Marienbad (Böhmen)

Bildergebnis für böhmen karlsbad landkarte Das böhmische Marienbad ist das heutige tschechische Mariánské Lázně mit derzeit etwa 13.500 Einwohnern. Nicht nur das deutsche und österreichische Bürgertum reiste in die böhmischen Kur- u. Badeorte, auch chassidische, bürgerliche und mittellose Juden aus Osteuropa kamen hierher zur Kur (Kartenskizzen 'Tschechien' mit Marienbad/Mariánské Lázně rot markiert  und  'Egerland", aus: egerland-museum.de).

        

                                                         Blick auf Marienbad - um 1850                                 Der Kreuzbrunnen - um 1820  (beide Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In der zu Beginn des 19.Jahrhunderts kleinen Ortschaft Marienbad wurden Juden nur zeitweise geduldet; ein dauerhaftes Wohnrecht auf dem Territorium des Teplá-Klosters blieb ihnen anfangs verwehrt; daher kamen jüdische Händler aus der Umgebung – aus Dürrmaul, Königswart, Kuttenplan u.a. - in den Sommermonaten nach Marienbad, um hier ihren Geschäften nachzugehen. Erste Hinweise auf die Ansiedlungen von jüdischen Familien in Marienbad stammen aus den 1820er Jahren, zu einer Zeit, als der Badeort einen bemerkenswerten Aufschwung nahm.

Mit finanzieller Hilfe jüdischer Kurgäste gelang es der kleinen Gemeinschaft 1861 einen Betsaal zu eröffnen, dem ein eigenes, besonders für sozial schwächere jüdische Kurgäste eingerichtetes Hospital angeschlossen war.

Infolge des Zuzugs jüdischer Familien aus dem ländlichen Umland, u.a. aus Dürrmaul, Königswart, Pauten u.a., konnte sich Mitte der 1870er Jahre eine selbstständige israelitische Kultusgemeinde konstituieren.

Auch jüdische Geschäftsleute aus dem Ausland ließen sich alsbald hier nieder, um Unternehmen zu betreiben.

     

Antisemitische Postkarten aus Marienbad

Über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren verwandelten sich die Kurorte im „westböhmischen Bäder-Dreieck“ während der Sommermonate zu Zentren jüdisch-europäischen Lebens: Juden aus allen Teilen der Habsburgermonarchie, aber auch aus Ländern Westeuropas fanden sich hier zusammen. Die relativ große Gruppe jüdischer Kurgäste war in ihrer Zusammensetzung aber nicht homogen, sondern setzte sich aus Menschen zusammen, die sich ihrer geographischen Herkunft nach, ihres sozialen und religiösen Hintergrunds evident unterschieden: „Es kamen Wohlhabende und Ärmere, Fromme und weniger Fromme, Orthodoxe, Reformierte, Liberale, Professoren, Kaufleute und Handwerker und - natürlich - Familien mit heiratsfähigen Töchtern. Nicht zuletzt lag das romantische Image der Bäder in ihrer Bedeutung als Heiratsmärkte... Einer der beliebtesten Orte, um Bekanntschaften in die Wege zu leiten, war der sorgsam ausgewählte Kurort, in dem man nicht nur viele jüdische potentielle Partner, sondern auch ausreichend romantische Plätze vorfand, die als Hintergrund für öffentliche, aber doch intime Treffen taugten. Um den Markt zu kontrollieren, gab es Heiratsvermittler, die sich auf Badeorte spezialisiert hatten, die von Juden frequentiert wurden."

(Text stammt teilweise aus: Kirsten Serup-Bilfeldt, Eine sommerliche Kulturgeschichte jüdischen Lebens - Das Buch "Nächstes Jahr in Marienbad" erinnert an das verlorene Paradies der westböhmischen Kurbäder)

1883/1884 ließ die relativ wohlhabende Gemeinde mitten in der Stadt, in der Kaiserstraße, eine große repräsentative Synagoge erbauen; sie war nach Plänen des Baumeisters Eduard Stern im neobyzantinischen Stile gestaltet und im Aug. 1884 durch den Rabbiner Dr. Bernhard Löwenstein aus Lemberg eingeweiht worden. Der Synagogenbau - er bot ca. 300 Plätze für Männer und ca. 170 für Frauen - war durch Spenden von Kurgästen und Mitgliedern der hiesigen Religionsgemeinschaft finanziert worden.

 

Synagoge in Marienbad, hist. Postkarten um 1905/1910 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Bereits ein Jahrzehnt zuvor war ein jüdischer Friedhof mit Zeremonienhalle angelegt worden.

Juden in Marienbad:

         --- 1872 ........................   26 jüdische Steuerzahler,

    --- 1880 ........................  159 Juden,

    --- 1921 ........................  495   “  (ca. 7% d. Bevölk.)

