Lissa (Posen)
Lissa war bis ins 16.Jahrhundert ein unscheinbares Dorf, entwickelte sich aber nach 1550 zu einer prosperierenden Landstadt. In Folge der 2.Teilung Polens (1793) fiel es an Preußen, nach Ende des Ersten Weltkrieges wieder an Polen. Leszno - nordöstlich von Glogów (Glogau) bzw. Wschowa (Fraustadt) gelegen - ist heute eine Mittelstadt mit derzeit ca. 64.000 Einwohnern in der polnischen Woiwodschaft Poznan (Ausschnitt aus hist. Landkarte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Leszno rot markiert, Y. 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Lissa/Leszno besaß über Jahrhunderte hinweg den Ruf einer „Stadt der Andersgläubigen“; denn die polnischen Grafen Leszczyński hatten seit dem 16.Jahrhundert Glaubensflüchtlinge in der Stadt aufgenommen: zeitweise war die Stadt Hochburg des Protestantismus in Polen (Böhmische Brüder u. ev.-luth. Flüchtlinge). Wegen der Vielfalt seiner Zuwanderer nahm Lissa einen wirtschaflichen und kulturellen Aufschwung.
Da in Lissa verschiedene Religionsbekenntnisse geduldet wurden, fanden auch Juden Aufnahme. Erste urkundliche Nachweise über Ansiedlungen von Juden in Lissa liegen seit Beginn des 17.Jahrhunderts vor; vermutlich lebten aber schon in den Jahrzehnten zuvor jüdische Familien im Ort.
(Anm. So datiert ein Privileg aus dem Jahre 1604, das der jüdischen Kürschnerei-Innung verliehen worden war.)
Im Jahre 1626 erhielt die jüdische Gemeinde von der Adelsfamilie Leszczyński, ihrer Schutzherrschaft, ein Sonderprivileg, das die Beziehungen zwischen der Gemeinde und der Stadt regelte. „… Die Judenschaft war politisch von der Bürgerschaft völlig getrennt und bildete eine eigene Commune mit eigenen Rechten und besonderer Verwaltung, die bis herab zum eigenen Nachtwächter sich erstreckte. … Ein Haftbefehl des Rathes gegen einen Juden bedurfte grundherrlicher Zustimmung und wurde nur erlassen, wenn es sich im städtische Angelegenheiten handelte. ...“ (aus: Louis Lewin, Geschichte der Juden in Lissa)
Ihren Lebensunterhalt verdienten die Juden Lissas - die meisten waren aus Deutschland zugewandert - im Handel und vor allem im Handwerk. Es kam zu Neid und Missgunst der Bürgerschaft, die die Herrschaft dazu brachte, die den Juden eingeräumten Privilegien einzuschränken; diese verlagerten ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten nun mehr auf den Fernhandel. Besonders der Tuchhandel war eine wichtige Einnahmequelle Lissaer Juden; auch der mit Leder lag gegen Ende des 18.Jahrhunderts monopolartig in jüdischer Hand; dadurch gelangte die Judenschaft der Stadt zu Wohlstand.
Da enge Wirtschaftsbeziehungen zu Breslau bestanden und zahlreiche Lissaer Juden sich dort zeitweilig aufhielten, richteten sie dort in der Nähe eines Pulverturmes eine eigene Synagoge ein; diese wurde 1749 durch eine Explosion zerstört. Durch Kriege und Pest wurde die jüdische Gemeinde stark dezimiert, konnte sich aber im Laufe der Zeit wieder erholen. Nach 1700 zählte die Lissaer jüdische Gemeinde zu den bedeutendsten in der Region und überflügelte sogar die Posener Gemeinde; gegen Mitte des 18.Jahrhunderts wurde Lissa „die Hauptsynagoge von Großpolen”. Die in der Stadt befindliche Talmud-Schule zog junge Juden aus ganz Europa an, die hier eine Ausbildung erhielten; zahlreiche wirkten später als Rabbiner in Ost- und Mitteleuropa. Bereits seit Ende des 18.Jahrhunderts gab es in Lissa mehrere jüdische Schulen. Schon vor 1793 wurde das Fach Deutsch unterrichtet, nach 1793 war Deutsch sogar allgemeine Unterrichtssprache (bis 1920).
Mitte des 18.Jahrhunderts wurde die jüdische Gemeinde von mehreren Großbränden schwer getroffen; man bat Glaubensgenossen in ganz Europa um Spenden, die das Los der Lissaer Gemeinde erträglich gestalten sollten. Trotzdem verließen damals zahlreiche Familien die Stadt.
