Laupheim (Baden-Württemberg)
Mit derzeit knapp 23.000 Einwohnern ist Laupheim heute die zweitgrößte Stadt im Nordosten des Landkreises Biberach; die in Oberschwaben liegende Kommune gehört zur Region Donau-Iller - ca. 30 Kilometer südwestlich von Ulm gelegen (aktuelle Kartenskizze der Region Oberschwaben ohne Eintrag von Laupheim, M. Dörrbecker, aus: wikipedia.org CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Landkreis Biberach', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-biberach).
Die jüdische Gemeinde Laupheim war die jüngste im heutigen Oberschwaben und galt um 1860/1870 als eine der bedeutendsten Südwestdeutschlands. Zur Blütezeit zählte die Kultusgemeinde fast 800 Angehörige; damit war sie zeitweise die größte im damaligen Königreich Württemberg.
Laupheim um 1725 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Seit Beginn des 18.Jahrhunderts sollen sich etwa 20 jüdische Familien unter dem Schutz der reichsritterschaftlichen Familie von Welden in Laupheim aufgehalten haben; die Landesherrschaft erhoffte sich von ihnen eine Steigerung der Wirtschaftskraft in der Region. Gegen jährliche Schutzgeldzahlungen wohnten die jüdischen Familien in ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungen. Zu ihren Verpflichtungen gehörte es, besondere Hüte und Bekleidung zu tragen.
Der Zuzug weiterer Juden aus Nachbarorten wie Fellheim, Fischbach und Illereichen vergrößerte die 1724 entstandene jüdische Gemeinde deutlich; bis Ende des 18.Jahrhunderts war sie auf etwa 40 Familien angewachsen. Die Judensiedlung lag auf dem „Judenberg“ im Nordosten der Ortes, war völlig vom Wohnbezirk der katholischen Bevölkerung separiert und bildete praktisch eine eigene politische Gemeinde; sie verfügte über einen Gemeindevorsteher, Rabbiner und Vorsänger, die autonom in allen internen Angelegenheiten handeln konnten. Nach 1828 konnten sich die Juden auch außerhalb des „Judenberges“ niederlassen, wodurch zahlreiche neue Wohnhäuser entstanden, vor allem in der Kapellenstraße, in der Bronner Straße, der Oberen Rad- und Fabrikstraße und der Steinstraße.
Die Laupheimer Juden besaßen zunächst nur eine Betstube; 1771 konnten sie eine Synagoge einweihen, die neben ihrem in den 1730 Jahren angelegten Friedhof lag. Diese Synagoge wurde 50 Jahre später durch einen Neubau in der Bronnerstraße ersetzt, der der stark angewachsenen jüdischen Gemeinde Rechnung trug; eingeweiht wurde der Bau im Jahre 1822. Etwa 50 Jahre später ließ die Gemeinde die Synagoge umbauen - zwei große Türme wurden hinzugefügt; das Gebäude wirkte so gegenüber dem Ursprungsbau repräsentativer.
Siegel der Kultusgemeinde Laupheimer Synagoge (Aquarell von Hermann Stumpp)
Stellenausschreibungen der jüdischen Gemeinde Laupheim von 1874 und 1888
In den 1820er Jahren richtete die jüdische Gemeinde eine eigene Schule ein, die mehr als 100 Schüler besuchten und bis 1939 bestand - zuletzt nur als israelitische Konfessionsschule. Diese befand sich in einem Gebäude gegenüber der Synagoge, in dem auch das Rabbinat untergebracht war. Es diente nach der Zerstörung der Synagoge (November 1938) als jüdisches Gemeindehaus mit Betsaal sowie bis 1942 als Zwangsaltersheim. Seit 1945 wird das Gebäude als Hotel genutzt.
Der Friedhof auf dem „Judenberg“ war nach 1730 angelegt und später mehrfach erweitert worden. Eine 1822 erbaute Trauerhalle wurde wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg durch eine neue ersetzt.
