Nordhorn (Niedersachsen)
Nordhorn ist eine Kommune mit derzeit ca. 55.500 Einwohnern und die Kreisstadt des Landkreises Grafschaft Bentheim im äußersten Westen Niedersachsens – ca. 20 Kilometer südwestlich von Lingen/Ems (Niedersachsen-Karte, aus: niedersachsen.de und Kartenskizze 'Landkreis Grafschaft Bentheim', aus: ortsdienst.de/niedersachsen/grafschaft-bentheim).
Wie aus der sog. „Bentheimischen Judenordnung“ hervorgeht, haben bereits 1763 Juden in Nordhorn gewohnt; Israel Levi hieß der erste Jude, der sich nachweislich in Nordhorn aufhielt. Sein Geleitbrief war 1694 ausgestellt worden. Ob sich schon früher hier jüdische Familien angesiedelt haben, kann nicht belegt werden. Die wenigen, in Nordhorn im 18.Jahrhundert lebenden Familien standen unter dem ‚Schutz’ des Königreiches Hannover. Um den Zünften in der Stadt entgegenzukommen und lästige Konkurrenz erst gar nicht entstehen zu lassen, engten die Behörden das wirtschaftliche Betätigungsfeld der Juden stark ein.
Ihre erste Synagoge errichtete die kleine jüdische Gemeinde in der Hagenstraße 1814 - gegen den Willen des Stadtrates; nach Ansicht des Bürgermeisters wäre für die wenige Juden der bestehende Betsaal ausreichend gewesen. Nach dem Stadtbrand von 1870, der auch das 1814 erstellte Bethaus vernichtete, errichtete die stark konservativ ausgerichtete jüdische Gemeinde ein neues Gemeindezentrum in der Firnhaberstraße (heute Synagogenstraße).
Das Verhältnis der christlichen Bevölkerung zur jüdischen Minderheit in der Stadt Nordhorn war von Distanz bestimmt; eine Folge war, dass das religiöse jüdische Leben sehr ausgeprägt war und den Gemeindemitgliedern engen Zusammenhalt bot. Eine jüdische Elementarschule hat es in Nordhorn zu keiner Zeit gegeben; die Tätigkeit eines Religionslehrers ist nicht kontinuierlich nachzuweisen.
Der erste jüdische Friedhof befand sich in der Frensdorfer Mark an der Bentheimer Straße; er war vermutlich zu Beginn jüdischer Ansiedlung angelegt worden (erstmals urkundlich erwähnt 1694) und wurde 1864 geschlossen. Seit den 1860er Jahren diente dann ein anderes Gelände (ebenfalls an der Bentheimer Straße) als jüdische Begräbnisstätte.
Der kleinen Synagogengemeinde im Landrabbinat Emden war die Ortschaft Altendorf angeschlossen.
Juden in Nordhorn:
--- um 1720 ....................... 3 jüdische Familien,
--- 1781 .......................... 5 “ “ ,
--- 1810 .......................... 23 Juden,
--- 1827 .......................... 6 jüdische Familien,
--- 1843 .......................... 6 “ “ (ca. 30 Pers.),
--- 1861 .......................... 30 Juden,
--- 1885 .......................... 35 “ ,
--- 1905 .......................... 40 “ ,
--- 1925 .......................... 43 “ ,
--- 1933 .......................... 50 “ (in 12 Familien),
--- 1939 .......................... 27 “ ,
--- 1941 .......................... 3 “ ,
--- 1942 .......................... keine.
Angaben aus: Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen, S. 320
und T. Avraham (Bearb.), Nordhorn, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1140
Hauptstraße, Aufn. um 1900 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
Die Juden Nordhorns lebten zumeist vom Textil- und Viehhandel.
1924 wehrte sich die Nordhorner Ortsgruppe des „Zentralverbandes deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ öffentlich mit einer Zeitungsanzeige gegen Anfeindungen deutsch-völkischer Kreise:
„ ... Wir ergeifen das Wort, um vor aller Öffentlichkeit gegen die Hetze Verwahrung einzulegen, die man gegen uns jüdische Deutsche unter dem Deckmantel der ‘nationalen’ Gesinnung ins Werk gesetzt hat. Deutschvölkische und Deutschnationale schämen sich nicht, den Massen der Wähler uns als die Prügelknaben hinzustellen, die man für Alles verantwortlich macht. ...”