Die Gemeinde unterhielt im 18.Jahrhundert zwei Hospitäler, die beim großen Stadtbrand (1769) zerstört worden waren; danach stand den jüdischen Bewohnern ein neues "Kranken- und Siechenhaus" zur Verfügung.
Kriegszerstörungen zu Beginn des 19.Jahrhunderts führten dazu, dass sich die Gemeinde hoch verschulden musste; in dieser finanziellen Notlage mussten alle Grundstücke bzw. Gemeindeeinrichtungen der Gemeinde versteigert und abgetreten werden. Allerdings erhielt die jüdische Gemeinde diesen Grundbesitz bald wieder als Schenkung zurück. Nachdem das Judenviertel wieder aufgebaut war, einigte sich die Lissaer Judenschaft auf den Neubau einer einzigen Synagoge; nach dreijähriger Bauzeit konnte das Gebäude im Frühjahr 1799 seiner Bestimmung übergeben werden; es befand sich an einer zentralen Stelle des jüdischen Viertels (ein Ghetto gab es hier zu keiner Zeit) und galt als größte und vermutlich auch älteste Synagoge Großpolens. Neben der Synagoge (Kostener Straße) gab es zu Beginn des 19.Jahrhunderts in der Stadt noch weitere 22 (private) Bethäuser, die die preußische Regierung 1826 verbot.
Im Jahre 1903 begannen im Auftrag der Gemeinde umfangreiche Umbauarbeiten am großen Synagogengebäude; so wurde das Äußere wurde im Stile der Neoromanik umgestaltet; zwei Jahre später die Synagoge erneut eingeweiht; verantwortlich für den Umbau waren die aus Breslau stammenden Architekten Richard und Paul Ehrlich.
Synagoge von Lissa (Leszno), vor - nach dem Umbau (hist. Postkarten, aus: pl.wikipedia.org, CCO)
Eine erste jüdische Begräbnisstätte in Lissa stammte vermutlich bereits aus dem 16.Jahrhundert (?). Der dann anschließend bis gegen Ende der 1930er und damit mehr als drei Jahrhunderte in Nutzung gewesene jüdische Friedhof war während des Dreißigjährigen Krieges angelegt worden; auf dem Gelände fanden zahlreiche Rabbiner ihre letzte Ruhe.
Juden in Lissa:
--- um 1650 .................... ca. 400 jüdische Familien,* * Angabe fraglich
--- um 1775 .................... ca. 4.500 Juden,
--- 1793 ....................... ca. 3.000 "
--- 1800 ....................... ca. 3.700 “ (ca. 41% d. Bevölk.),
--- 1837 ........................... 3.370 “ ,
--- 1848 ........................... 3.110 “ (ca. 32% d. Bevölk.),
--- 1858 ........................... 2.578 “ ,
--- 1871 ........................... 1.889 “ ,
--- 1890 ........................... 1.347 " ,
--- 1895 ........................... 1.206 “ ,
--- 1903 ........................... 1.210 “ ,
--- 1910 ....................... ca. 800 " ,
--- 1920 ....................... ca. 500 “ ,
--- 1922 ....................... ca. 200 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1938 ........................... 184 “ .
