Landshut (Niederbayern)
Landshut ist heute eine kreisfreie Stadt mit derzeit ca. 75.500 Einwohnern; sie ist Sitz der Regierung von Niederbayern – ca. 50 Kilometer südlich von Regensburg gelegen (hist. Karte aus dem 17.Jahrh., aus: staatliche-bibliothek-passau.de und Kartenskizze 'Landkreis Landshut' mit Stadt Landshut, Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ansicht von Landshut - Kupferstich Gottfried Fischer, Mitte 17.Jahrhundert (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Im niederbayrischen Landshut lebten seit dem 13.Jahrhundert Juden; 1291 werden sie erstmals urkundlich erwähnt. Die in einer Gasse zusammenlebenden Familien bildeten eine kleine Gemeinde, die über alle notwendigen kultischen Einrichtungen wie Synagoge, Friedhof und Mikwe verfügte. Die Verfolgungen der Jahre 1298, 1338 und 1349 fügten der Landshuter Judengemeinde schwere Opfer zu; viele ihrer Angehörigen kamen ums Leben. Der Herzog Stephan II. nutzte die Gelegenheit, sich am jüdischen Vermögen zu bereichern; mit der Aufgabe, das Judenvermögen einzuziehen, wurde Albrecht von Staudach beauftragt; dieser musste die Reichtümer wiederbeschaffen, die während des Pogroms von 1349 in die Hände des marodierenden Pöbels gefallen waren. In der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts konnte sich die Landshuter Judenschaft wieder erholen; dazu trug auch die tolerante Haltung des Herzogs Heinrich d. Reichen (1393–1450) bei, der die Juden seines Landesteils unter seinen besonderen Schutz stellte; allerdings dürften seine Motive weniger humanitären, als vielmehr fiskalischen Erwägungen entsprungen sein. Mehrere vom Landesherrn unterzeichnete „Judenordnungen“ - so z.B. 1380, 1428 und 1435 - regelten vor allem Dinge, die im Zusammenhang der Wirtschaftstätigkeit standen. Die Landshuter Juden lebten ghettoartig zunächst außerhalb der Stadtmauern direkt am Burgberg, nach der Stadterweiterung innerhalb des Mauerrings; nachts wurde ihr Wohnbereich durch Ketten abgesperrt. Zwischen 1412 und 1450 lassen sich 14 Häuser im Besitz von Juden nachweisen. Synagoge und Mikwe grenzten an die Wohnhäuser. Die Begräbnisstätte der Landshuter Juden befand sich am Hofberg (zerstört im 15.Jahrhundert; Spuren dieses mittelalterlichen Friedhofs sind nicht mehr vorhanden).
Mit dem Herrschaftsantritt Herzog Ludwigs IX. d. Reichen im Jahre 1450 trat eine Wende in der Judenpolitik ein: er ließ die jüdischen Familien aus Landshut zunächst gefangensetzen und anschließend vertreiben, nicht ohne ihnen zuvor noch eine Steuer von 30.000 Gulden aufzuerlegen; nur wer sich taufen ließ und auf seine finanziellen Forderungen verzichtete, durfte in der Stadt verbleiben. Die meisten Vertriebenen ließen sich vermutlich in Regensburg nieder.
Der Friedhof kam in christlichen Besitz. Die Synagoge wurde zur Salvatorkirche umgewandelt; der Platz vor der einstigen Synagoge hieß fortan „Dreifaltigkeitsplatz“; die Kirche wurde im Zuge der Säkularisation 1810 abgerissen. Heute steht an der Stelle das Standbild des Herrschers, der einst die Juden vertreiben ließ!
In den folgenden Jahrhunderten gab es in Landshut keine jüdische Gemeinde mehr. Erst nach 1850/1860 zogen wieder jüdische Familien in die Stadt, ohne dass es zur Bildung einer selbstständigen Gemeinde kam.
aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums“ vom 17.10.1859
Juden in Landshut:
--- 1867 ......................... 6 Juden,
--- 1880 ......................... 20 “ ,
--- 1900 ......................... 46 “ ,
--- 1910 ......................... 60 “ ,
--- 1925 ......................... 45 “ ,
--- 1933 ......................... 48 “ ,
--- 1939 ......................... 18 “ .
