Lohra (Hessen)

 Datei:Marburg Biedenkopf Lohra.png Lohra ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 5.700 Einwohnern im Süden des Landkreises Marburg-Biedenkopf (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu  und  Kartenskizze 'Landkreis Marburg-Biedenkopf', Andreas Trepte 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 2.5).

 

Nachweislich lebten seit Mitte des 18.Jahrhunderts Juden in Lohra; seit Beginn des 19.Jahrhunderts bildeten sie gemeinsam mit den Juden Fronhausens und Roth eine Religionsgemeinde.

[vgl. Roth und Fronhausen (Hessen)]

Ihre Gottesdienste fanden damals in der Rother Synagoge statt. Als sich 1881 die Juden Lohras und Fronhausens von der Judenschaft Roths abspalteten und eine eigene Gemeinde bildeten, lag der gottesdienstliche Mittelpunkt in Fronhausen; auch die jüdische Religionsschule wurde zeitweise gemeinsam betrieben.

Gegen Ende des 19.Jahrhunderts war die Zahl der Lohraer Juden so weit angewachsen, dass ein Minjan zustande kam; deshalb richteten die Juden Lohras im Obergeschoss des alten Rathausgebäudes in der Lindenstraße einen eigenen Betsaal ein; im Untergeschoss waren ein Schulraum und die Lehrerwohnung untergebracht.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20150/Lohra%20Synagoge%20111.jpg Gebäude, in dem sich der Betsaal befand (Aufn. J. Hahn, 2008)

Nach der Aufgabe des Betsaales 1937 besuchten die wenigen Juden Lohras den Gottesdienst in Gladenbach.

In Lohra gab es zwei kleine jüdische Friedhöfe: einer am Steinweg und der andere an der Lehmkaute (heutige Schulstraße), auf der sich aber nur zwei Grabstätten befinden.

Juden in Lohra:

         --- 1744 .........................  3 jüdische Familien,

    --- 1794 ........................   4     "        "   ,

    --- 1812 ........................   6     "        "   ,

    --- 1835 ........................  21 Juden,

    --- 1861 ........................  18   “  (ca. 3% d. Dorfbev.),

    --- 1871 ........................  20   "  ,

    --- 1885 ........................  34   "  ,

    --- 1895 ........................  30   "  (ca. 4% d. Dorfbev.)

    --- 1905 .................... ca.  30   “  ,

    --- 1925 ........................  38   "  ,

    --- 1933 ........................  34   “  ,

    --- 1939 (Jan.) .................   8   "  ,

    --- 1941 ........................   4   “  .

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 496

und                 Die ehemaligen Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, Marburg 1999, S. 69 f.

 

Zu Beginn der NS-Zeit besaß Lohra noch 34 jüdische Bewohner. Im Sommer 1935 kam es im Ort zu pogromartigen Ausschreitungen gegen hiesige Juden; Anlass dafür waren Gerüchte über eine „rassenschänderische“ Beziehung; besonders jugendliche Ortsbewohner verursachten teils erheblichen Schaden an jüdischem Eigentum.

                 Aus einem Polizeiprotokoll vom 15.8.1935:

„ Am 13.8.35 gegen 21 1/2 Uhr wurden bei nachstehenden jüdischen Familien Sachbeschädigungen verübt.

         (Nun folgen sechs Anschriften mit Aufzählung der angerichteten Schäden)

... Auch sind die Juden in letzter Zeit wieder frech geworden. Aus diesen Gründen haben sich am 13.8.35 eine Anzahl junger Burschen und auch scheinbar einige junge Männer verabredet und die einzelnen Familien heimgesucht. Die meisten Beschädigungen sind durch Steinwürfe erfolgt. Wegen der Dunkelheit sind die Täter unerkannt entkommen. ...“

 

Einige Lohraer Juden konnte in den folgenden Jahren emigrieren, andere verzogen in deutsche Städte. Während des Novemberpogroms wurden von einheimischen Einwohnern  Fensterscheiben der von jüdischen Familien bewohnten Häuser eingeworfen.

Nur wenige blieben im Dorf zurück. Vier Juden aus Lohra wurden 1942 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 17 aus Lohra stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Bewohner mosaischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/lohra_synagoge.htm).

 

Auf dem jüdischen Begräbnisplatz an der Schulstraße erinnert eine Gedenktafel namentlich an die jüdischen Bewohner Lohras, die in der NS-Zeit deportiert und gewaltsam ums Leben kamen.

                                                         (Aufn. J. Hahn, 2008)

Das Fachwerkgebäude, in dem sich der Synagogenraum befand, steht seit 1982 unter Denkmalschutz.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 496/497

Konrad Naumann, Die Juden von Lohra in der dörflichen Gemeinschaft, in: "Mitteilungen des Vereins für Geschichte u. Volkskunde Lohra", Heft 9/1986, S. 3/4

Norbert Horn, Zur Geschichte der Juden in Lohra, in: "Mitteilungen des Vereins für Geschichte u. Volkskunde Lohra", Heft 9/1986, S. 5

Jakob Schlag, Meine Erinnerungen an das ‘Tausendjährige Reich’ und an die Juden in Lohra, Selbstverlag, Lohra 1991

B.Händler-Lachmann/U.Schütt, “unbekannt verzogen” oder “weggemacht”. Schicksale der Juden im alten Landkreis Marburg 1933 - 1945, Marburg 1992

B.Händler-Lachmann/H.Händler, U.Schütt, Purim, Purim, ihr liebe Leut, wißt ihr was Purim bedeutet ? - Jüdisches Leben im Landkreis Marburg im 20.Jahrhundert, Hitzeroth Verlag, Marburg 1995, S. 21 und S. 160 - 163

Kreisausschuß des Landkreises Marburg-Biedenkopf (Hrg.), Die ehemaligen Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, Marburg 1999, S. 69 ff.

Barbara Wagner/Dieter Bertram/Friedrich Damrath/Friedemann Wagner, Die jüdischen Friedhöfe und Familien in Fronhausen, Lohra, Roth, in: Geschichtswerkstatt Marburg e.V., Marburg 2009

Lohra, in: alemannia-judaica.de