Angaben aus: A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und ..., S. 599
Viele Lissaer Juden waren erfreut, als das Dorf 1793 an Preußen fiel. Sie nahmen bald deutsche Namen an und taten alles, um die Bildung ihrer Kinder zu fördern; das jüdische Schulwesen in der Stadt wurde so deutlich verbessert. Trotz ihrer Zugehörigkeit zum preußischen Staat blieben die Lissaer Juden Untertanen der Grundherrschaft und hatten damit doppelte finanzielle Lasten zu tragen; erst im Gefolge der erfolgreichen Emanzipationsbestrebungen wurden ihnen diese Belastungen abgenommen. Über die wirtschaftliche Lage der Lissaer Juden gibt ein Bericht des preußischen Kammer-Kalkulators Zimmermann um 1795/1800 Auskunft; darin hieß es (Text stark gekürzt):
„ ... Diese Stadt liegt noch in ihren Ruinen, hat nach der Anzeige des Magistrats ehedem 1.600 Häuser und 10.000 Einwohner gehabt, unter denen zwischen 4 - 5.000 Juden sich befanden, jetzt ist die Zahl der letzteren an 3.000. Die Juden stehen unter dem Fürstlich Sulkowskyschen Gubernio ... Ehehin waren die Juden auf einen gewissen Fleck in der Stadt eingeschränkt, der etwa 250 Häuser faßte, jetzt aber kann auch der Jude ein Christen-Haus kaufen, muß aber dafür 33 pro Cent dem Domino vom Kaufgelde geben. ... Die Juden treiben folgende Gewerbe: Schneider, Kirschner, Goldschmiede, Schmuckler oder Posamentier, Schlosser, Gerber, Fleischer, Balbier; 250 Mädchen kleppeln Spitzen, meist schwarze. ... Der Handel wird mit der einzigen Einschränkung getrieben, daß die Juden nicht Lissner Tuch verschneiden können, sonst ist ihnen der alagross- und alaminuta Handel erlaubt; sie beziehen nicht allein fast alle pohlnische Jahrmärckte, sondern hausiren mit Waaren in Städten und Dörfern und kaufen von den Land-Eigenthümern Federn, Garn, Hanf, Wolle, Honig, Wachs, Leder, bringen dies in einzelnen Posten nach Lissa und verfahren solches nach Königsberg, Berlin, Frankfurth und Danzig; besonders nehmen sie jährlich einige 1000 Stück Tuche von Tschirne, Guhrau und aus Schlesien überhaupt und treiben damit bis Petersburg einen starken Handel, von da sie mit russischen Producten retourniren und solche in Berlin oder Leipzig wieder absetzen. ... “
(aus: A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, S. 606 f.)
Kostener Straße mit Synagogenkuppel (Aufn. 1905, aus: wikipedia.org, CCO)
In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts waren Lissaer Juden auch in der Kommunalpolitik als Magistrats- und Stadtverordnetenmitglieder engagiert. Bald setzte eine starke Abwanderung ein, vor allem in die großen Städte wie Breslau und Berlin - noch beschleunigt dadurch, dass nach Ende des Ersten Weltkrieges Lissa zum neugegründeten polnischen Staat gehörte. Anfang der 1920er Jahren lebten in Lissa nur noch knapp 300 Juden.
Wie allen jüdischen Gemeinden Posens wurde auch die jüdische Gemeinde von Lissa in den ersten Kriegsjahren vernichtet; die jüdischen Familien - Mitte 1939 waren es noch ca. 170 Personen - wurden ins ins Ghetto Lodz „umgesiedelt“; die allermeisten kamen in den NS-Vernichtungslagern ums Leben.
Ehemaliges Synagogengebäude (Aufn. 1956) nach der Sanierung (Aufn. 2007, aus: pl.wikipedia.org, CC BY-SA 2.5)
Vor wenigen Jahren ist das Synagogengebäude grundlegend saniert worden, ohne es jedoch in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Heute befindet sich hier das "Muzeum Okregowego w Lesznie". Ein Teil des Lesznoer Städtischen Museums besitzt seit 1993 auch eine Judaica-Abteilung, deren Exponate im ehemaligen Tahara-Haus auf dem jüdischen Friedhof untergebracht sind. Diese Ausstellungsstücke dokumentieren Religion und Kultur der einstigen großen israelitischen Gemeinde; zur Sammlung gehören auch ca. 400 Grabsteine und -platten, die von Friedhöfen der nahen Region stammen und sich vielfach durch ihre reiche Ornamentik auszeichnen.
Der jüdische Friedhof in Leszno war während der Kriegsjahre vollständig zerstört worden: so wurden Grabmäler u.a. beim Straßenbau verwendet. Baulich erhalten geblieben sind auf dem Gelände - es ist seit den 1970er Jahren mit einer Wohnsiedlung überbaut - nur zwei Gebäude: das Taharahaus und das Haus des Totengräbers.
Grabsteinrelikte (Aufn. Bartymeusz, 2010, aus: wikipedia,org, CC BY 3.0)
Aus Lissa stammte Josef Hirsch Janow (geb. 1733), Rabbiner in verschiedenen Gemeinden war, so in Zülz (Oberschlesien), danach als Oberlandesrabbiner in Posen und ab 1779 in Fürth; hier verstarb er 1785
Der aus Mähren stammende Samuel Baeck (geb. 1834 als Sohn des Rabbiners Nathan B.) wirkte fast ein halbes Jahrhundert als Rabbiner und Religionspädagoge in Lissa. Als Autor wissenschaftlicher Werke zur jüdischen Geschichte u. Literatur machte er sich einen Namen. Seine tolerante Haltung in Religionsfragen (er stand dem gemäßigten Reformjudentum nahe) brachte ihm viel Ansehen inner- und außerhalb der jüdischen Gemeinde. Samuel Baeck starb 1912 an seiner langjährigen Wirkungsstätte Lissa.
