Medebach/Sauerland (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Medebach in HSK.svg  Medebach ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 8.000 Einwohnern im Hochsauerlandkreis im östlichen Nordrhein-Westfalen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Hochsauerlandkreis', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).


Medebach u. Winterberg auf einer Bildkarte, ca. 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Eine autonome jüdische Kultusgemeinde hat es in Medebach zu keiner Zeit gegeben.

Erste gesicherte Angaben über eine sich zeitweilig in Medebach aufhaltende jüdische Familie stammen aus dem Jahre 1568. Ende des 17.Jahrhunderts sollen sich die Wurzeln einer kleinen jüdischen Gemeinschaft herausgebildet haben, deren Angehörige damals vom Kram- und Viehhandel lebten.

Über den Betraum liegt ein Bericht von 1818 vor, in dem es hieß:

„ ... Die Synagoge oder Schule, welche den vergleiteten Juden gemeinschaftlich gehört, ist eigentlich nur ein Zimmer im Hause des Emanuel Meyerhof, welches von sämtlichen in Reparatur gehalten werden muß. Die vier Familienoberhäupter haben einen gemeinschaftlichen Lehrer oder Kirchendiener, welcher mitunter bei Emanuel Meyerhof aufgenommen wird. ...”

Hinweis: Das folgenschwerste Ereignis der jüngeren Medebacher Geschichte war der große Stadtbrand von 1844; bei dieser Katastrophe wurde die Kernstadt nahezu vollständig vernichtet: 139 Gebäude, darunter die Schule, das Pfarrhaus, das Rathaus und die Kirche fielen den Flammen zum Opfer; wertvolle Dokumente der Stadtgeschichte gingen verloren.

               

              Über die Situation der hiesigen jüdischen Familien informiert ein Bericht des Medebacher Bürgermeisters um 1848:

„ ... In Medebach besteht eine zu gottesdienstlichen Versammlungen dienende Judenschule, welche im Eigentum der Gemeinde, und gehören die hiesigen Juden, und sonst auch die Juden zu Winterberg, welche zur Synagogen-Gemeinde, welche letztere seit mehreren Jahren nicht mehr zum Gottesdienst hier beigewohnt haben, und sich zu Winterberg eine Synagoge beschaffen wollen. ... Außer der Synagoge, die aus einem kleinen Stübchen besteht, und dem Totenhofe, hat die Gemeinde kein Vermögen. ... Die Eltern geben den Kindern hier einen höchst mangelhaften Religionsunterricht. ... Die schulpflichtigen Kinder besuchen die christlichen Schulen. ... Doch wollte ich mir erlauben anzuführen, wie es bei dem total hier ungeordneten Kultuswesen allerdings sehr wünschenswert blieb, daß eine begrenzte Parochie eingerichtet, und durch einen Vorstand derselben vertreten würde, es würde nicht ohne Einfluß bleiben ohne die hier zur Zeit ganz darniederliegende sittliche und religiöse Erziehung der Juden. ...”

 

Bei einem Schadensfeuer 1849 wurde auch der Betraum im Hause Emanuel Meyerhofs vernichtet. Etwa fünf Jahre später ließ dann die Medebacher Judenschaft ein kleines Gebäude im rückwärtigen Bereich des Hausgrundstücks Oberstr. 15 errichten, das fortan als neue Synagoge diente.

Auf dem Medebacher Friedhof am Glindfelder Weg - seine Entstehung kann nicht eindeutig datiert werden - begruben bis 1830/1840 auch die Winterberger Juden ihre Verstorbenen, ehe ihnen ein eigenes Begräbnisgelände zur Verfügung stand.

Seit Mitte der 1850er Jahre gehörten die Juden in Medebach zur Synagogengemeinde Brilon, nahmen aber am dortigen Gemeindeleben nicht teil und bildeten auch weiterhin eine eigene (fast) unabhängige Gemeinschaft.

Versuche der Medebacher Juden, sich von Brilon abzuspalten und eine selbstständige Gemeinde zu bilden, schlugen stets fehl; letztmalig wurde 1931 ein diesbezüglicher Antrag gestellt und abgelehnt.

