Laufersweiler (Rheinland-Pfalz)

Datei:Verbandsgemeinden in SIM.svg  Die kleine Ortschaft Laufersweiler mit ihren derzeit ca. 850 Einwohnern gehört zur Verbandsgemeinde Kirchberg - im äußersten Südwesten des Rhein-Hunsrück-Kreises gelegen (Kartenskizzen 'Rhein-Hunsrück-Kreis' ohne Eintrag von Laufersweiler, Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und kvplus.de/portal).

 

Vermutlich seit dem 17.Jahrhundert durften jüdische Familien als Schutzjuden der Freiherrn von Schmidtburg im Dorfe Laufersweiler ansässig werden; allerdings handelte es sich stets nur um wenige. Erst nach 1810/1820 stieg ihre Zahl deutlich und erreichte am Ende des 19.Jahrhunderts mit ca. 160 Personen ihren Höchststand.

Um 1825 muss die erste Synagoge in der Kirchgasse gebaut worden sein; ein Großbrand im Sommer 1839 vernichtete sie. Fünf Jahre später konnte die Kultusgemeinde einen Synagogenneubau (im Stile des Historismus) am Neuen Weg einweihen, der immerhin etwa 150 Personen fasste. Alle Sitz- und Stehplätze waren nummeriert und wurden nach dem Alter zugewiesen; die älteren Gemeindemitglieder fanden in den vorderen, die jüngeren in den hinteren Reihen Platz. Im gleichen Gebäude waren auch ein Schulraum nebst Lehrerwohnung und eine Mikwe untergebracht.

In der Beilage zur „Kölnischen Zeitung“ vom 1.Sept. 1844 wurde über die Einweihung der Laufersweiler Synagoge wie folgt berichtet: " Am 16. und 17. d. M. fand die Einweihung dieser Synagoge statt. Der Herr Konsistorial-Oberrabbiner Dr. Auerbach von Bonn und der Herr Kreisvorsteher Stadtrat Rotschild von Simmern hatten sich auf die an sie zur Einweihungsfeier ergangene Einladung dort eingefunden. Nachdem der Herr Oberrabbiner von der dortigen israelitischen Schuljugend mit einer passenden Anrede feierlichst in Empfang genommen wurde, traf sich die Gemeinde des Nachmittags um 3 Uhr zum Vesper-(Mincha-)Gebet in der in dem Hause des dortigen Einwohners Joseph Löser bisher befindlichen Betstube, woselbst der Herr Oberrabbiner beim Verlassen derselben einige zu Herzen gehende Abschiedsworte sprach. Der Zug, dem sich der sehr würdige evangelische Geistliche, Herr Pfarrer Lang, daselbst anschloß, bewegte sich nun zur neuen Synagoge Bei der Ankunft an der neuen Synagoge überreichte die Schlüsselträgerin dem Herrn Oberrabbiner den Schlüssel zur Eröffnung, während der Vorsänger unter Musikbegleitung mehrere Psalmen absang. Hierauf sprach der Herr Oberrabbiner mit wahrhaft inbrünstigem Gefühle ein Gebet, und nachdem die Gesetzesrollen in die heilige Lade eingebracht waren, folgten die Weihepredigt und das Gebet für unseren allverehrten Landesvater. Der Weihepredigt des Herrn Oberrabbiners schlossen sich die sehr gut gewählten Worte des würdigen evangelischen Geistlichen Herrn lang an. Beide empfahlen mit der eindringlichsten Herzlichkeit, auch für die Folge in gegenseitiger Liebe und Eintracht zu beharren. Als der Herr Oberrabbiner weiter erwähnte, daß diese Einweihungsfeier mit der göttlichen Hilfe und unter dem Schutze eines hochherzigen Königs und Landesvaters ... statt finde, da trat bei allen Zuhörern eine sichtbare Rührung hervor, welche die aufrichtigste Liebe für König und Vaterland bekundete. In der am Morgen des folgenden Tages statt gehabten Predigt sprach Herr Oberrabbiner über die Glaubenslehren des Judentums, daß diese nur im Glauben an das Dasein Gottes, an eine göttliche Offenbarung durch Moses und in dem Glauben an Belohnung und Bestrafung der menschlichen Handlungen beständen. Nach beendigtem Gottesdienste versammelten sich die Gemeindeglieder zu einem festlichen Mahle, dem der Herr Pfarrer Lang und mehrere andere christliche Einwohner von Laufersweiler beiwohnten. So endete denn eine Festlichkeit, die in den Herzen der Anwesenden und ohne Unterschied des Glaubens die gegenseitige Liebe und Achtung noch mehr erhöhte."

Dieses 1844 erstellte Gebäude wurde 1909 auf Abriss verkauft; zwei Jahre später wurde der dritte Synagogenbau mit Stilelementen des Historismus eingeweiht.