In Lissa wurde 1873 der bekannte Rabbiner Leo Baeck (Sohn des in Lissa amtierenden Rabbiners Samuel B.) geboren. Nach dem Abitur am dortigen Amos-Comenius-Gymnasium besuchte der junge Baeck zuerst das konservativ ausgerichtete jüdisch-theologische Seminar in Breslau und danach die liberale „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“ in Berlin. Als 24jähriger wurde er Rabbiner in Oppeln, fünf Jahre später in Düsseldorf. 1912 holte man Leo Baeck nach Berlin, wo er bis zu seiner Deportation nach Theresienstadt (1943) als Rabbiner und Dozent wirkte. Ab 1933 hatte er als Präsident der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ fungiert. Nach seiner Befreiung aus Theresienstadt 1945 übersiedelte er nach London. Nach dem Kriege war er Präsident des „Council of Jews from Germany“ und der „World Union for Progressive Judaism“. 1947 gründete Baeck das später nach ihm benannte „Institut zur Erforschung der Geschichte des Judentums in Deutschland seit der Aufklärung“. Bis zu seinem Tod am 2. November 1956 in London bemühte sich Leo Baeck um Versöhnung und Dialog zwischen Juden und Christen.
Ein weiterer bedeutender Sohn Lissas war der 1814 geborene Ludwig Kalisch; er machte sich als Journalist und Schriftsteller einen Namen. Wegen seiner politischen Aktivitäten während der 1848-Revolution musste er aus Deutschland fliehen und lebte bis zu seinem Tode in London bzw. Paris im Exil. Nach 1871 setzte sich Kalisch für die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ein; seine weitere Aufgabe sah er in der Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden. Ludwig Kalisch verstarb 1882 in Paris.
In Reisen (poln. Rydzyna, derzeit ca. 2.500 Einw.) – etwa zehn Kilometer südlich von Lissa gelegen – soll erste jüdische Siedlungstätigkeit bereits im ausgehenden 17.Jahrhundert erfolgt sein. In nennenswerter Zahl ließen sich dann jüdische Familien aus Lissa, die durch den Stadtbrand von 1767 obdachlos geworden waren, hier nieder. Laut einem Schutzbrief aus dem Jahre 1775 war ihnen freier Handel erlaubt, ausgenommen der mit Gewürzen und Salz. Gegen Ende des 18.Jahrhunderts erreichte die jüdische Bevölkerung ihren zahlenmäßigen Höchststand; im Ort soll es im Laufe der Zeit zwei Synagogen gegeben haben; während die erste gegen Ende des 18.Jahrhunderts errichtet worden war, ist die Einweihung des Nachfolgebaus in den 1860er Jahren erfolgt.
Ihre Begräbnisstätte besaßen die Reisener Juden auf einem westlich von Lissa gelegenen Gelände.
Juden in Reisen:
--- um 1775 ...................... 9 jüdische Familien,
--- 1793 ......................... 276 Juden (ca. 17% d. Bevölk.),
--- 1800 ......................... 144 “ (ca. 11% d. Bevölk.),
--- 1835 ......................... 75 “ ,
--- 1850 ......................... 80 “ ,
--- 1871 ......................... 67 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1895 ......................... 31 “ ,
--- 1910 ......................... 6 “ .
Angaben aus: Rydzyna, in: sztetl.org.pl
Abwanderung in größere Städte dezimierten im Laufe der Jahrzehnte die Zahl der jüdischen Familien. Die wenigen Juden, die nach Ende des Ersten Weltkrieges noch in Reisen lebten, verzogen alsbald nach Breslau.
In den Jahren 1941/1943 befand sich in Rydzyna ein Zwangsarbeitslager für Juden; dessen Insassen wurden für Meliorations- und Waldarbeiten eingesetzt.
In Storchnest (poln. Osieczna, derzeit ca. 2.000 Einw.) – etwa zehn Kilometer nordöstlich von Lissa – sollen bereits in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts jüdische Familien gelebt haben; ein allererster Nachweis jüdischer Anwesenheit im Ort stammt aus dem Jahre 1637. Die jüdische Bevölkerung konzentrierte sich in einem Viertel im südöstlichen Teil nahe des Sees. Seitens des Stadtherrn waren den Juden weitreichende Privilegien zugestanden worden, die sie in die Lage versetzten, mit allen Gütern innerhalb und außerhalb des Ortes zu handeln.
