Lahr (Baden-Württemberg)

 Datei:Lahr-Schwarzwald in OG.svgDas badische Lahr ist eine Stadt im Schwarzwald (Ortenau-Kreis) mit derzeit ca. 49.000 Einwohnern – ca. 40 Kilometer nördlich von Freiburg/Breisgau bzw. südlich von Offenburg gelegen (Kartenskizze 'Ortenau-Kreis', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste Belege jüdischer Ansiedlung in Lahr stammen aus der Zeit kurz vor den Pestpogromen. Damaliges Wohngebiet der Familien lag in der „Judengasse“, der heutigen Lamm- bzw. Metzgerstraße. Danach finden sich lange Zeit keine schriftlichen Hinweise mehr auf jüdische Siedlungstätigkeit; anscheinend hielten sich in den Folgejahrhunderten in Lahr keine Juden längerfristig auf.

Erst in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts siedelten sich wieder jüdische Familien in Lahr an, die Ende der 1880er Jahre eine Kultusgemeinde ins Leben riefen. Fast alle jüdischen Bewohner Lahrs waren im Handel tätig.

Ein eigenes Synagogengebäude besaß die kleine Lahrer Gemeinde nicht, jedoch zwei Beträume in Privathäusern, so einen in der Bismarckstraße.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2019/Lahr%20Synagoge%2001.jpgim Lahrer Betsaal mit Kantor Salomon Bergheimer (um 1930)

Neben der religiösen Unterweisung der ihm anvertrauten Kinder erledigte ein seit erstmals 1888 angestellter Lehrer die Aufgaben der Gemeinde und fungierte als Vorbeter und Schächter.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20139/Lahr%20Israelit%2024101887.jpg Erstmalige Ausschreibung der Lehrerstelle für Lahr (aus: „Der Israelit“ vom 24.10.1887)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20139/Lahr%20AZJ%2020101893.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20161/Lahr%20Israelit%2011031901.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20139/Lahr%20Israelit%2017071924.jpg

aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums“ vom 20.10.1893 und „Der Israelit“ vom 11.3.1901 bzw. 17.7.1924

Alle in Lahr verstorbenen Juden wurden auf dem alten jüdischen Verbandsfriedhof bei SchmiehZim beerdigt. Verstorbene wurden mit dem Totenwagen durch den Ort gefahren, zwei Tage aufgebahrt und anschließend über Mietersheim und Kippenheim nach Schmieheim gebracht.

Die Gemeinde, zu der seit 1891 auch die in Dinglingen lebenden Juden zählten, gehörte zum Rabbinatsbezirk Schmieheim, nach Verlegung des Rabbinatssitzes 1893 zum Rabbinatsbezirk Offenburg. 

Juden in Lahr:

--- 1863 ............................  eine jüdische Familie,

--- 1875 ............................  48 Juden,

--- 1888 ............................  16 jüdische Familien,

--- 1900 ............................ 141 Juden (ca. 1% d. Bevölk.),

--- 1905 ............................ 143   “  ,

--- 1925 ............................ 118   “  ,

--- 1933 ............................  96   “  ,

--- 1940 ........................ ca.  25   “  ,

         (Nov.) .....................   3   “  .

Angaben aus: Hildegard Kattermann, Geschichte und Schicksale der Lahrer Juden

Blick auf Lahr, hist. Postkarte um 1910 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Zu antisemitischen Vorfälle kam es in Lahr bereits Anfang der 1880er Jahre, als während eines Viehmarktes mit Plakaten und Handzetteln gegen die Anwesenheit jüdischer Händler protestiert wurde.

Jüdische Gewerbetreibende spielten zu Beginn des 20.Jahrhunderts eine gewichtige Rolle in Industrie und Handel in Lahr, so z.B. die Firma Roth-Händle, das Herrenbekleidungshaus Friedmann (Kaiserstraße), das Schuhhaus Carl Heberer (am Urteilsplatz), die Metzgerei und Weinstube Karl Haberer (Zollamtsstraße) sowie die Eisenhandlung Lazarus Maier (Bärenplatz).

Zum Schuhhaus der jüdischen Familie Haberer am Urteilsplatz führt ebenfalls der Rundgang.	Foto: StadtarchivSchuh-Haus Carl Haberer, hist. Aufn. (Abb. aus: Stadtarchiv Lahr)

Von größerer wirtschaftlicher Bedeutung für Lahr war das Metallwerk Oscar Weil KG (in der Tramplerstraße), das mehr als 150 Menschen beschäftigte; der Betrieb wurde später „arisiert“, obwohl der damalige Leiter des Unternehmens, Hugo Weil, mit einer „arischen“ Frau verheiratet war; daraufhin emigrierte die Familie nach England.

