Oberehnheim (Elsass)

Landkreis Straßburg.png Die im Unterelsass, etwa 25 Kilometer südwestlich von Straßburg liegende Kleinstadt Oberehnheim ist das französische Obernai mit derzeit ca. 12.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

Bereits im Hochmittelalter existierte in der damaligen Reichsstadt eine jüdische Gemeinde; die Existenz einer Synagoge und Mikwe wird erstmals 1215 erwähnt. Die Pestpogrome von 1348/1349 besiegelten das Ende der mittelalterlichen Gemeinde; wohl alle im Ort lebenden Juden sollen damals verbrannt worden sein. Zu Beginn des 15.Jahrhunderts hielten sich erneut wenige jüdische Familien in Oberehnheim auf, die vorwiegend vom Geldhandel lebten; im nördlich gelegenen Teil der Altstadt, beim Fischmarkt, befand sich damals die „Judenschule“.

In der Folgezeit wurden die Juden mal geduldet, mal vertrieben; 1507 konnte der Hagenauer Josel von Rosheim, der gute Beziehungen zum kaiserlichen Hof unterhielt, eine geplante Vertreibung der Juden aus Oberehnheim verhindern; doch Jahre später mussten die jüdischen Familien mit Hab und Gut die Stadt verlassen. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges durften sich Juden erneut in Oberehnheim niederlassen und eine Gemeinde gründen. Getgen Mitte des 18.Jahrhunderts richtete die Oberehnheimer Judenschaft in einem äußerlich ähnelnden Wohnhaus eine Synagoge ein, die mehr als ein Jahrhundert genutzt wurde. Als die Zahl der Gemeindeangehörigen im Laufe des 19.Jahrhunderts anwuchs, errichtete man ein neues Synagogengebäude, das neo-romanische Stilelemente - versehen mit einer Rosette über dem Eingangsportal - aufwies. Die Einweihung des neuen Gotteshauses datiert im Jahr 1876.

  

Synagogenfront (links: Ausschnitt aus Bildpostkarte um 1925, Sammlung J. Hahn - rechts: Tilman, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Welche starke orthodoxe Grundhaltung die führenden Gemeindemitglieder in Oberehnheim besaßen, wurde in der Berufung von Dr. Staripolsky zum neuen Rabbiner deutlich. In einem Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26.7.1894 hieß es:

"Ober-Ehnheim i. Elsaß. Heute kann ich Ihnen Gottlob von einem Siege des gesetzestreuen Judenthums berichten. Ober-Ehnheim ist bekanntlich diejenige Stadt, in die der Vater Rabbi Joselmann`s von Roßheim flüchtete und wo Rabbi Joselmann, der durch den unsterblichen Begründer Ihres Blattes zu neuem Leben erwachte, seine Jugendzeit zugebracht hat. Hoffentlich wird das Verdienst des berühmten Mannes, der hier gelebt hat, es bewirken, dass unserer heiligen Religion hier nunmehr eine neue und dauernde Stätte erblühe. Es ist hierzu auch alle Aussicht vorhanden, denn gestern hat unser Herr Rabbiner, Dr. Staripolsky – sein Licht leuchte -, seither Rabbiner in dem nahe gelegenen kleinen Quatzenheim sein neues Amt hier angetreten. Was diese Wahl für das gesetzestreue Judenthum bedeutet, das kann nur ein mit elsässischen Verhältnissen Vertrauter ganz erkennen. Viel Zeitungsdruckfarbe wurde vergossen und mancherlei Kämpfe wurden gefochten, bis diese Wahl erfolgte. Die Vornehmen der alten Reichsstadt sträubten sich gar sehr gegen diese Ernennung seitens des Consistoriums, denn einen so überaus frommen Mann, der nicht einmal unrituell zubereiteten Wein trinke und der obendrein auch kein Elsäßer sei, hieß es, könne man hier nicht brauchen. Nur dem Machtspruche der Kaiserlichen Regierung haben wir es zu verdanken, daß wir heute ein geistliches Oberhaupt besitzen, welches ebenso durch sein Wissen, als seine bekannte  Opferfreudigkeit dem Judenthume zur Zierde, unserer Gemeinde zur Ehre gereichen wird. Es ist zu hoffen, daß unser Herr Rabbiner dem auch bereits hier tief eingerissenen Indifferentismus in Glaubensangelegenheiten ein energisches Halt gebieten werde. ..."

Zu den in Oberehnheim tätigen Rabbinern zählte Armand Isaac Bloch (geb. 1865 in Straßburg als Sohn eines Kaufmanns). Nach seinem Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universität und dem Rabbinerseminar in Berlin promovierte er 1890 an der Universität Leipzig; ein Jahr später bestand er das Rabbinerexamen. Nach seiner Rabbinertätigkeit in Sulz am Wald hatte er von 1896 bis 1919 das Rabbinat in Oberehnheim inne. In den Jahren danach war er für die Gemeinden in Zabern (Saverne), Hochfelden, Dettweiler und Maursmünster zuständig. Nach dem deutschen Einmarsch war Bloch von 1940 bis 1942 zunächst im Exil in Nizza, wo er elsässische Flüchtlinge betreute. 1942 ging er in das Exil nach Algier; dort wirkte er als Rabbiner der elsässisch-lothringischen Flüchtlingsgemeinde. Nach Kriegsende kehrte er nach Saverne zurück. 1952 starb Armand Isaac Bloch; er wurde auf dem dortigen jüdischen Friedhof beerdigt.

