Langweiler (Nordrhein-Westfalen)
Das alte Dorf Langweiler - ein Ortsteil von Aldenhoven im Kreis Düren - wurde in den 1960er Jahren wegen des fortschreitenden Braunkohletagebaus aufgegeben (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Düren', aus: ortsdienst.de/nordrhein-westfalen/dueren).
In Langweiler war nach 1800 eine kleine jüdische Gemeinschaft entstanden, die gegen Mitte des 19.Jahrhunderts mit ca. 80 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte. Sie gehörte seit 1859 als Filialgemeinde zur Bezirkssynagogengemeinde Jülich. Das Dorf Langweiler war für die jüdischen Familien des nahen Umlandes, u.a. Aldenhoven, Bettendorf, Dürboslar, Hoengen, Laurenzberg, Nieder- und Obermerz und Warden, Zentrum jüdischen Lebens.
Ein seit den 1840er Jahren nachgewiesenes Bethaus wurde 1854 durch ein einfaches, an der Dorfstraße liegendes Synagogengebäude ersetzt.
Vor den Feierlichkeiten aus Anlass des 75jährigen Synagogenjubiläums wurde das Gebäude grundlegend renoviert. Aus einem Bericht von 1929, der die Inneneinrichtung des umfassend renovierten Synagogengebäudes schildert: „ ... Die Längswände des rechteckigen Gebäudes waren durch je drei Rundfenster in Bleiverglasung unterbrochen, die Seitenwände erhielten je ein Fenster in Halbkreisform. Durch einen Vorraum und eine Pendeltür gelangte man in den Hauptraum, der reichlich mit Teppichen ausgelegt war, auf denen eichene Bänke standen. Eichen war auch die Verkleidung im Vorraum, von dem eine Treppe zur Galerie führte, auf der die Frauen Platz fanden. Von tiefblauer Farbe waren die Wände, die von einem Fries eingefaßt waren, der als Symbol den siebenarmigen Leuchter, den Davidstern, segnende Hände und das Auge Gottes enthielt. In einer Nische an der Stirnseite stand die heilige Lade mit den Thorarollen. Darüber stand in hebräischer Schrift: ‚Mein Haus ist ein Bethaus, berufen für alle Nationen’. Links stand der Psalm: ‚Gott sei uns gnädig, gib uns deinen Segen und laß dein Antlitz über uns leuchten’. Rechts hatte man geschrieben: ’Er höret mein Flehen aus seinem Tempel, mein Gebet dringt ihm zu Ohren’. In gelblichen Arabesken war die Decke ausgemalt; von ihr herab hing ein wertvoller Kronleuchter.“
Nach dem Bau der Synagoge in Hoengen 1926 wurde die Gemeinde geteilt.
In unmittelbarer Nähe des Synagogengebäudes befand sich seit 1843 die jüdische Volksschule; sie war die erste staatlich anerkannte jüdische Elementarschule im Regierungsbezirk Aachen, die von den jüdischen Kindern des Umlandes aufgesucht werden konnte. Zuvor hatten Privatlehrer für die religiöse Unterweisung gesorgt. Wegen Schülermangels wurde die Schule um die Jahrhundertwende geschlossen.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch ein eigener Friedhof; anfänglich wurde eine kleinflächige Begräbnisstätte auf dem „Schofskamp“ genutzt, später ein gegenüber dem kommunalen Friedhof gelegenes Areal an der Wardener Gracht.
Juden in Langweiler:
--- 1852 ......................... 168 Juden,* * gesamte Gemeinde
--- 1857 ......................... 80 Juden,
--- 1872 ......................... 77 “ ,
--- 1895 ......................... 47 “ ,
--- 1905 ......................... 19 “ ,
--- 1911 ......................... 9 “ ,
--- 1933 ......................... 7 “ .
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Reg.bez. Köln, S. 85
Ab den 1870er Jahren war eine deutliche Abwanderung zu verzeichnen, die die kleine jüdische Gemeinschaft schrumpfen ließ. Zu Beginn der 1930er Jahre wohnten nur noch drei jüdische Kleinfamilien in Langweiler.
Während des Novemberpogroms von 1938 konnten Anwohner eine Brandlegung des Synagogengebäudes verhindern; doch auch hier wurde die Inneneinrichtung und geplündert. Auch die Wohnungen der wenigen jüdischer Dorfbewohner wurden nicht verschont.
