Lampertheim (Hessen)
Lampertheim ist eine Kommune mit derzeit ca. 33.000 Einwohnern im westlichen Teil des heutigen südhessischen Kreises Bergstraße - nur ca. zehn Kilometer südöstlich von Worms gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Bergstraße', aus: ortsdienst.de/hessen/landkreis-bergstrasse).
Der erste urkundliche Nachweis, dass Juden in Lampertheim gelebt haben, stammt aus dem Jahre 1615; ab Beginn des 18.Jahrhunderts nehmen die Hinweise auf Ansiedlungen von jüdischen Familien am Ort deutlich zu. Sie besaßen bis ca. 1810 den Status von Schutzjuden; später konnten sie auf Antrag das Ortsbürgerrecht erwerben.
Zunächst fand sich die Judenschaft Lampertheims zu Gottesdiensten im Privathaus der Familie Süß in der Römerstraße 74 zusammen. Der lange beabsichtigte Bau einer eigenen Synagoge verzögerte sich wegen finanzieller Nöte der Gemeinde; die politische Gemeinde Lampertheim gewährte letztendlich einen Baukostenzuschuss. Die Beweggründe musste der Lampertheimer Bürgermeister dem Landrat mitteilen; in seinem Schreiben hieß es u.a.: „ ... Warum sollte nicht die christliche Gemeinde den Israeliten, welche tagtäglich mit ihr zusammenleben und den Handel mit Frucht, Tabak usw. betreiben, bei diesem Bau ihres Tempels behilflich sein, da ohnehin der Ort dadurch eine Verschönerung erhält ? Diese Gründe in Erwägung gezogen und die Liebe zu den Mitmenschen ins Auge gefaßt, so glauben wir, daß unsere Schenkung von 500 Gulden als billig und gerechtfertigt erscheinen wird und sehen wir der hohen Genehmigung entgegen. ...” Im Jahre 1851 wurde das Synagogengebäude in der Römerstraße/Wilhelmstraße eingeweiht; das Gebäude war als ein einfacher, rechteckiger Bruchsteinbau mit Rundbogenfenstern errichtet und mit einem Ziegelsatteldach versehen; dessen Abmessungen betrugen in der Länge 14,5 Meter und in der Breite 9 Meter. Der Innenraum verfügte über ca. 90 Männer- und 55 Frauenplätze.
Synagoge (Stadtarchiv Lampertheim) - Relief auf der Gedenktafel (Aufn. M. Ohmsen, 2010)
Synagoge in Lampertheim - Innenansicht, um 1925 (Abb. aus: P. Arnsberg)
Religiös-rituelle Verrichtungen wurden von einem seitens der Gemeinde angestellten Lehrer besorgt. Anders als in vielen Gemeinden war hier die Besetzung der Lehrerstelle keinem andauernden Wechsel unterworfen. Als Lehrer/Kantoren traten hier in Erscheinung: Wolf Joseph (von 1859 bis 1892) und Jonas Meyer (1897 bis 1932).
Nach dem Ableben des langjährigen Lehrers Wolf Joseph schrieb die Gemeinde die vakante Stelle mehrfach aus:
Gemeindliche Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 2.Mai 1892 und 23.Febr. 1893
Seit ca. 1770 hatten die jüdischen Familien einen Privatlehrer verpflichtet; später verfügte die Gemeinde über ein eigenes Schulhaus, das Ende des 19.Jahrhunderts ein marodes älteres Gebäude ersetzte.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 21.Sept.1896
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts existierten am Ort zwei Mikwen, die in Kellerräumen zweier Privathäuser jüdischer Eigentümer untergebracht waren; da sie aber den hygienischen Ansprüchen nicht genügten, wurden sie auf Grund behördlicher Anweisung zugeschüttet.
Ihre Verstorbenen beerdigte die Lampertheimer Judenschaft zunächst auf dem Verbandsfriedhof im badischen Hemsbach, ehe 1869 ein eigener Begräbnisplatz am Ort - unmittelbar am städtischen Friedhof - angelegt wurde.
