Klein-Krotzenburg (Hessen)

Datei:Hainburg in OF.svg Klein-Krotzenburg ist seit 1977 ein Ortsteil von Hainburg im Kreis Offenbach am Rande des Rhein-Main-Gebietes - nur wenige Kilometer südlich von Hanau/Main gelegen (Kartenskizze 'Kreis Offenbach', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die ersten in Klein-Krotzenburg lebenden jüdischen Familien sind 1728 urkundlich belegt; allerdings schienen bereits zuvor vereinzelt Juden sich hier aufgehalten haben. Eine jüdische Gemeinde in Klein-Krotzenburg wurde erst im Jahre 1871 gegründet*; zuvor gehörten die hiesigen Juden der Israelitischen Gemeinde Seligenstadt an. (*Anm.:  Einer anderen Angabe zufolge kam es erst 1911/1912 zur Gründung einer selbstständigen jüdischen Gemeinde, deren erster Vorsteher Max Rosenthal war.)

Seit Beginn der 1870er Jahre versammelten sich die Klein-Krotzenburger Juden in einem Betsaal, der auf einem Grundstück zwischen Kettelerstraße und Haagpfad lag. Wenige Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges beschloss die junge, streng-gläubige Gemeinde den Bau einer eigenen Synagoge, ebenfalls auf dem Hinterhofgelände an der Kettelerstraße; der rechteckige kleine Ziegelbau wurde im Januar 1913 eingeweiht. Aus dem „Seligenstädter Anzeiger“ vom 31.Januar 1913:

Klein-Krotzenburg, 31.Jan.   Der vergangene Sonntag war für die hiesigen Israeliten ein hoch bedeutsamer. Unter sehr großer Anteilnahme der hiesigen und auswärtigen Israeliten, in Anwesenheit des Herrn Rabbiner Dr.Goldschmidt aus Offenbach, des Ortsvorstandes, u.A., wurde an der neuerbauten Synagoge der Schlußstein in einfacher, schlichter Form gelegt. Vorher hatte die isr. Gemeinde nach Gebet und Ansprache Abschied von der alten Synagoge genommen, welche mehr als 40 Jahre den Kultuszwecken der hiesigen Israeliten gedient hat. An der Feier hatten sich auch Angehörige anderer Konfessionen sehr zahlreich beteiligt. ... Die noch fehlenden Ausführungen werden in einigen Tagen fertiggestellt sein, sodaß die feierliche Einweihung am 7. und 8.Febr. stattfinden kann; die Behörden haben bereits ihre Teilnahme an der Feier zugesagt. Im Gasthaus zum weißen Roß wird am 8.Februar abends 8 Uhr ein Festball stattfinden.

        http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2090/Klein-Krotzenburg%20Synagoge%20199.jpg Ehem. Synagogengebäude (Aufn. um 1980, aus: Th. Altaras)

Damit ein Minjan überhaupt zustande kam, mussten zeitweilig Juden aus der Umgebung, z.B. aus Seligenstadt, eingeladen werden. Eine eigene Schule gab es nicht am Ort; die jüdischen Kinder besuchten die lokale Volksschule.

Das älteste noch erhaltene Grab auf dem kleinen jüdischen Friedhof in Klein-Krotzenburg - mehr als einen Kilometer südlich vom Ort entfernt - datiert aus dem Jahre 1872.

Juden in Klein-Krotzenburg:

         --- 1815 .........................   2 jüdische Familien,

--- 1830 .........................  16 Juden,

--- 1861 .........................  25   “  ,

--- 1880 .........................  37   “  ,

    --- 1905 .........................  33   “  ,

    --- 1911 .........................  34   “  ,

    --- 1924/25 ......................  30   “  ,

    --- 1932/33 ......................  26   “ (in 8 Familien),

    --- 1938 (Dez.) ..................  11   “  ,

    --- 1939 (Mai) ...................  12   “  ,

    --- 1940 (März) ..................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 449

und                 Thorwald Ritter, Das Geheimnis der Versöhnung liegt in der Erinnerung, S. 5

 

In Klein-Krotzenburg gab es mehrere Fabrikationsstätten für Zigarren; eine davon war die seit 1891 im Besitz der Gebrüder Rosenthal befindliche Fabrik (übernommen von der Fa.J.M.Kopp), die damals mehrere hundert Arbeitskräfte beschäftigte. Die anderen jüdischen Bewohner verdienten ihren Lebensunterhalt als Viehhändler und Metzger und als Schuh- und Kolonialwarenhändler.

Zu Beginn der NS-Zeit lebten etwa 30 Juden in Klein-Krotzenburg.

