Moringen (Niedersachsen)

Datei:Moringen in NOM.svg Moringen mit derzeit ca. 7.500 Einwohnern ist eine Kleinstadt im Kreis Northeim/Leine - kaum 20 Kilometer nördlich von Göttingen gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Northeim', Hagar 2009 aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Moringen - Stich Merian um 1645 (aus. wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Einzelne jüdische Bewohner machten sich bereits in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts im Amt Moringen ansässig; weitere Belege über jüdisches Leben im Ort finden sich erst wieder nach 1700; die Ansiedlungen von Juden standen vermutlich im Zusammenhang des hier wieder in Gang gebrachten Flachs- und Hanfanbaus, der von jüdischen Händlern vermarktet wurde.

Mit der Zugehörigkeit des Kurfürstentums Hannover zur englischen Krone wurde der Anbau dieser beiden Produkte staatlich gefördert, da damit Tauwerk und Segeltuch für die englische Flotte hergestellt wurden. Die unter dem Schutz der hannoverschen Landesherrschaft ansässigen Juden wurden vom Magistrat Moringens nicht allzu gern gesehen, da sie eine zunehmende Konkurrenz zu hiesigen Händlern waren; besonders die Leinweber- und Schlachtergilde fühlten sich von den ortsansässigen Juden in ihrem Gewerbe bedroht.

In einem Schreiben von 1841 hieß es: „ ... so hat sich die Zahl der mit Schutz versehenen Juden jetzt bis auf 10 Familien vermehrt ... die Stadt gleicht nachgerade einer jüdischen Colonie ...” Die kleine jüdische Gemeinde in Moringen erreichte in den 1860er Jahren mit wohl etwa 85 Angehörigen ihren Höchststand. Interne Streitigkeiten unter den Gemeindemitgliedern, aber auch Differenzen mit dem Landesrabbinat waren um 1840/1850 für die Moringer Judenschaft kennzeichnend. Ihre Synagoge in der Langen Straße, in unmittelbarer Nähe der Hauptstraße, weihte die hiesige Judenschaft im Sommer 1838 ein; dabei handelte es sich um ein größeres freistehendes Fachwerkhaus mit Rundbogenfenstern.

Die Einweihungsfeierlichkeiten wurden mit zwei Gottesdiensten begangen: einer soll in Hebräisch für die jüdische Gemeinde, der zweite in deutscher Sprache für die geladenen christlichen Gäste abgehalten worden sein. In Moringen gab es seit 1854 auch eine einklassige jüdische Elementarschule, die wegen Schülermangels Anfang der 1920er Jahre aufgegeben wurde.

Auf dem Hagenberg - südöstlich des Ackerbürgerstädtchens - besaß die jüdische Gemeinde seit ca. 1770 ein eigenes Beerdigungsareal; der Versuch, in Ortsnähe einen neuen Friedhof anzulegen, scheiterte.

Jüdischer Friedhof Moringen (Aufn. scheu-lo, aus: panoramio.com)

Juden in Moringen:

         --- um 1700 ..................... eine jüdische Familie,

    --- um 1750 .....................  3 jüdische Familien,

    --- 1768 ........................ 33 Juden (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1819 ........................ 60 Juden,

    --- 1841 ........................ 10 jüdische Familien,

    --- 1862 ........................ 84 Juden (in 15 Fam.),*   * andere Angabe: 44 Pers.

    --- 1895 ........................ 48   “  ,

    --- um 1920 ................. ca. 35   “  ,

    --- 1933 ........................ 21   “  ,

    --- 1939 ........................  5   “  ,

    --- 1942 (Dez.) .................  keine.

Angaben aus: Walter Ohlmer, Chronik 1000 Jahre Moringen 983 - 1983, S. 237 ff.

und                 Tamar Avraham (Bearb.), Moringen, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1057

 

Der einflussreichste jüdische Bewohner Moringens war gegen Mitte des 19.Jahrhunderts Jonas Loeb; dieser betrieb hier ein privates Bankinstitut, die älteste Bank im Altkreis Northeim; daneben war er noch an einem Lotteriegeschäft beteiligt.

