Jägerndorf (Mährisch-Schlesien)

http://www.jaegerndorf-sudetenland.de/upmedia/KreisJaegerndorf-200.jpgDie im ehem. Ostsudetenland liegende Kleinstadt Jägerndorf ist das heutige tschechische Krnov mit derzeit ca. 23.000 Einwohnern in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Polen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1910, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizzen des Landkreises Jägerndorf 1945, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  'Tschechien' mit Krnov rot markiert, K. 2005, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

Jägerndorf war zeitweilig Residenzstadt eines der schlesischen Fürstentümer. Erste Belege über die Existenz von Juden stammen aus der Zeit des 14.Jahrhunderts. In den 1530er Jahren wurden die jüdischen Familien von der hiesigen Herrschaft aus der Region vertrieben; daran aktiv beteiligt war vor allem die christliche Kaufmannschaft gewesen, die ihre lästigen jüdischen Konkurrenten loswerden wollte. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts durften sich nur vereinzelt jüdische Familien in der Stadt aufhalten; dabei handelte es sich um solche, die in den Diensten der Herrschaft standen und dieser finanzielle Vorteile verschafften; sie arbeiteten z.B. als Steuer- und Mauteinnehmer.

Erst gegen Mitte des 19.Jahrhunderts entwickelte sich langsam eine jüdische Gemeinde. Nach Zuzügen zahlreicher Familien - vor allem aus dem nahen Hotzenplotz - gründete sich Anfang der 1850er Jahre ein Kultusverein, der 1877 in die Konstituierung einer autonomen israelitischen Kultusgemeinde mündete. Bereits einige Jahre vor der offiziellen Gemeindegründung ließ die schnell wachsende Gemeinde einen repräsentativen Synagogenbau errichten; das mit zwei Türmen versehene Synagogenbauwerk - der größte jüdische Sakralbau in Nordmähren - vereinte neoromanische mit byzantinischen Stilelementen; im Innern waren die hölzerne Kassettendecke und holzverkleidete Wände prägend.

 

Synagoge in Jägerndorf am Tempelring (Postkartenausschnitt)

Etwa zeitgleich mit dem Synagogenbau legte die israelitische Gemeinde eine Begräbnisstätte an; diese befand sich an der Troppauer Straße unterhalb des Burgberges.

Juden in Jägerndorf:

         --- 1848 ............................   5 jüdische Familien,

    --- 1860 ............................  17     “       “    ,

    --- 1880 ............................ 392 Juden,

    --- 1890 ............................ 570   “  (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1900 ............................ 534   “  ,  

    --- 1910 ............................ 459   “  ,

    --- 1921 ............................ 385   “  ,

    --- 1930 ............................ 318   “  ,

    --- 1936 ............................ 344   “  ,

    --- 1939 ............................  33   "  ,

    --- 1940 ............................  ?    “  .

Angaben aus: Pavel Kuca, Die Geschichte der Juden in Krnov / Jägerndorf

http://static1.akpool.de/images/cards/39/396850.jpg Stadtzentrum Jägerndorf (hist. Postkarte)

Bis in die 1930er Jahre hinein umfasste die Gemeinde stets mehrere hundert Personen; dabei bekannte sich der überwiegende Teil zur deutschen Nationalität. Unter den Jägerndorfer Juden waren bedeutende Persönlichkeiten, die zum Wohle der Stadt agierten.

Der Beschluss des Stadtrates, das Synagogengebäude zu einer Markthalle umzufunktionieren, bewahrte es 1938 vor einer Inbrandsetzung; allerdings wurde die Inneneinrichtung demoliert; die Gewaltaktionen in der Stadt wurden von SS-Angehörigen getragen. Der jüdische Friedhof wurde ein Jahr später zerstört. Der Besitz der Jägerndorfer Juden wurde noch 1938 „arisiert“. In den folgenden Jahren wurden die allermeisten jüdischen Einwohner in die Vernichtungslager verschleppt und kamen dort zumeist ums Leben. Der letzte Jägerndorfer Rabbiner (Dr. David Rudolfer) fand 1942 in Theresienstadt den Tod.

 

Nach Kriegsende kamen nur sehr wenige Überlebende nach Krnov zurück; diese kehrten bald ihrer Heimatstadt den Rücken.

Das Synagogengebäude - eines der wenigen noch existierenden jüdischen Gotteshäuser der Region - gehört heute dem Jüdischen Gemeindebund in Tschechien; eine am Orte sich gebildete Initiative hat es sich zum Ziel gemacht, das Bauwerk zu restaurieren und es für kulturelle Veranstaltungen zu nutzen.

undefinedSynagoge von Jägerndorf/Krnov (Aufn. Sch., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Im Innern des Synagogengebäudes stehen heute noch die Originalbänke; sie konnten aus der Olmützer Synagoge gerettet werden; jeder der 70 Sitzplätze ist symbolisch für ein ehemaliges Gemeindemitglied reserviert, das während der NS-Herrschaft ermordet wurde.

Der jüdische Friedhof, der in der Nachkriegszeit mehrfach geschändet und auch teilweise abgeräumt wurde (die wertvollen Steine wurden „entfernt“), ist heute in einem relativ schlechten Zustand; Witterung und überwuchernde Vegetation zerstören allmählich die noch vorhandenen Grabsteine.

File:Krnov, židovský hřbitov 11.JPG File:Krnov, židovský hřbitov 06.JPG

Ansichten des jüdischen Friedhofs in Krnov (Aufn. Palickap, 2014, aus: commons.wikimedia, CC BY-SA 4.0)

2013 hat man in Krnov mit der Verlegung sog. „Stolpersteine“ begonnen, die an Angehörige jüdischer Familien erinnern, die Opfer der Shoa geworden sind.

Stolperstein für Anna Singer.JPGStolperstein für Helene Singer.JPG Stolperstein für Walter Löwin.JPGStolperstein für Mathilde Löwin.JPG Stolperstein für Sigmund Langschur.JPGStolperstein für Erna Langschur.JPG

alle Aufn. Chr. Michelides, 2015,  aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0 

 

 

 

Weitere Informationen:

Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik unter besonderer Berücksichtigung des 19.Jahrhunderts, Brünn 1908

Hugo Gold, Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag Brünn, Brünn 1929

Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974

Volker Zimmermann, Täter und Zuschauer. Die Judenverfolgung im ‘Sudetengau’ 1938 - 1945, in: "Theresienstädter Studien und Dokumente 1999", Verlag Academia, Prag 1999, S. 180 f.

Pavel Kuca, Die Geschichte der Juden in Krnov / Jägernsdorf, in: www.mujweb.atlas.cz

Malgorzata Sliz, The number and distribution of the Jewish population in the Area of Austrian Silesia, in: M. Wodzinski/J. Spyra (Hrg.), Jews in Silesia, Cracow 2001, S. 59 - 66

Mecislav Borák, The situation of the Jewish population in the territory of Czech Silesia during the occupation 1938 - 1945, in: M. Wodzinski/J. Spyra (Hrg.), Jews in Silesia, Cracow 2001, S. 181 - 192

Jaroslav Klenovsky, The Jewish Landsmarks of Opava Silesia, in: M. Wodzinski/J. Spyra (Hrg.), Jews in Silesia, Cracow 2001, S. 299 - 306

Auflistung der in Krnov verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Krnov

Konrad Badenheuer/Wilfried Heller (Bearb.), Notiz zur Rettung der Synagoge von Jägerndorf (Krnov), in: W. Heller (Hrg.), Jüdische Spuren im ehemaligen Sudetenland, London/Berlin 2019, S. 157 ff.