Lollar (Hessen)

Der Kreis Marburg 1905Datei:Landkreis Gießen Lollar.pngLollar ist eine mittelhessische Kleinstadt mit derzeit ca. 10.500 Einwohnern im Nordteil des Landkreises Gießen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze 'Landkreis Gießen', Andreas Trepte 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 2.5).

 

In der wenige Kilometer nördlich von Gießen gelegenen Ortschaft Lollar war der Anteil der jüdischen Bevölkerung stets sehr gering. Als in Lollar regelmäßig Viehmärkte stattfanden und die Verkehrsanbindung verbessert wurde, wuchs die Ortschaft zu einem landwirtschaftlichen Kleinzentrum; dies kam auch jüdischen Händlern zugute, die sich hier niederließen.

Seit den 1840er Jahren besaß die kleine jüdische Gemeinschaft einen bescheidenen Betraum in einem Hinterhof an der heutigen Gießener Straße; um diesen nutzen zu können, musste man ein Grundstück überqueren, das einem Nichtjuden gehörte; das führte wiederholt zu Auseinandersetzungen.

Zeitweise beschäftigte die Gemeinde einen Religionslehrer, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war.

Der jüdische Friedhof befand sich auf einem Gelände am Ortsausgang ("In den Steinäckern") – angelegt gegen Mitte der 1840er Jahre. Auf dem Areal wurden verstorbene Juden aus Lollar und aus Ortschaften der Umgebung (Daubringen, Mainzler, Ruttershausen) beigesetzt.

Ein älterer Friedhof hatte sich auf einer Anhöhe unmittelbar unterhalb der Burg Staufenberg befunden, der bis zur Anlage des "Totenhofes" in Lollar in Nutzung gewesen war.

Lollar - Jüdischer-Friedhof (003).jpg

Jüdischer Friedhof (beide Aufn. G. Rosenberg, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Die jüdische Religionsgemeinde Lollar umfasste auch die Familien aus Daubringen, Mainzlar, Ruttershausen und Staufenberg.

Die Gemeinde gehörte zum liberalen Bezirksrabbinat von Gießen.

Juden in Lollar:

    --- 1704 ........................ eine jüdische Familie,

    --- 1770 ........................  7      “        “   n,*     *Gemeindeverband

    --- 1830 ........................ 45 Juden,

    --- 1871 ........................ 62   “  ,*

    --- 1905 ........................ 28   “  ,

    --- 1910 ........................ 18   "  ,

    --- 1924 ........................ 19   "  ,

    --- 1933 ........................ 14   “   (in vier Familien),

    --- 1942 (Dez.) .................  keine.

Angaben aus: Reinhold Huttarsch/Michael Müller, Lollar beiderseits der Lahn, Lollar 1984

 

Bereits um die Jahrhundertwende war die jüdische Gemeinde auf Grund von Ab- und Auswanderung so geschwächt, dass es kaum mehr ein ausgeprägtes religiöses Gemeindeleben gab. Nach 1933 war die winzige Gemeinde in Auflösung begriffen.

Das jüdische Gotteshaus mitsamt des Inventars wurde während des Novemberpogroms von 1938 von SA- und NSDAP-Angehörigen zerstört; Dorfbewohner sollen teils höhnisch, teils mitleidig diesem Treiben zugesehen haben. Später wurde das Gebäude völlig niedergelegt. 

Auch der jüdische Friedhof wurde geschändet, Grabsteine umgeworfen bzw. teilweise auch abgeräumt, um andersweitig benutzt zu werden.

Im Laufe des Jahres 1942 wurden die letzten vier Juden aus Lollar deportiert. Aus den Filialorten Mainzlar und Ruttershausen mussten ebenfalls 18 Personen den Weg ins „Generalgouvernement“ bzw. nach Theresienstadt antreten.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden vier aus Lollar stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Bewohner mosaischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/lollar_synagoge.htm).

 

2013 wurden unter Mitwirkung von Schüler/innen der Clemens-Brentano-Europaschule (CBES) mehrere sog. „Stolpersteine" verlegt, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft gewidmet sind.

Jüngst wurde erneut die Aufstellung eines Gedenksteines/-tafel ins Gespräch gebracht; am früheren Standort der Synagoge an der Gießener Straße soll - nach Beschluss der Stadtverordneten (2020) - damit an die frühere Ansässigkeit jüdischer Familien erinnert werden. Der Text der Gedenktafel wird lauten: „Im November 1938 wurde hier die 1848 errichtete Synagoge der jüdischen Gemeinde durch Lollarer Bürger zerstört. Wir gedenken aller jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Lollars. Es ist und bleibt unser aller Verpflichtung, Antisemitismus entschieden zu bekämpfen. Menschenverachtung und Hass müssen wir heute und in Zukunft aktiv entgegentreten."

