Meimbressen (Hessen)
Meimbressen ist heute ein von knapp 1.000 Menschen bewohnter Ortsteil von Calden im nordhessischen Landkreis Kassel - ca. 15 Kilometer nordwestlich von Kassel zwíschen Zierenberg und Hofgeismar gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Meimbressen/Calden, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Kassel', JaynFM 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Angehörigenzahl der hiesigen jüdischen Gemeinde ihren Höchststand; etwa jeder 4. Ortsbewohner gehörte damals dem mosaischen Glauben an.
Vereinzelt sollen bereits im 14.Jahrhundert Juden im Dorfe Meimbressen bei Kassel ansässig gewesen sein; 1387 erstmals urkundlich erwähnt waren sie „Schutzjuden“ des dortigen Grundherrn. Von dieser Zeit an existierte im Dorf - wahrscheinlich ununterbrochen - eine jüdische Gemeinde. Gegen Mitte des 17.Jahrhunderts ließen sich hier jüdische Flüchtlinge aus Polen nieder; dieser Tatsache war zuzuschreiben, dass in der Gemeinde nun auch religiöse Gebräuche des Ostjudentums einzogen. Die jüdischen Familien stellten einen relativ hohen Anteil an der Dorfbevölkerung. Beruflich waren sie auf „aufrichtigen Handel und Wandel mit allerhand Waaren” beschränkt.
1779 wurde der aus Meimbressen stammende Josef Moses Hess auf dem Judenlandtag in Melsungen zum Landesrabbiner der Landgrafschaft Hessen ernannt.
Die Einrichtung einer Synagoge (in einem erworbenen, damals unbewohnten Bauernhaus) ist aus dem Jahre 1842 überliefert; diese Dorfsynagoge (mit Mikwe) verfügte immerhin über fast 50 Männer- und 30 Frauenplätze. In den Jahren zuvor war ein Betraum im Privathaus von Moses Goldwein genutzt worden.
Synagogengebäude, Betraum rechts im Bild (hist. Aufn., um 1925) - Betraum der Meimbresser Gemeinde (hist. Aufn., um 1925)
Über die ungewöhnlichen Eigentumsverhältnisse in Bezug auf das Synagogengebäude kann die folgende Zeitungsnotiz Auskunft geben:
aus: „Jüd. Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen u. Waldeck" vom 19.11.1926
Religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde verrichtete ein angestellter Lehrer.
Stellenausschreibung in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 17.7.1878
Wenige Jahre nach der Synagogeneinweihung wurde auf Initiative des Kasseler Rabbiners eine kleine jüdische Elementarschule in Meimbressen eingerichtet, die - mit Unterbrechungen - den hiesigen jüdischen Kindern bis 1934 zur Verfügung stand; in den letzten Jahren ihres Bestehens war die Meimbressener Schule die einzige jüdische Schule im Kreis Hofgeismar. Ab 1934 besuchten die jüdischen Kinder - zusammen mit den christlichen - die hiesige Volksschule.
eine amtliche Mitteilung (verfasst 1939)
Der großflächige jüdische Friedhof wurde vermutlich um 1700 oberhalb des Dorfes am Hollenberg - an der Landstraße nach Kassel - angelegt. Für jedes Begräbnis war an den Meimbressener Grundherrn eine Abgabe zu entrichten. Dieser Friedhof diente nicht nur der Judenschaft von Meimbressen, sondern auch Verstorbenen aus den Nachbarortschaften wie Arolsen, Grebenstein, Niedermeiser, Zierenberg als letzte Ruhestätte.
jüdischer Friedhof (Aufn. Winfried Heidl, aus: wikipedia.org, CCO)
Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Niederhessen mit Sitz in Kassel.