    --- 1930 .................... ca.  430   “  ,

    --- 1939 (Mai) ..................   20   “  .

Angaben aus: Ingild Janda-Busl, Is gewejn a Folk - Jüdisches Leben in Böhmen u. der nördlichen Oberpfalz ..., S. 39

Datei:15295-Marienbad-1912-Kaiserstraße-Brück & Sohn Kunstverlag.jpg repräsentative Kaiserstraße (Aufn. 1912, aus: wikipedia.org, CCO)

 

Um 1920/1930 hatten Juden in Marienbad einen bedeutenden Anteil am Haupterwerbszweig der Stadt, dem Fremdenverkehrsgewerbe, und waren auch in den freien Berufen überproportional vertreten.

Ein Jahr vor der deutschen Besetzung fand in Marienbad die letzte Weltkonferenz der „Agudath Israel“ statt; diese streng-religiöse Vereinigung sah sich als Gegenpol zum Zionismus. 1947 fand hier nochmals eine Versammlung von Delegierten aus 28 Ländern statt.

Im November 1938 setzten sudetendeutsche SA-Männer die große Synagoge in Brand; auch der jüdische Friedhof blieb von Zerstörungen nicht verschont. Am 16.November 1938 vermeldete die „Marienbader Zeitung” auf ihrer Titelseite:

Marienbad judenfrei ! ... In diesen Tagen verlassen die letzten Juden, die in Marienbad ansässig sind, unsere Stadt. ... Der 16.November 1938 wird in der Entwicklung und Geschichte Marienbads als denkwürdiges Datum genannt werden, denn die in den letzten Jahren gefährlich zunehmende Verjudung der Kurstadt hat ein ebenso rasches wie unabänderliches Ende genommen.

           Artikel (überregional) vom 17.11.1938

Ende April 1945 kamen am Bahnhof Marienbad ca. 1.000 jüdische Häftlinge, die aus dem Lager Rehmsdorf abtransportiert worden waren, infolge Beschuss und unter aktiver Beteiligung der einheimischen Bevölkerung ums Leben.

  Ein Gedenkstein mit einem stilisierten Relief der ehem. Synagoge erinnert seit 2015 an das zerstörte Gotteshaus (Aufn. B., aus: commons.wikimedia.org, CCO).

Jüngst wurden bei Tiefbauarbeiten Relikte der zerstörten Marienbader Synagoge freigelegt, die derzeit von Archäologen ausgewertet werden (2023).

h130_53.jpg Synagogenmodell (Abb. L. Valeriano, in: "David", No. 130/2021)

Der gegenwärtig noch genutzte jüdische Friedhof in Marienbad besitzt auch historisch wertvolle Grabsteine, die vom Friedhof Tachau hierher gebracht wurden. 

                       File:Jewish cemetery Marienbad (2691).jpgFile:Jewish cemetery Marienbad (2661).jpg - Wikimedia Commonsalte Grabsteine (Aufn. Gampe, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

                 Grabstein von Theodor Lessing (Aufn. M., 2012, aus: wikipedia.org, CCO)

Der deutsch-jüdische Schriftsteller und Publizist Theodor Lessing, der im Frühjahr 1933 in die Tschechoslowakei geflüchtet war und sich in Marienbad niedergelassen hatte, wurde Ende August 1933 Opfer nationalsozialistischer Attentäter. Vor seinem ehemaligen Wohnhaus in Hannover-Anderten findet man die beiden "Stolpersteine":

    Stolpersteine für Ada u. Thedor Lessing (Aufn. A. Hindemith, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

(vgl. dazu: Hannover/Niedersachsen)

 

 

 

In der Region Marienbad/Karlsbad gab es eine Reihe jüdischer Gemeinden, von denen die meisten zu Beginn des 20.Jahrhunderts schon nicht mehr existierten. Zu den Ortschaften mit kleineren israelitischen Gemeinden zählten Amonsgrün (Uboci), Königswart (Lazne Kynžvart), Weseritz (Bezdruzice) und Kuschin (Koren). Die jüdischen Gemeinden von Dürrmaul (Drmoul), Kuttenplan (Chodova Plana) und Plan (Plana) bestanden bis in die 1930er Jahre.

 

Beim Dorfe Pauten (tsch. Poutnov, derzeit kaum 150 Einw.) - im südöstlichen Kaiserwald nahe der Stadt Teplá gelegen – befindet sich heute eine der kleinsten jüdischen Friedhöfe Böhmens. Begraben wurden auf dem ca. 300 m² umfassenden Gelände Juden aus Dörfern der nahen Region um Teplá. Die heute noch vorhandenen, aber stark in Mitleidenschaft gezogenen ca. 50 Grabsteine bzw. -relikte stehen auf dem mit einer stark verfallenen Bruchsteinmauer umgebenen Areal.

