Neustadt/Odenwald (Hessen)

Jüdische Gemeinde - Babenhausen (Hessen)Datei:Municipalities in ERB.svg Neustadt im Odenwald mit seinen derzeit ca. 1.700 Einwohnern ist seit 1971 ein Ortsteil von Breuberg im Norden des hessischen Odenwaldkreises – unmittelbar an der Grenze zu Bayern etwa 25 Kilometer südlich von Aschaffenburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Odenwaldkreis', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die Entstehung einer israelitischen Gemeinde reicht in die Zeit des 18.Jahrhunderts zurück; doch bereits im 15. und im 17.Jahrhundert sollen vereinzelt Juden hier gelebt haben. Die Juden Neustadts unterstanden bis 1806 den Fürsten Löwenstein-Wertheim-Rosenberg.

Seit ca. 1760 verfügte die streng orthodox ausgerichtete Gemeinde über einen Betraum, der um 1830/1840 dann durch ein neues Synagogengebäude ersetzt wurde.

Um die Einrichtung der neuen Synagoge finanziell abzusichern, hatte die Gemeinde 1830 von der Großherzoglich-Hessischen Regierung für die Provinz Starkenburg die Erlaubnis zur Durchführung einer Kollekte in den umliegenden Gemeinden erhalten ("Nachdem der israelitischen Gemeinde zu Neustadt die Erlaubnis erteilt worden ist, bei ihren Glaubensgenossen in Hetschbach, Höchst, Kirchbrombach, Michelstadt, Beerfelden und Reichelsheim milde Beiträge zur Errichtung einer Synagoge acht Tage lang einzusammeln, so wird derselben gegenwärtiges Patent hierüber erteilt"). Das genaue Einweihungsdatum ist nicht bekannt. Aus dem Jahre 1844 bzw. 1859 liegen Synagogenordnungen vor. 

Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten auch eine Religionsschule und eine Mikwe.

   

Stellenanzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" aus den Jahren 1864 - 1892 - 1901

Über eine Visitation des Großherzoglichen Landesrabbiners Dr. Marx berichtete die Zeitschrift „Der Israelit“ in einem Artikel am 7.November 1900 wie folgt:

Aus den Anfängen jüdischer Ansässigkeit soll ein zwischen Stadt und Schloss gelegener „Judenkirchhoff“ bzw. „Judenacker“ stammen. Ab dem 18.Jahrhundert wurden Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof in Michelstadt beerdigt, später dann auch auf dem in Höchst/Odenwald.

Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt II.

Juden in Neustadt (Odenwald):

    --- 1830 .........................  49 Juden,

    --- um 1840 ......................  19 jüdische Familien,

    --- um 1860 ......................  80 Juden (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1871 .........................  93   "  ,

    --- 1880 .........................  79   “   (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1890 ..................... ca.  60   “  ,

    --- 1900 .........................  52   "   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1905 .........................  47   “  ,

    --- 1910 .........................  39   “  ,

    --- 1925 .........................  25   “  ,

    --- 1933 .........................  20   “   (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1942 (Apr.) ..................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 126

 

Um die Mitte des 19.Jahrhundert erreichte die jüdische Gemeinde ihren personellen Zenit; ab den 1880er Jahren erfolgte eine schnelle Abwanderung der Familien. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten noch ca. 20 jüdische Personen am Ort, die ihren Lebenserwerb mit Vieh- und Pferdehandel bestritten. In den folgenden Jahren verließ ein Teil Neustädter Juden sein Heimatdorf; einige verzogen nach Frankfurt/M., andere gingen in die Emigration.

Beim Novemberpogrom 1938 soll die Synagoge unbeschädigt geblieben sein, möglicherweise war das Gebäude bereits zuvor an die Kommune vermietet bzw. verkauft worden; zwei Jahre später wurde das Haus abgerissen. Die beiden letzten in Neustadt verbliebenen jüdischen Familien wurden im März 1942 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 15 aus Neustadt/Odenwald stammende jüdische Bürger Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe. alemannia-judaica.de/neustadt_odenwald_synagoge.htm).

 

Anfang der 1950er Jahre wurde das ehemalige Synagogengrundstück neu überbaut.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20224/Neustadt%20iO%20Gedenken%20110.jpg Am 71.Jahrestag des Novemberpogroms wurde eine Gedenktafel enthüllt (Aufn. Stadt Breuberg, 2009) und auf Initiative der Breuberger Bürgerstiftung sog. „Stolpersteine“ gesetzt, die an die während des NS-Regimes ermordeten jüdischen Bürger Neustadts (Familien Kempe und Marx, Alter Marktplatz) erinnern sollen.

      „Stolpersteine“ für die Fam. Marx (Aufn. Gabriele Lermann, aus: 'ECHO')

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 126/127

Thomas Geibel, Zur jüdischen Geschichte Neustadts, in: 600 Jahre Stadt am Breuberg – Neustadt, Breuberg 1978

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 244/245 

Neustadt (Odenwald), in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Stolpersteine und Mahnmal für Holocaust-Opfer – Stadt und Bürgerstiftung Breuberg erinnern an die jüdischen Familien Marx und Kempe, in: „Main-Echo“ vom 21.3.2009

Gerhard Grürnewald (Red.), Breuberger erinnern an den Tag des Vergessens in Neustadt, in: „ECHO“ vom 16.3.2022

Holger Wießmann (Red.), Mahnende Worte in Breuberg: „Schicksale nie vergessen“, in: „Echo“ vom 20.3.2022