Lindau/Bodensee (Schwaben/Bayern)

Gliederung des Bodensees.pngDatei:Lindau (Bodensee) in LI.svg Lindau (Bodensee) mit derzeit ca. 26.000 Einwohnern ist Kreisstadt und Verwaltungssitz des gleichnamigen Landkreises im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben (Karte der Bodensee-Region, Thomas Römer 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Kartenskizze 'Landkreis Lindau', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Wegen der sehr geringen Anzahl jüdischer Bewohner hat es in Lindau in der Neuzeit keine Synagogengemeinde gegeben.

Erste Ansiedlungen von Juden in der Reichsstadt Lindau sind urkundlich seit 1241 nachweisbar - und zwar erstmals im 'Reichssteuerverzeichnis'. Eine kleine mittelalterliche Gemeinde existierte hier bis in die 1430er Jahre; ihre Angehörigen lebten vom Kreditgeschäft und vom Handel. Durch zeitgenössische Schriften ist das Wirken einiger Juden in Lindau belegt: So sind für Mitte des 14.Jahrhunderts u.a. Süßkint Judeus de Lindow und ein gewisser Lassauer (Lazarus) und ein Elyas genannt; letzterer war als Jude sogar zeitweise Angehöriger des Magistrats! Zu den Kreditnehmern der im Geldverleihgeschäft tätigen Lindauer Jüdin Maria gehörten u.a. einflussreiche Persönlichkeiten wie Wilhelm von Montfort, der Abt vom Kloster St. Gallen.

Ein der herausragenden jüdischen Persönlichkeiten in Lindau war zu Beginn des 15.Jahrhunderts der „Ryche Samuel“, Bankier und Kaufmann, der sich 1408 erstmals in der Stadt nachweisen lässt. Als langjähriger Kreditgeber hatte Samuel („Sauwel“ oder auch „Simmile“ genannt) sich unentbehrlich gemacht und genoss das Bürgerrecht in Lindau, zudem auch das entsprechende in Konstanz und in Überlingen. Seine wirtschaftlichen Beziehungen, die seine Familie zu großem Reichtum verhalfen, reichten von Südwestdeutschland bis in die nördliche Schweiz. Innerhalb der in der Bodenseeregion bestehenden jüdischen Gemeinden avancierte Samuel zum „Judenmeister“ auf; 1418 war er Vorsteher der Konstanzer Judengemeinde. Bereits ein Jahr zuvor hatte er zu der Abordnung der „Jüdischheit am Bodensee“ gehört, die auf dem Konstanzer Konzil vom neuen Papst Martin V. empfangen wurde. Wegen der drohenden Pogromgefahr verließ der Kaufmann Samuel und seine Familie um 1430 Lindau bzw. St. Gallen. Sein Hab und Gut wurde wenig später beschlagnahmt. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Ob es bereits während der Pestzeit in Lindau zu Pogromen kam, ist nicht eindeutig belegbar; doch sollen Ende 1348 angeblich 15 Juden auf einem Lindau vorgelagerten Örtlichkeit verbrannt worden sein (im Volksmund wurde dieser Ort dann später 'Judenanger' genannt).

Als gesichert gilt aber die öffentliche Verbrennung von 18 Lindauer Juden im Juli 1430 im Zusammenhang einer Ritualmordbeschuldigung der Juden Ravensburgs an einem christlichen Jungen (sog. "Ravensburger Blutbeschuldigung" von 1429). Der zunächst in Verdacht geratene und beschuldigte (christliche) Angeklagte konnte die Schuld auf die Ravensburger Juden abwälzen und unterstellte ihnen, des Jungen Blut getrunken zu haben. Auch Juden aus Lindau (sie hatten sich anlässlich einer Hochzeit in Ravensburg aufgehalten) wurden bei diesem „Schauprozess“ verurteilt und danach öffentlich verbrannt. Der Lindauer Stadtrat beschloss daraufhin, den Juden ein „ewiges“ Siedlungsverbot in ihrer Stadt aufzuerlegen.

In der Folgezeit hielten sich dann zeitweilig nur vereinzelt Juden in Lindau auf, da der städtische Rat weiterhin eine dauerhafte Ansässigkeit nicht zuließ.

In einer Stadtordnung, die 1605 nochmals vom Rat bestätigt wurde, hieß es u.a.:

Satzung wider die Juden. Man soll auch hinfür Ewiglich bei dem Eid keinen Juden noch Jüdinnen in unser Stadt nimmer mehr haushäblich sitzen, noch kein wesen bei uns haben lassen, in keiner weis.

 

Da jüdische Händler in die Stadt nicht übernachten durften, schlugen sie ihr Lager außerhalb der Stadt auf; nach Zahlung eines Zolls durften sie dann auf dem Jahrmarkt ihre Waren feilbieten. Die in Lindau auftauchenden Handelsjuden stammten zumeist aus Hohenems. [vgl.  Hohenems (Österreich)]

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/10/De_Merian_Sueviae_164.jpg

Ansicht von Lindau am Bodensee, Stich von Caspar Merian um 1650 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Erst gegen Ende des 18.Jahrhundert wurden die antijüdischen Verordnungen gelockert. Die erste dauerhafte Niederlassung einer jüdischen Familie in Lindau - der Fabrikant Jakob Alexandersohn aus München - datiert im Jahre 1813. Die aus Laupheim stammende Kaufmannsfamilie Nördlinger folgte um 1840 nach.

