Kastel (Rheinland-Pfalz - Hessen)

RheinhessenNassau Kr Wiesbaden.pngDatei:Mainz-Kastel in Wiesbaden.svg (Mainz)-Kastel ist ein heute Ortsbezirk der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden mit derzeit ca. 14.000 Einwohnern (Ausschnitte aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Stadtteile von Wiesbaden', TUBS 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 2.0).

 

In der bis 1945 zur Stadt Mainz gehörenden Ortschaft Kastel gab es bis 1913/1914 eine kleine selbstständige jüdische Gemeinde, deren Anfänge vermutlich im 15.Jahrhundert liegen; 1432 ist erstmals eine jüdische Familie genannt, zwei Jahrzehnte waren es drei bzw. sogar fünf, die u.a. vom Geld- und Pfandgeschäft, später auch vom Wein- u. Viehhandel lebten. Die Familien standen unter dem Schutz des Mainzer Erzbischofs. Nach zwischenzeitlicher Vertreibung aus dem Erzstift (um 1470) zogen im 17.Jahrhundert erneut einige jüdische Familien zu, die gemeinsam mit denen aus Kostheim eine Gemeinde bildeten. Gemeindliche Zusammenkünfte fanden damals in einem Raume eines Privathauses statt.

Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges wurden den hier lebenden Juden seitens der Ortsherrschaft gewisse Auflagen gemacht; so hieß es: „ … In gemeinder Einquartierung ist ein jeder Schutz-Judt frei, jedoch dass er jedesmal nach gerichtlicher Erkandtnuß ahu geldt einen beytrag thun solle. Zu wissen seye, dass keinem Judt weder erlaubt, weder Geisen noch Rindtvieh, wenigers einige pferd auf der Kupel oder anderen weiden zu treiben, dann der Handel der Juden zu Zeit in bößem kranken Vieh besteht, da das Rintvieh in Fäulung, die pferdt an dem Worm, Rotz und anderen ansteckenden Mängeln, wodurch die Weydung invicirt und das gemeine Vieh in ruin und verderben gerathen könnte.“

Seit 1834 verfügte die damals über ca. 60 Personen zählende Gemeinde ein eigenes Synagogengebäude in der Frühlingsstraße, das vom Mainzer Rabbiner Leo Ellinger eingeweiht worden war. Nach der Zeremonie sollen die Juden in Kastel Brot, Fleisch und Fisch an Bedürftige verteilt haben.

Bis ca. 1900 wurde das Gebäude zu regelmäßigen Gottesdiensten genutzt.

                         https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20254/Kastel%20Synagoge%20710.jpgSynagoge in Kastel (Quelle aus: "Allgemeine Zeitung" vom 8.4.2010)

Neben der Synagoge gehörten zu den gemeindlichen Einrichtungen eine Religionsschule und ein rituelles Bad, dessen Wasser einem nahe liegendem Brunnen („Frehlingsborn) entnommen wurde.

Seit 1814 hatte die Gemeinde einen eigenen Lehrer/Kantor angestellt.

Der hier fünf Jahrzehnte wirkende Bernhard Kahn (Cahn) konnte 1864 sein 50jähriges Dienstjubiläum feiern und war dann noch weitere sieben Jahre in Kastel tätig. In seinen Tagebüchern - es sind zwölf Bände mit ca. 4.000 Seiten - hielt Kantor Bernhard Cahn von 1817 bis 1871 alles Wissenswerte aus Stadt und Region fest.

Verstorbene wurden auf dem Friedhof in Mainz beerdigt.

Juden in Kastel:

--- 1446 ...........................   3 jüdische Familien,

--- 1452 ...........................   5     “        “   ,

--- um 1700 .................... ca.  12     “        “   ,* * mit Kostheim

--- um 1770 ........................   8     “        “   ,*

--- 1824 ...........................  46 Juden,*

--- 1830 ...........................  52   “   (in 14 Familien),*

--- 1843 ...........................  97   “  ,*

--- 1905 ...........................  60   “  ,*

--- 1914 ...........................  Auflösung der Gemeinde

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 8 (unter Mainz)

Anm.: In anderen Publikationen werden zur Demographie differierende Angaben gemacht.

 

Die in Kastel seit 1869 bestehende Firma Carl Schliessmann machte in einer Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20.Aug. 1894 Werbung für als "Zusammenlegbare Laubhütten - Sukkot, genau nach ritueller Vorschrift, in allen Grössen und Preisen".

