Lage (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Lage in LIP.svg Lage ist eine Stadt mit derzeit ca. 37.000 Einwohnern im Kreis Lippe – ca. 25 Kilometer östlich von Bielefeld bzw. zehn Kilometer nordwestlich von Detmold gelegen (hist. Karte von Lippe, aus: wikiwand.com/de/Landratsamt_Blomberg  und  Kartenskizze 'Kreis Lippe', TUBS 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Ein erster Hinweis auf jüdische Ansiedlung in Lage stammt aus dem Jahre 1679, als einem Juden ein Schutzbrief ausgestellt wurde.

Ihren Synagogenraum richteten die Juden Lages vermutlich im 18.Jahrhundert in einem Hinterhausgebäude an der Langen Straße ein. Als die Zahl der jüdischen Einwohner anstieg, entschloss sich die Kultusgemeinde - sie hatte sich 1860 konstituiert - zum Bau einer neuen und größeren Synagoge in der Friedrichstraße; diese wurde 1874 eingeweiht; der Landesrabbiner Dr. Samuel E. Meyer aus Hannover hielt die Fest- und Weiherede.                

                          Synagoge in Lage (Ausschnitt aus einer Bildpostkarte)

„ ... Die Synagoge war aus soliden schweren Bruchsteinen gebaut und trug an der Stirnseite als Baujahr die Jahreszahl 1878 (sic!). Über der Eingangstür stand in goldenen hebräischen Buchstaben: ‘Dies ist ein Bethaus für alle Völker’ ... Die Synagoge hatte ein durchgehendes Pfannendach und keine Kuppel, wie z.B. die Synagoge in Detmold. Das Licht fiel durch die Seitenfenster, deren verschobene Vierecke in den Farben Rot, Weiß, Grün und Gelb gehalten waren. Der Innenraum war sehr hell, die Wände waren weißlich getüncht. In der Mitte oben hing ein großer Kronleuchter. Die Synagoge hatte Gasbeleuchtung, daneben wurden Wachskerzen benutzt. Durch die Haupteingangstür gelangte man in ein Vestibül, ... In diesem Vestibül befanden sich die Schränke für die gottesdienstlichen Bücher und vor allem die Treppe, die zur Empore ... führte. Diese war der Platz der Frauen, es konnten hier 30 bis 40 Personen sitzen ... Durch eine Tür gelangte man vom Vestibül in den eigentlichen Gottesdienstraum. Rechts und links vom Mittelgang gab es etwa sechs Reihen Bänke, ..., so daß also ca. 60 Männer Platz hatten ... “                

                    (Beschreibung von Hilde Pollack, 1981)

Die Synagoge wurde bis 1928 nur noch gelegentlich genutzt, denn es war immer schwieriger geworden, einen Minjan zu bilden. Die wenigen Juden Lages besuchten fortan Gottesdienste in Detmold.

[vgl. Detmold (Nordrhein-Westfalen)]

Unmittelbar neben der Synagoge lag bis ca. 1920 die jüdische Schule; im Kellergeschoss befand sich das Ritualbad.

Der jüdische Friedhof an der Flurstraße existierte vermutlich bereits gegen Ende des ausgehenden 17.Jahrhunderts; das älteste bekannte (nur fragmentarisch erhaltene) Grabmal stammt aus dem Jahre 1715, die älteste archivalische Überlieferung vom Vorhandensein der jüdischen Begräbnisstätte hingegen erst aus dem Jahr 1771. Dieser Friedhof wurde auch von den im Nachbarort Heiden lebenden Juden mitgenutzt.

Juden in Lage:

         --- 1697 ........................... 17 Juden,

    --- 1809 ........................... 54   “  ,

    --- 1858 ........................... 52   "  ,

    --- 1872 ........................... 56   “  ,

--- 1880 ........................... 68   “  (ca. 2% d. Bevölk.),

--- 1900 ........................... 39   "  ,

    --- 1910 ........................... 15   “  ,

    --- 1925 ........................... 13   "  ,

    --- 1932 ........................... 13   “  ,

    --- 1937 ...........................  7   "  ,

    --- 1939/40 ........................  ?   “  .

Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil III: Reg.bez. Detmold, S. 320 f.

und                 Volker Beckmann (Bearb.), Lage, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen ..., S. 482

 

Nach einem Rückgang der Zahl der Gemeindeangehörigen löste sich die autonome Kultusgemeinde Lage 1928 auf; die wenigen Juden Lages schlossen sich der Detmolder Gemeinde an.

Im Jahre 1935 wurde der jüdische Friedhof von SS-Angehörigen geschändet, aber kurz danach wieder in den alten Zustand versetzt. Bereits drei Jahre später verkaufte die jüdische Gemeinde den älteren Friedhofsteil an einen Grundstücksnachbarn - unter der Auflage, die alten Grabsteine auf den jüngeren Friedhofsteil umzusetzen – was aber nicht geschah. Stattdessen wurden die alten Grabsteine zerschlagen und in einer Böschung vergraben.

Bereits drei Jahre vor dem Novemberpogrom von 1938 wurde das inzwischen stark reparaturbedürftige Synagogengebäude verwüstet. Noch wenige Wochen vor der „Kristallnacht“ erwarb die Stadt das Synagogengrundstück und ließ Tage später Synagogen- und danebenliegendes Schulgebäude abreißen.

                 In der „Lippischen Staatszeitung” vom 27.10.1938 hieß es dazu:

Die Synagoge verschwindet

Wie wir hören, sind nunmehr die Synagoge und die Judenschule an der Friedrichstraße in den Besitz der Stadt übergegangen, die beide Gebäude niederlegen lassen wird. Damit verschwindet schon in nächster Zeit ein häßlicher Fleck aus dem Stadtbilde, womit gleichzeitig der Gedanke an das einstmalige Vorhandensein von Juden in unserer Stadt ausgelöscht wird. Die Stadtverwaltung beabsichtigt, das Grundstück als Bauplatz zu verkaufen. Es steht zu erwarten, daß schon bald ein schöner Bau diesen Platz zieren wird.

 

Auf dem Grundstück der einstigen Synagoge/Schule - zunächst als Grünfläche gestaltet - steht heute ein Geschäftshaus. Diesem gegenüber befindet sich ein Gedenkstein mit einer -tafel, auf der in stilisierter Form das ehemalige Synagogengebäude abgebildet ist.

                               Gedenkstein mit Bronzeplatte (Abb. aus: photolokal.de)

Lage (Gedenkstele für ermordete jüdische Einwohner), Kreis Lippe, Nordrhein- Westfalen2007 wurde auf Initiative eines Arbeitskreises der Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit in Lippe eine aus 1.500 Ziegelsteinen bestehende Gedenkstele im Friedenspark (Eichenallee) errichtet (Aufn. anonym, aus: denkmalprojekt.org/2014/lage), deren Inschrift lautet: „Einen ewigen Namen will ich ihnen verleihen, der nicht ausgetilgt werden soll. Prophet Jesaja 56,5  In Erinnerung an die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt Lage, die als Juden unter der NS-Gesetzgebung verfolgt wurden. Im Gedenken an die Ermordeten. (es folgen 22 Namen)

Anm.: Die vom Bildhauer Prof. Axel Seyler gestaltete Stele hat eine Höhe von 4,50 Meter. Als Material wurden 1.500 Ziegel in verschiedenen Formen und Größen verwendet, die im Ziegeleimuseum Lage hergestellt und in Oldenburg i.O. gebrannt wurden. Sie sollen an die Bedeutung des Ziegeleiwesens in der Geschichte Lages und an den Ziegelbau der Juden in Palästina, Ägypten und Mesopotamien erinnern.

Auf dem von einer Hecke umgebenen großflächigen jüdischen Friedhof an der Flurstraße (zwischen Lemgoer Straße und Kortumstraße) befinden sich heute noch ca. 100 Grabsteine. Seit 1984 erinnert ein Gedenkstein an die Angehörigen der ehemaligen jüdischen Gemeinde der Kleinstadt.

Lage - 2014-07-06 - Jüdischer Friedhof (1).jpg Gedenkstein mit -tafel (Aufn. T., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Haben wir nicht alle einen Vater ?

