Leimersheim (Rheinland-Pfalz)
Die Ortsgemeinde Leimersheim mit derzeit ca. 2.600 Einwohnern ist heute ein Teil von Rülzheim (Landkreis Germersheim) – ca. 15 Kilometer nördlich von Karlsruhe gelegen (Kartenskizzen 'Landkreis Germersheim', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/germersheim und 'Lage der Ortsgemeinde Leimersheim innerhalb des Kreises G.', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts lebten nur wenig Juden im Dorfe Leimersheim; sie besaßen Schutzbriefe der kurfürstlichen Regierung.
Als Ersatz für einen seit etwa 1750/1760 bestehenden Betraum ließ die jüdische Gemeinde zwischen 1847 und 1850 eine Synagoge im klassizistischen Stile in der Neugasse erbauen; finanziert wurde der Neubau durch Kollekten in der Pfalz, in Bayern und durch mehrere Zuschüsse der Kommune Leimersheim. Dass schließlich Zuschüsse für den Synagogenbau flossen, mag auch einem Schriftstück des Vorstandes der Kultusgemeinde zuzuschreiben sein, in dem es u.a. folgendermaßen hieß:
„ ... Die in größter Ehrerbietung unterzeichneten Vorstände des israelitischen Cultusgemeinde von Leimersheim-Kuhardt im Namen ihrer daselbst wohnhaften Glaubensgenossen stellen hoher königlicher Behörde unterthänig vor, daß ihr Bethaus, welches vor mehr als 90 Jahren aus einem damals schon alten Stall nothdürftig hergestellt worden war, numehr zu keiner Reparatur mehr fähig ist, sondern der Einsturz drohe, so daß dasselbe bald nicht mehr ohne Lebensgefahr betreten werden kann. Die israelitischen Einwohner der beiden Gemeinden bilden eine Zahl von 19 Familien mit 130 Seelen, wovon die meisten der unbemittelten und mehrere der ärmeren Klasse angehören; dessen ungeachtet haben sich diese gemeinsam erboten, einen Fond von 1.500 Gulden zur Erbauung einer neuen zweckmäßig construirten Synagoge aufzubringen ... Wenn aber das neue Gebäude seiner erhabenen Bestimmung entsprechen ... soll, so dürften die Mittel ... nicht ausreichend seyn. Zu anderen Zeiten, wo das Licht der Aufklärung noch nicht in unsere gesegnete Gegend gedrungen war, wo man religiöse Toleranz kaum dem Namen nach kannte, ..., wo noch kein erlauchter Monarch alle seine Unterthanen mit dem gleichen Wohlwollen beglückte ..., in jenen Zeiten würden die Bittsteller nicht gewagt haben, mit einer solchen Bitte um einen Beitrag der Gemeinde zum Bau ihres Gotteshauses hervorzutreten. ... Heute aber ... können auch die Israeliten auf eine Begünstigung hoffen, die sie zur steten Dankbarkeit gegen ihre christlichen Mitbürger verpflichten. ...”
Das neue Synagogengebäude besaß im vorderen Teil den Gebetssaal mit Frauen-Empore, im hinteren Teil waren Wohnungen für den Lehrer und den Synagogendiener untergebracht. Hinter der Synagoge befand sich die Mikwe.
Synagoge in Leimersheim (hist. Aufn. um 1930, Landesamt)
In den 1820er Jahren besuchten die jüdischen Kinder die Dorfschule; etwa zwei Jahrzehnte später wurde die Einrichtung einer eigenen israelitischen Schule genehmigt; der Bau konnte durch einen Zuschuss der politischen Gemeinde realisiert werden. Wegen Schülermangels wurde Ende 1914 die jüdische Elementarschule geschlossen; nun gingen die wenigen jüdischen Kinder wieder in die Dorfschule.
Da die Leimersheimer Judenschaft über keine eigene Begräbnisstätte im Dorf verfügte, mussten die verstorbenen Gemeindeangehörigen zum Verbandsfriedhof nach Rülzheim gebracht werden.
Bis gegen Mitte des 19. Jahrhunderts lautete die offizielle Bezeichnung der Gemeinde „Israelitische Gemeinde Leimersheim-Kuhardt“. Die jüdische Gemeinde Leimersheim gehörte zum Bezirksrabbinat Landau.
Juden in Leimersheim:
--- um 1725 ...................... 3 jüdische Familien,
--- 1747 ......................... 5 “ “ ,
--- 1775 ......................... eine “ “ (),
--- 1804 ......................... 51 Juden,* * mit Kuhardt
--- 1823 ......................... 67 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1835 ......................... 75 “ ,
--- 1848 ......................... 89 “ (ca. 11% d. Bevölk.),
--- 1852 ......................... 17 jüdische Familien (ca. 100 Pers.),
--- 1870/75 ...................... 109 Juden,
--- 1900 ......................... 72 “ ,
--- 1925 ......................... 28 “ ,
--- 1932 ......................... 31 “ ,
--- 1938 ......................... 17 “ ,
--- 1939 ......................... ein “(),
--- 1940 (Nov.) .................. keine.