Boykott eines jüdischen Geschäftes in Lahr (1.4.1933)

Der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte war zwar auch in Lahr von den Nationalsozialisten angekündigt worden, doch schien dieser auf Grund des Einkaufsverhaltens der ländlichen Bevölkerung nicht den gewünschten Erfolg gehabt zu haben; denn Einkäufe waren zumeist noch vor dem offiziellen Beginn des Boykotts erledigt worden. Das regionale NS-Blatt „Grüselhorn“ kritisierte dann auch die „Volksgenossen“: "Man sollte es nicht für möglich halten, dass die Landleute, die ihre Produkte auf dem Markt doch an deutsche Volksgenossen verkaufen, ausgerechnet ihr Geld zum Juden tragen." 

Die zunehmende Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Einwohner ließ die meisten Angehörigen der jüdischen Gemeinde auswandern.

Die Ausschreitungen während der „Reichskristallnacht“ im November 1938 gingen in Lahr und Umgebung auf das Konto von Mitgliedern der Gebietsführerschule der HJ; es wurden Schaufenster zerschlagen, jüdische Wohnungen geplündert und Kultgegenstände aus dem Betraum geworfen. Zusammen mit Glaubensgenossen aus umliegenden Dörfern wurden die Lahrer Juden per LKW durch die Straßen der Stadt gefahren und zur Schau gestellt; dabei mussten Schulklassen Spalier stehen. Einige Männer lieferte man ins KZ Dachau ein.

Aus dem „Stürmer” vom 11.November 1938:

Empörung auch in der Ortenau Als am späten Mittwochnachmittag in der Ortenau die Nachricht vom Ableben des als Opfer jüdischen Untermenschentums für Deutschland gefallene Gesandtschaftsrat von Rath bekannt wurde, ergriff die gesamte Bevölkerung eine in Worten nicht wiederzugebende Empörung ... Als Beweis für die Duldsamkeit der nationalsozialistischen Regierung darf es angesehen werden, daß die Polizei und die SS um alle Ausschreitungen gegen Juden unmöglich zu machen, in der Frühstunde des gestrigen Tages sämtliche erwachsene männliche Juden in den Amtsbezirken Kehl, Lahr, Offenburg und Wolfach in Schutzhaft nahmen. ...

Die wenigen noch bestehenden jüdischen Lahrer Geschäfte wurden auf Anweisung der NSDAP-Kreisleitung geschlossen.

Aus einem Brief der Kreisleitung Lahr an den Bürgermeister von Lahr:

... Hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, daß jüdische Geschäfte, welche durch Ereignisse vom 8., 9., 10.November geschlossen worden sind, laut Verordnung vom 12.11.38 § 1 nicht wieder eröffnet werden dürfen. Ich bitte dies zu beachten und die Ortsgruppenleiter zu verständigen. In Ihrem Gebiet können folgende Geschäfte arisiert werden, den Kaufvertrag bitte ich jedoch vor Inkraftsetzung zu meiner Begutachtung einzusenden: Haberer Leo, Schuhgeschäft -  Weil Hugo, Stahlspänefabrik sollen arisiert werden ... alles andere liquidieren. ...

Nach dem Pogrom waren die noch verliebenen Juden im "Judenhaus" in der Schlossergasse untergebracht.

Zusammen mit mehr als 6.000 badischen und pfälzischen Juden wurden 21 in Lahr lebende Juden - Angehörige von sieben Familien und drei alleinstehende Frauen - am 22.Oktober 1940 im Rahmen der sog. „Aktion Bürckel“ ins südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert, dazu weitere 111 jüdische Personen aus dem Amtsbezirk Lahr, die gemeinsam in Offenburg einen Sonderzug besteigen mussten. Unter den menschenfeindlichen Lagerbedingungen starben bereits hier drei ältere Menschen aus Lahr, während die meisten später - via Drancy - in den Vernichtungslagern umkamen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind insgesamt 61 gebürtige bzw. länger in Lahr ansässig gewesene Juden Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe:alemannia-judaica.de/lahr_synagoge.htm).

Beim Synagogenprozess im Juni/Juli 1949 standen nur fünf Täter aus Lahr vor Gericht.

 

Von den unmittelbar aus Lahr deportierten Juden haben nur vier das Kriegsende erlebt.

Seit 1988 erinnert eine Gedenktafel an einem Gebäude in der Bismarckstraße an die einst in der Kleinstadt lebenden Juden

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2026/Lahr%20Betsaal%20166.jpg Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2003)

Das neue Mahnmal für die Deportationsopfer aus Lahr befindet sich am Friedrich-Ebert-Platz. Der Gedenkstein - dessen Doublette ist einer von insgesamt ca. 140 Steinen in der Gedenkstätte in Neckarzimmern -  wurde anlässlich des 75.Jahrestages der Deportation badischer Juden nach Gurs eingeweiht. Dabei handelte es sich um ein Projekt von Schüler/innen des hiesigen Max-Planck-Gymnasiums.

 http://www.konradsblatt-online.de/im/img/_KrGYSQLbSrXmS-LWn6dWs-dWp6LYIDg5FrEaKjDJ8WLbFhc_Dv85SZum2o2/s,x,501,y,282/f,j/lahr_web.jpg Mahnmal (Aufn. Christoph Breithaupt)

Auch in Lahr sind in den Gehwegen sog. „Stolpersteine“ verlegt worden, die an Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern; in mehreren Verlegeaktionen sind inzwischen ca. 90 Steine (Stand 2024) in die Gehwegpflasterung eingefügt worden; von diesen erinnert die Mehrzahl an Personen jüdischen Glaubens.