Angaben aus: Landshut, in: alemannia-judaica.de (unter Straubing)
Nach der NS-Machtübernahme verließ ein Großteil der jüdischen Familien Landshut; ein Teil emigrierte, der andere Teil verzog in größere Städte.
Während des Novemberpogroms von 1938 kam es zu Ausschreitungen gegen die wenigen noch am Ort verbliebenen Juden.
Mehrere der jüdischen Einwohner begingen unmittelbar vor ihrer Deportationen Selbstmord. Die letzten elf wurden im April 1942 nach Piaski/bei Lublin deportiert und ermordet.
In der Endphase des Zweiten Weltkrieges befand sich ein Außenkommando des KZ Dachau nahe der Stadt; die ca. 500, fast nur jüdischen Häftlinge wurden zur Zwangsarbeit für ein Nachschublager der Wehrmacht eingesetzt. - Nur ein Gedenkstein auf dem Friedhof im Stadtteil Achdorf erinnert an die Opfer dieses KZ-Außenlagers. Der Ort, an dem die Baracken standen, ist heute Industriegelände.
Ein Auffanglager (Zeltlager) für bis zu 3.000 Personen bestand von August bis Oktober 1946 am Rand der Stadt; die meisten der Camp-Bewohner wurden im September 1946 nach Babenhausen (Hessen) übergesiedelt. In der Altstadt von Landshut hielten sich unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges Displaced Persons auf (max. waren es 1947 ca. 150 Pers.) und gründeten eine jüdische Kultusgemeinde. Im „Gasthof Silbernagel“ hielten die Angehörigen ihre Gottesdienste ab. Doch bereits 1950 löste sich die kleine junge Gemeinde wieder auf, nachdem die DPs in ihre neue Wahlheimat emigriert waren.
Zu den spärlichen baulichen Überresten der einstigen mittelalterlichen Gemeinde zählen eine Mikwe (im Keller eines Hauses am Nahenstieg) und zwei Grabsteine aus dem 14.Jahrhundert, die vermutlich vom ehemaligen Landshuter "Judenfriedhof" stammen; die genaue Lage des mittelalterlichen „Juden freithofs“ ist nicht bekannt. Am Hauptportal der Kirche St. Martin sind die allegorischen Figuren „Ecclesia“ und die blinde „Synagoga“ - einander gegenübergestellt - zu finden; das aus dem Spätmittelalter stammende Figurenpaar dokumentiert die antijüdische Haltung der Bevölkerung.
2004 hat eine internationale Jugendgruppe im ehemaligen jüdischen Viertel am Dreifaltigkeitsplatz Grabungen vorgenommen, um nach Spuren der 1450 aufgegebenen jüdischen Siedlung zu suchen. Um das jüdische Viertel nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen, soll eine Tafel angebracht werden, die an die Vertreibung der Juden aus Landshut erinnern.
2012 wurden die ersten neun von insgesamt 24 geplanten sog. „Stolpersteine“ in der Altstadt von Landshut (für die Familie Ansbacher, Seligenthaler Straße) verlegt; drei Jahre später kamen fünf „Steine des Erinnern“ für die Familie Wittmann in der Inneren Münchener Straße hinzu. Weitere fünf wurden 2016 für die Familie Landauer in der Theaterstraße verlegt.
"Stolpersteine" für Angehörige der Familie Ansbacher, Seligenthaler Str. (Aufn. W.S., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
verlegt für Familie Marx, Altstadt (Aufn. 2017, aus: wikipedia.org, CCO)
Auf dem Dreifaltigkeitsplatz wurde 2019 eine Gedenktafel eingeweiht, die an die einstige mittelalterliche Landshuter Synagoge und die Vertreibung der Juden aus der Stadt um 1450 erinnern soll.
Stein mit Informationstafel (Abb. Christliches Bildungswerk Landhut)
In Ampfing – ca. 45 Kilometer südlich von Landshut – existierte von 1946 bis 1948 ein jüdisches DP-Lager, in dem zeitweilig bis zu 100 Personen lebten. Verwaltungssitz und kulturelles Zentrum (mit einem Synagogenraum) war der ehemalige Gasthof Hinterecker. Das heute als „Theresianum“ bezeichnete historische Gebäude – noch gegen Kriegsende zu einem Offizierscasino umgebaut – wies in der Folgezeit unterschiedlichste Nutzungen auf. Bei der Sanierung des alten Gebäudes (um 2010) wurden Malereien freigelegt, die auf dessen kurzzeitige Nutzung als Synagogenraum hinweisen.