Alte Grabstätten auf dem Friedhof in Laupheim (hist. Aufn.)
Bei der Neueinteilung der württembergischen Bezirksrabbinate 1832 wurde Laupheim zum Sitz eines der 13 württembergischen Rabbinate.
Juden in Laupheim:
--- 1724 .......................... 4 jüdische Familien,
--- um 1730 ....................... 20 “ “ ,
--- um 1785 ....................... 40 “ “ ,
--- 1807 .......................... 270 Juden,
--- 1824 .......................... 464 “ ,
--- 1831 .......................... 548 “ (ca. 18% d. Bevölk.),
--- 1843 .......................... 668 “ ,
--- 1856 .......................... 796 “ (ca. 23% d. Bevölk.),
--- 1869 .......................... 843 “ (ca. 20% d. Bevölk.),
--- 1886 .......................... 570 “ ,
--- 1900 .......................... 443 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1910 .......................... 348 “ ,
--- 1933 .......................... 235 “ ,
--- 1938 .......................... 81 “ ,
--- 1942 (Sept.) .................. keine.
Angaben aus: Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, S. 118
Ansicht von Laupheim um 1850, in der Bildmitte die Synagoge (Stahlstich Stadt Laupheim, aus: wikipedia.org, CCO)
Die Laupheimer Juden lebten auch im 19.Jahrhundert vorwiegend vom Handel; so gab es Mitte des Jahrhunderts mehr als 30 Pferde- und Viehhändler und fast 60 Hausierer. Juden gehörten später auch zu den Inhabern wichtiger Industriebetriebe und angesehener Geschäfte und Banken. Die Gebrüder Steiner zählten zu den Laupheimer Juden, die durch ihren wirtschaftlichen Aufstieg im 19.Jahrhundert weit über die Region hinaus bekannt wurden. Die Firma „Simon Steiner Hopfen“ konnte gegen Ende des 19. Jahrhunderts sogar eine Filiale in New York gründen, die bis heute als eine der größten Hopfenhandlungen der Welt gilt.
Ausschnitt aus einem Werbeplakat (Abb. aus: museum-laupheim.de)
Die Beziehungen zwischen christlichen und jüdischen Bewohnern Laupheims waren relativ problemlos; die Integration der Juden in die kleinstädtische Gesellschaft konnte als gelungen bezeichnet werden. Der Ortschronist August Schenzinger schrieb 1897: „ ... Darum konstatieren wir, ... mit allem Nachdruck, daß in unserem Laupheim die ächte, wahre und wirkliche Toleranz im besten Sinne des Wortes allseitig zur Geltung gekommen ist. Eine jede Konfession übt unbehindert und unangefochten ihre Rechte und Pflichten, so daß niemals ein Zwiespalt zu Tage getreten ist. Daher kommt es auch, daß der Verkehr zwischen allen Konfessionen ein reger und ungetrübter ist ... (Es) wird immer die gegenseitige Achtung und Harmonie gewahrt, so daß andere Städte hier das schönste Beispiel wirklicher Toleranz nachzuahmen finden könnten.”
Ab den 1870er Jahren zog vor allem die ärmere jüdische Bevölkerung verstärkt von Laupheim weg, teils in größere deutsche Städte, teils in die USA; im Ort zurück blieb vor allem das etablierte Bürgertum.