Bei einem Großbrand, der 1793 den größten Teil der Ortschaft vernichtete, wurden viele Bewohner obdachlos; eine Petition an den preußischen König – sowohl von christlicher als auch von jüdischer Seite verfasst -, dem schwer getroffenen Ort zu helfen, wurde abschlägig befunden. Auch das jüdische Bethaus war in Flammen aufgegangen. Ein aus Holz erstellter Nachfolgebau wurde wenige Jahre später errichtet; um 1880 war dieser baufällig; Gottesdienste der kleiner gewordenen Gemeinde wurden fortan in privaten Räumen abgehalten.
Auf einem Hügel direkt am See wurde im 18.Jahrhundert eine Begräbnisstätte angelegt, die mit einem Zaun umfriedet war. Die letzte Beerdigung auf diesem ca. 2.500 m² großen Gelände fand 1900 statt.
Juden in Storchnest:
--- um 1675 ................... ca. 70 Juden,
--- 1775 ...................... ca. 140 “ (ca. 18% d. Bevölk.),
--- 1793 ......................... 114 " (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1840 ...................... ca. 250 “ (ca. 20% d. Bevölk.),
--- 1861 ......................... 135 “ ,
--- 1878 ......................... 98 “ ,
--- 1895 ......................... 6 “ .
Angaben aus: Osieczna, in: sztetl.org.pl
Nach 1870 ergriff eine Emigrationswelle den jüdischen Bevölkerungsteil; Ziele waren zum einen die Metropole Berlin und zum anderen die USA. Um die Wende zum 20.Jahrhundert hatte sich die Gemeinde völlig aufgelöst. Während der Zwischenkriegszeit lebte nicht ein einziger jüdischer Einwohner in Osieczna.
Trotz der Zerstörung des jüdischen Friedhofs – z.T. wurden Grabsteine für den Wegebau benutzt – wurden in jüngster Zeit wieder solche Steine aufgefunden und fanden zunächst im Distriktmuseum von Leszlo einen Platz. Im Jahre 2005 brachte man die Grabsteine wieder zurück nach Osieczna, wo sie an einer Mauer nahe des ehemaligen Friedhofsgeländes angebracht wurden.
alte Grabsteine und -relikte (Aufn. Marcin Błaszkowski, um 2010)
vgl. Storchnest (Posen)
In Herrnstadt (poln. Wąsosz, derzeit ca. 2.700 Einw.) – etwa 40 Kilometer südlich von Lissa – war während des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nur eine kleine jüdische Gemeinschaft beheimatet. Nachweislich lebten die ersten jüdischen Bewohner erst Anfang der 1840er Jahre im Dorf. 1871 hatte sich deren Anzahl auf ca. 50 Personen erhöht; fünf Jahrzehnte später waren es nur noch 15.
Über Einrichtungen wie Bethaus/Religionsschule/Friedhof ist nichts bekannt.
Weitere Informationen:
Ludwig Kalisch, Bilder aus meiner Knabenzeit, Leipzig 1872 (Anm. dabei es handelt sich um die Memoiren des jüdischen Schriftstellers aus Lissa)
Louis Lewin, Geschichte der Juden in Lissa, hrg. von der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, Pinne 1904
A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 596 - 613
Fritz Scherbel, Die Juden in Lissa, Berlin 1932
Sophia Kemlein, Die Emanzipation der Juden im Großherzogtum Posen 1815 - 1848, Magisterarbeit, Universität Kiel 1987
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 724/725
Anton M. Keim, Ludwig Kalisch, Leinpfad-Verlag, Ingelheim 2003
Leszno, in: sztetl.org.pl
Andrew Przewozny, Leszno, in: kirkuty.xip.pl
Osieczna (jüdischer Friedhof), in: sztetl.org.pl
J. Marczak/K. Bielawski (Red.), Jüdischer Friedhof Osieczna, in: kirkuty.xip.pl
Faltblatt „Auf den Spuren Leo Baecks“, Leszno 2010 (siehe: Gesine Schmidt, Jüdisches Leben in Lissa/Leszno, S. 46/47)
Gesine Schmidt, Jüdisches Leben in Lissa/Leszno: das Schicksal der Familien Metz und Sachs aus der Provinz Posen, Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig 2018
Michael A.Meyer, Leo Baeck – Rabbiner in einer bedrängten Zeit. Eine Biographie, C.H.Beck Verlag, 2021
N.N. (Red.), Der letzte große religiöse Lehrer des deutschen Judentums, in: hagalil.com (Mai 2023)