Aus einem Augenzeugenbericht: „... Das Ausmaß der Zerstörung war dennoch kaum zu überbieten. Die Akteure schwangen sich mit dem großen, wertvollen Kronleuchter quer durch den Innenraum. Mit der Axt wurden Bänke und Wandbekleidung sinnlos vernichtet. Die Galerie stürzte herunter. Zur Zerstörung kam die Plünderung, bei der vor allem wertvolle Teppiche verschwanden. Die Volkswut war zu abscheulichen Taten fähig, von denen auch die Wohnungen der letzten drei jüdischen Familien Keller, Lukas und Fromm nicht verschont blieben; der Hausrat flog auf die Straße. Gegen 19 Uhr schritt die Polizei ein, doch im Schutz der Nacht kam der ‘Pöbel’ wieder, um alle noch brauchbaren Dinge zu verladen und abzutransportieren. ...” (aus: Willi Prell, Die Vernichtung der jüdischen Gemeinden im Kreis Jülich 1938, S. 89 f.)
Nach Kriegsbeginn wurde das Synagogengrundstück an den Synagogenverband Jülich übertragen, der es an die Kommune verkaufte; genutzt wurde das Gebäude fortan als Unterkunft für polnische Zwangsarbeiter.
Mitte der 1960er Jahre wurde auch das ehemalige Synagogengebäude - wie später auch der gesamte Ort - im Zuge des fortschreitenden Braunkohletagebaues abgerissen. Die ca. 20 Grabsteine des aufgelassenen jüdischen Friedhofs wurden - zusammen mit den die Gräber bedeckenden Erdmassen - auf das Begräbnisgelände von Düren verbracht und dort an der inneren Friedhofsmauer aufgereiht; Grund für diese Maßnahme war die Abbaggerung des Ortes gegen Ende der 1960er Jahre.
Steine vom aufgelassenen Friedhof Langweiler (Aufn. P., 2011, aus: wikipedia.org, CCO)
Seit 1988 erinnert nahe von Langweiler eine Gedenkplatte daran, dass hier früher auch jüdische Bewohner gelebt haben; die Inschrift verweist dabei auf die Synagoge, Schule und den Friedhof der ehemaligen israelitischen Gemeinde hin.
Die Zahl der jüdischen Bewohner des Dorfes Hoengen (seit 1972 ist H. ein Stadtteil von Alsdorf) - erste Nachweise ihrer Ansässigkeit liegen seit Mitte des 18.Jahrhunderts vor - blieb von 1850 bis 1900 mit ca. 50 bis 70 Personen nahezu konstant. Die Juden in der Bürgermeisterei Hoengen bildeten in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts eine Filialgemeinde im Synagogenbezirk Jülich.
Bis zur Einweihung einer eigenen Synagoge 1926 - das Grundstück für den Bau hatte der ortsansässige Viehhändler Michael Lucas gestiftet - suchten die Juden Hoengens zu Festtagen die in Langweiler auf; ansonsten stand ein Betraum in der Juffergasse bzw. ein Raum im nahen Warden zur Verfügung.
Synagoge in Hoengen (hist. Aufn., um 1928)
Die Juden von Hoengen und Warden bestatteten ihre Toten auf dem Friedhof in Begau (heute Stadtteil von Alsdorf-Hoengen).
Das kleine Synagogengebäude wurde während des Novemberpogroms 1938 zerstört; bei der Schändung sollen zahlreiche Ortsbewohner aktiv beteiligt gewesen sein.
Seit 1987 erinnert in der Schillerstraße ein Gedenkstein in Form eines Davidsterns an die ehemalige Synagoge Hoengens (Aufn. Thomas Kähn, aus: alsdorf-online.de/fotosausalsdorf/gedenkstaetten).
An dieser Stelle stand die von den jüdischen Bürgern Hoengens 1926 errichtete Synagoge,
die am 10.November 1938 nach der Reichskristallnacht von den Nationalsozialisten zerstört wurde.
Etwa zehn Jahre später errichtete die Stadt Alsdorf auf dem jüdischen Friedhof am Alten Römerweg neben den noch sieben erhaltenen Grabsteinen ein Mahnmal zur Erinnerung an die in den Konzentrationslagern ermordeten und in der Emigration verstorbenen Juden.