Am frühen Morgen des 10.November 1938 demolierten SA-Angehörige den Synagogeninnenraum; anschließend vernichtete ein Brandanschlag die Räumlichkeit völlig; der Baukörper blieb äußerlich allerdings unbeschädigt. Die wenigen noch hier lebenden Juden wurden aus ihren Häusern geholt und gezwungen, bei der Verbrennung der aus der Synagoge herausgetragenen Thorarolle zuzusehen. Nach dem Pogrom ging das Synagogengebäude in den Besitz der Kommune über, die es über Jahrzehnte als Materiallager und Werkstatt nutzte. Etwa die Hälfte der Klein-Krotzenburger Juden konnte noch rechtzeitig emigrieren; die letzten Familien verließen den Ort bis Ende 1939 und verzogen nach Frankfurt/Main.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfert der Verfolgung der Juden ..." wurden mindestens 14 gebürtige Juden Klein-Krotzenburgs deportiert, fanden den Tod in den Vernichtungslagern bzw. gelten als „verschollen(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/klein-krotzenburg_synagoge.htm).

 

Der jüdische Friedhof - südlich der Ortschaft gelegen - wurde von 1872 bis ca. 1935 benutzt; eine Sandsteinmauer umfriedet das ca. 400 m² große Gelände. Knapp 30 Grabsteine sind bis heute erhalten geblieben.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20153/Klein-Krotzenburg%20Friedhof%20165.jpg

Zugang zum jüdischen Friedhof und Gräberreihe (Aufn. L., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und J. Hahn, 2008)

Anfang der 1990er Jahre beschloss die Kommune, die frühere Synagoge als Kulturdenkmal zu erhalten und einer öffentlich-kulturellen Nutzung zuzuführen. 1995/1997 wurde das Gebäude grundlegend renoviert und als museale Gedenkstätte eingerichtet. Eine Gedenktafel trägt die folgende Inschrift:

EHEMALIGE SYNAGOGE

1913 - 1938

Wer Mut hat zur Erinnerung, der gestaltet auch Zukunft.

Zum Gedenken an die Leiden unserer jüdischen Mitbürger und die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft

wurde diese Synagoge von der Gemeinde Hainburg und dem Kreis Offenbach restauriert.

1995  -  1997

Das in Trägerschaft der Gemeinde Hainburg und des Landkreises Offenbach befindliche Synagogengebäude wird seitdem zu kulturellen Veranstaltungen genutzt.

  Ehem. Synagogengebäude nach der Sanierung (Aufn. E.W., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

Seit 2019 erinnern in Hainstadt bzw. Klein-Krotzenburg einige „Stolpersteine“ an Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 449

Thorwald Ritter, Das Geheimnis der Versöhnung liegt in der Erinnerung. Die Juden von Klein-Krotzenburg und Hainstadt nach 1933, bloch-Verlag, Frankfurt/M. 1994

Erich Weih, Jüdischer Friedhof Klein-Krotzenburg - Eine Dokumentation, Hrg. Heimat- und Geschichtsverein Hainburg e.V., Hainburg 1994

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, Hrg. Studienkreis Deutscher Widerstand, 1995 S. 275

Thorwald Ritter, Die Synagoge der jüdischen Gemeinde von Klein-Krotzenburg, bloch-Verlag, Frankfurt/M. 1997

Klein-Krotzenburg, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945? 2. Aufl., Königstein/Taunus 2007, S. 361/362

Erich Weih (Bearb.), Die Synagoge Klein-Krotzenburg, in: M. Hölscher (Hrg.), Die ehemaligen Landsynagogen in Großkrotzenburg und Klein-Krotzenburg - Hessische GeschichteN 1933 - 1945, Heft 1, Wiesbaden 2012, S. 6 – 8

Erich Weih (Bearb.), Die Begegnungs- und Gedenkstätte „Ehemalige Synagogen Klein-Krotzenburg“, in: M. Hölscher (Hrg.), Die ehemaligen Landsynagogen in Großkrotzenburg und Klein-Krotzenburg, Hessische GeschichteN 1933 - 1945, Heft 1, Wiesbaden 2012, S. 11f.

Monika Hölscher, Die ehemaligen Landsynagogen in Groß-Krotzenburg und Klein-Krotzenburg, Hrg. Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden 2012

Oliver Signus (Red.), Kurze Geschichte der jüdischen Gemeinde in Klein-Krotzenbueg. Nur wenigen gelang die Flucht, in: op-online.de vom 1.3.2019

Markus Terharn (Red.), Künstler Gunter Demnig verlegt Stolpersteine für NS-Opfer, in: op-online.de vom 21.12.2019