Religiöse Aufgaben, die in der Gemeinde anfielen, wurden von einem Elementar- bzw. Religionslehrer erfüllt; neben seiner unterrichtlichen Tätigkeit gehörte zeitweise auch der Vorbeter- und Schächtdienst zu seinen Obliegenheiten; die Besetzung der Stelle war einem häufigen Wechsel unterworfen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2090/Laufersweiler%20AZJ%2003081857.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2090/Laufersweiler%20Israelit%2022061881.jpghttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2090/Laufersweiler%20Israelit%2003071902.jpg

Stellenausschreibungen in "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 3.Aug. 1857 und der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 22.Juni 1881 u. 3. Juli 1902

Die Anfänge einer privaten jüdischen Religionsschule reichen ins beginnende 19.Jahrhundert zurück; eine eigenständige öffentliche Elementarschule hat es aber zu keiner Zeit gegeben. Über die Situation gibt ein Bericht des Kreisschulinspektors vom 12.März 1903 Auskunft: „ ... Die Einrichtung einer jüdischen Schule in Laufersweiler kann ich aufgrund der unliebsamen Erfahrungen, die in den vor Jahren dort gewesenen Judenschule gemacht wurden, nicht empfehlen. Bei dem zänkischen Charakter der jüdischen Leute dort, die lediglich Viehhändler und Metzger sind, fehlte es nie an ärgerlichen Streitigkeiten mit dem jüdischen Religionslehrer, in Folge dessen die jüdischen Lehrer dort so häufig wechselten, daß die Schulstelle zu einem Taubenschlag wurde. Es ist nicht zu erwarten, daß das in Zukunft besser wird.”

Ein eigener Friedhof wurde vermutlich bereits gegen Ende des 18.Jahrhunderts am nordwestlichen Rand von Laufersweiler angelegt.

Juden in Laufersweiler:

         --- um 1750 .......................   5 jüdische Familien,

    --- um 1810 ................... ca.  60 Juden,

    --- 1840 ..........................  17 jüdische Familien,                                

    --- um 1850 ................... ca. 110 Juden,

    --- 1858 .......................... 124   “  ,

    --- 1885 .......................... 111   “  ,

    --- 1895 .......................... 195   “   (ca. 20% d. Dorfbev.),

    --- 1925 ..........................  76   “   (ca. 10% d. Dorfbev.),

    --- 1942 (Aug.) ...................  keine.

Angaben aus: Fritz Schellack, Laufersweiler. Geschichte und Alltag eines Hunsrückdorfes

 

Die nach 1900 einsetzende Abwanderung dezimierte die Kultusgemeinde erheblich; innerhalb von 25 Jahren hatte sich die Zahl der Mitglieder halbiert. Die in Laufersweiler lebenden jüdischen Familien verdienten ihren Lebensunterhalt um 1920/1930 größtenteils im Viehhandel; daneben gab es auch einige Gemischtwarenläden, eine Metzgerei und eine größere Mazzenbäckerei. In den ersten vier Jahren nach der NS-Machtübernahme blieben die Juden Laufersweilers zunächst an ihrem Heimatort wohnen; erst seit 1938 wanderten sie vermehrt aus, vor allem nach Argentinien, Palästina und Nordamerika.

Am Abend des 9.November 1938 demolierten und schändeten SA-Angehörige die Synagoge; eine Brandlegung scheiterte aber am Widerstand der Nachbarschaft, die auf die hohe Brandgefahr für die umliegenden Anwesen hinwies. Auch in Wohnhäuser jüdischer Familien drangen die SA-Leute ein, zerschlugen Hausrat, misshandelten die Bewohner und trieben diese auf die Straße. Wer in den folgenden Jahren nicht emigrieren konnte, wurde im Frühjahr/Sommer 1942 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 38 gebürtige bzw. längere Zeit in Laufersweiler wohnhaft gewesene Juden Opfer der Shoa (namentliche Nennung in: alemannia-judaica.de/laufersweiler_synagoge.htm).

Im Sommer 1949 fand vor dem Amtsgericht in Kirchberg der sog. „Juden-Prozess Laufersweiler“ statt, bei dem sich Tatbeteiligte des Pogroms von 1938 verantworten mussten.

 

Auf dem am nordwestlichen Ortsrand liegenden jüdischen Friedhof findet man heute noch ca. 50 bis 60 Grabsteine. Nachdem der ältere Teil des Areals aufgelassen worden war, wurden die dort noch vorhandenen Grabsteine auf den jüngeren Teil verlagert.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20179/Laufersweiler%20Friedhof%20205.jpgLaufersweiler Jüdischer Friedhof 1.jpg

Jüdischer Friedhof Laufersweiler (Aufn. Otmar Frühauf, 2008 und K., 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Mitte der 1980er Jahre wurden umfassende Restaurierungsarbeiten am erhaltengebliebenen und inzwischen unter Denkmalschutz gestellten Synagogengebäude durchgeführt; 1988 wurde hier ein neugestalteter Gedenkraum eingeweiht. In der ehemaligen Thora-Nische steht ein Bronzerelief (erstellt vom Künstler Karl Heinz Brust), das an die 25 jüdischen Opfer der NS-Herrschaft erinnern soll.