Die Wirtschaftskrise der Weimarer Zeit führte zur Verarmung mittelständischer Kreise, darunter auch jüdischer Geschäftsleute Laupheims. Der aufkommende Antisemitismus der 1920er Jahre war in der zentrumsorientierten Kleinstadt kaum spürbar und fügte dem Zusammenleben zwischen Christen und Juden zunächst keine wirklichen Schaden zu. Doch auch im überwiegend katholischen Laupheim gewannen die Nationalsozialisten nach 1933 schnell an Einfluss; schon die Aktionen des Boykotttages vom 1.4.1933 machten deutlich, dass das spannungsfreie Zusammenleben der Konfessionen bald vorbei sein würde. Schnell setzte auch in Laupheim eine offene antijüdische Lokalpolitik ein, die durch den „Laupheimer Kurier“, der späteren „Nationalen Rundschau“ propagandistisch begleitet wurde. Offene Tätlichkeiten und Zerstörungen jüdischen Eigentums - meist begangen von SA-Angehörigen - gehörten nun zum Alltag. Einschüchterung und Ausgrenzung ließen jüdische Geschäftsleute ihre Unternehmen einstellen; bis 1938 waren alle jüdischen Industrieunternehmen und Geschäfte „arisiert“.
Synagoge in Laupheim Anfang der 1930er Jahre (Aufn. Stadtarchiv, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In der Pogromnacht von 1938 setzten SA-Angehörige die Synagoge in Brand; Demütigungen der jüdischen Bewohner folgten; so mussten sie z.B. vor der brennenden Synagoge Kniebeugen machen.
Zerstörte Synagoge in Laupheim (hist. Aufn., Stadtarchiv)
Mehr als 120 jüdische Bewohner Laupheims konnten noch rechtzeitig ins Ausland flüchten. Wem dies nicht gelang, wurde aus seinen Wohnungen und Häusern vertrieben und zwangsweise im Jüdischen Altersheim, im ehemaligen Rabbinatsgebäude, einquartiert; andere wurden in das vor der Stadt gelegene Barackenlager umgesiedelt. Zu den verbliebenen Juden aus Laupheim kamen weitere Zwangseingewiesene aus Stuttgart und anderen Städten hinzu. Von hier aus wurden alle zwischen November 1941 und August 1942 deportiert.
unmittelbar vor der Deportation (hist Aufn., Museum Großlaupheim/Landesarchiv BW)
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und dem "Gedenkbuch - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind ca. 120 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Laupheimer Bewohner mosaischen Glaubens Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/synagoge_laupheim.htm).
Entgegen der Berichte von Laupheimer Zeitzeugen, wonach die Brandstifter auswärtige SA-Angehörige gewesen wären, standen im sog. „Laupheimer Synagogenprozess“ vom März 1948 19 Einheimische vor dem Ravensburger Schwurgericht. Diejenigen, die den Brand gelegt hatten, konnten jedoch nicht ausfindig gemacht werden.
Ein Gedenkstein befindet sich am ehemaligen Standort der Synagoge in der Bronnerstraße; auf einer Tafel ist zu lesen:
Hier stand die im Jahre 1836 erbaute Synagoge der altehrwürdigen Israelitischen Gemeinde.
Dieses Gotteshaus wurde bei den Verfolgungen unserer jüdischen Mitbürger am 9.November 1938 zerstört.
Eine andere Erinnerungstafel in der Oberen Radstraße legt Zeugnis ab von der reichen Geschichte der Laupheimer Juden:
An diesem Ort stand von 1868 bis 1970 das jüdische Schulhaus.
Es wurde von der einst blühenden Jüdischen Gemeinde in Laupheim erstellt
und diente als Volksschule für deren Kinder bis zur gewaltsamen Auflösung dieser Gemeinde.
Der mitten in der Stadt gelegene Laupheimer Judenfriedhof auf dem „Judenberg“ - während der NS-Zeit nahezu unangetastet geblieben - besitzt auf einer Fläche von ca. 4.600 m² heute ca. 1.200 Grabstellen und ca. 1.000 alte Grabsteine bzw. -relikte, die teilweise restauriert wurden; der älteste nur noch fragmentarisch entzifferbare Grabstein trägt die Jahreszahl 1740.
Eingangstor zum Friedhofsgelände und Gräberreihen (Aufn. U., 2015 und Catatine, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Grabsteine (Aufn. links: Angelika Brosig, 2007; rechts: J. Hahn, 2003)
Eine während der NS-Zeit entfernte Tafel zu Ehren der jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges wurde 1955 durch eine neue mit folgendem Text ersetzt:
Eine früher an dieser Stelle angebrachte Gedenktafel wurde in den Jahren 1933 - 1945 gewaltsam entfernt.
