Neuern/Angel (Böhmen)

Okres Klatovy – WikipediaBildergebnis für Klattau Klatovy landkarteDas böhmische Städtchen Neuern liegt in unmittelbarer Nähe der bayerisch-tschechischen Grenze - ca. 18 Kilometer südwestlich von Klattau (Klatovy) - heißt heute Nýrsko und besitzt derzeit ca. 5.000 Einwohner (Kartenskizze 'Tschechien' mit Bezirk Klatovy farbig markiert  und  Nyrsko auf einer aktuellen Karte, Abb. aus: geodaten.landkreis-schwandorf.de). Die Siedlung entstand aus einer Burganlage, die einen alten wichtigen Handelsweg zwischen Böhmen und Bayern sicherte.

 

In der um 1330 im Schutze einer Burg gegründeten Stadt Unterneuern siedelten sich vermutlich bereits im Laufe des 15.Jahrhunderts auch jüdische Familien an; erste urkundliche Belege liegen aber erst seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vor. Sie wohnten in einem eigens für die jüdischen Familien ausgewiesenen Ortsteil, dem sog. „Judenwinkel“; die Häuser waren ihnen von der Ortsherrschaft zur Miete überlassen worden; später konnten ihre Bewohner diese als Eigentum erwerben. Die engstehenden Judenhäuser im Ghetto - sie trugen römische Hausnummern - wurden nachts durch eine Kette abgesperrt. - Zwei Großbrände von 1798 und 1861 vernichteten die meisten von Juden bewohnten Häuser und ihre Synagoge. Seit welchem Zeitpunkt die Neuerner Juden eine Synagoge besaßen, ist unbekannt; erstmals wurde ein Tempel urkundlich 1724 erwähnt; ein Neubau erfolgte Ende des 18.Jahrhunderts.

                                                                       Synagoge von Neuern (hist. Aufn., um 1930/1935)

Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten eine jüdische Schule und ein Friedhof, der auf einer Anhöhe in Richtung Böhmisch-Eisenstein lag; der älteste noch lesbare Grabstein stammt aus dem 18.Jahrhundert, doch dürfte der mehrfach erweiterte Begräbnisplatz schon im 15.Jahrhundert angelegt worden sein.

Zur Neuerner Kultusgemeinde zählten auch die Familien aus Deschenitz, Drosau, Eisenstein und Bistritz, wobei Deschenitz eine eigene Synagoge besaß.

Juden in Neuern:

         --- 1618 ............................    5 jüdische Familien,

    --- um 1715 .........................   18 jüdische Haushalte,

    --- 1799 ............................   23 jüdische Familien,  

    --- 1930 ............................  139 Juden,

             ........................ ca.  240   “  .*   * gesamte Kultusgemeinde

Angaben aus: Ingild Janda-Busl, Die Stadt Nyrsko/Neuern

 

Die Juden Neuerns betrieben seit jeher den Handel mit Landesprodukten wie Schafwolle, Häuten und Vieh; bis ins 20.Jahrhundert verkauften sie auch Bettfedern; ihre wirtschaftliche Tätigkeit als sog. ‚Federjuden’ erstreckte sich über ein Netz von Zweigniederlassungen deutschlandweit. Nach dem Anschluss an das Eisenbahnnetz gründeten jüdische Unternehmer in Neuern mehrere Industriebetriebe. Eine bedeutende Rolle für die Wirtschaft in der Stadt spielte Wilhelm Ekstein, der 1895 eine Schleiferei optischer Gläser gründete, die bald europäischen Ruf erlangte; auch wegen seines sozialen Engagements wurde der Unternehmer zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.

Vor dem Zweiten Weltkrieg war noch jeder zehnte Bewohner Neuerns mosaischen Glaubens. Die NS-Okkupation beendete auch in Neuern jegliches jüdische Leben; 1942 wurden die noch hier lebenden jüdischen Bewohner nach Theresienstadt und von hier aus in die Vernichtungslager deportiert.

                     Anm.: Während eines Todesmarsches - im Frühjahr 1945 von Auschwitz kommend – wurden mehr als 100 Jüdinnen bei Neuern umgebracht.

 

Das Synagogengebäude wurde Ende der 1950er Jahre abgerissen. An die einstige Präsenz der Juden in der Stadt erinnert bis heute der jüdische Friedhof auf dem Hügel unweit von Nýrsko, an der Landstraße nach Železná Ruda.

 

Eingangspforte zum jüdischen Friedhof und Grabstätten (Aufn. Krabat, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) 

 

 

In der Ortschaft Janowitz a.d.Angel (tsch. Janovice nad Uhlavou, derzeit ca. 2.300 Einw.) - einige Kilometer nordöstlich von Neuern gelegen - gab es eine kleine jüdische Gemeinde, die erstmals in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts erwähnt wurde; aus dieser Zeit stammt auch ihr Friedhof. Ein Synagogengebäude mit einer Schule soll in den 1720er Jahren erstellt worden sein.

Zeichnung der Synagoge (erstellt von Dworski, aus: janowice.jewishgen.org)

Infolge von Abwanderung in die Städte war bereits um 1900 die Zahl der Juden in Janowitz auf wenige Familien zurückgegangen.

Das einstige Synagogengebäude wurde später als Feuerwehrgerätehaus genutzt.

Der jüdische Friedhof, der auch von jüdischen Familien aus Glosau (Dlazov) und Wihorschau (Běhařov) mitgenutzt wurde, ist bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben.

 Jüdischer Friedhof in Janowitz (Aufn. Fet'our, 2012, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

In der kleinen Ortschaft Deschenitz (tsch. Dešenice, derzeit ca. 600 Einw.) - ca. drei Kilometer von Neuern entfernt - war eine kleine jüdische Gemeinde beheimatet. Erste Hinweise auf jüdische Anwesenheit im Ort stammen aus den 1770er Jahren, als hier fünf jüdische Familien hier ansässig waren. 1866 wurde ein neues Synagogengebäude eingeweiht, das einen älteren Betraum ersetzte. Verstorbene Juden aus Deschenitz fanden ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Neuern (Nyrsko).

Die Synagoge wurde bis in die 1930er Jahre genutzt, danach das Gebäude profaniert und dient seitdem Wohnzwecken.

 

 

 

Weitere Informationen:

Josef Blau (Bearb.), Geschichte der Juden in Neuern, in: H. Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn 1934, S. 420 - 436

Josef Blau (Red.) / Gisela Porges (Translater), History of the Jews in Neuern, online abrufbar unter: porges.net/JewishHistoryOfNeuern.html

Julius Fischer (Bearb.), Dejiny Zidu v Uhl. Janovicich, in: H. Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn 1934, S. 267 - 273

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 917

Karel Polak, History of the Jews in Janovice, o.O.

Ingild Janda-Busl, Die Stadt Nyrsko / Neuern (Maschinenmanuskript), Bamberg 2003

Jewish Families from Nyrsko (Neuern), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Nyrsko-Neuern-Bohemia-Czech-Republic/15328