                       

      hist. Ansichtskarte aus Mainz-KastelAnsichtskarte / Postkarte Mainz Kastel Wiesbaden in | akpool.de (Abb. aus: akpool.co)

Nach der Jahrhundertwende konnten in der Kasteler Synagoge kaum noch regelmäßige Gottesdienste abgehalten, da die notwendige Zehnzahl jüdischer Männer nicht mehr zusammengebracht werden konnte; so war die Synagoge dann nur noch feiertags geöffnet.

            aus: "Frankfurter Israelitisches Familienblatt" vom 15.4.1908

1914 wurde die Kultusgemeinde schließlich aufgelöst und die noch in Kastel lebenden jüdischen Einwohner der Kultusgemeinde Mainz zugewiesen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2074/Kastel%20Frf%20IsrFambl%2003041914.jpg aus: "Frankfurter Israelitisches Familienblatt" vom 3.4.1914

Acht Jahre später wurde das Synagogengebäude verkauft. Zuvor waren wertvolle Ritualgegenstände teilweise in ein damals in Mainz im Aufbau befindliches „Museum für jüdische Altertümer“ gebracht worden.

J-Kennkarten für das Ehepaar Moritz und Marie Oppenheim - ausgestellt 1939 in Mainz (Abb. aus: Marcus Beer, Mainz)

Die wenigen am Ort lebenden jüdischen Familien waren von 1941 bis zu ihrer Deportation 1942 in drei sog. „Judenhäuser“ in der Eleonorenstraße einquartiert.

 

Seit 2009 weisen sog. „Stolpersteine“ auf die Wohnsitze ehemaliger jüdischer Bewohner hin; an sechs Standorten sind insgesamt 13 Steine verlegt (Stand 2023).

Laub Abraham.jpgLaub Itta.jpgOppenheim Moritz.jpgOppenheim Marie.jpgWolff Heinrich.jpg

Wolff Selma.jpg Thilo Julius.jpg   (Aufn. M. Steinmetz, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

In der Gedenkstätte am Michelsberg für die in der NS-Zeit ermordeten jüdischen Bürger aus dem Mainzer Stadtgebiet sind auch diejenigen aufgeführt, die bis zu ihrer Deportation in Kastel gelebt haben.

Die Gesellschaft für Heimatgeschichte hat 2017 in der Nähe der früheren Synagoge in der Frühlingsstraße eine Informationstafel aufgestellt, die an das von 1834 bis 1922 bestehende Zentrum der ehemaligen jüdischen Gemeinde erinnert.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 7 ff. (unter Mainz)

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 350 f.

Kastel mit Kostheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Dieter Krienke, Die Synagogen der Mainzer Vororte Bretzenheim, Ebersheim, Hechtsheim und Kastel, in: Die Mainzer Synagogen, hrg. von Hedwig Brüchert im Auftrag des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V., Mainz 2008

Wolfgang Wenzel (Red.), An Synagoge erinnert nur eine Skizze, in: „Allgemeine Zeitung. Rhein-Main-Presse“ vom 8.5.2008

Wolfgang Wenzel (Red.), Mahnmale gegen das Vergessen (betr. Kastel), in: „Allgemeine Zeitung. Rhein-Main-Presse" vom 13.10. 2009

Marcus Beer (Red.), Stolpersteine Mainz-Kastel, online abrufbar unter: beer-mainz.de/stolpersteine

Auflistung der in Mainz-Kastel verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Mainz-Kastel

Wolfgang Wenzel (Red.), In Gedenken an Kasteler Juden. Auf dem neuen Denkmal am Michelsberg wird auch an Kasteler Juden erinnert, in: „Allgemeine Zeitung. Rhein-Main-Presse" vom 1.2.2011

Barbara Grischow (Red.), Von der Synagoge in Kastel ist heute nichts mehr übrig, in: „Allgemeine Zeitung. Rhein-Main-Presse“ vom 8.1.2016

Wolfgang Wenzel (Red.), Informationen über die Synagoge, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 25.4.2017

Herbert Fostel (Red.), Klaus Lehne trägt Daten über die Juden in Kastel zusammen, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 21.7.2017

Wolfgang Wenzel (Red.), Stolpersteine in der Eleonorenstraße in Kastel, in: „Wíesbadener Kurier“ vom 23.7.2024