwenstein, Große Straße
Der mit einer Mauer umgebene jüdische Friedhof mit seinen ca. 70 Grabstellen befindet sich in einem sehr gepflegten Zustand; der älteste vorhandene Grabstein stammt aus dem Jahre 1862.
Jüdischer Friedhof in Ibbenbüren (beide Aufn. J.-H. Janßen, 2012, aus: wikipedia.org, CCO)
Weitere Informationen:
Ferdinand Schulte, Jüdische Familien in Ibbenbüren, in: "Ibbenbürener Volkszeitung" vom 3.6.1971
Gertrud Althoff, Über die ältesten Juden in Ibbenbüren, in: "Heimatzeitung des Tecklenburger Landes", No.7/24.10.1984, Beilage zur "Ibbenbürener Volkszeitung", S. 106 - 111
W.Feld/Th.Starosta, Bau u. Zerstörung der Synagogen im Kreis Steinfurt, in: "Unser Kreis 1989. Jahrbuch für den Kreis Steinfurt", S. 240 ff.
Gertrud Althoff, Zwei jüdische Kaufleute im 18.Jahrhundert, in: 850 Jahre Ibbenbüren - Portrait einer Stadt in Text und Bild, Hrg. Historischer Verein Ibbenbüren 1996, S. 267 - 296
Stefan Buchholz, Ibbenbüren 1933 - 1939. Aspekte nationalsozialistischer Herrschaft in einer Kleinstadt, in: 850 Jahre Ibbenbüren - Portrait einer Stadt in Text und Bild, Hrg. Historischer Verein Ibbenbüren 1996, S. 422 ff.
Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 237
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 268/269
Franz Jarminowski, Die Synagoge in Ibbenbüren - Erinnerung an den Novemberpogrom 1938, in: www.bnet-ibb.de/spuren/
André Hagel, 50 Jahre Reichspogromnacht in Ibbenbüren, in: "Cocktail. Das Magazin für Ibbenbüren und Umland", No.5/Nov. 1988, S. 4 - 6
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 358 - 366
Willi Feld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte, Zerstörung, Gedenken, Hrg. Kreis Steinfurt, 2004, S. 21 – 25
Rita Schlautmann-Overmeyer/Marlene Klatt (Bearb.), Ibbenbüren, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 412 – 429
Sebastian Wolf, Die Vertreibung der jüdischen Gemeinde Ibbenbürens (1933 – 1942), Examensarbeit an der Wilhelms-Universität Münster, Münster 2009
Lars Boesenberg/u.a. (Bearb.), Machtsicherung. Ausgrenzung. Verfolgung. Nationalsozialismus und Judenverfolgung in Ibbenbüren, in: Historischer Verein Ibbenbüren e.V. (Hrg.), „Ibbenbürener Studien“, Band 6, Ibbenbüren 2010
Werner Suer (Red.), Wohnorte jüdischer Familien in Ibbenbüren, hrg. vom Stadtmuseum Ibbenbüren (online abrufbar unter: stadtmuseum-ibbenbueren.de)
Martin Weber, Vor 77 Jahren: Pogromnacht gegen Juden in Ibbenbüren, in: Heilig-Kreuz-Info vom 9.11.2015
Stadtmuseum Ibbenbüren (Hrg.), Stolpersteine in Ibbenbüren (2016), in: stadtmuseum-ibbenbueren.de/stadtgeschichte_stolpersteine.htm (mit zahlreichen Informationen zu den betroffenen Personen/Aufnahmen der Verlegorte - laufende Aktualisierung der Internetseite)* * Das Stadtmuseum hat aus Anlass der Verlegeaktionen mehrere Flyer mit den biografischen Daten der betreffenden Personen verausgabt
Auflistung der in Ibbenbüren verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ibbenbüren (2016)
Linda Braunschweig (Red.), Sie blicken oft in Abgründe – Stolpersteine für Ibbenbüren, in: ivz-aktuell.de vom 4.11.2024