Juden in Meimbressen:
--- um 1750 .................... ca. 50 Juden,
--- 1824 ........................... 90 " ,
--- 1835 ........................... 98 “ ,
--- um 1845 .................... ca. 120 “ ,
--- 1861 ........................... 134 “ (ca. 25% d. Dorfbev.),
--- 1872 ........................... 142 " ,
--- 1885 ........................... 105 “ ,
--- 1905 ........................... 117 “ ,
--- um 1925/30 ................. ca. 80 “ (ca. 12% d. Dorfbev.),
--- 1933 ........................... 70 “ (in 14 Familien),
--- 1938 ........................... 3 jüdische Familien,
--- 1941 (Dez.) .................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 64
und Eberhard Wolff von Gudenberg, Meimbressen, die Wölffe von Gudenberg und die Juden
Die jüdischen Familien Meimbressens verdienten ihren Lebensunterhalt im 19.Jahrhundert fast ausschließlich im Vieh-, Getreide- und Kleineinzelhandel; neben einer hier ansässigen Mazzenbäckerei gab es noch weitere vier jüdische Handwerker. Die Juden waren in die dörfliche Gemeinschaft integriert; so gehörten sie lokalen Vereinen an; in der Regel wählten die Vereine einen Christen als Vorsitzenden und als Stellvertreter einen Juden. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts verließen die ersten jüdischen Familien ihre ländliche Heimat und zogen in die größeren Städte, die bessere wirtschaftliche Möglichkeiten boten. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Meimbressen noch 14 jüdische Familien; die allermeisten verließen Meimbressen in den Anfangsjahren der NS-Zeit, zumeist gingen sie in die Emigration.
1934 wurde die hiesige jüdische Schule aufgehoben
Während des Novemberpogroms von 1938 wurde das jüdische Gotteshaus in Meimbressen von auswärtigen SA-Trupps verwüstet, die Kultgegenstände in den nahen Bach geworfen; auch der jüdische Friedhof wurde zerstört.
Wohnungseinrichtungen der nur noch wenigen jüdischen Bewohner wurden demoliert, Fensterscheiben zerschlagen. Die überwältigende Mehrheit der Dorfbevölkerung soll dem Treiben verständnislos gegenübergestanden, doch aus Angst nicht eingegriffen haben.
Im Bericht der SD-Außenstelle Hofgeismar vom 17.11.1938 hieß es:
„ ... Im hiesigen Kreis wurde nur die Synagoge in Meimbressen demoliert. Leider waren die Synagogen in Hofgeismar und Grebenstein vorher in arische Hände übergegangen, sodaß hier eine Zerstörung nicht am Platze war. ... Es ist geplant, die demolierte Synagoge in Meimbressen umzubauen und für einige Wohnungen auszubauen. Die restlichen Geschäfts- bzw. Wohnhäuser sind schon bezw. gehen noch in arischen Besitz über. “
Die letzten jüdischen Bewohner verließen 1941 ihr Heimatdorf und verzogen ins nahe Kassel; von hier wurden sie vermutlich 1942 deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 43 aus Meiembressen stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/meimbressen_synagoge.htm).
Am ehemaligen Standort der Synagoge in Meimbressen ist eine Gedenktafel angebracht, die die Worte trägt:
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Herr höre meine Stimme. (Ps. 130, 1 und 2)
Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde (Nov. 1842 – Nov. 1938).
Dieses Gotteshaus wurde am 10.Nov. 1938 durch nationalsozialistische Gewalttäter zerstört.
Juden wurden vertrieben, verschleppt und getötet. Dieses Unrecht wird nicht vergessen.
Herr vergib uns unsere Schuld!
Die politische Gemeinde Calden
Die evangelischen Kirchengemeinden der Großgemeinde Calden
Die katholische Kirchengemeinde Grebenstein-Calden
Meimbressen, November 1988
Der alte jüdische Friedhof am Stangenweg weist auf dem ca. 7.000 m² großen Areal heute noch etwa 120 Grabsteine auf, wobei die ältesten Steine aus der Zeit des beginnenden 18.Jahrhunderts stammen.