Juden in Medebach:

         --- um 1675 .......................  4 jüdische Familien,

    --- 1738 ..........................  5     "       "    ,

    --- 1818 ..........................  4     “       “   (37 Pers.),

    --- 1833 ..........................  33 Juden,

    --- 1843 ..........................  52   “  ,

    --- 1853 ..........................   7 jüdische Familien,

    --- 1861 ..........................  59 Juden (in 8 Familien),

    --- 1871 ..........................  51   "  ,

    --- 1895 ..........................  44   "  ,

    --- 1925 ..........................  32   "  ,

    --- 1933 ..........................  32   “  (in 6 Familien),

    --- 1939 (Okt.) ...................  keine.

Angaben aus: Nikolaus Schäfer, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Medebach. Vom Anfang ..., Medebach 1990

und                 Harald Bausen (Bearb.), Medebach, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe S. 607

 

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten sechs jüdische Familien in Medebach - die meisten in der Kapellenstraße. Neben der weit verzweigten Familie Meyerhof gab es im Ort noch die Familien Frankenheim, Stahl, Stern und Stessmann.

Am 1. April 1933, dem Tag des reichsweit angeordneten Boykotts jüdischer Geschäfte, zogen auch in Medebach SA-Angehörige vor jüdischen Geschäften auf, um Kaufwillige am Betreten der Läden zu hindern. Bald darauf folgte der Ausschluss aller Juden aus den lokalen Vereinen.

Wenige Wochen vor dem Novemberpogrom von 1938 wurde das Synagogengebäude veräußert. Bei den antijüdischen Ausschreitungen im Gefolge eines allgemeinen, von der NSDAP-Kreisleitung organisierten Demonstrationszuges wurden am 10.November 1938 die von jüdischen Familien bewohnten Häuser zerstört. Auch das bereits verkaufte Synagogengebäude wurde von einer Menschenmenge niedergerissen; die beim Vorsteher der Gemeinde untergebrachten Ritualien wurden ebenfalls zerstört bzw. geraubt.

Die letzten jüdischen Bewohner Medebachs verließen im September 1939 ihren Heimatort; von den Juden, denen die Emigration gelang, gingen fast alle nach Übersee. Damit war Medebach „judenrein”.

Mindestens elf gebürtige Medebacher Juden* fanden in den NS-Vernichtungslagern den Tod (*andere Angabe: 16 Pers.).

 

Sichtbares Zeichen dafür, dass in Medebach Familien mosaischen Glaubens ansässig gewesen waren, ist heute der relativ großflächige jüdische Friedhof am Glindfelder Weg, der ca. 25 Grabsteine aufweist.

 

Jüdischer Friedhof Medebach (Aufn. A., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  wikimapia.org)

Nahe des einstigen Betraums erinnert eine Gedenktafel an die ehemaligen jüdischen Bewohner. Am 70.Jahrestag der Pogromnacht von 1938 wurde eine Gedenktafel für die ehemaligen jüdischen Bewohner Medebachs enthüllt; namentlich sind diejenigen Personen genannt, die ermordet wurden.

In Medebach lebten Juden von 1568 bis zur „Machtergreifung“ 1933.

Unmittelbar in der Nähe dieser Stelle stand seit 1855 die Synagoge der jüdischen Gemeinde. Das Gotteshaus wurde am 10.11.1938 durch die Nationalsozialisten zerstört. Die jüdischen Mitbürger, die nicht rechtzeitig entkommen konnten, wurden von den Nazis verfolgt und ermordet. Es waren dies:

(Nun folgen die Namen der Opfer)

Ihre Verfolgung und Ermordung sollen allen Menschen für immer Mahnung sein, schon allen Anfängen von Gewalt und Rassenwahn mutig entgegen zu treten.

Ihre Seelen seien eingebunden in den Bund der Lebendigen.

Stadt Medebach                                                                                                                                               Heimat- und Geschichtsverein, Medebach 2008

 

 

 

In Winterberg – westlich von Medebach gelegen, derzeit ca. 12.700 Einwohner – lässt sich erstmals in den 1670er Jahren eine jüdische Familie urkundlich nachweisen. Im 19.Jahrhundert lebten hier wenige Familien, deren Zahl aber nicht ausreichte, um eine eigene Gemeinde zu bilden; deshalb suchten sie im 18. u. 19.Jahrhundert Gottesdienste in Medebach auf. Zeitweilig soll aber in Winterberg ein eigener Betraum existiert haben.