   Laufersweiler-Synagoge01.jpg

Restauriertes Synagogengebäude (Aufn. M. Braun, 2007, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei u. Sch., 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2091/Laufersweiler%20Synagoge%20131.jpgBronzerelief (Aufn. Karl Heinz Brust, 1987)

Ein fast gleichzeitig gebildeter Arbeitskreis, aus dem sich der „Förderkreis Synagoge Laufersweiler e.V.” entwickelte, dokumentierte die Geschichte der Laufersweiler Juden in einer Ausstellung. 2001 waren nochmals umfassende Renovierungsarbeiten am Gebäude durchgeführt worden.

2014 wurde in Laufersweiler das "Forst-Mayer Studien- u. Begegnungszentrum für das Landjudentum" (benannt nach zwei jüdischen Familien) eröffnet. Das Zentrum versteht sich als "jüdisch-deutsches Gedächtnis" der Region zwischen Rhein, Mosel und Nahe, als Anlaufstelle für Recherchen, aber auch als Stätte der Mahnung gegen Rassismus, Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Fremdenhass.

Für sein Engagement hinsichtlich der Bewahrung jüdischer Geschichte und der Bekämpfung von Vorurteilen in der heutigen Zeit hat der Förderkreis Synagoge Laufersweiler 2022 als öffentliche Anerkennung den sog. "Obermayer German Jewish History Award" erhalten.

 

[vgl. Rhaunen (Rheinland-Pfalz)]

[vgl. Kirchberg (Rheinland-Pfalz)]

 

 

Weitere Informationen:

Peter Mayer, Aus der Geschichte der Juden des Hunsrücks, Kirchberg 1935

Hans-Werner Johann, Die ehemalige Synagoge in Laufersweiler wird 75 Jahre alt, in: "Glaube u. Heimat - Oberländische Chronik", Heft 26/27 (1986)

Hans-Werner Johann, Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Laufersweiler, in: "Hunsrücker Heimatblätter", No. 71/1987

Hans-Werner Johann, “ Sie gehörten zu uns” - Geschichte und Schicksal der Laufersweiler Juden, Holzbach 1988 (Broschüre)

Hans-Werner Johann, Die Laufersweiler Synagogen 1826 - 1900, Holzbach 1990 (Broschüre)

Bernhard Mayer, Jugenderinnerungen eines Laufersweiler Juden, in: "Glaube und Heimat", Heft 9/1991, S. 6

Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz (Hrg.), Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Rheinland-Pfalz, 2.Aufl., Mainz 1991, S. 62 - 64

Fritz Schellack, Laufersweiler. Geschichte und Alltag eines Hunsrückdorfes, in: "Schriftenreihe des Hunsrücker Geschichtsvereins", Heft 22, S. 229 f., Argenthal 1994

Fritz Schellack, Die israelitische Schule in Laufersweiler, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 14/1997, S. 51f.

Christof Pies, Jüdisches Leben am Rhein - Hunsrück-Kreis, in: "100 Jahre Hunsrücker Geschichtsverein e.V. 1901 - 2001", No. 116 (Sondernummer), Jg. 41/2001, S. 380 - 395

Christof Pies, Jüdisches Leben im Rhein-Hunsrück-Kreis, in: "Schriftenreihe des Hunsrücker Geschichtsvereins e.V.", No. 40, 2003, S. 240 - 267 und S. 320 f.

Hans-Werner Johann, Die ehemalige Synagoge Laufersweiler – ein Lern- und Gedenkort, hrg. vom Förderkreis Synagoge Laufersweiler e.V., 2004

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 231 - 233

Laufersweiler, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumentenmaterial zur jüdischen Ortshistorie)

Werner Dupuis (Red.), Laufersweiler: In der Synagoge entsteht ein neues Studienzentrum, in: „Rhein-Zeitung“ vom 22.2.2014

Werner Dupuis (Red.), Laufersweiler hat ein Zentrum des Gedenkens, in: „Rhein-Zeitung“ vom 8.7.2014

Förderkreis Synagoge Laufersweiler e.V. (Hrg.), Jüdisches Leben iim Hunsrück, u.a., online abrufbar unter: synagoge-laufersweiler.de (Wanderausstellung)

Gisela Wagner (Red.), Europäischer Tag der jüdischen Kultur: Synagoge Laufersweiler zeigt sich in neuem Gewand, in: „Rhein-Hunsrück-Zeitung“ vom 3.9.2020

Werner Dupuis (Red.), Hohe Auszeichnung für Förderkreis Synagoge Laufersweiler: Aktive erhalten Obermayer Award, in: „Rhein-Hunsrück-Zeitung“ vom 20.1.2022

Sina Ternis (Red.), Ein Ort der Vergangenheit und Gegenwart: Synagoge in Laufersweiler ist mehr als nur ein Museum, in: „Rhein-Hunsrück-Zeitung“ vom 20.6.2023