Kolberg (Hinterpommern)

  Die im 13.Jahrhundert mit Stadtrechten ausgestattete Siedlung Colberg war neben Stargard die bedeutendste Stadt in Hinterpommern; Salzgewinnung und Heringsfang machten Kolberg (Colbergk) in der Hansezeit zu einer bedeutenden Handelsstadt. Nach 1945 gehört die Hafenstadt zum polnischen Staatsgebiet; Kołobrzeg - etwa 150 Kilometer nordöstlich von Stettin/Szczecin gelegen - besitzt derzeit ca. 46.000 Einwohner (Karte "Hinterpommern - Gebietsstand nach 1679", aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Kołobrzeg rot markiert, K. 29006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)).

Colbergk“ (Kolberg) auf der "Großen Lubinschen Karte" von 1618 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)*

Die „Große Lubinsche Karte“ ist ein Kartenwerk, das vom Rostocker Gelehrten Eilhard Lubinus im Auftrag des pommerschen Herzogs in den Jahren unmittelbar vor dem Dreißigjährigen Krieg erarbeitet wurde.

 

Kolberg war vermutlich die erste Stadt in Pommern, in der sich Juden niedergelassen hatten; allererste Hinweise lassen sich bereits für die Zeit um die Mitte des 13.Jahrhunderts finden. Im 15.Jahrhundert lebten in der Hansestadt Kolberg einige jüdische Familien, abgesondert von der übrigen Bevölkerung zwischen Linden- und Schlieffenstraße, in der „Judenstrat“. Wahrscheinlich wurden die jüdischen Bewohner - einige waren zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert - um 1510 aus Kolberg vertrieben. In den darauffolgenden Jahrhunderten konnte sich der Magistrat der Stadt Kolberg stets erfolgreich gegen eine erneute Ansiedlung von Juden in der Stadt zur Wehr setzen. Als 1702 die beiden jüdischen Kaufleute Hirschel Salomon und Aaron Moses den Antrag auf Niederlassung in Kolberg stellten, wurde dieser wurde aufgrund des großen Protestes der christlichen Konkurrenten abgelehnt. Ein Erlass, der 1712 an die pommersche Regierung ergangen war, besagte: "... es gibt keinen einzigen Juden in Kolberg, und wenn ein Jude in der Stadt erscheint, muss er sofort nach Stargard geschickt werden.“ Kolberg war damit - neben Tempelburg - bis 1812 die einzige Stadt in Hinterpommern, in der Juden keine feste Niederlassung zugestanden wurde; allerdings war ihnen Handel - bereits durch den Kurfürsten konzessioniert - erlaubt, doch bei Strafe untersagt, sich länger als 24 Stunden in der Stadt aufzuhalten. Erst die Stein-Hardenberg’schen Reformen ("Judenedikt" von 1812) ließ jüdische Familien wieder nach Kolberg ziehen; ihre Zahl wuchs stetig an und erreichte um die Wende zum 20.Jahrhundert ihren Höchststand.

1844 legten die jüdischen Familien Kolbergs den Grundstein für ihre Synagoge; ein Jahr später wurde das Gebäude in der Baustraße eingeweiht. Von ca. 1865 bis 1925 war Dr. Salomon Goldschmidt Rabbiner von Kolberg.

         Synagoge in Kolberg (hist. Aufn., um 1925, aus: sztetl.org.pl)

Der jüdische Friedhof auf dem Münderfeld - später Theaterpark - war bereits um 1815/1820 angelegt worden. Nach dessen Belegung wurde um 1885 (oder etwas später) ein neues Begräbnisareal am östlichen Stadtrand erworben.

Juden in Kolberg:

    --- bis 1812 ....................... keine Juden,

    --- 1816 ...........................   40   “  ,

    --- 1831 ...........................  117   “  ,

    --- 1840 ...........................  133   “  ,

    --- 1849 ...........................  158   “  ,

    --- 1860 ...........................  178   “  ,

    --- 1870/71 ........................  280   “  ,

    --- 1885 ...........................  347   “  ,*             * andere Angabe: ca. 500 Pers.