Pforte zum Friedhof (Aufn. Thomas Kähn, aus: alsdorf-online.de/fotosausalsdorf/gedenkstaetten)
Vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Lucas in der Schillerstraße wurden 2013 auf Initiative des Arbeitskreises „Wider das Vergessen“ sog. „Stolpersteine" verlegt. Fünf Jahre später kamen an der Jülicher Straße weitere sechs Steine hinzu, die Angehörigen der jüdischen Familie von Benjamin und Sara Weil gewidmet sind. 2020 fanden acht "Stolpersteine" für Mitglieder der Familie Marx ihren Platz in der Rathausstraße. Die vorerst letzte Verlegung von sechs Steinen (2021) galt Angehörigen der jüdischen Familie Heymann, die ihren letzten Wohnsitz in der Kirchstraße hatte
Beispiele für die zahlreichen Stolpersteine im Stadtgebiet von Alsdorf:
verlegt in der Robert-Koch-Straße (Aufn. GP., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
... und in der Jülicher Straße
verlegt in der Rathausstraße für Angehörige der Familie Marx
Im benachbarten Warden – ehemals Ortsteil von Hoengen, ab 1972 nach Alsdorf eingemeindet - haben bis Ende des 19.Jahrhunderts relativ viele jüdische Bewohner gelebt; obwohl ein Betraum zur Verfügung stand, wurden Gottesdienste in der Synagoge Langweiler aufgesucht; später schlossen sich die Wardener Juden der Gemeinde Hoengen an.
[vgl. Aldenhoven (Nordrhein-Westfalen)]
Weitere Informationen:
Christian Lenz, Das Dorf Langweiler und seine Geschichte, in: "Rur-Blumen", No. 29/1929
Willi Prell, Als alle Synagogen brannten, in: "Jülicher Volkszeitung", Nov. 1978 (mehrere Folgen)
Willi Prell, Die Vernichtung der jüdischen Gemeinden im Kreis Jülich 1938, in: Jülicher Geschichtsvereins (Hrg.), "Beiträge zur Jülicher Geschichte", No. 47/1980, S. 89 f.
Willi Dovern, Die jüdische Bevölkerung in der Bürgermeisterei Aldenhoven 1799 - 1935, in: "Veröffentlichungen des Jülicher Geschichtsverein", Heft 9/1999, 2. Aufl. 1999
Werner Pankoke, Hinterlassenschaften von Landjuden - Alltagsleben im Spiegel von Nachlaßinventaren aus Aldenhoven (Krs. Jülich) 1820 - 1867, Siegburg 1991
Eric Lucas, Jüdisches Leben auf dem Lande. Eine Familienchronik, in: W.Benz (Hrg.), Lebensbilder. Jüdische Erinnerungen und Zeugnisse, Frankfurt/M. 1991, S. 79 ff. und S. 137 f.
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 85 - 88
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an Dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 248 - 250 und S. 329/330
Willi Dovern, Die jüdische Bevölkerung in der Bürgermeisterei Aldenhoven 1799 – 1935 in Aldenhoven, Dürboslar, Langweiler, Niedermerz, Pützdorf, Jülich 1999, S. 48 f.
Horst Wallraff, Nationalsozialismus in den Kreisen Düren und Jülich - Tradition und “Tausendjähriges Reich” in einer rheinländischen Region 1933 bis 1945, Düren 2000
Heinz Bielefeldt. Das jüdische Gotteshaus in Langweiler, in: Spurensuche Aldenhoven, Internet-Geschichtswerkstatt Aldenhoven, 2008 (PDF-Datei)
Willi Dovern, Synagoge Langweiler, in: AG der Geschichtsvereine im Kreis Düren (Hrg.), Synagogen im Kreis Düren. Zum Gedenken an die „Kristallnacht“ vor 70 Jahren, Jülich/Düren 2009
Franz Müller, Langweiler – Dorf mit Zentrum jüdischen Lebens, in: Spurensuche Aldenhoven, Internet-Geschichtswerkstatt Aldenhoven, 2010 (PDF-Datei)
Willi Dovern/Hermann-Josef Paulissen, Synagogen und Bethäuser im Kreis Düren, hrg. von der AG der Geschichtsvereine im Kreis Düren, 2013 (online abrufbar unter: duereninfo.de/AGV)
Elisa Zander (Red.), Gedenksteine für die Familie Lucas, in: „Aachener Zeitung“ vom 8.11.2013
Verena Müller (Red.), Alsdorf. Gunter Demnig hinterlässt seine Spuren: 20 neue Stolpersteine, in: „Aachener Zeitung“ vom 14.7.2016
js (Red.), Hoengen gedenkt Opfer der Pogrome, in: „Aachener Nachrichten“ vom 20.11.2016
N.N. (Red.), Neue Stolpersteine für Familie Heymann in Hoengen verlegt, in: „Aachener Zeitung“ vom 3.7.2021