Nordheim v.d. Rhön (Unterfranken/Bayern)
Seit 1814 gehörte die Ortschaft Nordheim v.d.Rhön zum bayrischen Gebiet; Nordheim ist mit seinen ca. 1.100 Einwohnern heute ein Ortsteil der Verwaltungsgemeinschaft Grabfeld im unterfränkischen Landkreis Rhön-Grabfeld - unmittelbar an der Landesgrenze zu Thüringen gelegen (Kartenskizzen 'Unterfranken', aus: bezirk-unterfranken.de und 'Landkreis Rhön-Grabfeld', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Wurzeln einer jüdischen Gemeinde in Nordheim reichen bis ins ausgehende 17.Jahrhundert zurück. Erstmalig dokumentiert ist die Ansässigkeit von jüdischen Familien im Jahre 1699; sie waren Schutzjuden des Würzburger Bischofs und des Adelsgeschlechtes derer von Thann. Um 1800 lebten in Nordheim 14 ritterschaftliche und drei würzburgische jüdische Familien. Von den ritterschaftlichen Familien lebten zehn im "freiherrlichen Von Tannischen sogenannten gelben Schloße", dem sog. "Judenhof"
Seit 1814 waren die Nordheimer Juden Untertanen des bayrischen Königs. In den 1817 erstellten Matrikellisten finden sich 14 Familienoberhäupter; mehrheitlich bestritten sie damals ihren Lebenserwerb durch Vieh- und Kleinhandel.
Seit Anfang der 1850er Jahre war der Betraum der jüdischen Gemeinde von Nordheim im sog. „Gelben Schloss“ untergebracht; dieses war einst Teil des Wohnsitzes der Freiherren von der Thann, die lange Zeit in Nordheim die Grundherrschaft ausübten.
"Gelbes Schloss“ (Aufn. J. Hahn, 2005)
Ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts wurde der Synagogenraum aber nicht mehr genutzt, da nun eine neue Synagoge in der „Judengasse“ zur Verfügung stand; das Gebäude unterschied sich äußerlich kaum von den Nachbarhäusern. In der Unteren Torgasse befand sich die israelitische Schule, im Nebengebäude das rituelle Bad.
Mit Oberelsbach hatte die Gemeinde einen Religionslehrer angestellt; die seit den 1860er Jahren gemeinsam betriebene kleine Religionsschule stand auch Kindern aus Hausen und Weisbach offen.
aus: „Der Israelit“ vom 9.1.1893 und 6.8.1908
An der Gemarkungsgrenze nach Willmars lag der jüdische Friedhof von Neustädtles, auf dem neben Nordheimer Juden auch Verstorbene aus Oberelsbach, Weisbach und Willmars ihre letzte Ruhe fanden; der Friedhof wurde vermutlich Ende des 16.Jahrhunderts angelegt. Das Friedhofsareal besitzt heute noch mehrere hundert, meist stark verwitterte Grabsteine. Auch in Kleineibstadt wurden Juden aus Nordheim beerdigt.
Die jüdische Kultusgemeinde Nordheim gehörte von 1840 bis 1892 zum Rabbinatsbezirk Gersfeld, danach zum Distriktsrabbinat Bad Kissingen.
Juden in Nordheim:
--- 1660 ......................... eine jüdische Familie,
--- um 1700 ...................... 4 " " n,
--- 1731 ......................... 5 " " ,
--- um 1800 ...................... 17 " " (mit ca. 70 Pers.),
--- 1821 ......................... 72 “ ,
--- 1837 ......................... 80 " (ca. 9% d. Dorfbev.)
--- 1867 ......................... 54 “ (ca. 7% d. Dorfbev.),
--- 1885 ......................... 92 “ ,
--- 1895 ......................... 80 “ ,
--- 1900 ......................... 59 " (ca. 7% d. Dorfbev.)
--- 1910 ......................... 47 “ ,
--- 1925 ......................... 32 “ ,
--- 1933 ......................... 25 “ ,
--- 1939 ......................... 8 " ,
--- 1942 (Mai) ................... keine.
