Meerholz (Hessen)
Meerholz ist seit 1974 der Kreisstadt Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis) eingemeindet; Meerholz besitzt derzeit ca. 4.000 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Karte vcon 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war jeder sechste Einwowhner von Meerholz jüdischen Glaubens.
1683 wurden erstmals Juden im Dorfe Meerholz, das zeitweilig zum Territorium der Ysenburg-Büdinger Herrschaft gehörte, urkundlich erwähnt. Belege über jüdische Bewohner von Meerholz sind in einer ortseigenen Gemeinderechnung von 1752 zu finden, in der neun Juden aufgeführt sind.
(Abb. aus: Archiv Geschichtsverein Meerholz-Hailer)
Im Katasterbuch des Folgejahres sind dann bereits elf jüdische Familien vermerkt.
Schutzbrief für "Izig, des hiesigen Schutzjuden Löw Seiffensieder Sohn" (Staatsarchiv Marburg)
Die Synagoge der Meerholzer Judenschaft befand sich in der Hanauer Straße/Erbsengasse.
Bildpostkarte als „Baustein zugunsten der bedürftigen Synagoge zu Meerholz“
Ritualien - Synagogensilber aus Meerholz (heute im Museum Judaica New York)
Religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde besorgte ein angestellter Lehrer.
In Meerholz existierte eine jüdische Elementarschule, die auch von den Kindern aus Hailer und Niedermittlau sowie Neuenhaßlau und Somborn besucht wurde. Als in den 1920er Jahren die geringe Schülerzahl keinen Unterricht mehr zuließ, wurde die Elementarschule geschlossen und als reine Religionsschule weitergeführt. Letzter jüdischer Elementarlehrer war Baruch Kleeblatt gewesen, der 1921 nur noch sechs (!) Kinder zu unterrichten hatte und 1926 nach Felsberg überwechselte.
Ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen beerdigte die Meerholzer Judenschaft auf dem relativ großflächigen Friedhof in Niedermittlau, der ca. zwei Kilometer entfernt war.
Bis 1905 gehörten zur jüdischen Gemeinde von Meerholz die in Somborn lebenden jüdischen Familien, die nach 1905 eine autonome Gemeinde bildeten. Zur Meerholzer Gemeinde zählten bis in die 1930er Jahre auch die jüdischen Familien in Niedermittlau und im 19.Jahrhundert auch die wenigen Juden von Hailer.
Die Kultusgemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Hanau.
Juden in Meerholz:
--- 1756 .......................... 11 jüdische Familien,
--- 1776 .......................... 11 " " ,
--- 1790 .......................... 93 Juden,
--- 1835 .......................... 117 “ (ca. 17% d. Bevölk.),
--- 1850 .......................... 110 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1861 .......................... 99 “ ,
--- 1871 .......................... 110 “ (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1885 .......................... 84 “ (ca. 10% d. Bevölk.)
--- 1905 .......................... 82 “ ,
--- 1925 .......................... 55 “ ,
--- um 1930/33 ................ ca. 30 “ ,
--- 1939 (Dez.) ................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 63
und Synagogen-Gemeinde Meerholz, unveröffentlichtes Manuskript, 2010/2011 (PDF-Datei)
Die Juden von Meerholz und den Filialorten waren mehrheitlich als Händler und Kaufleute tätig.
aus: „Der Israelit“ vom 28.2.1889 aus: „Frankfurter Israelitisches Familienblatt“ vom 13.11.1903
Als in den 1930er Jahren die Zahl der Gemeindemitglieder stark rückläufig war und kein Gottesdienst mehr abgehalten werden konnte, wurde das Synagogengebäude 1937 verkauft, einige Ritualgegenstände nach Frankfurt/M. verbracht.
* Den wertvollen Silberschaft der Synagoge konnte der Meerholzer Jude Leo Stern bei seiner Emigration in die USA (1937) mitnehmen und übereignete diesen später dem Judaica-Museum New York.
Zu Kriegsbeginn schienen in dem Ort keine Juden mehr gewohnt zu haben; ein Teil war emigriert, zumeist in die USA, der andere in größere deutsche Städte, vor allem nach Frankfurt/M., verzogen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 20 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bürger von Meerholz Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden; zudem kamen aus Niedermittlau acht gebürtige jüdische Personen gewaltsam ums Leben (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/meerholz_synagoge.htm).
In den 1960er Jahren wurde das einstige Synagogengebäude abgerissen. 2002 wurde eine bronzene Gedenktafel zur Erinnerung an die Meerholzer Synagoge und an die in der NS-Zeit umgekommenen jüdischen Bewohner angebracht; diese zeigt die ehemalige Synagoge und trägt die Inschrift:
Hier stand die Synagoge, das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde Meerholz.
