Langsdorf (Hessen)
Langsdorf mit derzeit ca. 1.400 Einwohnern ist seit 1977 ein Stadtteil von Lich – etwa 15 Kilometer südöstlich von Gießen gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte mit Eintrag von Lich, aus: de-academic.com und Kartenskizze 'Landkreis Gießen', aus: ortsdienst.de/hessen/landkreis-giessen).
In Langsdorf - heute ein Ortsteil von Lich - ist dauerhafte jüdische Ansässigkeit seit Beginn des 18.Jahrhunderts nachweisbar. Das bis 1806 unter der Herrschaft von Solms-Braunfeld stehende Dorf besaß seit Mitte des 18.Jahrhunderts eine selbstständige jüdische Gemeinde; zuvor gehörten die wenigen Familien der Gemeinde in Hungen an. In den 1830er Jahren erreichte die Langsdorfer Kultusgemeinde mit ca. 50 Angehörigen ihren personellen Höchststand. In der Erbsengasse richtete die Gemeinde in den 1860er Jahren einen neuen Synagogenraum ein. Zu gottesdienstlichen Treffen in der Synagoge von Langsdorf kamen auch Juden aus Muschenheim und Birklar.
Ihre Verstorbenen begrub die kleine Gemeinde auf dem Friedhof in Hungen, aber auch in Muschenheim. Das aus zwei kleinen Flächen bestehende Friedhofsgelände von Muschenheim liegt beiderseits der Straße nach Trais.
Das kleinflächige Begräbnisgelände in Muschenheim (Aufn. J. Hahn, 2008)
Juden in Langsdorf:
--- 1830 ............................. 52 Juden,
--- 1860 ......................... ca. 50 “ ,
--- 1880 ............................. 65 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1900/1910 ........................ 36 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1924 ......................... ca. 30 “ ,
--- 1933 ............................. 21 “ ,
--- 1939 ........................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die Jüdisch..en Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 477
Nach 1848 kam es in Langsdorf zum sog. „Langsdorfer Judenkrawall“. Die Kommunalbehörde hatte sich geweigert, den hiesigen jüdischen Bewohner die gleichen Rechte einzuräumen wie den christlichen. Über die Vorgänge erfährt man im folgenden Zeitungsbericht:
aus: "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 15.Juli 1850
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts hatten einige jüdische Familien Langsdorf verlassen - eine Folge der hier erstarkenden antisemitischen „Böckel-Bewegung“; ein populärer Mitstreiter Otto Böckels war der aus Langsdorf stammende Ph. Köhler.
Die ansonsten von jüdischen Handelsleuten besuchten Viehmärkte in Landsdorf verloren nun an Bedeutung - eine Folge der antijüdischen Stimmungsmache, die von Teilen der Ortsbevölkerung bereitwillig aufgegriffen wurde.
eine gewerbliche Anzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3.Mai 1900
Anfang der 1930er Jahre lebten noch ca. 20 Personen mosaischen Glaubens in Langsdorf. In den folgenden Jahren verließen alle auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts und der zunehmenden Ausgrenzung ihren Heimatort. Ende Juni 1934 war es zu Ausschreitungen gegen jüdische Einwohner gekommen, bei denen der Viehhändler Moritz Oppenheimer schwere Verletzugen davon trug und an den Folgen einer Schussverletzung starb. Täter waren aus Hungen angereiste SA-Angehörige.
Am Jahresende 1938 haben keine Juden mehr in Langsdorf gelebt. Bereits wenige Jahre zuvor (1934) war das Synagogengebäude an eine nicht-jüdische Familie veräußert worden; es diente während der Kriegsjahre als Unterkunft für französische Kriegsgefangene. An dem nach 1945 zu einem Wohnhaus umgebauten Gebäude ist seit 1984 eine Gedenktafel angebracht.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden 13 gebürtige bzw. längere Zeit ins Langsdorf ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Verfolgung; aus Birklar und Muschenheim waren es neun bzw. fünf Personen (namentliche Angaben der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/langsdorf_synagoge.htm).
2019 wurden in Langsdorf die ersten sog. „Stolpersteine“ in der Straße "Im Himmerich" verlegt; es sind sechs Steine, die an Angehörige der Familie Moritz Oppenheimer erinnern, denen es zumeist gelang, in die USA zu emigrieren; 2022 wurden weitere acht messingfarbene Gedenkquader in die Pflasterung eingelassen; sie sollen die Erinnerung an die beiden jüdischen Familien Goldstein und Nelkenstock wachhalten.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt, 1971, Bd. 1, S. 477/478
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen II: Reg.bezirke Gießen und Kassel, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1996, S. 44
Klaus Konrad-Tromsdorf, Der Langsdorfer Judenpogrom, Eigenverlag, Lich 1989
Langsdorf mit Birklar und Muschenheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein im Taunus 2007, S. 202
H. Müller/F. Damrath/M. Kingreen/K. Konrad-Leder, Juden in Lich, Birklar, Langsdorf, Muschenheim und Ettingshausen, im Auftrag der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung, 2 Bände, Lich 2010 (Anm.: Band 1 "Familien" – Band 2 "Grabsteine")
nab (Red.), Dorfinitiative veröffentlicht Buch über Juden in Langsdorf, in: „Gießener Allgemeine“ vom 13.2.213
Arbeitsgemeinschaft Dorfgeschichte (Hrg.), Juden in Langsdorf in der NS-Zeit, Langsdorf 2013
Ursula Sommerlad (Red.), Erste Stolpersteine werden in Langsdorf verlegt, in: „Gießener Allgemeine“ vom 14.12.2018
N.N. (Red.), Stolpersteine erinnern auch in Langsdorf, in: „Gießener Anzeiger“ vom 25.3.2019
N.N. (Red.), Gunter Demnig verlegt in Langsdorf, Hungen und Grüningen 32 „Stolpersteine“, in: mittelhessen.de vom 11.4.2019
pm (Red.), Acht neue Stolpersteine für Langsdorf, in: „Gießener Allgemeine“ vom 1.9.2022