Leobschütz (Schlesien)

Schlesien Kr Leobschütz.png Das an der Grenze zu Mähren liegende Leobschütz - etwa 50 Kilometer südlich von Oppeln/Opole - besaß bereits um 1000 Stadtrechte und stand seit 1741 unter preußischer Oberhoheit. Die ehemalige Kreisstadt in Oberschlesien kam 1945 unter polnische Verwaltung und heißt heute Głubczyce und besitzt derzeit knapp 13.000 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Głubczyce rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Jüdische Ansässigkeit in Leobschütz lässt sich erstmals um 1360 nachweisen; die hier siedelnden jüdischen Familien kamen – infolge der Pestpogrome - aus westlichen Gebieten. Als im Jahre 1543 die Juden in Leobschütz des Mordes an einem christlichen Kind beschuldigt wurden, wurden sie aus der Stadt vertrieben. Hintergrund dieser Mordbeschuldigung war in der wirtschaftlichen Konkurrenz zu den jüdischen Kaufleute zu sehen. In den folgenden Jahrhunderten blieb jegliche Ansiedlung von Juden in Leobschütz untersagt - was ein vom Landesherrn ausgestelltes Privileg der Stadt garantierte.

Die Stadt war im 19.Jahrhundert ein bedeutender Handelsplatz für Getreide; der Aufbau einer Wollknüpfindustrie ließ die Stadt wirtschaftlich prosperieren. Jüdische Familien sahen in Leobschütz gute wirtschaftliche Perspektiven und ließen sich nach 1812 in der Stadt nieder.

Leobschütz um 1820 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Im Jahre 1865 weihte die jüdische Gemeinde von Leobschütz ihre neue Synagoge in der König Ottokar-Straße ein, die nach dem Vorbild der Synagoge in der Wiener Leopoldstadt errichtet worden war. Markantes Merkmal des Gebäudes war dessen viergeschossiger quadratischer Turm, auf dem an den vier Ecken Tourellen (=Türmchen) aufgesetzt waren.

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 Synagoge in Leobschütz (Lithographie)  und  hist. Postkarte (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

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Synagoge, evangelische und katholische Kirche in Leobschütz - hist. Postkarte, um 1895 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 „ ... In Leobschütz (Preußen), wo erst seit kurzem eine jüdische Gemeinde von 170 Personen seßhaft, ist durch die Munificenz der wohlhabenderen Gemeindeglieder und der Stadtgemeinde (welche das Bauholz unentgeltlich lieferte) ein Gotteshaus, welches äußerlich den Tempel der Wiener Leopoldstadt in verkleinertem und vereinfachtem Maaßstabe copirt, erbaut worden. Die Gebäude ist das schönste in Leobschütz. ...“ (aus: Illustrirte Monatshefte für die gesammten Interessen des Judenthums, Wien, Oktober 1865-März 1866, S. 233/234)

Seit Anfang der 1890er Jahre besaß die Gemeinde einen neuen Friedhof, der eine aus dem beginnenden 19.Jahrhundert stammende kleinflächige Begräbnisstätte ersetzte, da diese nun für die angewachsene Zahl der Gemeindemitglieder nicht mehr ausreichte.

Juden in Leobschütz:

    --- 1818 ..........................  62 Juden,

    --- 1828 ..........................  92   “   (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1845 .......................... 130   “  ,

    --- 1850 ...................... ca. 300   “  ,

    --- 1862 .......................... 301   “   (3,5% d. Bevölk.),

    --- 1871 .......................... 250   "  ,

    --- 1890 .......................... 343   “  ,

    --- 1900 .......................... 230   " ,

    --- 1925 .......................... 127   "  ,

    --- 1933 .......................... 111   “  ,

    --- 1936 ..........................  92   “  ,

    --- 1939 (Mai) ....................  44   “  ,

             .......................... 105   "  ,*    * Kreis Leobschütz

    --- 1943 ..........................  10   "  .

Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 722

 

Das bis dahin ansonsten friedliche Zusammenleben zwischen Christen und Juden in Leobschütz endete bereits gegen Ende der 1920er Jahre: Im Zusammenhang des wirtschaftlichen Niedergangs (die meisten Fabriken in der Stadt mussten schließen) gewannen nationalsozialistische Bestrebungen an Zuspruch und ließen in der Bevölkerung eine antijüdische Stimmung entstehen.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Leobschütz noch ca. 120 Juden.

Wie fast überall in Deutschland wurden auch in Leobschütz am 1.4.1933 Boykott-Aktionen durchgeführt, die auf Geschäfte und Arztpraxen zielten.