Wegen Baufälligkeit 1963 abgebrochen.
'Was geschieht, das ist zuvor geschehen, und was geschehen wird,
ist auch zuvor geschehen. Und Gott sucht wieder auf, was vergangen ist.' (hebräisch und deutsch)
Gedenktafel mit Abbildung des Synagogengebäudes (Aufn. J. Hahn, 2010)
[vgl. Gelnhausen (Hessen)]
In Niedermittlau – einem von drei Ortsteilen der Kommune Hasselroth - findet man heute noch einen jüdischen Friedhof (am SO-Rand der Ortschaft). Möglicherweise stammt das Begräbnisareal aus der Zeit, als die Meerholzer Gemeinde gegründet wurde. Auf dem relativ großflächigen Gelände fanden auch Verstorbene aus Gründau und Somborn, ferner aus Hailer und Haitz ihre letzte Ruhe.
Während der Novembertage 1938 wurde der Friedhof von Einheimischen geschändet; Grabsteine wurden umgeworfen und z.T. zweckentfremdet verwendet. Nach Kriegsende mussten ehemalige NS-Angehörige das Friedhofsgelände – so gut es eben ging – wieder instandsetzen; die aufgerichteten Steine markieren dabei nicht die originalen Grabstätten.
Jüdischer Friedhof in Niedermittlau (Aufn. Hans Kreutzer, 2010)
Die kleine jüdische Gemeinde in Somborn entstand vermutlich erst im Laufe des 19.Jahrhunderts; bis in die 1870er Jahre gehörten die hier lebenden jüdischen Familien der Gemeinde Meerholz an, ehe sie eine winzige autonome Kultusgemeinde bildeten; diese wurde erst 1905 offiziell anerkannt. Der Neubau einer Synagoge um 1904/1905 löste einen bis dahin benutzten Betraum ab.
aus: „Frankfurter Israelitisches Familienblatt“ vom 22.6.1906
Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Niedermittlau beerdigt. Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Hanau.
Juden in Somborn:
--- um 1705 ...................... 2 jüdische Familien,
--- 1754 ......................... 5 “ “ ,
--- 1861 ......................... 20 Juden,
--- 1885 ......................... 34 “ ,
--- 1905 ......................... 47 “ ,
--- 1925 ..................... ca. 40 “ ,
--- 1939 ......................... 4 “ .
Angaben aus: Somborn, in: alemannia-judaica.de
Die meisten jüdischen Familien lebten in bescheidenen Verhältnissen. Anfang der 1930er Jahre setzte sich die Gemeinde aus knapp 50 Personen zusammen; die meisten verließen Somborn bis Kriegsbeginn; die letzten zwei jüdischen Bewohner wurden 1942 deportiert. Beim Novemberpogrom von 1938 war die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört worden; das Gebäude selbst blieb baulich erhalten und diente nach umfangreichen Umbauten später als Wohnhaus.
2002 wurde vor dem einstigen Wohnhaus von Josef Sonneberg ein Gedenkstein aufgestellt mit der Inschrift „Den Opfern der Gewalt aus der jüdischen Gemeinde Somborn von 1933 - 1945 zum Gedenken“.
[vgl. Somborn (Hessen)]
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 63/64 (Meerholz) und S. 259/260 (Somborn)
Heinrich Wagner, Die jüdischen Familien von Meerholz vor 1933, in: "Heimatjahrbuch 1982", S. 87
Walter Engel, Geschichte der Juden in Hailer, in: "Mitteilungsblatt", Heft 5/1988 des Mainz-Kinzig-Kreises
Jürgen Ackermann, Die Juden in und um Meerholz, in: "Mitteilungsblatt der Heimatstelle Gelnhausen", No. 1/1993
Rudolf Schilling, Die jüdische Gemeinde Somborn im Freigericht, Frohberg 2002, S. 11 ff.
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein/Taunus 2007, S. 339/340
Meerholz, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie, vor allem personenbezogene Daten)
Der jüdische Friedhof in Niedermittlau, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Aufnahmen)
Hans Kreutzer, Synagogen-Gemeinde Meerholz, unveröffentlichtes Manuskript, 2010/2011 (als PDF-Datei abrufbar)
hs (Red.), Ergebnisse einer schwierigen Recherche – Geschichtsverein Meerholz-Hailer zeigt Sonderausstellung „Vier Jahrhunderte jüdisches Leben“, in: „Gelnhäuser Neue Zeitung“ vom 1.11.2018
Gail Lupton - Interessengemeinschaft Gelnhausen (Red.), Ein Stein – ein Name – ein Mensch: Stolpersteine Gelnhausen, Hrg. Rosemarie Bartel/David Lupton, online abrufbar unter: stolpersteine-gelnhausen.de (Anm. auch in englischer Fassung vorhanden)