Lehrensteinsfeld (Baden-Württemberg)
Lehrensteinsfeld ist eine Ortschaft mit derzeit ca. 2.700 Einwohnern - ca. zwölf Kilometer östlich von Heilbronn gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Heilbronn' ohne Eintrag von Lehrensteinsfeld, aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/heilbronn).
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts ereichte die israelitische Gemeinde ihren personellen Höchststand und stellte zeitweise etwa ein Drittel der Dorfbevölkerung.
Im reichsritterschaftlichen Dorf ‚Steinsfeld mit Lehren’ lebten gegen Ende des 16.Jahrhunderts nur wenige Juden; der erste namentlich bekannte war der "Jud Jacob von Lehren" (1592 genannt). Während des Dreißigjährigen Krieges wanderten sie ab, um in ummauerten Städten Schutz zu suchen.
Gegen Ende des 17.Jahrhunderts waren erneut jüdische Familien in Steinfeld, später dann vermehrt im Ortsteil Lehren ansässig, die Schutz durch die Herren von Schmidtberg erhielten. Die hiesigen Juden verdienten ihren Lebenserwerb zumeist im ambulanten Kleinhandel, der auf den Märkten der Region, z.B. in Neckarsulm, betrieben wurde. Im 19.Jahrhundert war dann vor allem Viehhandel die Haupterwerbsquelle der jüdischen Dorfbewohner; nebenbei wurde oft eine kleine Landwirtschaft betrieben.
Gegen Ende des 17.Jahrhunderts wurde ein Betraum eingerichtet; einer anderen Angabe zufolge soll dieser bereits um 1650 bestanden haben. Im Privathaus eines wohlhabenden Juden (Aaron Nathan) wurde zu Beginn des 18.Jahrhunderts eine Synagoge eingerichtet. Aaron Nathan war es auch, der eine umfangreiche Rabbinatsstiftung machte, aus der dann ein Rabbiner besoldet werden konnte.
Betraum (hist Aufn., um 1925, aus: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe in Württemb.)
Moses Engelbert (Mosche Meir ben Naftali) war der Sohn eines Kaufmanns (geb. 1830 in Gudensberg/bei Kassel; er erhielt seine theologische Ausbildung in Wetzlar und Würzburg. Nach einem Studium in Göttingen und seiner Promotion in Jena war Moses Engelbert in verschiedenen Städten als Prediger und Religionslehrer tätig, so in Waren (Mecklenburg), in Thorn (Westpreußen) und in Kolberg (Pommern). 1862 übernahm er das Bezirksrabbinat in Lehrensteinfeld (danach mit Rabbinatssitz in Heilbronn). Aus Krankheitsgründen gab Moses Engelbert 1877 sein Amt auf; er starb 1891 in Heilbronn.
Von 1832 bis 1905 bestand in Steinsfeld auch eine jüdische Elementarschule, die mit der Lehrerwohnung im Gebäude der Synagoge untergebracht war.
Ihre verstorbenen Glaubensgenossen beerdigten die Lehrensteinfelder Juden auf dem Affaltracher Friedhof, vereinzelt auch in Heinsheim.
Zwischen 1832 und 1867 war Lehrensteinsfeld Sitz eines Bezirksrabbinats, dem auch die jüdischen Gemeinden von Affaltrach, Eschenau, Kochendorf, Sontheim und Massenbachhausen zugeordnet waren; danach wurde der Rabbinatssitz nach Heilbronn verlegt.