Diese neue Tafel sei dem Angedenken an die jüdischen Opfer jener Schreckenszeit gewidmet.
Friede walte künftig über dieser Stätte.
Gestiftet im Jahre 1955 von früheren Angehörigen der israelitischen Gemeinde Laupheim.
Seit 1984 erinnert eine weitere Gedenktafel am Eingang zum jüdischen Friedhof (später wurde diese ins Pförtnerhaus verlagert) namentlich an 102 jüdische NS-Opfer.
Abb. U., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Die aufgeführten Personen stammten entweder aus Laupheim oder wurden aus anderen Orten hierher gebracht und dann von hier deportiert. Einige der Opfer starben schon vor ihrer Deportation an den Folgen von körperlicher Gewalt und Mißhandlung oder durch Suizid. Die Tafel enthielt ursprünglich die Namen von 102 Holocaust-Opfern. Inzwischen zählt man nach aktuellen Recherchen etwa 160 Personen, die deportiert/ermordet wurden. Deshalb wurde 2023 die bisherige Tafel um eine weitere ergänzt.
Das Haus Judenberg 24 am Eingang zum jüdischen Friedhof – im Jahre 1907 als Leichenhalle und Wohnquartier für den Friedhofswärter erbaut – dient seit 2014 als Begegnungs- und Gedenkstätte, in der sich Besucher über die Geschichte des „Guten Ortes“ informieren können; das Gebäude war mit hohem Kostenaufwand restauriert worden.
Vor dem Haus gestaltete die Kommune einen Platz, der nach Ernst Schäll benannt wurde; der 2010 verstorbene Laupheimer Ehrenbürger hat mehr als 100 Grabsteine restauriert und maßgeblich dazu beigetragen, die jüdische Geschichte der Stadt vor dem Vergessen zu bewahren.
Seit 2007 informiert eine Gedenktafel am Bahnhof - gestiftet von einer Privatperson - wie folgt:
Von diesem Bahnhof aus wurden zwischen November 1941 und August 1942 in vier Transporten 81 Menschen jüdischen Glaubens und solche, die nach der menschenverachtenden NS-Rassenideologie zu Juden erklärt wurden, in Konzentrations- und „Vernichtungslager“ deportiert. Während des Holocaust sind 102 Laupheimerinnen und Laupheimer ermordet worden.
Laupheim, 27.Januar 2007
Im Stadtmuseum Laupheim ist eine Ausstellung zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Laupheims zu sehen; sie wird in dem sanierten Rokoko-Schloss Großlaupheim der Freiherrn von Welden gezeigt.
Estherrolle (18.Jahrhundert)
Hier sind auch Nachbildungen der bunten Glasfenster des ehemaligen Synagogenraumes des Markenhofs in Kirchzarten ausgestellt. [vgl. Kirchzarten (Baden-Württemberg)]
Seit 2024 zeigt die neue Dauerausstellung „Jüdische Beziehungsgeschichten“ im Museum zur Geschichte von Christen und Juden in Laupheim das jahrhundertelange gemeinsame Leben jüdischer und christlicher Laupheimer Bewohner. Schwerpunkt der Präsentation ist das Aufzeigen persönlicher Beziehungen und deren abruptes Ende mit Beginn der NS-Zeit.
Künftig wird an den Umzügen am Heimatfest ein Wagen teilnehmen, der einen Miniatur-Nachbau der 1938 zerstörten Synagoge (im Maßstab 1: 10) aufweist (2024).
