Kojetein (Mähren)

   Das mährische Kojetein - am rechten Ufer der March gelegen - ist die heutige tschechische Kleinstadt Kojetin mit derzeit ca. 6.000 Einwohnern - ca. 60 Kilometer nordöstlich von Brünn/Brno bzw. südlich von Olmütz/Olomouc gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

Die ersten jüdischen Bewohner sollen sich bereits im 12.Jahrhundert in Kojetein niedergelassen haben; urkundliche Belege für jüdische Ansiedlungen liegen aber erst ab dem 15.Jahrhundert vor. Auf Grund der Vertreibungen von Juden aus den königlichen Städten Mährens, u.a. Brünn, Olmütz, Znaim, im 14. und 15. Jahrhundert wuchs die Judenschaft in Kojetein stetig an. Seit Mitte des 16.Jahrhunderts soll es in der Stadt eine größere jüdische Gemeinde gegeben haben, deren Angehörige - etwa 50 Familien - in der „Judengasse“ ansässig waren; aus dem Jahre 1454 stammen erste urkundliche Nachweise. Das Recht, im Orte sicher leben zu dürfen, mussten sich die jüdischen Familien teuer erkaufen.

Als gemeindliche Einrichtungen waren damals bereits ein Friedhof - 1574 erstmals genannt - und eine Synagoge vorhanden. Das Synagogengebäude fiel einem Großfeuer zum Opfer und wurde im Jahre 1718 an gleicher Stelle – in einer Gasse zwischen Marktplatz und Stadtmauer gelegen - neu aufgebaut.

                                     http://a30s.tripod.com/kojetin1700b.jpg Kojetein, Karte um 1700 (Abb. A. Steiner)

Im Dreißigjährigen Kriege reduzierte sich die Zahl der in Kojetein lebenden jüdischen Familien erheblich. Erst gegen Ende des 17.Jahrhunderts wuchs die Judengemeinde wieder stark an; so hatten vor allem jüdische Flüchtlinge aus Ostpolen und der Ukraine ihre angestammte Heimat verlassen und in Mähren, so auch in Kojetein, eine Bleibe gefunden. Auch von den 1670 aus Wien vertriebenen Juden dürften einige in Kojetein verblieben sein.

Nach ca. 1720 soll sich die hiesige Judenschaft „ohne irgendwelche Erschütterungen oder Gewalttätigkeiten” entwickelt haben.

http://d5iam0kjo36nw.cloudfront.net/V05p408001.jpg  Eleasar b. David Fleckeles (1754 -1826) war seit 1779 Rabbiner in Kojetin (später in Tobitschau) und ein bedeutender Prediger und Tamuldist; zu seiner Zeit genoss er großes Ansehen. Als anerkannter Vertreter der jüdischen Orthodoxie und Gegner jeglicher Art von Reform der traditionellen jüdischen Lehre führte Fleckeles eine Kampagne gegen Vertreter der Aufklärung, wie z.B. gegen Moses Mendelssohn. Während seines Lebens hat Eleasar b. David Fleckeles zahlreiche Schriften verfasst.

 

Ihre Blütezeit erreichte die Gemeinde zwischen 1850 und 1890; ihre Mitglieder waren inzwischen zu gewissem Wohlstand gelangt. In den späten 1880er Jahren setzte eine starke Abwanderung - namentlich der jüngeren Generation - ein; innerhalb kürzester Zeit lichtete sich die Gemeinde derart, dass kaum ein Rabbiner besoldet werden konnte. Der letzte bis 1922 amtierende Rabbiner in Kojetein war Samuel Friedenthal, ein Schüler der Pressburger Jeschiwa. Eine große Bedeutung für die kulturelle Entwicklung besaß die zweiklassige jüdische Volksschule, die gegenüber der Synagoge gebaut worden war. Der letzte jüdische Lehrer wirkte bis 1910.