Angaben aus: Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden, S. 141
und Ernst Marthaler, Die ehemalige jüdische Gemeinde (Leimersheim), S. 306
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts verdienten die in Leimersheimer Juden ihren Lebensunterhalt im Handel oder im Gewerbe. Ende des 19.Jahrhunderts war der jüdische Bevölkerungsanteil stark rückläufig; dies lag wohl auch daran, dass Leimersheim verkehrstechnisch ins Abseits geraten war und andere Ortschaften durch die Anbindung ans Eisenbahnnetz und die Nähe zu den neuen Rheinbrücken bessere wirtschaftliche Perspektiven boten.
Kleinanzeige "Israelitisches Familienblatt" vom 26.8.1915
Zu Beginn der NS-Zeit lebten noch knapp zehn jüdische Familien im Ort, darunter vier Kaufleute und zwei Viehhändler. Trotz NS-Propaganda blieb das einvernehmliche Verhältnis zwischen Christen und Juden im Dorf zunächst noch bestehen; dennoch verließen einige Familien Leimersheim und gingen in die Emigration; fast nur ältere Menschen blieben zurück.
Bereits wenige Wochen vor der „Reichskristallnacht“ war die Inneneinrichtung der Synagoge durch Wehrmachtsangehörige teilweise demoliert worden; die endgültige Zerstörung erfolgte am 10.November, als einheimische und aus Rülzheim kommende SA-Angehörige Türen und Fenster zerschlugen, die gesamte Inneneinrichtung zerstörten und diese auf die Straße warfen. Eine Brandlegung erfolgte wegen Gefährdung für die Nachbarhäuser nicht. Im Anschluss daran wurden die Ausschreitungen gegen jüdische Anwesen fortgesetzt. Das Synagogengrundstück ging 1940 in die Hände der Kommune über und wurde danach als landwirtschaftlicher Lagerraum benutzt. Nach der Pogromnacht wurden die Juden Leimersheims wohl nach Baden abtransportiert, die Männer einige Wochen lang im KZ Dachau festgesetzt.
Die letzten fünf Leimersheimer Juden wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und dem "Gedenkbuch - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind insgesamt 25 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner von Leimersheim - die meisten gehörten der weitverzweigten Familie Behr an - Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/synagoge_leimersheim.htm).
Im Jahre 1949/50 fand vor dem Landgericht in Landau ein Verfahren gegen sechs Beteiligte der Synagogenzerstörung von 1938 statt; zwei Männer wurden zu geringen Haftstrafen verurteilt, die anderen vier freigesprochen.
1970 wurde das inzwischen verfallene Synagogengebäude abgerissen, das Areal in "Synagogenplatz" benannt (1971).
Abb. aus: rhein-neckar-wiki.de (2014)
Zwei Jahre später ließ die Verbandsgemeinde hier ein Mahnmal errichten, das auch zwei Gebotstafeln aus dem First der Synagoge einschließt; eine dort angebrachte Tafel trägt die Inschrift:
Zum Gedenken und zur Erinnerung an die jüdischen Mitbürger
errichtet am Platz der Synagoge
Gedenkstätte in Leimersheim mit den beiden Gebotstafeln (Aufn. Bernhard Kukatzki)
Weitere Informationen:
Carl Josef Hodapp, Geschichte des Ortes Leimersheim, o.O. 1960, S. 158
Helmut Sittinger (Red.), Schicksale einer religiösen Minderheit. Geschichte der Leimersheimer Juden, in: "Die Rheinpfalz - Ausgabe Landau" vom 27.12.1983 und 4./ 5.1.1984
Helmut Sittinger (Red.), Bitteres Schicksal einer Minderheit, in: "Die Rheinpfalz - Ausgabe Landau" vom 5.1.1984
Alfred Boltz, Neupotzer Heimatbuch (Judenverfolgung in Leimersheim), Heidelberg 1985
Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Eigenverlag 1988, S. 101/102
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - eine Dokumentation, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1995, S. 672/673
Ernst Marthaler, Die ehemalige jüdische Gemeinde, in: Leimersheim - Die Geschichte eines pfälzischen Dorfes am Rhein. 778 – 2003, hrg. von der Ortsgemeinde Leimersheim, Leimersheim 2002
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 233/234
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 111
Leimersheim mit Kuhardt, in: alemannia-judaica.de
Helmut Sittinger (Red.), Mit Orden ausgezeichnete Veteranen und deren Familien ermordet, in: „Die Rheinpfalz“ vom 20.4.2017
Helmut Sittinger (Red.), SA-Mitglieder und Sympathisanten zerstören Synagoge, in: „Die Rheinpfalz“ vom 9.11.2018
Helmut Sittinger (Red.), Nachfahren des Ehrenbürgers in Auschwitz ermordet, in: „Die Rheinpfalz“ vom 31.1.2020
Helmut Sittinger (Red.), Erinnerung an das Schicksal der in Leimersheim geborenen Klara Weiler geb. Behr, in: „Die Rheinpfalz“ vom 29.2.2020
Helmut Sittinger (Red.), Manchmal spielte er den Nazi, in: „Die Rheinpfalz“ vom 22.10.2020 (betr. Erinnerung an Nathan Behr, dem letzten Juden in Leimersheim)