Der berühmteste Sohn der Laupheimer jüdischen Gemeinde war der 1867 geborene Carl Laemmle, Sohn eines Viehhändlers, der nach einer kaufmännischen Lehre im Alter von 17 Jahren in die USA auswanderte und dort einen rasanten Aufstieg vom Kinobesitzer zum Filmproduzenten nahm. Nach der Gründung eines Filmverleihs (1906) gehörten ihm innerhalb kürzester Zeit 50 Kinos; bereits 1908 war seine Firma die größte Film-Verleihfirma der USA. Zwei Jahre später gründete er seine erste Filmproduktion. Von der Ostküste verlegte er seinen Produktionsstandort an die Westküste der USA; in einer damals öden Gegend nahe Los Angeles – heute Hollywood - errichtete er die Universal City Studios. Die danach von Laemmle begründete „Universal Pictures Corporation“ produzierte unter seiner Ägide fast 2.000 Filme. Sein größter Kinoerfolg war die Verfilmung von Remarques „Im Westen nichts Neues“. Carl Laemmle starb 1939 in Beverly Hills. Seit 2000 hat Carl Laemmle eine eigene Abteilung in der Dauerausstellung des Laupheimer Museums zur Geschichte von Christen und Juden.
Filmplakate berühmter Laemmle-Produktionen
Der 1878 geborene Friedrich Adler - einer der bekanntesten Vertreter des Jugendstils und des Art Déco - wuchs als Sohn einer jüdischen Familie im Laupheim auf. Nach seinem Schulbesuch besuchte er die Kunstgewerbeschule in München; anschließend war zunächst als freischaffender Künstler tätig. 1907 wurde Adler an die Kunstgewerbeschule in Hamburg berufen; dort wirkte er bis 1933 als Kunstpädagoge. 1942 wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Eines der vielen Werke Adlers ist das Synagogenfenster „12 Stämme Israels“ von 1919/1920, das ursprünglich in Burg-Kirchzarten hing. Es ist heute im Tel-Aviv-Museum in Israel zu bewundern. Friedrich Adler entwarf aber auch Gebrauchsgegenstände. In seiner Heimatstadt trägt heute die Realschule seinen Namen. An der Hamburger Hochschule für Bildende Künste erinnert heute eine Gedenktafel an Friedrich Adler.
Der Film „Berlin 36“, der 2009 uraufgeführt wurde, schildert das lange vergessene Schicksal der Hochleistungssportlerin Gretel Bergmann, die 1914 als Tochter eines jüdischen Unternehmers in Laupheim geboren wurde und hochbetagt im Jahre 2017 in New York verstarb. Die Rekordhalterin im Hochsprung war 1936 wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Olympischen Spielen ausgeschlossen worden. Wenig später emigrierte sie in die USA. Eine Sporthalle in Berlin-Wilmersdorf und das Stadion in ihrem Geburtsort Laupheim tragen heute ihren Namen. Auch eine Schule im Hamburger Stadtteil Neuallermöhe und eine weitere in Berlin/Marzahn-Hellersdorf wurden nach ihr benannt.
In Orsenhausen (Kommune Schwendi/Landkreis Biberach) – wenige Kilometer östlich von Laupheim (Abb. TUBS 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) – soll künftig je eine Tafel an die einstige Synagoge (Weiherstraße) und an den in einem Waldgelände befindlichen ehemaligen jüdischen Friedhof („Judengräber“ ) erinnern. Diese jüdische Begräbnisstätte wurde bereits um 1550 erstmals urkundlich erwähnt.
Standort des ehem. jüdischen Friedhofs (Aufn. H. 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Anfang des 16.Jahrhunderts hatte der Orsenhausener Grundherr Georg von Roth jüdische Familien aufgenommen, denen er mit einem kollektiv ausgestellten Schutzbrief ein zunächst befristetes Aufenthaltsrecht zusicherte. Im 16./17.Jahrhunderts sollen im Ort bis zu 15 Familien ansässig gewesen sein; dies entsprach etwa ein Viertel der gesamten Einwohnerschaft. Ihren Lebensunterhalt bestritten die Orsenhausener Juden vor allem mit der Geld- und Pfandleihe. Mehrheitlich lebten sie in recht bescheidenen Verhältnissen; ihr Wohngebiet war zumeist das „Judengässle“ (Teil der heutigen Weiherstraße).