    --- 1895 ...........................  369   “  ,*             * andere Angabe: ca. 600 Pers.

    --- 1909/1910 ......................  450   “  ,*             * andere Angabe: 287 Pers.

    --- 1925 ...........................  255   “  ,

    --- 1932 ...........................  214   “  ,

    --- 1933 ...........................  197   "  ,

    --- 1938 ...........................  132   “  ,

    --- 1939 (Mai) .....................   85   “  ,

    --- 1942 ...........................    7   "  .

Angaben aus: M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...”, S. 51/52

Kolberg - Postkarte von 1890/1900 (aus: wikipedia.org, CCO)

 

Dass Kolberg zu einem renommierten Seebad aufstieg, war auch wesentlich dem Engagement jüdischer Kaufleute und Ärzte zu verdanken. Anfang der 1870er Jahre entstand ein jüdisches Kurhospital mit eigener Solquelle, das sich die Aufnahme „armer kurbedürftiger Juden aus Deutschland“ zur Aufgabe gestellt hatte; finanziert wurde das Projekt durch Spenden und Beitragszahlungen eines eigens dafür gegründeten Vereins. Zu den Gründern des jüdischen Kurhospitals zählte der 1825 in Neustettin geborene Arzt Hermann Hirschfeld, der für seine Verdienste um Kolberg ein Denkmal erhielt.

  Anzeigen von Betrieben des Gastgewerbes

In den 1920er Jahren ereigneten sich wiederholt im vielbesuchten pommerschen Seebad antisemitische ‚Vorfälle’.

Aus einem Brief eines Gastes (aus den 1920er Jahren): „ ... Soeben aus dem Ostseebad Kolberg zurückkehrend, muß ich Ihnen von dem unglaublichen Antisemitismus Mitteilung machen, der das Bad beherrscht. Die mit Hakenkreuz geschmückten ‘Herren’ und Jünglinge stolzieren dort noch immer herum, als ob ihnen das Terrain gehört und als ob sie die Welt erobert hätten. Blutige Schlägereien zwischen Juden und diesem unanständigen Pöbel sind an der Tagesordnung. Sollte die Regierung nicht dagegen einschreiten können? Einige dieser antisemitischen Herren suchen mit Willen belebte Etablissements auf, sind stark angetrunken und fordern durch ihr herausforderndes Betragen das jüdische Publikum direkt heraus. ...Vielleicht täte das jüdische Publikum besser, bei besserer Valuta die ausländischen Seebäder aufzusuchen, um diesen Pöbeleien zu entgehen.

Bis in die 1930er Jahre galt das Seebad Kolberg als Kurort mit internationalem Publikum als modern und weltoffen.

Ab 1935 schlossen die Behörden jüdische Kurgäste zunehmend von der Nutzung des Ostseebades aus: Teile des Strandes wurden für Juden abgesperrt, Pensionen wurden angehalten, keine jüdischen Gäste mehr zu beherbergen. Die NSDAP-Kreisleitung sorgte dafür, dass in der Stadt Transparente mit den Aufschriften „Juden sind unser Unglück” und „Juden unerwünscht” angebracht wurden. Während der NS-Zeit musste die Gemeinde ihren alten Friedhof am Stadtpark aufgeben; die Leichenhalle wurde fortan als Stallung benutzt.

Die Synagoge und jüdische Geschäfte wurden während des Novemberpogroms zerstört, das jüdische Kurhospital nach den gewalttätigen Ereignissen des November 1938 aufgelöst und das Gebäude in eine Kohlenhandlung umfunktioniert. Ein Teil der jüdischen Männer wurde ins KZ Sachsenhausen verschleppt.