 

 

 

In Staufenberg sind erstmals im 16.Jahrhundert jüdische Familien nachweisbar; allerdings waren deren Anzahl stets gering. Unterhalb der Burgruine ist eine jüdische Begräbnisstätte vorhanden, die auch Verstorbene aus umliegenden Ortschaften – wie Daubringen, Lollar, Mainzlar und Ruttershausen – aufnahm. Dieser Friedhof wurde auf behördliche Anweisung in den 1840er Jahren geschlossen*; die noch vorhandenen Grabsteine wurden dann in der NS-Zeit entfernt.

* Die behördliche Schließung des Friedhofes erfolgte wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen, da sich im Bereich des Friedhofs ein großer Basaltsteinbruch befand. Wenig später wurde dann eine an der Gemarkungsgrenze zwischen Lollar und Staufenberg liegende jüdische Begräbnissätte ("In den Steinäckern") eröffnet.

Der letzte jüdische Einwohner Staufenbergs verstarb 1839.

 

 

 

Jüdische Familien sind in Daubringen seit dem 18.Jahrhundert nachweisbar. Wegen der geringen Zahl waren vor Ort keine rituellen Einrichtungen vorhanden; die Juden Daubringens gehörten dem Gemeindeverband Lollar an. Verstorbene wurden zunächst auf dem jüdischen Begräbnisplatz unterhalb der Burg Staufenberg bestattet, danach auf dem Friedhof zwischen Lollar und Staufenberg. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts verließen die wenigen Familien das Dorf und emigrierten.

vgl. auch dazu: Mainzlar (Hessen)

 

 

 

In Ruttershausen lebten spätestens seit Ende des 18.Jahrhunderts nur wenige jüdische Familien, die dem Gemeindeverband Lollar angehörten; hier gab es zu keiner Zeit eine eigene Kultusgemeinde. Im Laufe des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der hiesigen Juden kaum 20 Personen. Die letzten beiden jüdischen Einwohner wurden 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden fünf aus Ruttershausen stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: juden-in-baden.de/ruttershausen_ juedgeschichte.htm).

 

 

 

Weitere Informationen:

Reinhold Huttarsch/Michael Müller, Lollar beiderseits der Lahn, Lollar 1984

Volker Hess, Die jüdische Bevölkerung in Daubringen und Mainzlar, in: Daubringen - Mainzlar. Geschichte zweier oberhessischer Dörfer und ihrer Bevölkerung, Staufenberg 1993, S. 233 - 257

Volker Hess, Geschichte der Juden in den heutigen Ortsteilen Staufenbergs: Daubringen, Mainzlar, Staufenberg und Treis, Staufenberg 1990

Volker Hess, Die jüdische Bevölkerung in Daubringen und Mainzlar, Staufenberg 1993

Volker Hess, Firma Isaak Kann Söhne - Stationen einer jüdischen Familiengeschichte zwischen Emanzipation, Assimilation, Vertreibung und Vernichtung, 2006

Hanno Müller, Juden in den Landämtern Gießen und Hüttenberg 1809 bis 1922, in: "Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen e.V.", 2007, S. 271 - 283

Lollar, in: alemannia-judaica.de

Daubringen, in: alemannia-judaica.de

Ruttershausen/Lahn, in: alemannia-judaica.de

N.N. (Red.), Stolpersteine nun auch in Lollar und Ruttgershausen, in: „Gießener Allgemeine“ vom 17.6.2013

N.N. (Red.), Krieg und Frieden auf dem jüdischen Friedhof in Lollar, in: „Gießener Allgemeine“ vom 8.11.2017

Jonas Wissner (Red.), An Gräuel erinnern, in: „Gießener Allgemeine“ vom 6.2.2020 (betr. Erstellung einer Gedenktafel)

sle (Red.), Erinnerung an jüdische Gemeinde in Lollar, in: „Gießener Anzeiger“ vom 27.8.2020

sle (Red.), Sozialausschuss will an Lollarer Juden erinnern, in: „Gießener Anzeiger“ vom 11.12.2020

sle Red.), Ehemalige Synagoge: Lollarer Stadtverordnete einigen sich auf Gedenktafel-Text, in: „Gießener Anzeiger“ vom 29.12.2020

Barbara Wagner (Hrg.), Juden in Staufenberg – Stolpersteine gegen das Vergessen Stolpersteine für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus Staufenberg und den Ortsteilen Daubringen, Mainzler, Treis an der Lumda. Eine Dokumentation, Hrg. Ernst- Ludwig Chambré-Stiftung in Lich, 2022