Zu ihren religiös-gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge (erstmals 1550 erwähnt), ein zu Feierlichkeiten genutztes „Tanzhaus“ und ein außerhalb des Dorfes gelegener Friedhof. Eine ihnen drohende Ausweisung durch die Ortsherren (1550) konnten sie zunächst verhindern. Jüdisches Leben in Orsenhausen endete dann vermutlich in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts.
2024 wurden seitens der Kommune Schwendi zwei Informationstafeln in der Weiherstraße ('Judengässle') und am Standort des ehemaligen jüdischen Friedhofs angebracht, die an die einstige israelitische Gemeinde Orsenhausen erinnern.
In der Stadt Ehingen, wenige Kilometer ordwestlich von Laupheim gelegen, gab es eine kleine mittelalterliche Gemeinde, erstmals 1301 bzw. 1305 erwähnt; diese wurde während der Pestpogrome 1348/1349 völlig vernichtet; bereits 1326 und 1333 waren Juden in Ehingen wegen angeblicher Hostienschändung ermordet worden. In den folgenden Jahrzehnten ließen sich erneut einzelne jüdische Familien nieder, die bis zu ihrer Ausweisung 1457 hier lebten; vereinzelt lassen sich jüdische Bewohner noch bis zum 17.Jahrhunderts nachweisen. Die Ehinger Juden wohnten in der „Judengasse“; neben einer Synagoge verfügte die Gemeinde auch über eine „Judenschule“. Während letztere baulich noch erhalten geblieben ist, wurde das alte, einst angeblich als Synagoge genutzte Haus in der Tuchergasse Ende der 1960er Jahre abgebrochen.
Im Ortsmuseum Ehingen befand sich ein aus dem Jahre 1370 stammender Grabstein, der 1910 bei Renovierungsarbeiten an der Kirchhofsmauer der Sankt-Blasius-Pfarrkirche aufgefunden wurde.
Weitere Informationen:
Philipp Graf Bearb.), Ein schwäbischer Judenprozeß des 16.Jahrhunderts, in: „Diöcesanarchiv von Schwaben. Organ für Geschichte, Altertumskunbde, Kunst und Kultur der Diöcese und der angrenzenden Gebiete“, 21/1903, S. 53 f. (betr. Reichskammergerichts-Prozeß der Juden Orsenhausens gegen den Ortsherrn, 1550/1554)
Waltraut Kohl, Die Geschichte der Judengemeinde in Laupheim, Zulassungsarbeit Pädagogische Hochschule Weingarten, 1965
Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 116 - 120
Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, Dissertation (Universität Tübingen), Nagold 1969
Georg Schenk, Die Juden in Laupheim (Manuskript aus dem Jahre 1962), in: "Ulm und Oberschwaben", No. 39/1970, S. 103 - 120
Georg Schenk (Red.), Von den Juden in Orsenhausen und Umgebung, in: „Pessach – Zeitschrift der israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg“, 1971, S. 25/26
John H. Bergmann, Die Laupheimer Opfer der Verfolgung 1933 - 1945, Weißenhorn 1979
Georg Schenk, Die Juden in Laupheim, Stadt Laupheim (Hrg.), Laupheim. Rückschau auf 1200 Jahre Laupheimer Geschichte 778 - 1978, Weißenhorn 1979
Helmut Eschwege, Die Synagoge in der deutschen Geschichte - Eine Dokumentation, VEB Verlag der Kunst Dresden 1980, S. 102/103
Franz Michael Weber, Ehingen - Geschichte einer oberschwäbischen Donaustadt, Ehingen 1955, S. 163 f.(2. Aufl. 1980)
Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 334 f. und Teil 2, Abb. 258
Ernst Schäll, Friedrich Adler (1878 - 1942). Ein Künstler aus Laupheim, in: "‘Schwäbische Heimat", No. 32/1981, S. 46 - 61
Ulrich Kreutle, Die Bedeutung der Israelitischen Gemeinde für die wirtschaftliche Entwicklung Laupheims, Facharbeit für das Höhere Lehramt an kaufmännischen Schulen an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen, 1984
Ernst Schäll, Gedenktafel für die Opfer der Judenverfolgung in Laupheim, in: „Schwäbische Heimat“ (1985), S. 78/79
GEW-Ortsverband Laupheim (Hrg.), Die Laupheimer Judengemeinde - Eine Auswahl von Materialien u. Dokumenten, Laupheim 1988
J.H.Bergmann/E.Schäll, Der Gute Ort - Die Geschichte des Laupheimer jüdischen Friedhofs im Wandel der Zeit, in: "Ulmer Forum 1983/84", S. 37 - 47
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 126 f.