Während der Novembertage 1938 wurden die jüdischen Geschäfte der Stadt zerstört, Wohnungen demoliert und die Synagoge in Brand gesetzt, die bis auf die Grundmauern niederbrannte; zehn Juden wurden „in Schutzhaft“ genommen. Wer sich nicht mehr rechtzeitig durch Emigration retten konnte - bei Kriegsbeginn hielten sich noch ca. 40 Juden in der Stadt auf -, wurde Opfer des Holocaust. Während einige im Juli 1942 "ins Generalgouvernement ausgesiedelt“ wurden, erfolgte im Dezember 1942 für 13 Personen eine Deportation nach Theresienstadt.

 

Am ehemaligen Standort der Synagoge erinnert heute ein Gedenkstein an die polnischen Opfer der Okkupation. Ein Hinweis, dass an dieser Stelle die Synagoge der Stadt gestanden hat, fehlt allerdings.

Auch das Gelände des ehemaligen Friedhofs ist als solches nicht mehr erkennbar; es ist von Vegetation völlig überwuchert, unter der Dutzende von Grabsteinrelikten aufzufinden sind.

                                    Cmentarz żydowski w Głubczycach Jewish cemetery in GlubczyceEhem. Friedhofsgelände (Aufn. Magda Płoszaj, aus: kirkuty.xip.pl )

Anm.: Auf dem Areal des alten Friedhofs befindet sich schon lange ein Sportplatz.

 

 

 

In Katscher (poln. Kietrz, derzeit ca. 6.000 Einw.) – ca. 20 Kilometer südöstlich von Leobschütz gelegen - ist seit der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts jüdische Ansiedlung belegt. Im Laufe des 19.Jahrhunderts wuchs die Zahl der Familien an; ihren Zenit erreichte die Gemeinde im Jahre 1871 mit knapp 200 Personen. 1825 errichtete die neugegründete Gemeinde ihre Synagoge; 20 Jahre später wurde eine jüdische Schule ins Leben gerufen. Etwa zeitgleich erfolgte die Anlage einer eigenen Begräbnisstätte.

Seit 1872 gehörte die Gemeinde Katscher dem neugeschaffenen Verband Oberschlesischer Synagogengemeinden an.

Juden in Katscher:

--- 1787 .........................  36 Juden,

--- 1816  .........................  82   "  ,

--- 1825  ......................... 112   "  ,

--- 1840 ......................... 108   “  ,

--- 1861  ......................... 148   "  ,

--- 1871 ......................... 186   “  ,

--- 1890  ......................... 137   "  ,

--- 1910 .........................  52   “  ,

--- 1933 .........................  42   “  ,

--- 1942 .........................   5   “  .

Angaben aus: Topographisches Handbuch von Oberschlesien

und                  Kietrz, in: sztetl.org.pl

 

Mit der Abwanderung in die Großstädte - vor allen nach Breslau und Berlin - reduzierte sich seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert die Zahl der in Katscher lebenden Juden deutlich; 1910 waren es noch ca. 50 Personen, 1933 nur noch ca. 40. Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte und Arztpraxen begann auch in Katscher die offene Ausgrenzung der jüdischen Minderheit. Ab 1937 war den hiesigen jüdischen Kindern nicht mehr erlaubt, in die öffentliche Schule zu gehen; sie mussten seitdem die jüdische Distriktschule in Ratibor besuchen. In der Pogromnacht wurde das Synagogengebäude in Brand gesetzt, jüdische Geschäfte zerstört. Ende 1942 sollen nur noch fünf Juden sich in der Stadt aufgehalten haben.

Die Synagogenruine wurde in den Nachkriegsjahren abgerissen und das Gelände später zur Wohnbebauung genutzt.

Auch vom jüdischen Friedhof haben sich keine Spuren erhalten. Nach Zerstörungen während der NS-Zeit haben die polnischen Ortsbehörden die letzten Reste beseitigen lassen. Heute stellt sich das Gelände als eine Grünfläche dar.

 

 

 

Weitere Informationen:

Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 370 und Teil 2, Abb. 291

Heinz Bartke, So schön war Leobschütz, Eigenverlag, Fürstenfeldbruck 1986

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 604 und S. 722

Irene Dische, Großmama packt aus – Roman (übersetzt aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser), dtv-Taschenbuch, 2006

Glubczyce und Kietrz, in: sztetl.org.pl

K. Bielawski (Red.), Glubczyce, in: kirkuty.xip.pl

Beata Pomykalska/Pawel Pomykalski, Auf den Spuren der Juden Oberschlesiens, Hrg. Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens – Zweigstelle des Museums in Gleiwitz, Gliwice 2019