In den Städten und Gemeinden Pommerns begann ab Mitte Februar 1940 die „Zwangsverschickung” der Juden aus Deutschland. Fast 1.200 jüdische Bewohner aus Stettin und anderen Ortschaften des Regierungsbezirks wurden in der Nacht vom 12. auf den 13.Februar 1940 verhaftet und per Bahn ins Generalgouvernement nach Lublin verfrachtet. Von hier mussten sie bei klirrender Kälte nach Piaski, Glusk und Belzyce marschieren. Auch einige jüdische Bewohner aus Kolberg gehörten diesem großen Deportationstransport an. 1942 besiegelte das Ende jüdischen Lebens in Kolberg; zusammen mit jüdischen Familien aus Stolp und anderen Ortschaften erfolgte ihre Deportation; nur sieben „in Mischehe“ verheiratete Juden hielten sich danach hier noch auf.

 

An die einstige jüdische Einwohnerschaft Kolbergs erinnert im Kurviertel heute ein ins Straßenpflaster eingelassener Davidstern.

Die beiden jüdischen Friedhöfe wurden in der NS-Zeit weitgehend zerstört. Die auf dem Gelände des älteren Friedhofs gegen Mitte der 1990er Jahre wiederaufgefundenen Grabsteinrelikte wurden zu einem Lapidarium gefügt; im Jahre 2000 wurde hier eine kleine Gedenkstätte eingerichtet.

Kołobrzeg - cmentarz żydowski

Ehem. Friedhofsareal/Gedenkstätte (Aufn. D. Rohde-Kage, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und K. Bielawski, aus: kirkuty.xip.pl)

Eine in drei Sprachen abgefasste Inschrift auf einem schwarzen Gedenkstein erinnert an die ehemalige jüdische Gemeinde und ihre ermordeten Angehörigen. Die deutsche Inschrift lautet:Zum Gedenken an die Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Kolberg, die 1940 ins Vernichtungslager Belzec verschleppt und dort am 28.Oktober 1942 von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Die jüdische Gemeinschaft von Kolberg leistete in den Jahren 1812 – 1940 einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Stadt zu einem Ostseebad. Die Einwohner von Kolobrzeg

In den Jahren 1812-1938 befand sich an dieser Stelle der jüdische Friedhof."

 In Kolberg wurde 1868 Magnus Hirschfeld geboren, der sich als Sexualwissenschaftler einen Namen machte. Zusammen mit Friedrich Krauß u.a. begründete er 1908 die erste deutsche „Zeitschrift für Sexualwissenschaft“, zehn Jahre später das Berliner „Institut für Sexualwissenschaft“. 1933 emigrierte Dr. Magnus Hirschfeld nach Frankreich; zwei Jahre später verstarb er in Nizza.

 

 

 

Weitere Informationen:

Johannes Voelker, Geschichte der Stadt Kolberg, Leichlingen 1964

M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...”. Geschichte und Kultur der Juden, in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich 1995, S. 51/52

Thomas M.Ruprecht, Das jüdische Kurhospital in Kolberg 1874 - 1938, in: M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...” Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich 1995, S. 353 - 365

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 645

Wolfgang Wilhelmus, Geschichte der Juden in Pommern, Ingo Koch Verlag, Rostock 2004

Gerhard Salinger, Die einstigen jüdischen Gemeinden Pommerns. Zur Erinnerung und zum Gedenken, Teilband 2, Teil III, New York 2006, S. 490 – 520

Kleine jüdische Geschichte des Ostseebades Kolberg, in: "Reiseführer Polnische Ostseeküste", online abrufbar unter: wikipedia.org (2012)

Stadt Kolobtzeg (Hrg.), Die jüdische Geschichte des Seebades Kolberg, online abrufbar unter: kolobrzeg.de/aktuelles-42

Kolobrzeg, in: sztetl.org.pl

K. Bielawski, Jewish cemetery Kolobrzeg (jüdischer Friedhof Kolberg), in: kirkuty.xip.pl