W. Eckert, Zur Geschichte der Juden in Laupheim, in: "BC – Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach", No. 2/1988
Ernst Schäll, Carl Laemmle – Ein Lebensweg von Laupheim nach Hollywood, in: "BC - Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach", 1992
Ernst Schäll, Laupheim - einst eine große und angesehene Judengemeinde, in: A.P. Kustermann/D.R.Bauer (Hrg.), Jüdisches Leben im Bodenseeraum. Zur Geschichte des alemannischen Judentums ..., Schwabenverlag, Ostfildern 1994, S. 59 ff.
Siegfried Kullen, Spurensuche. Jüdische Gemeinden im nördlichen Oberschwaben, in: "Blaubeurer Geographische Hefte", No. 5/1995, S. 28 und S. 42 f.
Ernst Schäll, Der jüdische Friedhof in Laupheim, in: "Schwäbische Heimat", No. 4/1996
R.Emmerich/A.Waelder, Laupheimer Rabbiner in Zeiten des Wandels, in: "Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach", No. 20/1997, S. 29 - 31
Nathanja Hüttenmeister, Der jüdische Friedhof Laupheim - eine Dokumentation, Laupheim 1998
Benigna Schönhagen/Myrah Adams, Jüdisches Laupheim. Ein Gang durch die Stadt, Haigerloch 1998
R.Emmerich/A.Waelder, Beth-hasefer, das “Haus des Buches”: Die jüdische Schule in Laupheim, in: "Schwäbische Heimat", No. 51/2000, S. 72 - 78
Michael Brocke/Christiane E. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 113/114
www.members.aol.com/laupheim/museum/ns.html
Anna-Ruth Löwenbrück, Juden und Katholiken in einer oberschwäbischen Landgemeinde - Beispiel Laupheim, in: Laupheimer Gespräche 2000, Nebeneinander - Miteinander - Gegeneinander ? Zur Koexistenz von Juden und Katholiken in Süddeutschland im 19. und 20.Jahrhundert, Bleicher Verlag, Gerlingen 2002, S. 113 – 135
Gretel Bergmann, „Ich war die große jüdische Hoffnung“. Erinnerungen einer außergewöhnlichen Sportlerin, hrg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Karlsruhe 2003 (2. erw. Neuauflage, Verlag Regionalkultur 2015)
Cornelia Hecht/Antje Köhlerschmidt, Die Deportation der Juden aus Laupheim. Eine kommentierte Dokumentensammlung, Laupheim 2004
Yitzak Heinrich Steiner (Red.), Die Firma Steiner-Hopfen im Laufe der Geschichte: eine auf Tradition und Kontinuität beruhende Erfolgsstory, in: Jüdische Unternehmer und Führungskräfte in Südwestdeutschland 1800 - 1950: die Herausbildung einer Wirtschaftselite und ihre Zerstörung durch die Nationalsozialisten (Laupheimer Gespräche 2002), hrg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Berlin/u.a. 2004, S. 115 – 130 und 247/248
Cornelia Hecht, Schloss Großlaupheim Laupheim: Das Museum zur Geschichte von Christen und Juden, in: Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2007, S. 220 - 225
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 286 – 291
Stefan Lang, Ausgrenzung und Koexistenz. Judenpolitik und jüdisches Leben in Württemberg und im „Land der Schwaben“ (1492-1650), in: „Schriften zur Südwestdeutschen Landeskunde“, Band 63, Ostfildern 2008
Antje Köhlerschmidt, Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung: biografische Abrisse ihrer Mitglieder nach dem Stand von 1933, hrg. von der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken, Laupheim 2009 (2. Aufl., 2013)