aus: "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 8.7.1862
Über das jüdische Leben im Ort ist ein Bericht aus dem Jahre 1867 überliefert; hier heißt es:
„Aus Württemberg. I. In der Nähe Heilbronns, im Weinsberger T`hal, liegt ein Dorf Lehren-Steinsfeld, umgrenzt von Rebhügeln, inmitten von lachenden Obstgärten. Die Doppelgemeinden Lehren und Steinsfeld sind getrennt durch einen Raum von 100 Schritten in`s Geviert. In Steinsfeld ist der Sitz einer alten freiherrlichen Familie, die hier ein schönes Schloß mit Hofgarten und Orangerien besitzt; in Lehren wohnen seit undenklichen Zeiten Israeliten. Die Namen der berühmten Männer, Rabbi Hirsch und Akiba Lehren, weisen auf diesen kleinen Ort hin. In Frankfurt a. M. sind bedeutende Familien, deren Stammbaum in Lehren wurzelt. In diesem Dörfchen bestand schon vor Jahrhunderten eine israelitische Gemeinde; sie war der Sitz berühmter Rabbinen, unter deren Leitung ein vielbesuchtes Lehrhaus, Beit HaMidrasch, bestand. Lehrhaus und Synagoge waren fromme Stiftungen, fundirt durch reiche Kapitalien. In den napoleonischen Kriegen ging von dem Grundstock Vieles verloren, und der damalige Rabbine verlor dadurch an Einkommen; aber er harrte ruhig auf seinem Posten aus und lebte treu seinem Amte auch unter Mangel und gedrückten Verhältnissen. - Mit der Organisation der bürgerlichen Verhältnisse der Israeliten wurde die fromme Stiftung säcularisirt, das Beth HaMidrasch ging ein und aus den Mitteln der Stiftung wurde ein stattliches Rabbinatshaus (!) erbaut. Der jetzige Rabbiner nun zog in die Stadt, nach Heilbronn, und verwaist steht der Lehrstuhl in der Gemeinde, in welcher Jahrhunderte lang würdige Rabbinen die Lehre Gottes verbreitet; die Stiftungsgelder sind gegen den Willen der Stifter verwendet, ja verschleudert, und die Protestation der Gemeinde wird für Nichts geachtet." (aus: "Der Israelit" vom 30. Jan. 1867)
In einer 1861 abgefassten Beschreibung des Oberamts Weinsberg (hier Kapitel über Steinsfeld/Lehrensteinfeld) wird u.a. auch über die einheimischen jüdischen Familien wie folgt berichtet:
„ … Die kleine Synagoge, Eigenthum der israelitischen Gemeinde, ist am südwestlichen Ende des Orts, verbunden mit der Wohnung des Rabbinen und mit einem kleinen Lehrzimmer für dermalen 20 israelitische Kinder, welche vor dem Gesetz von 1828 die christliche Schule in Steinsfeld besuchten, sodann in Folge dieses Gesetzes einen eigenen Lehrer aufstellten, der zugleich Vorsänger war. Erst in neuerer Zeit wurden diese israelitischen Kinder, in Ermanglung eines eigenen israelitischen Lehrers, wieder der christlichen Schule zugetheilt, bis ihnen wieder ein Lehrer ihrer Religion gesendet werden könne, was dermalen wieder der Fall ist.Das kleine, im Ganzen nicht unregelmäßig gebaute Dorf wird von einer ziemlich breiten, jetzt reinlichen Straße durchzogen, zu deren beiden Seiten minder ansehnliche Wohngebäude liegen. Nur die der vermöglicheren Israeliten haben einen städtischen Anstrich, sind aber zum Theil, wie selbst eine israelitische Schildwirthschaft, nur einstockig.on den israelitischen Einwohnern, welche bei Weitem die Mehrzahl ausmachen, treiben Mehrere, wie die christlichen Einwohner, auch Landwirthschaft und Viehzucht. Die Übrigen nähren sich mit Handel, besonders Viehhandel. Einer hält auch einen kleinen Kramladen. An Schildwirthschaften sind zwei, an Speisewirthschaften eine vorhanden. Handwerke treibt keiner der Israeliten. Sie haben ihren eigenen Kirchenvorstand, den Begräbnißplatz gemeinschaftlich mit Affaltrach bei Affaltrach. Ihre bürgerliche Aufnahme fanden die Israeliten schon im 17. Jahrh. Im Jahr 1652 wohnten in Lehren drei Juden als Schutzverwandte. ...“
Juden in Lehrensteinsfeld:
--- 1653 ............................. 3 jüdische Familien,
--- 1718 ............................. 11 " " ,
--- 1729 ............................. 35 Juden (nur Erwachsene),
--- um 1800 ...................... ca. 100 Juden (ca. 30% d. Dorfbev.),
--- 1818 ............................. 87 “ ,
--- 1828 ............................. 105 “ ,
--- 1843 ............................. 124 “ ,
--- 1854 ............................. 122 “ ,
--- 1869 ............................. 84 “ ,
--- 1886 ............................. 80 " ,
--- 1900 ............................. 64 “ ,
--- 1910 ............................. 39 “ ,
--- 1933 ............................. 11 “ .