1880 vermachte Jonas Loeb der Stadt Moringen eine zweckgebundene Stiftung zur „Hebung des Handwerks und Unterstützung der Armen”. Ab den 1870er Jahren wanderten immer Juden von hier in die Städte ab, weil diese bessere Existenzmöglichkeiten boten. Als in den 1930er Jahren nur noch sehr wenige jüdische Bewohner in Moringen lebten, wurde schließlich Anfang 1938 das Synagogengebäude verkauft. Deswegen wurde auch das Gebäude während der „Kristallnacht“ nicht zerstört; doch kam es auch hier zu Ausschreitungen gegen die wenigen verbliebenen Juden des Ortes. In der unmittelbaren Folgezeit verließen alle Juden ihr Heimatstädtchen Moringen. Die letzte noch hier lebende jüdische Familie war die dreiköpfige Familie Rothschild; im März 1942 wurde sie via Hildesheim und Hannover nach Warschau deportiert.

In den Gebäuden des ehemaligen Werkhauses Moringen existierte in den Jahren 1933 - 1938 ein Konzentrationslager für Männer und Frauen; von 1940 bis Kriegsende war das Gelände Standort eines „Jugendschutzlagers”.

 

Das einstige Synagogengebäude wurde im Laufe der Jahrzehnte mehrfach umgebaut, sodass der ursprüngliche Charakter des Baus völlig verändert worden ist.

    Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Dehio 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) undefined

Auf dem am Hagenberg liegenden jüdischen Friedhof - auf dem Gelände fanden bis 1934 Begräbnisse statt - sind heute noch 55 Grabsteine vorhanden; die ältesten stammen aus der Mitte des 18.Jahrhunderts.

Jüdischer Friedhof (Aufn. Dehio, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

 

Weitere Informationen:

Heidemarie Zies, Geschichte der Juden in Moringen, Kreis Northeim, in: "Göttinger Jahrbuch", Band 21/1973, Göttingen 1973, S. 161 - 200

Andree Lubig, Die Juden in Moringen, maschinenschriftliche Jahresarbeit, Moringen 1975

Walter Ohlmer, Chronik 1000 Jahre Moringen 983 - 1983, Hrg. Stadt Moringen, Verlag August Lax Hildesheim 1983, S.237 ff.

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Bd. Niedersachsen I (Regierungsbezirke Braunschweig und Lüneburg), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1985, S. 35

Martin Engelhardt, Die Synagogengemeinde Moringen - ein Streifzug durch 250 Jahre Geschichte der jüdischen Mitbürger Moringens, Artlenburg/Moringen 1989

Wilfried Hartje, Stadtrundgang durch Moringen, in: www.wilfried-hartje.de

"Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben ". Eine Ausstellung zu den Jugend-Konzentrationslagern Moringen und Uckermark 1940 – 1945. Katalog zur Ausstellung (Realisation: Martin Guse), 1992

Manuela Neugebauer, Der Weg in das Jugendschutzlager Moringen - Eine entwicklungsgeschichtliche Analyse nationalsozialistischer Jugendpolitik, in: "Schriftenreihe der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V.", Band 28, Forum-Verlag, Bad Godesberg 1997

Aliza Cohen-Mushlin/Harmen Thies, Synagogenarchitektur in Deutschland vom Barock zum ‘Neuen Bauen’. Dokumentation zur Ausstellung, Selbstverlag TU Braunschweig, Fachgebiet Baugeschichte, 2002, S. 62 - 64

Wilfried Hartje (Bearb.), Spurensuche: Juden in Moringen oder wenn es keiner aufschreibt, in: Moringer Geschichte(n) – Moringer Familien, online abrufbar unter: weperhase.bplaced.net/?Moringer_Geschichte (2004/2015)

Moritz Kellmann, Synagogen in Einbeck und Südniedersachsen, in: „Einbecker Jahrbuch“, Band 49/2004, S. 49 - 74

Tamar Avraham (Bearb.), Moringen, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1057 - 1065

Uwe Reinecke (Bearb.), Moringen. Jüdisches Leben und Erinnerung, in: Topografie der Erinnerung Südniedersachsen, online abrufbar unter: erinnernsuedniedersachsen.de/orte-h-m-moringen-2.html