Juden in Lampertheim:
--- um 1660 ...................... eine jüdische Familie,
--- 1758 .......................... 3 jüdische Familien,
--- um 1800 ....................... 4 “ “ ,
--- 1809 .......................... 49 Juden,
--- 1828/30 ....................... 79 “ ,
--- 1840 .......................... 114 “ ,
--- 1855 .......................... 159 “ (ca. 3% d. Bevölk.)
--- 1871 .......................... 131 “ ,
--- 1880 .......................... 134 “ (in 27 Familien),
--- 1890 .......................... 115 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1900 .......................... 95 “ ,
--- 1925 .......................... 74 “ ,
--- 1933 .......................... 81 “ ,* * andere Angabe: 109 Pers.
--- 1935 .......................... 76 “ ,
--- 1937 .......................... 51 “ ,
--- 1939/40 ....................... 8 “ ,
--- 1941 .......................... 7 “ ,
--- 1942 .......................... keine.
Angaben aus: Paul Arnberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 464
historische Ansichten aus Lampertheim um 1910/1915 (Abb. Robinson RD, aus: de.nailizakon.com/l/07-he/lampertheim)
Die meisten jüdischen Familien lebten ab ca. 1860/1880 in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen; neben Viehhändlern, Metzgern und Ladenbesitzern gab es auch einen jüdischen Zigarrenfabrikanten und je einen Arzt und Rechtsanwalt.
Zwei gewerbliche Anzeigen von 1878 und 1890:
Die Zahl der Juden Lampertheims hatte bereits in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts stark abgenommen. Sie reduzierte sich nach 1933 noch weiter; jüdische Familien emigrierten oder verzogen in größere deutsche Städte.
Am 10.November 1938 wurde die Synagoge in Brand gesetzt; zuvor war bereits die Inneneinrichtung zerstört worden; es blieben nur noch die Grundmauern stehen. Danach demolierten und plünderten NS-Gewalttäter jüdische Wohnungen und Läden. Bei Kriegsbeginn lebten kaum noch zehn jüdische Bewohner in Lampertheim; die letzten wurden im September 1942 deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem fanden nachweislich 30 gebürtige bzw. länger in Lampertheim wohnende jüdische Bewohner einen gewaltsamen Tod in den NS-Vernichtungslagern (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/lampertheim_synagoge.htm).
Ab Ende 1945 bestand in Lampertheim ein DP-Lager; mit bis zu 1.200 Personen (zumeist aus Polen) gehörte es zu den kleineren Camps in der US-Besatzungszone..
Eine Gruppe jüdischer DPs und DP-Camp-Verwaltung in Lampertheim (Aufn. aus: collections.ushmm.org)
Untergebracht waren die meisten DPs in requirierten Häusern bzw. Wohnungen im Ort. Unter ihnen war eine streng orthodox ausgerichtete Gruppe. Jüdische Organisationen halfen bei der Einrichtung einer Synagoge, einer Elementar- und einer Talmud-Thora-Schule, eines Kindergartens und einer koscheren Küche. Im Lager schien auch eine eigene Zeitung mit dem Titel „Frayhayt“. Im Mai 1949 wurde das DP-Camp aufgelöst.
Seit 1978 befindet sich am Standort der ehemaligen Synagoge in der Römerstraße eine Gedenktafel mit folgender Inschrift:
An dieser Stelle stand von 1851 bis 1938
die Synagoge der ehemaligen Jüdischen Gemeinde Lampertheim.
Sie wurde am 10. November 1938 zerstört.
...
Zum Andenken an die Opfer von Lampertheim und Umgebung 1938 bis 1945
Gedenktafel mit Abb. der Synagoge (Aufn. Quinn Jacobson, 2007)
Auf dem ehemaligen Synagogengrundstück wurde später ein Geschäfts- und Parkhaus gebaut. Nach dessen Fertigstellung brachte man an der Gebäuderückseite eine Bronzetafel zur Erinnerung an die Synagoge an.
2007 wurde in Lampertheim der erste sog. „Stolperstein“ verlegt; er ist Pater Alfred Delp gewidmet, der dem Widerstand des 'Kreisauer Kreises' angehörte und in Berlin-Plötzensee im Febr.1945 hingerichtet wurde. Sechs bzw. acht weitere Steine wurden 2014 bzw. 2015 in der Wilhelmstraße bzw. Domgasse/Ecke Römerstraße verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familien Bär und Mann erinnern.
verlegt in der Wilhelmstraße (Aufn. A., 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
... und der Römerstraße
Gegenwärtig findet man in Lampertheim insgesamt ca. 50 in die Gehwegpflasterung verlegte Steinquader (Stand 2024), nachdem bei der jüngsten Aktion weitere vier Steine für Angehörige der jüdischen Familie Moritz u. Anna Hochstädter hinzu kamen.