Stolpersteine Lotzbeckstr.15 Lahr.jpgStolpersteine Lotzbeckstr.13 Lahr.jpgStolpersteine Lotzbeckstr.11 Lahr.jpg

 „Stolpersteine“ verlegt in der Lotzbeckstr. (Aufn. B., 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

2022 bzw. 2024 wurden vier bzw. fünf Steine verlegt, zwei davon für das Ehepaar Laufer im Vulmersbergweg.

     Aufn. A.Prangerl, 2022, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

In Steinach – wenige Kilometer südöstlich von Lahr – wurden 2022 fünf „Stolpersteine“ verlegt und eine Stele mit den Namen von NS-Opfern enthüllt. Während die messingfarbenen Steinquader an „Euthanasie“-Opfer erinnern, ist die Stele Zwangsarbeitern/Kriegsgefangenen gewidmet, die in Steinach ums Leben kamen.

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 176/177

Hildegard Kattermann, Geschichte und Schicksale der Lahrer Juden - Eine Dokumentation, Hrg. Stadtverwaltung Lahr, Lahr 1976

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 410/411

Jürgen Stude, Die Lahrer Juden, in: Geschichte der Stadt Lahr, Band 3, 1993

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 279/280

Uwe Schellinger, Der Tod des Kantors: Salomon Bergheimer (1887 - 1942) aus Lahr, in: „Storchenturm“, Infobroschüre für Lahr, Jan. 2010, S. 3 - 7

Lahr mit Dinglingen, in: alemannia-judaica.de (mit Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie und zur aktuellen Erinnerungskultur in der Stadt Lahr)

Juliana Eiland-Jung (Red.), Wenn das Haus Geschichte atmet – Erinnerungen einer jüdischen Familie in der Heimat ihrer Eltern, in: „Badische Zeitung“ vom 23.5.2014

Stolpersteine in Lahr. Ein Geschichtsprojekt mit Schülerinnen und Schülern der Klasse 10a der Friedrichschule in Lahr, hrg. vom Historischen Verein Mittelbaden, Regionalgruppe Geroldsecker Land, 2014

Stefan Tissot (Red.), Neue Stolpersteine zur Erinnerung an Lahrer Juden verlegt, in: „Mittelbadische Presse“ vom 18.6.2016

Susanne Gilg (Red.), Stolperstein erinnert an Lahrer Jüdin Johanna Schnurmann, in: „Badische Zeitung“ vom 2.5.2017

Auflistung der Stolpersteine in Lahr, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Lahr/Schwarzwald

Juliane Eiland-Jung (Red.), Drei Stolpersteine für Familie Friedmann verlegt, in: "Badische Zeitung" vom 20.2.2018

N.N. (Red.), Stolperstein wird verlegt – Aktion in der Obertorstraße, in: „Badische Zeitung“ vom 18.3.2019

N.N. (Red.), Stolpersteine werden verlegt, in: “Badische Zeitung“ vom 27.2.2020

Endrik Baublies (Red.), Vier neue Stolpersteine erinnern in Lahr an Schreckenszeit, in: badenonline.de vom 5.3.2020

Norbert Klein (Red.), Lahr. Nur wenige Juden überlebten, in: „Lahrer Zeitung“ vom 11.5.2020

N.N. (Red.,), Stolpersteine werden im Industriehof verlegt, in: „Badische Zeitung“ vom 18.9.2020

Norbert Klein (Red.), Nur wenige Lahrer Jüdinnen und Juden überlebten den NS-Terror, in: „Badische Zeitung“ vom 22.9.2020

Elena Stenzel (Red.) Sechs Stolpersteine in Lahr verlegt, in: badenonline.de vom 24.9.2020

Norbert Klein (Red.), Die jüdische Lahrer Großhandelsfamilie Lederer war Opfer der NS-Herrschaft, in: „Badische Zeitung“ vom 9.12.2020

dger (Red.), Initiative Stolpersteine sucht Sponsoren für weitere Steine in Lahr, in: „Badische Zeitung“ vom 19.4.2021

Daniela Santo (Red.), Opfer des Nationalsozialismus. Stolpersteine für Hedwig und Marlene Herbert, in: „Stadtanzeiger Der GULLER – Wochenzeitung der Ortenau“ vom 14.7.2021

Endrik Baublies (Red.), Zeremonie in der Ludwig-Frank-Straße. Acht neue Stolpersteine in Lahr, in: „Lahrer Zeitung“ vom 18.10.2021

N.N.(Red.), Neue Stolpersteine erinnern an fünf schwere Lahrer Schicksale, in: „Badische Zeitung“ vom 4.2.2024