Jüdischer Friedhof in Meimbressen (Aufn. G. Trümper-Tuschick, um 2008 und Winfried Heidl, aus: wikipedia.org, CCO)
Im Eingangsbereich des jüdischen Friedhofs ist eine Gedenktafel angebracht, die die folgenden Worte trägt:„Friedhof der jüdischen Kultusgemeinde Meimbressen 17.Jahrhdt. - 20. Jahrhdt. Wenn der Ewige Zion neu erstehen läßt, sind wir wie vom Traum erwacht. (Ps. 126). Av Harachamin (Vater des Erbarmens), der im Himmel thront, in seinem mächtigen Erbatmen wird er barmherzig der Frommen gedenken, der heiligen Gemeinden, die ihr Leben hingaben zur Heiligung des göttlichen Namens.“
Die erste Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ erfolgte 2019 in der Hauptstraße in Erinnerung an Salomon und Rosalie Löwenstein.
Initiiert vom Verein Judaica Meimbressen wurden in der Ortschaft im Jahre 2024 zahlreiche weietere Gedenkquader verlegt, die an die während der NS-Zeit vertriebenen, deportierten und ermordeten jüdischen Bewohnern erinnern.
Nicht weit von Meimbressen entfernt bestand in der Ortschaft Niedermeiser ebenfalls eine jüdische Gemeinde, die aber wesentlich kleiner als die von Meimbressen war. Ihre Anfänge reichen vermutlich bis in die erste Hälfte des 18.Jahrhundert zurück. Gottesdienstlicher Mittelpunkt der kleinen Gemeinschaft war die winzige Synagoge in einem Privathaus im Bruchweg.
Zur Gemeinde gehörten auch die Familien aus Liebenau und Eberschütz.
Privathaus mit Betsaal (hist. Aufn. Louis Rosenthal)
Zeitweilig existierte auch eine private Elementarschule am Ort.
Ab 1854 gab es auch ein eigenes Beerdigungsgelände in Niedermeiser. Verstorbene Liebenauer Juden verfügten über ein eigenes Begräbnisgelände; diejenigen aus Eberschütz begruben ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof in Sielen.
In den 1860er Jahren erreichte die Gemeinde mit knapp 80 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand; um 1900 war sie infolge Überalterung und Abwanderung in Auflösung begriffen. Vier gebürtige Niedermeisener und acht aus Eberschütz stammende Juden wurden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/liebenau_synagoge.htm).
Neben dem sog. „Gründungsstein“ des jüdischen Friedhofs von 1853 (links im Bild, Aufn. J. Hahn, 2008) befindet sich auf dem ansonsten grabsteinfreien Areal ein Gedenkstein mit der folgenden Inschrift:
Hier ruhen die Gebeine der Juden von Niedermeiser.
Zeuge sei dieser Gedenkstein für alle Grabsteine,
die einst an diesem Ort standen und durch Nazi-Terror vernichtet wurden.
1938 - 1945
Bevor sich die Juden in Sielen zu einer selbstständigen Kultusgemeinde zusammenfanden, waren sie vermutlich der Gemeinde von Niedermeiser angeschlossen. Seit etwa 1805/1810 war im Privathaus von Moses Herzbach eine Bestube vorhanden. Wenige Jahre später wurde ein Antrag von sieben hiesigen jüdischen Familien seitens der Behörden bewilligt, den Bau eines Synagogengebäudes zu bewerkstelligen; auf einem von Moses Herzbach zur verfügung gestellten Gelände konnte dann wenig später das Gebäude errichtet werden.
Auf dem großflächigen, aber kaum belegten Friedhofsareal - angelegt um 1845/1850 - wurden auch verstorbene Juden aus Eberschütz begraben; zuvor war der jüdische Friedhof in Trendelburg benutzt worden.
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts setzte sich die jüdische Gemeinde aus ca. 50 Personen zusammen. In den 1920er Jahren lebten nur noch wenige jüdische Bewohner im Dorf; in den 1930er Jahren war dann nur noch eine einzige jüdische Familien in Sielen ansässig.
Der jüdische Friedhof an der Straße nach Trendelburg weist heute noch ca. 20 bis 25 Grabsteine auf.
Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Sielen (Aufn. J. Hahn, 2008)
Weitere Informationen:
Joseph Neuhahn (Grebenstein), Aus vergangenen Zeiten: Die Synagoge von Meimbressen, in:"Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 19.11.1926
H. Löwenstein, Die Synagoge von Meimbressen, in: „Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 28.10.1927 und vom 4.11.1927
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 64 – 67 und S. 254
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 148
M. Dorhs, Fremdlinge im eigenen Land. Zum Schicksal der Juden aus dem Altkreis Hofgeismar unter dem Nationalsozialismus, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Fremde im eigenen Land - Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Juden in den alten Kreisen Hofgeismar, Kassel, Wolfhagen und in der Stadt Kassel, Hofgeismar 1985, S. 71 – 86
Thea Altaras, Synagogen in Hessen - was geschah seit 1945 ? Königstein i.T. 1987, S. 42 - 46
Eberhard Wolff von Gudenberg, Reisen in die Vergangenheit, in: "Jahrbuch des Landkreises Kassel 1991", S. 147 - 152
Michael Dorhs, Jüdische Opfer der Nazi-Zeit aus den Gemeinden der Altkreise Hofgeismar, Kassel und Wolfhagen, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Juden-Hessen-Deutsche - Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Juden in Nordhessen, Hofgeismar 1991
Eberhard Wolff von Gudenberg, Erinnerungen an die untergegangene jüdische Gemeinde von Meimbressen, in: "Jahrbuch des Landkreises Kassel 1997", S. 38 - 40
Eberhard Wolff von Gudenberg, Meimbressen, die Wölfe von Gudenberg und die Juden, in: ‘Die Geschichte unserer Heimat’ - Band 31, Hrg. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. , Zweigverein Hofgeismar, 1999
Louis Rosenthal, Ein Sabbat in Niedermeiser, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg), Vertraut werden mit Fremdem. Zeugnisse jüdischer Kultur im Stadtmuseum Hofgeismar, 2.Aufl., Hofgeismar 2000
M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag Leipzig 2001, S. 166/167
Brigitte Beck (Bearb.), Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung von Niedermeiser, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Das achte Licht - Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Juden in Nordhessen, Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. Kassel, Zweigverein Hofgeismar, 2002, S. 20 – 33
Eberhard Wolff von Gudensberg (Bearb.), Lebendiges Erinnern an die untergegangene Gemeinde von Meimbressen, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Das achte Licht - Beiträge zur Kultur- u. Sozialgeschichte der Juden in Nordhessen, Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. Kassel, Zweigverein Hofgeismar, Hofgeismar 2002, S. 279 - 287
Meimbressen und Niedermeiser, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen personenbezogenen Dokumenten der Gemeinde)
Der jüdische Friedhof in Meimbressen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Fotos)
Sielen, in: alemannia-judaica.de
Markus Lambrecht, Jüdischer Friedhof in Sielen (mehrere Aufn.), online abrufbar unter: markus-lambrecht.de
Michael Dorhs (Bearb.), Die Meimbresser Juden und ihr Schicksal in der Nazi-Zeit – Ein Langzeit-Forschungsprojekt des Stadtmuseums Hofgeismar, in: Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 1834 e.V., No. 62/Juli 2021, S. 62 - 65
Judaica in Meimbressen e.V., 600 Jahre jüdische Kultur und Geschichte – Für aktives Erinnern, online abrufbar unter: judaica-in-meimbressen.de (Anm. mit detaillierten Informationen; u.a. Michael Dorhs (Bearb.), chronologischer Überblick über die Geschichte der Juden in Meimbressen)
N.N. (Red.), 18 neue Stolpersteine. Verein Judaica hofft auf weitere Patenschaften, in: „HNA – Hofgeimarer Allgemeine“ vom 6.9.2024
Heinrich-Grupe-Schule Grebenstein (Red.), Verlegung von 18 neuen Stolpersteinen in Meimbressen, online abrufbar unter: gsgrebenstein.de (Sept. 2024)