Kirf (Rheinland-Pfalz)
Die derzeit ca. 800 Einwohner zählende kleine Ortschaft Kirf - zwischen Trier und der luxemburgischen Grenze gelegen - gehört heute zur Verbandsgemeinde Saarburg-Kell (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Landkreis Trier-Saarburg', TUBS 2009, aus; commons.wikimedia. CC BY-SA 3.0).
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde in Kirf die größte im Saarburger Raum.
Erste urkundliche Hinweise auf jüdisches Leben in Kirf liegen aus dem ausgehenden 18.Jahrhundert vor; vermutlich haben bereits seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges einige wenige Juden hier gelebt. Ihren Zenit erreichte die Zahl der Gemeindeangehörigen gegen Ende des 19.Jahrhunderts mit etwa 100 Personen; damit war damals jeder siebte Einwohner von Kirf Jude. Eines war den Kirfer Juden eigen: ihre Familien führten ausnahmslos nur drei Nachnamen: Kahn (Caan, Cahn, Caan), Levy (Lewy, Levi) oder Hayum (Haium, Heyum, Heium). Ihren Lebensunterhalt verdienten die Kirfer Juden im Handel: neben Viehhändlern gab es ‚fliegende’ Händler, die mit dem Verkauf von Kleinwaren nur über ein geringes Einkommen verfügten.
Die Kirfer Juden besuchten zunächst Gottesdienste im benachbarten Freudenburg. Um 1845/1846 wurde eine eigene Synagoge eingeweiht, die in unmittelbarer Nähe der katholischen Kirche lag; seitdem existierte dort auch eine autonome Gemeinde.
Synagoge (im Bild versteckt zwischen Wohnhaus und Kirche)
Für religiöse Aufgaben der Gemeinde war ein angestellter Lehrer zuständig, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war.
aus: „Der Israelit“ vom 20.9.1900 u. 13.3.1902
Um 1930 besaß die Gemeinde keinen eigenen Lehrer mehr; zusammen mit Freudenburg und Wawern bestand ein Schulbezirk mit einem Religionslehrer für alle drei Gemeinden.
Ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen begrub die Kirfer Judenschaft mehr als zwei Jahrhunderte lang auf dem jüdischen Friedhof in Freudenburg; erst 1929 wurde auf einer Anhöhe zwischen Meurich und Kirf ein eigenes Begräbnisgelände neu angelegt.
Die Gemeinde Kirf gehörte zum Rabbinatsbezirk Trier.
Juden in Kirf:
--- 1794 .......................... 2 jüdische Familien,
--- 1808 .......................... 21 Juden,
--- 1843 .......................... 54 “ ,
--- 1850 .......................... 8 jüdische Familien (ca. 50 Pers.),
--- 1895 .......................... 100 Juden (ca. 15% d. Bevölk.),
--- 1905 .......................... 117 " ,
--- 1925 .......................... 78 “ ,
--- 1933 .......................... 78 “ ,
--- 1938 (Okt.) ................... 39 “ ,
--- 1939 (Sept.) .................. keine.
Angaben aus: Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Dokumentation über das Schicksal der Juden, Bd. 5, S. 25 f.
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten etwa 80 Juden in Kirf. Auf welche Weise sich der am 1.April 1933 reichsweit durchgeführte Boykott in Kirf auswirkte, ist unbekannt. Auf jeden Fall reagierte die jüdische Gemeinde öffentlich auf diese ‚Aktionen’, wie einer Zeitungsmeldung im „Saarburger Kreisblatt” vom 2.4.1933 zu entnehmen ist:
Kirf, 2.April. Die Israelitische Gemeinde Kirf sandte an die maßgebenden Pressestellen in Metz, Straßburg, Luxemburg folgende Notiz: ‘ Gegen die in den dortigen Zeitungen verbreiteten Greuelnachrichten über Judenverfolgung usw. in Deutschland legen wir dringend Verwahrung ein. Demgegenüber sind wir in der Lage mitzuteilen, daß wir uns mit der Bevölkerung in bestem Einvernehmen befinden und daß sich jeglicher Verkehr in friedlicher Ordnung abwickelt. Wir machen ausdrücklich darauf aufmerksam, daß derartige Meldungen geeignet sind, das gute Einvernehmen Staat, Volk und Einwohnerschaft nur noch zu trüben. Wir bitten dringend, über die verheerend verbreiteten Meldung entsprechend Dementis zu veröffentlichen’.
Zu ersten antisemitischen Ausschreitungen kam es in Kirf im Sommer 1935; zunächst wurden Fensterscheiben eingeworfen, dann wurde das jüdische Gemeindehaus aufgebrochen; Schüler schändeten die Synagoge. Mitte August 1935 eskalierte in Kirf die Gewalt: Mehrere NSDAP-Anhänger griffen nachts jüdische Bewohner in ihren Häusern an und versetzten sie in Angst und Schrecken. Wenige Tage später beteiligten sich auch HJ-Angehörige an Ausschreitungen; sie kamen aus dem nahen Kollesleuken, wo sie ein Zeltlager unterhielten. Verängstigt verließen nun jüdische Familien ihr Heimatdorf; einige flüchteten sich ins nahe Ausland, die meisten gingen nach Trier.