Da es in Lindau für die jüdischen Bewohner keinerlei Kultuseinrichtungen gab, besuchten die wenigen Familien die Synagogen der Gemeinden des Umlandes wie Konstanz, Gailingen oder Laupheim. Verstorbene Konstanzer Juden fanden zumeist auf dem jüdischen Friedhof in Hohenems ihre letzte Ruhe.

Juden in Lindau:

         --- 1812 .........................  eine jüdische Familie,

    --- 1855 .........................   7 Juden,

    --- 1871 .........................   9   “  ,

    --- 1890 .........................  18   “  ,

    --- 1910 .........................  29   “  ,

    --- 1933 .........................  16   “  ,

    --- 1939 .........................   6   “  ,

    --- 1942 (Aug.) ..................   2   “  ,

    --- 1944 ......................... ein   “ ().

Angaben aus: Karl Schweizer, Jüdisches Leben und Leiden in Lindau, S. 23 und S. 45

 

Die wenigen jüdischen Familien in Lindau verdienten ihren Lebensunterhalt als Unternehmer und im Einzelhandel; ihr Anteil an der Bevölkerung betrug nur 0,1% - war also verschwindend gering.

Trotz der nur wenigen Geschäfte in jüdischem Besitz wurde auch in Lindau der Boykottaufruf der NSDAP umgesetzt. In den folgenden Jahren machte die antijüdische NS-Propaganda vor Lindau nicht halt; doch wurden hier - wegen der Nähe zur Schweizer Grenze - ‚leisere Töne’ angeschlagen. Obwohl im Herbst 1938 nicht einmal mehr zehn Juden in Lindau lebten, kam es auch hier - wie der folgende Zeitungsartikel belegt - zu antijüdischen Demonstrationen:

Empörung über das Judentum auch in Lindau

Lindau, 11.November

Die Erbitterung des ganzen deutschen Volkes über die neuerliche Mordtat des niederträchtigen Weltjudentums an einem der besten deutschen Volksgenossen hat auch die Lindauer Bevölkerung aufs tiefste ergriffen. Noch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ... kam es zu antijüdischen Demonstrationen und auch im Lauf des gestrigen Tages wurden die Haussuchungen bei den noch sechs jüdischen Haushaltungen in Lindau fortgesetzt. Zwei Juden wurden vorläufig zur eigenen Sicherheit und zur Durchführung weiterer polizeilicher Erhebungen wegen des dringenden Verdachtes gesetzwidriger Handlungen in Schutzhaft genommen. Die Bevölkerung zeigte sich aber ausnahmslos so diszipliniert, daß Beschädigungen des Eigentums und Tätlichkeiten gegen jüdische Personen nicht vorgekommen sind . ...

Soweit den wenigen jüdischen Bewohnern nicht ihre Emigration gelang, wurden sie Opfer der Shoa.

 

In der frühen Nachkriegszeit bestand im Ortsteil Zech ein kleines DP-Camp, das etwa 30 heimatlosen Juden vorübergehend Unterkunft bot; sie waren aus dem französischen Sektor Berlins hierher gebracht worden.

In der Lindauer Peterskirche erinnert heute eine Tafel an die Opfer des Nationalsozialismus, darunter befinden sich auch die Namen von acht Lindauer Juden.

In der Evang. Kirche St. Stephan zeigt ein in den 1930er Jahren gestiftetes Kirchenfenster eine von antisemitischen Vorurteilen geprägte Darstellung eines Juden (rechts in der Abb.)

Aufn. Feloscho, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

 

 

 

Weitere Informationen:

Moritz Stern, Beiträge zur Geschichte der Juden am Bodensee und in seiner Umgebung, in: "Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland", AF 1/1887

Karl Wolfarth (Hrg.), Geschichte der Stadt Lindau im Bodensee (2 Bände), Lindau 1909

Rabbiner Schweizer-Weikersheim, Die Juden der Stadt Lindau im Bodensee, in: "Der Israelit", No.46/Nov. 1909

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Verlag Oldenbourg, München/Wien 1979, S. 479/480

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 488 – 490 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 749/750

Karl Schweizer, Jüdisches Leben und Leiden in Lindau, Eigenverlag, Lindau 1989

Karl Heinz Burmeister, Eine jüdische Beerdigung in Lindau 1772, in: "Jahrbuch des Kreises Lindau",  9/1994, S. 58 - 63

Karl Heinz Burmeister, Medinat bodase - Zur Geschichte der Juden am Bodensee 1200 - 1349, Band 1, Konstanz 1995

Karl Heinz Burmeister, Medinat bodase Zur Geschichte der Juden am Bodensee 1450 - 1618 (Band 3), Konstanz 2001

Karl Schweizer, Lindaus erste jüdische Gemeinde und deren Ende 1348, in: "Jahrbuch des Landkreises Lindau", 24/2009, S. 89 - 98

Karl Schweizer/Heiner Stauder, Lindauer Gedenkweg. Verfolgung und Widerstand 1933 – 1945, Lindau 2010

Lindau – jüdisches DP-Lager, in: after-the-shoah.org

N.N. (Red.), Von Lindaus jüdischem Bankier Samuel, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 2.9.2018