 

Synagoge in Kojetein (hist. Aufn., aus: judaicresources.com und commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Juden in Kojetein:

         --- um 1560 .................... ca.  50 jüdische Familien,

    --- um 1730 .................... ca. 470 Juden (ca. 27% d. Bevölk.),

    --- 1829 ...........................  76 jüdische Familien,

    --- 1834 ........................... 519 Juden (ca. 16% d. Bevölk.),

    --- 1857 ........................... 506   "  ,

    --- 1869 ........................... 162   “  ,

    --- um 1885 .................... ca. 700   “  ,*        * diese Angabe dürfte nicht korrekt sein

    --- 1900 ........................... 198   “  (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1930 ....................... ca.  70   “  (ca. 1% d. Bevölk.),

    --- 1942 (Dez.) ....................  keine.

Angaben aus: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, S. 70

 

Alte Ansichtskarte: AK Kojetín, Radnicni namesti hist. Postkarte (aus: ansichtskartenversand.com)

Ende Juni 1942 wurden die letzten in Kojetein lebenden jüdischen Bewohner nach Theresienstadt deportiert; nur wenige haben die Kriegsjahre überlebt.

Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde dem zentralen Staatlichen Jüdischen Museum in Prag übereignet. Das Gebäude wurde damals deshalb nicht zerstört, da man es für eine Nutzung als Warenhaus vorgesehen hatte.

 

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gründete sich wieder eine kleine, an die Gemeinde Olmütz angeschlossene jüdische Gemeinschaft. Das einstige jüdische Gotteshaus - heute das älteste Bauwerk der Stadt - dient inzwischen der Hussitischen Kirche als Domizil; hier erinnert eine Gedenktafel an die Holocaust-Opfer der Kojetiner Gemeinde. Fünf Thorarollen der Gemeinde haben die Zeiten überdauert; über Großbritannien gelangten sie in die USA; eine befindet sich heute in Australien.

                   ehem. Synagoge in Kojetin (Aufn. Městský úřad Kojetín, um 2010)

 Eine Gedenktafel erinnert seit 1992 an die einstige jüdische Gemeinde des Ortes (Aufn. T.Bednarz, 2017, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 4.0).

Auch der jüdische Friedhof der Gemeinde hat die Jahrhunderte überdauert; das älteste vorhandene Grab datiert von 1795.

 

Jüdischer Friedhof in Kojetin (Aufn. Městský úřad Kojetín, um 2010 und Palickap, 2022, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

  David Kaufmann, ein jüdischer Gelehrter, wurde 1852 in Kojetein geboren. Nach dem Besuch des jüdisch-theologischen Seminars in Breslau habilitierte er sich an der Universität Leipzig; 1877 erfolgte seine formelle Ordination als Rabbiner. Er ging an das neu gegründete Rabbinerseminar nach Budapest und lehrte dort bis zu seinem Tode. Zu seinen Verdiensten zählte der Aufbau bzw. die Erweiterung der dortigen Seminarbibliothek zu einer der reichsten Sammlungen hebräischer Literatur in Europa. Durch seine Korrespondenz mit bedeutenden jüdischen Gelehrten seiner Zeit machte er sich einen Namen. Zahlreich und vielseitig sind die Veröffentlichungen Kaufmanns, deren Zahl mehrere hundert Einzeltitel umfasst. David Kaufmann starb 1899 in Karlsbad.

 

 

 

Weitere Informationen:

Salomon Hugo Lieben, Rabbi Eleasar Fleckeles, in: "Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft", No.10 (1912), S. 1 - 33

Arthur Steiner (Bearb.), Geschichte der Juden in Kojetein, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Verlag, Brünn 1929, S. 279 - 289

Arthur Steiner (Bearb.), History of the Jews in Kojetin, Brünn 1929

Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974, S. 69/70

Jiří Fiedler, Jewish Sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 94

Dušan Riegl, Dějiny židovské obce a Židů v Kojetíně, Kojetín 1995

Awraham Steiner, Die Juden von Kojetin (Manuskript), 1995

The Jewish Community of Kojetin (Kojetein), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/kojetin

Jewish Families from Kojetin, Moravia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Kojetín-Moravia-Czech-Republic/people/12099

Mirjam Thulin, Kaufmanns Nachrichtendienst. Ein jüdisches Gelehrtennetzwerk im 19.Jahrhundert, in: "Schriften des Simon-Dubnow-Instituts", No. 16/2012, Göttingen 2012