Jüdischer Friedhof (Aufn. Krabat, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

In (Bad) Königswart (tsch. Lazne Kynžvart, derzeit ca. 1.500 Einw.) lässt sich früheste jüdische Anwesenheit in der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts nachweisen. Nach den Vertreibungen aus Eger (1430) ließen sich zahlreiche jüdische Familien in Königswart nieder (angeblich mehr als 150 Familien) und lebten hier ghettoartig zusammen. Eine Synagoge und ein Friedhof (angelegt 1405) sind aus dieser Zeit des Spätmittelalters belegt; das Begräbnisgelände wurde in den Folgejahrhunderten auch von zahlreichen Gemeinden der Umgebung genutzt. Um 1765 wurde inmitten des Ghettos eine neue Synagoge erbaut.

    

Synagoge in Königswart (links: hist Aufn., aus: zanikleobce.cz  und  rechts: Zeichnung des Synagogengebäudes)

Mit dem Niedergang des Handels im 18.Jahrhundert sollen die meisten Juden Königswart verlassen haben, um anderswo ihren Geschäften nachzugehen. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts waren in der Stadt ca. 45 jüdische Familien ansässig. Nach 1848 setzte die Abwanderung in die größeren Städte bzw. die Emigration nach Nordamerika ein. Ein verheerender Großbrand im Ort beschleunigte dann nur noch diese Tendenz. In den 1920er Jahren löste sich schließlich die Gemeinde auf; 1930 lebten nur noch zwölf Juden in Königswart. 1938 wurde die Synagoge – damals ältestes Gebäude der Stadt - in Brand gesteckt und alsbald niedergerissen. Der jüdische Friedhof wurde fast vollständig zerstört, die Grabsteine zum Wegebau benutzt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Josef Steiner (Bearb.), Geschichte der Juden in Marienbad, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I., Brünn/Prag 1934, S. 396/397

Franz Pany/u.a., Marienbad. Ein Heimat- und Ortsbuch, o.O. 1978

Volker Zimmermann, Täter und Zuschauer. Die Judenverfolgung im ‘Sudetengau’ 1938 - 1945, in: "Theresienstädter Studien und Dokumente 1999", Verlag Academia, Prag 1999, S. 180 f.

Ingild Janda-Busl, Is gewejn a Folk - Jüdisches Leben in Böhmen und der nördlichen Oberpfalz von Hof bis Weiden und von Eger bis Pilsen - Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Weiden/Oberpfalz 2001

Michael Brenner, Zwischen Marienbad und Norderney. Der Kurort als ‘Jewish Space’, in: "Jüdischer Almanach 2002", Frankfurt/M. 2001, S. 119 - 137

Richard Svandrlík, Historie Zidu v Mariànkýsch Lázních (Geschichte der Juden in Marienbad), o.O. 2004

Jörg Osterloh, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938 - 1945, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 105, Verlag R. Oldenbourg, München 2006, S. 231

Jewish Community of Marianske Lazne – Marienbad, Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/marienbad (enthält nur eine einzige Orginalaufnahme jüdischer Kurgäste)

Mirjan Triendl-Zadoff, Nächstes Jahr in Marienbad. Gegenwelten jüdischer Kulturen der Moderne, in: "Jüdische Religion, Geschichte und Kultur (JRGK)", Bd. 6, Verlag Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2007

Official Guide of the Karlovy Vary Region (online abrufbar)

Karl W. Schubsky (Red.), Theodor Lessing: Tod in Marienbad, in: "NachbarnKennen Kultur" vom 14.7.2011

Kirsten Serup-Bilfeldt (Red.), Eine sommerliche Kulturgeschichte jüdischen Lebens, in: deutschlandradiokultur.de vom 28.8.2011

Jewish Families from Mariánské Lázně (Marienbad), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Mari%25C3%25A1nsk%25C3%25A9-L%25C3%25A1zn%25C4%259B-Marienbad-Bohemia-Czech-Republic/15333

Lorenzo Valeriano (Red.), Die Synagoge des westböhmischen Kurotres Marienbad, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 130/Sept.2021

Lorenzo Valeriano (Red.), Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Marienbad (Mariánské Lázne, Tschechische Republik), in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 130/Sept.2021

Roger Reiss (Red.), Marienbad 1.Oktober 1938 – Eine Nacherzählung, in: "DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 137/Juni 2023

Kilian Kirchgeßner (Red.), Pogromnacht im Sudetenland – Archäologen untersuchen die Überreste der einstigen Synagoge von Marienbad, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 17.11.2023

Kilian Kirchgeßner (Red.), Tschechien: Neue Synagoge in Marienbad geplant, in: "Deutschlandfunk" vom 4.1.2024