Im „Trierer Nationalblatt” hieß es am 22.August 1935 dazu:
‘Waih geschrieen’ - Raus mit euch !
Saarburg. Ja, ist es möglich, die in Systemzeiten so gehätschelten und bedienerten Juden ziehen es vor, aus zahlreichen Orten unseres Kreises zu entweichen ! Die Krätze löst sich, der Patient, der so lange vom schmutzigen, eklen jüdischen Schorf bedeckt war, hat die Krise überstanden. Denn in den letzten Tagen haben zahlreiche Juden ihren Schnappsack, den sie so lange zum Schaden unserer geplagten Volksgenossen handhabten, auf den Buckel genommen, um sich mit Weib und Kind und Kegel eine neue Heimat zu suchen. So wird aus Freudenburg berichtet ... Die gleichen Meldungen kommem ... aus Zerf und Kirf.
In endlicher Erkenntnis, wirklich überflüssig und lästig zu sein, ziehen sie denn dahin, diese Kinder Israels, nachdem sie Jahrhunderte auch in diesen Gegenden Fürsten und Herren, Bauern und fahrendes Volk begaunert, ausgezogen und ihrem Unglück überlassen haben. ... ‘Waih geschrieen’ - diesmal schert uns das Gejammere einen Katzendreck. Wir rufen ihnen einen guten deutschen Abschiedsgruß zu: Raus mit euch ! Die Zeit des ‘auserwählten’ Volkes ist in Deutschland endgültig zu Ende. ...”
In den Morgenstunden des 10.November 1938 sorgten hiesige NSDAP-Funktionäre dafür, dass auch in Kirf der „spontane Volkszorn“ ausbrach; man sperrte die jüdischen Familien ein, drang in deren Häuser ein und demolierte die Räume; an den ‚Aktionen’ sollen auch „Westwall-Arbeiter“ beteiligt gewesen sein. Das Synagogengrundstück ging in die Hände der Kommune über; nach dem Kriege wurde die ehemalige Synagoge als Wohnhaus genutzt, nachdem es einige Jahre als Schmiede gedient hatte. Die letzten Juden Kirfs mussten im Sommer 1939 ihr Heimatdorf verlassen; als die Region wegen des Kriegsbeginns evakuiert wurde, erfolgte ihre Umsiedlung nach Trier; von dort kehrten sie nicht wieder zurück. Wer nicht mehr rechtzeitig emigrieren konnte, wurde von Trier aus „in den Osten“ deportiert; die allermeisten kamen dort ums Leben.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind ca. 55 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Kirfs der "Endlösung" zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/kirf_synagoge.htm).
Anfang der 1960er Jahre wurde auf dem bis dahin verwahrlosten jüdischen Friedhofsgelände - Grabsteine sucht man hier vergebens - ein Gedenkstein aufgestellt, der die folgende Inschrift trägt:
Zum Gedenken
an die in der Verfolgung umgekommenen Mitglieder
der Gemeinden Kirf - Meurich - Freudenburg.
jüdisches Begräbnisgelände ohne Grabsteine (Aufn. J. Hahn, 2009)
Weitere Informationen:
Richard Laufner, Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung im Gebiet des heutigen Kreises Trier-Saarburg, in: "Kreisjahrbuch Trier-Saarburg 1979", S. 166 f.
Peter Dühr, Die ehemalige jüdische Gemeinde von Kirf, in: "Kreisjahrbuch Trier-Saarburg 1982", S. 198 f.
Georg Rach, Zerbrochene Geschichte - Ein Denkmal für die Jüdische Gemeinde Kirf. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten 1992/1993
Cilli Kasper-Holtkotte, Juden im Aufbruch - Zur Sozialgeschichte einer Minderheit im Saar-Mosel-Raum um 1800, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Juden e.V.", Hrg. H.Castritius/u.a., Band 3, Hannover 1996
Dirk S.Lennartz/Günter Heidt, Vergessene Zeugen - Denkmale der jüdischen Gemeinde Freudenburg, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft No.11, 1/1996, S. 5 - 18
Günter Heidt/Dirk S.Lennartz, Fast vergessene Zeugen - Juden in Freudenburg und im Saar-Mosel-Raum 1321 - 1943, Saarburg 2000, S. 194 f.
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 210/211
Willi Körtels, Die jüdische Schule in der Region Trier, hrg. vom Förderverein Synagoge Könen e.V., 2011, S. 87 - 90
Kirf, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)