Angaben aus: W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, S. 141 und S. 144
In einer 1861 abgefassten Beschreibung des Oberamts Weinsberg (hier Kapitel über Steinsfeld/Lehrensteinsfeld) wurde auch über die einheimischen jüdischen Familien berichtet: „ … Die kleine Synagoge, Eigenthum der israelitischen Gemeinde, ist am südwestlichen Ende des Orts, verbunden mit der Wohnung des Rabbinen und mit einem kleinen Lehrzimmer für dermalen 20 israelitische Kinder, welche vor dem Gesetz von 1828 die christliche Schule in Steinsfeld besuchten, sodann in Folge dieses Gesetzes einen eigenen Lehrer aufstellten, der zugleich Vorsänger war. Erst in neuerer Zeit wurden diese israelitischen Kinder, in Ermanglung eines eigenen israelitischen Lehrers, wieder der christlichen Schule zugetheilt, bis ihnen wieder ein Lehrer ihrer Religion gesendet werden könne, was dermalen wieder der Fall ist.
Das kleine, im Ganzen nicht unregelmäßig gebaute Dorf wird von einer ziemlich breiten, jetzt reinlichen Straße durchzogen, zu deren beiden Seiten minder ansehnliche Wohngebäude liegen. Nur die der vermöglicheren Israeliten haben einen städtischen Anstrich, sind aber zum Theil, wie selbst eine israelitische Schildwirthschaft, nur einstockig. Von den israelitischen Einwohnern, welche bei Weitem die Mehrzahl ausmachen, treiben Mehrere, wie die christlichen Einwohner, auch Landwirthschaft und Viehzucht. Die Übrigen nähren sich mit Handel, besonders Viehhandel. Einer hält auch einen kleinen Kramladen. An Schildwirthschaften sind zwei, an Speisewirthschaften eine vorhanden. Handwerke treibt keiner der Israeliten. Sie haben ihren eigenen Kirchenvorstand, den Begräbnißplatz gemeinschaftlich mit Affaltrach bei Affaltrach. Ihre bürgerliche Aufnahme fanden die Israeliten schon im 17. Jahrh. Im Jahr 1652 wohnten in Lehren drei Juden als Schutzverwandte. ...“
Nach 1860 führte Ab- und Auswanderung innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer deutlichen Verkleinerung der Gemeinde (siehe Statistik).
Stellengesuch aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.Dez. 1911
Von den wenigen zu Beginn der NS-Zeit hier lebenden Juden betrieb eine Familie eine Gastwirtschaft, eine andere besaß eine Landwirtschaft mit Viehhandel.
1935/1936 gab es in Lehrensteinsfeld ein landwirtschaftliches Lehrgut, das auswanderungswilligen jüngeren Juden eine praxisnahe Ausbildung bot.
Im Zusammenhang mit der Auflösung der Gemeinde fand im Juni 1938 der Abschlussgottesdienst in der Synagoge von Lehrensteinfeld statt; zu dem feierlichen Festakt hatten sich Vertreter des Israelitischen Oberrates und umliegender Gemeinden letztmalig im seit alters her genutzten Gebäude zusammengefunden.
Das Synagogengebäude wurde noch vor dem Novemberpogrom von 1938 verkauft. Nach einem Umbau wurde es als Lagerschuppen verwendet; Anfang der 1950er Jahre erfolgte dessen Abriss. Während der „Kristallnacht“ soll es im Dorf zu Misshandlungen jüdischer Bewohner gekommen sein; ihre Wohnungen wurden teilweise verwüstet.
Bis 1939/1940 gelang es fast allen jüdischen Bewohnern zu emigrieren; zwei wurden deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 13 aus Lehrensteinsfeld stammende bzw. länger hier ansässig gewesene Bewohner mosaischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/lehrensteinsfeld_synagoge.htm).
Weitere Informationen:
W. Sailer, Gemeinde Lehrensteinsfeld – Ortschronik, Lehrensteinsfeld 1954
Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 120/121
W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: "Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn", Hrg. Landkreis Heilbronn, 1986, S. 138 - 145
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 291/292
Lehrensteinsfeld, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Textdokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)
Gemeindeverwaltung Lehrensteinfeld (Bearb.), Geschichte der Gemeinde Lehrensteinsfeld, online abrufbar unter: lehrensteinsfeld.de