Berno Bahro/Jutta Braun, Berlin '36: Die unglaubliche Geschichte einer jüdischen Sportlerin im „Dritten Reich“, Berlin 2009
Cornelia Hecht, Laupheim und seine jüdische Geschichte. „Ihr Sterben soll uns allezeit mahnen“, in: Baden-Württembergische Erinnerungsorte. 60 Jahre Baden Württemberg, Stuttgart 2012, S. 428 - 441
Laupheim und seine jüdische Geschichte, online abrufbar unter: culturespace.de/laupheim/museum/steiner.htm
Rolf Emmerich, Kehilla. Laupheimer Spuren, hrg. vom Freundeskreis des Museums zur Geschichte von Juden und Christen in Laupheim und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg, 2013
Christian Frietsch, Hitlers Angst vor dem jüdischen Gold. Der Fall Bergmann, die verhinderte Olympiasiegerin, Nomos Verlag, Baden-Baden 2013
Ehingen, in: alemannia-judaica.de
Udo Bayer, Carl Laemmle. Von Laupheim nach Hollywood. Die Biographie des Universal-Gründers in Bildern und Dokumenten, Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2015
Laupheim, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Text- und Bilddokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)
PDF-Liste: Deportierte und ermordete Persónen, online abrufbar unter:ggg-laupheim.de/Opfer_der_Shoa.htm
Udo Bayer, Jüdisches Leben aus Laupheim: Prominente Persönlichkeiten einer Landjudengemeinde, Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2015
Gabriele Bayer/Udo Bayer/Ralph Lange (Bearb.), Museum zur Geschichte von Christen und Juden in Laupheim, online abrufbar unter: ggg-laupheim.de/Museum01.htm
N.N. (Red.), Geschichte durch die VR-Brille: Wie aus Texten und Fotos ein virtuelles Modell der zerstörten Synagoge entstand, in: "Schwäbische Zeitung“ vom 15.4.2020
Roland Ray (Red.), Historische Entdeckung bei Bauarbeiten – so geht es mit den Mauerresten der Synagoge weiter, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 26.5.2021
Volker Strähle (Bearb.), Als eine Synagoge in Orsenhausen stand. Geschichte der Orsenhausener Juden im 16. und 17.Jahrhundert, in: „Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach“, 44.Jg., Heft 2/2021, S. 20 ff.
Volker Strähle (Red.), Tafeln sollen an Orsenhausener Juden erinnern, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 14.11.2021
Volker Strähle (Red.), Das „Judengässle“ von Orsenhausen, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 9.12.2021
Andreas Mink (Red.), Umbau beim Museum Laupheim – Haus soll eine ‚national bedeutsame Kultureinrichtung‘ werden, in: „tachles – Das jüdische Wochenmagazin“ vom 24.1.2022
N.N. (Red.), Neue Gedenktafel in Laupheim erinnert an weitere 53 Holocaust-Opfer, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 26.1.2023
Stefan Fuchs (Red.), „Beziehungsgeschichten“ - Neue Ausstellung zeigt gemeinsame Geschichte von Christen und Juden, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 24.1.2024
Roland Ray (Red.), Laupheim. Neu im Großen Festumzug: der Synagogenwagen, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 20.6.2024
Bernd Baur (Red.), Jüdisches Leben im Rottal. Tafeln erinnern an jüdisches Leben in Orsenhausen, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 22.10.2024