Daraufhin erwiderte die „National-Sozialistische Freiheitsbewegung - Ortsgruppe Nordhorn” in einer Anzeige:
Deutsche Volksgenossen !
Der Zentralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Ortsgruppe Nordhorn, bezichtigte uns in der vorletzten Nummer ds. Ztg., wir hätten aus Feigheit den Diskussionsredner Hopfeld nicht sprechen lassen. Bekanntlich lassen wir in unsern Versammlungen nur Deutsche, d.h. solche germanischer Abstammung, zu Worte kommen. Juden haben noch nie in diesen das Wort erhalten. Wir betrachten die Juden als Gäste in unserm Vaterlande, und als solche sollen sie sich benehmen. ... Das Deutsche Volk erwacht zu völkischem Bewußtsein. Das Deutsche Volk will nicht weiter hinein in die Zinsknechtschaft des internationalen jüdischen Großkapitals. ....”
(aus: Arno Piechorowski, Der Untergang der Jüdischen Gemeinde Nordhorn, S. 33)
Schon Anfang Januar 1933 wurden einem jüdischen Kaufmann in Nordhorn zwei Schaufenster eingeschlagen; wenige Tage vor dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. 4.1933 wurden nachts nochmals Schaufenster jüdischer Läden beschmiert und zerstört. Trotz der Einschüchterungsversuche ließen sich viele Nordhorner Bürger zunächst nicht davon abhalten, weiterhin in jüdischen Geschäften einzukaufen. In den folgenden Jahren verlief das Leben der jüdischen Einwohner verhältnismäßig "normal" ab - abgesehen von der Propaganda der NSDAP-Presse. Nur eine jüdische Familie wanderte bis 1937 aus; dies änderte sich Ende 1938.
In der Nacht zum 10.November 1938 zerstörten SA-Angehörige die Inneneinrichtung der in der Altstadt gelegenen Nordhorner Synagoge; an das Portal hängten sie ein Schild mit der Aufschrift „SS-Sturmlokal”. Der Befehl, die Synagoge in Brand zu setzen, wurde wegen der Feuergefahr nicht in die Tat umgesetzt; doch wurde noch am gleichen Tage das Synagogengebäude abgerissen. Ebenfalls verwüstet wurden jüdische Geschäfte und Wohnungen; auch der jüdische Friedhof an der Bentheimer Straße war von Schändungen betroffen. Alle Juden Nordhorns wurden anschließend im Keller des Polizeihauses inhaftiert, die Frauen am nächsten Tage wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Männer transportierte man ins Gestapo-Gefängnis nach Osnabrück; von da wurden sie ins KZ Oranienburg/Sachsenhausen verschleppt. Dem größten Teil der Nordhorner Gemeindeangehörigen gelang die Flucht ins nahe Holland. Die drei letzten Gemeindemitglieder wurden im Dezember 1941 „in den Osten“ deportiert.
Denkmal in der Burgstraße (Aufn. R.F., 2007, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
In unmittelbarer Nähe der einstigen Synagoge, in der Burgstraße gegenüber der St. Augustinus-Kirche erinnert ein Gedenkstein an die verfolgten Juden Nordhorns; er trägt die Inschrift:
Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger unserer Stadt
und an die im Jahre 1938 zerstörte Synagoge.
Den Lebenden zur Mahnung
(hebr. Inschrift)
Denn einen Tag gibt´s für den Ewigen der Scharen on allem, was da stolz und hoch und allem, was da ragt, dass es sich duckt.
(Jesaja 2,12)
In das Gehwegpflaster in der Alten Synagogenstraße wurde jüngst eine Gedenkplatte eingelassen.
Gedenkplatte (Aufn. aus: stolpersteine-nordhorn.de)
Auf Grund der Zerstörungen während der NS-Zeit weist der jüdische Friedhof an der Bentheimer Straße etwa 60 Grabstellen mit nur noch ca. 35 Grabsteine auf. Die in den 1950er und 1970er-Jahren erfolgten Instantsetzungsarbeiten und der wegen Straßenbau erfolgte Verkauf von Teilflächen reduzierten das Areal auf nunmehr ca. 900 m².