                                                                                                                            Maleachi 2, Vers 10

Im Gedenken an unsere jüdischen Schwestern und Brüder,

ihre Synagoge in der Friedrichsstraße

und die Schrecken der Verfolgung in den Jahren 1933 - 1945

9.November 1984                               Christen in Lippe

Bislang hat man seitens der Kommune auf die Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ verzichtet (Stand 2022).

Jüdischer Friedhof Lage Lage - 2014-07-06 - Jüdischer Friedhof (9).jpg

Teilansichten des jüdischen Friedhofs (Aufn. Ts., 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Im Jahre 2012 wurden alte, in einer Böschung vergrabene Grabsteine entdeckt und geborgen, anschließend restauriert und auf dem alten Teil des jüdischen Friedhofs wieder aufgestellt.

 

 

Ortsteile Lage (Lippe) Heiden.svg Im Dörfchen Heiden - seit 1970 ein Ortsteil von Lage (Skizze der Ortsteile von Lage) - gab es seit Mitte des 18.Jahrhunderts eine winzige jüdische Gemeinde; um 1865 erreichte sie mit ca. 35 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand. Da die Gemeinde zu klein war, um sich einen eigenen Lehrer und Vorsänger zu leisten, besuchten die jüdischen Kinder anfänglich die Dorfschule, später die israelitische Schule in Lage. Gegen Ende der 1880er Jahre schloss sich die Heidener Gemeinde - sie bestand derzeit aus nur noch drei Familien - mit der Lages zusammen. Um die Jahrhundertwende lebten nur noch vier Bewohner mosaischen Glaubens in Heiden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Michael Guenter, Die Juden in Lippe von 1648 bis zur Emanzipation 1858, Detmold 1973

Martin Hankemeier, Alte Synagoge Lage war das Vorbild für Enger, in: "Unsere Kirche. Evangelisches Sonntagsheft Westfalen und Lippe", Jg. 45, Heft 6/1990

D. van Faassen/J.Hartmann, “... dennoch Menschen von Gott erschaffen” - Die jüdische Minderheit in Lippe von den Anfängen bis zur Vernichtung, Bielefeld 1991

Stadtverwaltung Lage (Hrg.), Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lage, Lage 1993

Klaus Pohlmann, Die Verbreitung der Handwerke unter den Juden. Zur Geschichte der jüdischen Handwerker in Lippe im 18. und 19.Jahrhundert, Detmold 1993, S. 142

Clara Arabin-Welchert, Ich schrieb es auf. Erinnerungen aus der Stadt Lage, Detmold 1994

Martin Hankemeier, Zur Geschichte der Juden in Lage: Eine Materialsammlung, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, in: "Schriften der Gesellschaft für Christlich-Jüdische. Zusammenarbeit in Lippe e.V.", Heft 12/Detmold 1994 (2. Auflage, Detmold 2003)

Burkard Meier, Lage im 19.Jahrhundert. Kirchliches Leben in einer lippischen Kleinstadt, hrg. von der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde, Lage 1995

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil III: Regierungsbezirk Detmold, J.P.Bachem Verlag, Köln 1998, S. 320 - 324

G. Birkmann/H. Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen u. Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 176/177

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 324/325

Wolfgang Deppe, Verkauft und vergessen. Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs in Lage, in: "Historisches Jahrbuch für Lage", Lage 2004, S. 6 - 17

Gustav Glitt, Stadtrundgang: Geschichte der Juden in Lage - Erinnerung an die jüdischen Bürger unserer Stadt, in: "Beiträge zur Geschichte der Stadt Lage", Heft 18/2005

Volker Beckmann (Bearb.), Lage, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 479 – 486

Margarete Wißmann, Wieder ans Licht geholt. Grabungen auf dem jüdischen Friedhof in Lage, in: "Historisches Jahrbuch für Lage", Lage 2013, S. 87 - 102

Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (Personendaten), online abrufbar unter: denkmalprojekt.org/2014/lage_gedenkstele-fuer-ermordete-jued-einwohner_kreis-lippe_nrw.html

Kirsten Fuhrmann (Red.), Stolpersteine in Lage sind für die Politik vorstellbar, in: „Lippische Landeszeitung“ vom 6.4.2022