Das ca. 2.000 m² große Areal des jüdischen Friedhofs macht einen recht gepflegten Eindruck; ein dort errichtetes Denkmal ist den Opfern der NS-Herrschaft gewidmet.
Aufn. LigaDue, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Blick auf den jüdischen Friedhof und das Denkmal für die Holocaust-Opfer (Aufn. J. Hahn, 2009)
Weitere Informationen:
Paul Arnberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 464 f.
Rudolf Kunz, Statistik der Juden 1774 - 1939 im Gebiet des heutigen Kreises Bergstraße, in: "Geschichtsblätter Kreis Bergstraße", No. 15/1982, S. 285
Heinrich Friedrich Karb, Das Judenbegräbnis in Lampertheim, in: "Geschichtsblätter Kreis Bergstraße", No. 20/1987, Heppenheim 1987
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 23
Heinrich Friedrich Karb, Beiträge aus der Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde Lampertheim, in: "Lampertheim - ein Blick in die Stadtgeschichte", Bd. 2., Hrg. Magistrat der Stadt Lampertheim, 1998
Dietrich Kohlmannslehner, “... wohnen auf der verfluchten deutschen Erde” Jüdisches Leben in Südhessen nach 1945. Die DP-Lager in Lampertheim, Lindenfels, Bensheim, Dieburg und Babenhausen sowie die Anfänge der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, Darmstadt 1998
Monica Kingreen, „Oder Lampowitz, wie wir hier sagen!“ – Das DP-Lager „Lampertchajm“ bei Mannheim und jüdische Displaced Persons in der amerikanischen Zone, in: Jüdisches Leben in Baden 1809 bis 2009 - 200 Jahre Oberrat der Israeliten Badens, Festschrift herausgegeben von dem Oberrat der Israeliten Badens, Verlag Jan Thorbecke, Ostfildern 2009, S. 183 - 193
Lamperthein, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Hannelore Nowacki (Red.), Stolpern mit dem Kopf und dem Herzen, in: tip-verlag.de vom 21.2.2014
Karl Klemm/Volker Ochs, Der Erinnerung Namen geben. Verfolgung in Lampertheim während der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, hrg. vom DGB Region Südhessen, Darmstadt 2014
Lampertheim – eine jüdische DP-Gemeinde, in: after-the-shoah.org (2015)
Redaktion TIP-Verlag, Zum Gedenken an jüdische Mitbürger, Acht Stolpersteine in Lampertheim verlegt, Ausgabe vom 14.10.2015
Helmut Kaupe (Red.), Dem Judenhass zum Opfer gefallen, in: „Echo online – Kreis Bergstraße“ vom 12.8.2016
Volker Ochs, Täter, Gehilfen, Biedermänner. NS-Belastete in und um Lampertheim, Blattlaus-Verlag, Saarbrücken 2017
Helmut Kaupe (Red.), Stolpersteine für jüdische Familien in Lampertheim verlegt, in: „Lampertheimer Zeitung“, Nov. 2018
N.N. (Red.), Lampertheim. Steine erinnern an grauenvolle Verbrechen, in: „Mannheimer Morgen“ vom 20.11.2019
Auflistung der in Lampertheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Lampertheim
Andre Heuwinkel (Red.), Fünf Stolpersteine für jüdische Familie, in: „Bürstädter Zeitung“ vom 16.1.2020
Christian Hoffmann (Red.), Messingplatten halten in Lampertheim die Erinnerung wach, in: „Echo“ vom 10.9.2021
Helmut Kaupe (Red.), Lampertheim: „Die Entwürdigten wieder ins Recht setzen“, in: „Bürstädter Zeitung“ vom 8.11.2021
Kevin Schollmaier (Red.), Stolpersteine erinnern an jüdische Familie, in: „Mannheimer Morgen“ vom 13.2.2022