Jüdischer Friedhof in Nordhorn (Aufn. N., 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Anm.: Vom alten jüdischen Friedhof, der bis Anfang der 1860er Jahre belegt worden war, gibt es heute keine sichtbaren Spuren mehr; das Gelände war 1937 eingeebnet und danach überbaut worden.
2023 wurde seitens der Stadt Nordhorn am ehemaligen Standort des alten jüdischen Friedhofs an der Bentheimer Straße (1864 geschlossen) ein Gedenkstein aufgestellt, der auf dem inzwischen mehrfach überbauten Gelände auf die alte jüdische Begräbnisstätte verweist.
Zwölf jüdische Familien aus Nordhorn (insgesamt 42 Personen) wurden nahezu völlig in der Shoa ausgelöscht. An ihre Schicksale erinnern in den Gehwegen der Innenstadt ca. 45 sog. „Stolpersteine“ (Stand 2022); so befinden sich z.B. u.a. in Höhe der Alten Synagogenstraße 5 acht „Stolpersteine“ zum Angedenken an die jüdische Familie Cohen; sie betrieb damals in der Stadt eine Schlachterei.
acht "Stolpersteine" für Familie Cohen (alle Aufn. Georg Sporkmann, 2010)
weitere "Stolpersteine" in der Prollstraße und in der Hauptstraße
In Emlichheim – etwa 25 Kilometer nordwestlich von Nordhorn - erinnern an drei Standorten insgesamt fünf sog. „Stolpersteine“ an Opfer der NS-Herrschaft - so an Angehörige der jüdischen Familien Louis ten Brink und Bernhard Weinberg.
zwei Stolpersteine Sünnenberg/Ringer Straße (Abb. aus: ems-vechte-surfer.de)
Weitere Informationen:
Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Verlag Gerhard Rautenberg, Leer Ostfriesland 1979, S. 322 f.
Heinrich Specht, Nordhorn - Geschichte einer Grenzstadt, in: "Das Bentheimer Land", No. 22, 2. Aufl. Nordhorn 1979
Karl Heinz Meyer/u.a., Dokumentation „Reichskristallnacht“ 1938 – Die Juden in der Niedergrafschaft, hrg. von der KGS Neuenhaus, 1980
Arno Piechorowski, Zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, in: A. Piechorowski (Hrg.), Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, Bentheim 1982, S. 9 - 53
Arno Piechorowski, Die jüdischen Friedhöfe Nordhorns, in: A. Piechorowski (Hrg.), Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, Bentheim 1982, S. 225 - 245
Arno Piechorowski, Der Untergang der Jüdischen Gemeinde Nordhorn, Hrg. Arbeitskreis für Heimatgeschichte Nordhorn, Bad Bentheim 1985
Werner Rohr, Nordhorn im Dritten Reich, Nordhorn 1988
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Regierungsbezirke Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 149 f.
Tamar Avraham (Bearb.), Nordhorn, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1140 - 1146
Heimatfreunde Emlichheim und Umgebung (Hrg.), Emlichheim und Umgebung im 3. Reich, 2. Aufl., 2005
Stadt Nordhorn (Bearb.), Beim Namen genannt … „Stolpersteine“ in Nordhorn, abrufbar unter: nordhorn.de (diverse PDF-Dateien über Verlegeaktionen)
Auflistung der in Nordhorn verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nordhorn
Zeitgeschichte: Die Synagoge von Nordhorn, online abrufbar unter: emsvechtewelle.de/podcasts/zeitgeschichte-die-synagoge-in-nordhorn-33289.html (vom 24.5.2017)
Alois Brei (Bearb.), Die jüdischen Familien in Emlichheim, in: Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte, online abrufbar unter: grafschafter-geschichte.de/jueml
Gerold Meppelink (Red.), Stolpersteine für zwei jüdische Familien aus Emlichheim, in: „GN – Grafschafter Nachrichten“ vom 10.11.2019
N.N. (Red.), Gedenkstein erinnert an alten jüdischen Friedhof in Nordhorn, in: „Ems-Vechte-Surfer“ vom 23.3.2023