In Moosburg/Isar – einer Kleinstadt ca. 20 Kilometer südwestlich von Landshut – hielten sich 1948 ca. 250 jüdische Personen (zumeist aus Polen stammend) auf, die hier darauf warteten, in andere Länder auszuwandern. In einem Haus in der Herrnstraße hatte die DP-Gemeinde eine Synagoge eingerichtet. 1951 lebten nur noch 30 Juden in der Stadt.
Bis in die 1930er Jahre hatte der jüdische Kaufmann Alois Weiner in Moosburg ein Kaufhaus betrieben; wegen „Rassenschande“ und wegen seines jüdischen Glaubens wurde er deportiert; er kehrte nach 1945 aus Theresienstadt wieder in seine Heimatstadt nach Moosburg zurück.
Stolperstein für Alois Weiner (Aufn. König 2021, aus: wikipedia.org CCO)
Weitere Informationen:
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 467/468, Band III/1, Tübingen 1987, S. 703 – 711 und Band III/3, Tübingen 2003, S. 1780 - 1793
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 340
Georg Spitzlberger, Die Juden im mittelalterlichen Landshut - Jüdisches Leben in Altbayern, in: "Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern", 110./111. Band, Landshut 1998
Josef Kirmeier, Die Juden und andere Randgruppen: Zur Frage der Randständigkeit im mittelalterlichen Landshut, hrg. vom Stadtarchiv Landshut, Landshut 1998
Josef Kirmeier, Juden im mittelalterlichen Landshut, in: 1204 und ihre Folgen. Zu den Anfängen der Stadt Landshut, o.O. 2002
Heinrich Egner, „Juden in Landshut 1800 – 1942“ - zahlreiche Beiträe in der „Landshuter Zeitung“ vom Mai 2002 bis Nov. 2003
Rubert G. Pfeiffer, Auf den Spuren der Landshuter Juden (Aufsatz), Landshut 2007
Landshut, in: alemannia-judaica.de
Landshut - Jüdische DP-Gemeinde, in: after-the-shoah.org
Zur jüdischen Geschichte in Ampfing, in: alemannia-judaica.de
Ampfing – Jüdische DP-Gemeinde, in: after-the-shoah.org
Moosburg – Jüdische DP-Gemeinde, in: after-the-shoah.org
N.N. (Red.), Die ersten Stolpersteine in Landshut sitzen, in: „Wochenblatt. Die Zeitung für alle“ vom 2.10.2012
Stadt Landshut (Hrg.), Stolpersteine zum Gedenken an jüdische Landshuter Bürger (2013), online abrufbar unter: landshut.de
Mario Tamme (Bearb.), „Ich bin so traurig“ - Das Schicksal der jüdischen Landshuter 1933 – 1942, hrg. vom Stadtarchiv Landshut 2013
Verein Stolpersteine Landshut - Gegen das Vergessen e.V., online abrufbar unter: stolpersteine-landshut.de (mit Biografien der Opfer)
Auflistung der in Landshut verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Landshut
stn (Red.), 700 Jahre Synagoge Ampfing: Malereien erinnern an die Geschichte, in: „Oberbayrisches Volksblatt“ vom 31.12.2016
Förderverein Pfarrzentrum Ampfing (Hrg.), Die Synagoge von Ampfing im Theresanium des Pfarrzentrums, online abrufbar unter: erzbistum-muenchen.de/pfarrei/pv-ampfing/cont/87314
Claudia Bauer (Red.), Er war ein beliebter jüdischer Kaufmann in Moosburg, doch dann kamen die Nazis, in: „Merkur“ vom 25.1.2019
Alexander Schmid (Red.), Judenvertreibung im Mittelalter. Gedenkstein mit Tafel erinnert an eine finstere Zeit in Landshut, in: "Wochenblatt" vom 1.4.2019
Nico Bauer (Red.), Rundgang beleuchtet jüdisches Leben im Moosburg der Nachkriegszeit, in: „Merkur“ vom 27.9.2019
Armin Foster (Red.), Erstmals Stolpersteine in Moosburg verlegt: Diese zwei Schicksale verbergen sich hinter den Mahnmalen, in: „Merkur“ vom 27.10.2021