Auf einem Hanggelände an der Wernsdorfer Straße bestand ein kleiner jüdischer Friedhof. Belegt wurde das Areal seit den 1830er Jahren; zuvor waren verstorbene Winterberger Juden in Medebach begraben worden.

Juden in Winterberg:

--- 1843 ......................... 34 Juden,

--- 1858 ......................... 28   “  ,

--- 1871 ......................... 10   “  ,

--- 1895 ......................... 20   "  ,

--- 1925 .........................  9   "  .

Angaben aus: Joachim Rüffer (Bearb.), Winterberg, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, S. 811

Anfang der 1930er Jahre sollen noch drei jüdische Familien in Winterberg gelebt haben. Eine Familie besaß die „Winterberger – Branntwein- u. Likörfabrik“, die 1937 ‚arisiert‘ wurde. Während einzelne Juden emigrieren und so ihr Leben retten konnten, wurden die im Ort verbliebenen zumeist älteren Menschen deportiert/ermordet.

Das während der NS-Zeit stark in Mitleidenschaft gezogene Friedhofsgelände wurde nach 1945 wieder hergerichtet und steht heute unter Denkmalschutz. Eine unscheinbare Hinweistafel weist auf die einstige Begräbnisstätte hin, die nur über acht Grabsteine verfügt.

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Jüdischer Friedhof in Winterberg und Hinweistafel am Eingang (Aufn. R. 2008, aus: wikipedia.org CC BY 3.0 und aus: schiebener.net/wordpress/winterberg)

http://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2009/01/jcemwin04.jpg Aufn. aus: schiebener.net/wordpress/winterberg

Gegenwärtig sind auf Grund privater Initiative Bestrebungen zu verzeichnen, in Winterberg mit personenbezogenen öffentlichen Erinnerungen der ehemals in der Stadt lebenden jüdischen Bewohner zu gedenken. Anstelle der Verlegung von sog. "Stolpersteinen" hat man 2020 begonnen, kleine Gedenktafeln an Hauswänden anzubringen.

 

vgl. dazu: Hallenberg (Nordrhein-Westfalen)

 

 

 

Weitere Informationen:

Anton Führer, Geschichtliche Nachrichten über Medebach und seine Nachbarorte, Naumburg 1938, S. 270 f.

Gerhard Schnellen, Die ‘Reichskristallnacht’ in Medebach, in: W. Arnolds (Hrg.), Die ‘Kristallnacht’ im Sauerland, Brilon 1988, S. 48 f.

Nikolaus Schäfer, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Medebach. Vom Anfang bis nach dem bitteren Ende, in: "Schriften des Heimat- und Geschichtsvereins Medebach", Heft 10, Medebach 1990

Nikolaus Schäfer, Juden in Winterberg, in: "De Fitterkiste", 4/1992

Nikolaus Schäfer, Juden in Medebach, in: Harm Klueting (Hrg.), Geschichte von Stadt und Amt Medebach (Hochsauerland), Medebach 1994, S. 545 - 561

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 364/365

Nikolaus Schäfer, Die Geschichte der Medebacher Judenfamilie Stahl, in: "Sauerland - Zeitschrift des Sauerländischen Heimatbundes", Heft 4/2002, S. 192 f.

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen - Regierungsbezirk Arnsberg, J.P.Bachem Verlag, Köln 2005, S. 330 – 335 (Medebach) und S. 354/355 (Winterberg)

Gegen das Vergessen. Gedenken zum 75.Jahrestag der Pogromnacht am 10.November 2013, in: "Schriften des Heimat- und Geschichtsvereins Medebach", 36/2013

H.J.Schiebener (Bearb.), Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern: Winterberg will sich anscheinend seiner historischen Verantwortung stellen, Bericht vom 24.7.2015

Harald Bausen (Bearb.), Medebach, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 604 – 611

Joachim Rüffer (Bearb.), Winterberg, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 809  - 812

Nicole Reuter/Stefanie Bald (Red.), Winterberg will deportierter Mitbürger gedenken, in: “WP – Westfalenpost” vom 24.9.2019

Ralf Hermann (Bearb.), Erinnerung an jüdische Mitbürger in Winterberg - Gedenktafeln an Winterberger Häusern eingeweiht, Stadtmarketingverein Winterberg vom 26.8.2020

Hans J. Schiebener, Winterberg: Der jüdische Friedhof, online abrufbar unter: schiebener.net/wordpress/winterberg