Kirchzarten (Baden-Württemberg)
Kirchzarten ist eine Kommune mit derzeit ca. 10.000 Einwohnern im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (Kartenskizze 'Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/breisgau-hochschwarzwald).
Im Ort Kirchzarten hat es zu keiner Zeit eine jüdische Gemeinde gegeben.
Auf dem Gut Markenhof bei Kirchzarten betrieb seit Ende des Ersten Weltkrieges Alexander Moch aus Schwanau-Nonnenweier einen landwirtschaftlichen Betrieb, der emigrationswillige junge Juden für ihre künftige Tätigkeit in ihrer neuen Wahlheimat Palästina ausbilden sollte. Der Markenhof gilt als erster ‚Kibbuz’ auf deutschem Boden.
Der Markenhof in Kirchzarten (hist. Aufn., um 1920)
Über dieses "Versuchsgut" wurde im Jahre 1920 wie folgt berichtet:
„ … Die Bewohner des Markenhofes, Praktikanten und Praktikantinnen sind, obgleich alles in ihrem täglichen Leben, Arbeit und Ruhe, ihnen gemeinsam ist, noch nicht zu der Gemeinschaft zusammengewachsen, die sich andern Stellen schon gebildet haben: und konnten es auch noch nicht. Die meisten von ihnen sind erst ganz kurze Zeit da, einige wenige länger; doch das wesentliche ist, daß Keiner da ist, der als, unbestrittener Führer das Ganze in der Hand hat. So hat sich eben nicht der gemeinsame Geist entwickelt, der die erste Vorbedingung für freudige und gute Arbeit ebenso wie für den wahren Genuß der Arbeitsruhe ist. Hier liegt ein Mangel dem wie ich glaube, nur dadurch abgeholfen werden kann, daß die Zusammensetzung der Praktikanten des Markenhofes nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgt und nicht scheinbar planlos Leute eingestellt werden, weil die Arbeit drängt. Wieviel mehr geschafft werden kann, wenn das Zusammensein der Leute mehr ist als ein bloßes Nebeneinanderhinleben, kann jeder beurteilen, der solche Verhältnisse andernorts kennen gelernt hat. Hiervon hängt, wie ich glaube, in weitgehendem Maße die Zukunft des Markenhofes als Ausbildungsgut für unsere zionistischen Praktikanten ab. Denn sonst sind alle Vorbedingungen erfülIt. Das Verhältnis der Praktikanten zum Inspektor ist, im Gegensatz zu den früheren, nun überwundenen Stadien des Markenhofes, ein solches, das sich auf engste Zusammenarbeit, menschliches Vertrauen, aber auch Gefühl für Disziplin und für die Unterordnung unter den erfahreneren, verantwortlichen Leiter gründet.
Der Markenhof ist als zionistisches Lehrgut zweifellos das aussichtsreichste, das wir gegenwärtig haben. Es hat den ungeheuren Vorteil vor andern, daß der ganze Iandwirtschaftliche Betrieb zuverlässig und für unsere Ausbildung auf das beste geeignet ist. Was zum Teil noch fehlt, sind die Menschen, die durch ihre Arbeit, ihr ganzes Zusammenleben dort den Geist hervorbringen, der für uns ein ganz wesentliches Moment der Palästinaerziehung darstellt. Diese Menschen dorthin zu bringen, auch unsere Menschen alle soweit zu bringen, dass jeder von ihnen ein zuverlässiges Gemeinschaftsglied an der Stelle ist, wo er gerade steht, das ist unsere Aufgabe. Hier darf und soll uns keiner helfen. Und die schönsten und besten Boden- und Klimaverhältnisse, die sichersten Vorbedingungen bedeuten nichts für unsere Ausbildung, wenn wir nicht von vornherein die Qualitäten mitbringen, die uns zur Erziehung zu wahren Palästinapionieren reif machen.
Berlin, Werner Rosolio “
aus: Blau-Weiss-Blätter – Führerzeitung, hrg. von der Bundesleitung der Jüdischen Wanderbünde Blau-Weiss, Dez. 1920, Jahrgang II., Heft 3, S. 52 f.
Der Lehrhof war vom jüdischen Unternehmer Konrad Goldmann aus Freiburg finanziert worden; er richtete mit seinen Mitteln auch eine Synagoge in einem schindelgedeckten Anbau auf dem Hof ein, deren Buntglas-Fenster von Friedrich Adler aus Laupheim gestaltet wurden. Die einzelnen Fenster sollen die zwölf Stämme Israels darstellen.
[vgl. Laupheim (Baden-Württemberg)]
(Aufn. aus: alemannia-judaica.de)
Kopien der Glasfenster befinden sich im Museum Schloss Laupheim. Die Säulen, die die Fenster ursprünglich umrahmten, stehen heute in einem Kibbuz bei Nahariya (Kibbuz Beit Haemek/Israel). Hier erinnert auch eine Gedenktafel an den in Drancy umgekommenen Konrad Goldmann und an den Markenhof von Kirchzarten.
Der Markenhof ging bereits 1925 an einen neuen Eigentümer (an das Evangelische Stift) über; nun wurde hier ein Waisenhaus eingerichtet.
Weitere Informationen:
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 150
Hermann Althaus, Der Markenhof in Kirchzarten und seine Synagoge, in: "Badische Heimat", 2/2000
Ruben Frankenstein, Hachschara im Markenhof bei Freiburg. Eine Spurensuche, in: Manfred Bosch (Hrg.), Alemannisches Judentum - Spuren einer verlorenen Kultur, Eggingen 2001
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 252/253
Der jüdische Betsaal auf dem Markenhof in Kirchzarten, in: alemannia-judaica.de (mit farbigen Abbildungen der Mosaikfenster)