Angaben aus: Gemeinde Nordheim v. d. Rhön (Hrg.), Heimat an der Streu - 1200 Jahre Nordheim v.d.Rhön, S. 157
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, S. 813
Gegen Ende des 19.Jahrhundert erreichte die jüdische Gemeinde Nordheim mit fast 100 Angehörigen ihren Höchststand; danach setzte eine Abwanderungsbewegung ein. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch wenige Familien am Ort, die infolge des Wirtschaftsboykotts kaum mehr in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So verließ ein Großteil der Juden zwischen 1934 und 1938 den Ort und emigrierte.
Etwa fünf Wochen vor der „Kristallnacht“ kam es in Nordheim zu einer antijüdischen "Demonstration", bei der Ortsbewohner in die Synagoge eindrangen und hier Verwüstungen anrichteten: Fenster und Mobiliar wurden zertrümmert, die Thoraschrein-Vorhänge und Gebetbücher zerrissen.
In der Nacht zum 10.November 1938 zerstörten SA-Angehörige Mobiliar in von Juden bewohnten Häusern und warfen es anschließend auf die Straße. Die Inneneinrichtung des Synagogenraumes wurde - mitsamt der Ritualgegenstände - vollständig vernichtet. Wenig später gelangte das Gebäude in den Besitz der Kommune; nach einem Umbau ist es heute in Privatbesitz. Die letzten sechs jüdischen Bewohner Nordheims wurden im April bzw. im September 1942 deportiert; über ihr weiteres Schicksal ist kaum etwas bekannt.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind insgesamt 14 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort lebende Juden Opfer der Shoa geworden sein (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/nordheim_rhoen_synagoge.htm).
Fünf Männer, die wegen judenfeindlicher Ausschreitungen in Nordheim vor dem Landgericht Schweinfurt standen, wurden 1949 zu geringen Freiheitsstrafen verurteilt.
Der Turm des „Gelben Schlosses“ ist in seiner Bausubstanz erhalten und inzwischen restauriert worden. An der Außenmauer ist eine Tafel mit der folgenden Inschrift angebracht:
In diesem Gebäude war zeitweise die Synagoge
der Jüdischen Kultusgemeinde NORDHEIM untergebracht.
Die Gemeinde NORDHEIM gedenkt ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger.
Erhalten geblieben sind auch das frühere israelitische Schulgebäude und die in unmittelbarer Nähe liegende Mikwe in der Unteren Torgasse.
Jüdischer Friedhof von Neustädtles (Aufn. J. Hahn, 2005)
Auf Beschluss der Kommunalvertretung (2016) wurden jüngst in Nordheim sieben sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Schuster erinnern.
Aufn. Elisabeth Böhrer (aus: alemannia-judaica.de)
Weitere Informationen:
Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag München 1979, S. 372/373
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, in: Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 70 (Hausen/Rhön-Grabfeld), S. 103 (Neustädles) und S. 105/106 (Nordheim)
Max Mölter, Heimat an der Streu - 1200 Jahre Nordheim v.d.Rhön, Hrg. Gemeinde Nordheim v.d.Rhön, Nordheim v.d.Rhön 1989, S. 156 – 158
Nordheim vor der Rhön, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Hausen, in: alemannia-judaica.de
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle., in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 116 (Nordheim)
Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 134 − 137
Sieben Stolpersteine für Nordheim, in: „Main-Post“ vom 21.10.2016
Fred Rautenberg (Red.), Sieben Stolpersteine für die Familie Schuster, in: „Main-Post“ vom 25.10.2017
Auflistung der in Nordheim vor der Rhön verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nordheim_vor_der_Rhön
Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Jüdische Friedhöfe in der Rhön, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2018 (betr: Neustädtles)
Elisabeth Böhrer (Red.), Stolpersteine erinnern an ehemalige jüdische Mitbürger in Nordheim/Rhön, in: „Heimat-Jahrbuch des Landkreises Rhön-Grabfeld“, No. 41/2019, S. 219 - 226
Hermann Spiegel (Red.), „Mädle, hau ab, sonst geht‘s dir auch so!“ Erinnerungen an die Pogromnacht in Nordheim,in: "Heimat-Jahrbuch des Landkreises Rhön-Grabfeld“, No. 41/2019, S. 227/228
Gerhard Gronauer/Hans-Christof Haas (Bearb.), Nordheim vor der Rhön mit Hausen, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 799 - 818
Michael Imhof, Juden in der Rhön. Jubiläumsausgabe – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland, Hrg. Zukunft Bildung Region Fulda e.V., 2021