Ihren eigenen Friedhof legten die Oberehnheimer Juden erst gegen Ende des 19.Jahrhunderts an; bis zu diesem Zeitpunkt brachte man die verstorbenen Gemeindeangehörigen auf den großen jüdischen Friedhof nach Rosenweiler (Rosenwiller).

                                 aus der Zeitschrift „Der Israelit" vom 25. 4. 1889 

Der Verbandsfriedhof in Rosenweiler/Rosenwiller ist die größte jüdische Beerdigungsstätte im Elsass; bereits im frühen 14.Jahrhundert genutzt diente dieses Begräbnisareal zahlreichen jüdischen Gemeinden des Unter-Elsass jahrhundertelang als letzte Ruhestätte. Zu den Gemeinden, die hier ihre Verstorbenen begruben, gehörten u.a.: Balbronn, Baldenheim, Barr, Bergheim, Biesheim, Bischheim, Bonhomme, Brumath, Busswiller, Dambach, Dangolsheim, Diebolsheim, Dinsheim, Dornach, Duppigheim, Epfig, Ettingen, Grusenheim, Kaysersberg, Kolbsheim, Lingolsheim, Niederehnheim, Osthofen, Scharlachbergheim, Stotzheim, Straßburg, Zellweiler u.a. Bis vor einiger Zeit war der Friedhof mit seinen mehr als 6000 Gräbern fast völlig überwuchert. - Eine eigene jüdische Gemeinde hat in Rosenweiler (Rosenwiller) nicht bestanden.

Juden in Oberehnheim:

         --- um 1455 .........................   3 jüdische Familien,

    --- 1689 ............................  12     "       "    ,

    --- 1720 ............................  21     “       “    ,

    --- 1784 ............................ 196 Juden (in 36 Familien),

    --- 1807 ............................ 137   “  ,

    --- 1846 ............................ 204   “  ,

    --- 1861 ............................ 194   “  ,

    --- 1883 ............................ 219   “  ,

    --- 1900 ............................ 179   “  ,

    --- 1910 ............................ 144   “  ,

    --- 1936 ............................ 138   “  ,

    --- 1953 ............................  89   “  ,

    --- 1970 ........................ ca.  70   "  .

Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 36

 

Im 19.Jahrhundert war die Zahl der Gemeindeangehörigen mit knapp 200 Personen relativ konstant und blieb auch bis in die 1930er Jahre - was die Zahl ihrer Angehörigen betrifft - recht ansehnlich.

Oberehnheim, Marktplatz mit Odilienbrunnen Kappelturm und Rathaus Zentrum Oberehnheim, Postkarte um 1900 (Abb. aus: deutsche.schutzgebiete.de)

Im Zuge der deutschen Okkupation wurden zahlreiche Synagogen im Elsass zerstört; das jüdische Gotteshaus von Obernai blieb verschont; seitens der Besatzungsbehörden wurde es aber alsbald profaniert. Für einige Jahre endete nun jegliches jüdische Leben in der Stadt.

Nach Kriegsende kehrten einige jüdische Familien wieder nach Obernai zurück. Das Synagogengebäude wurde 1948 durch den Rabbiner Emile Schwartz erneut eingeweiht; es ist heute noch in Nutzung.

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Rückfront der Synagoge (Aufn. GFreihalter, 2018 und  R.Hammann, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 bzw. 4.0)

Das seit dem letzten Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts bestehende jüdische Begräbnisgelände wird bis auf den heutigen Tag belegt.

Jüdischer Friedhof in Obernai (Aufn. D. 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) File:Obernai cimetière juif rue Général Leclerc1.jpg

Auf die im ausgehenden Mittelalter von Juden bewohnte Gasse erinnert heute noch das „Judengässle“.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2045/Obernai%20Ruelle%20103.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2045/Obernai%20Ruelle%20100.jpg "Judengässle" (Aufn. J. Hahn, 2004)

In den Gehwegen von Obernai sind 2022 an sechs Standorten zwölf sog. "Stolpersteine" ins Gehwegpflaster verlegt worden.

   von 'Wünschen' umrahmte Stolpersteine (Abb. aus: obernai.fr)

 

Nach André Neher (geb. 1914 in Oberehnheim) ist nahe der Synagoge ein Platz benannt. Neher war ein französisch-jüdischer bzw. israelischer Philosoph und Erforscher des Judentums; er trug maßgeblich zur Erneuerung des jüdischen Denkens in Frankreich nach der Shoa bei. Neher starb 1988 in Jerusalem.

 

 

 

Weitere Informationen:

Freddy Raphael/Robert Weyl, Juif en Alsace. Culture, societé, histoire, Toulouse 1977

Albert Schneider, Neue Überlegungen zum städtischen Badhaus in Oberehnheim. Waren die Vorgängerbauten des Badhauses von 1567 Judenbad und Judenschule ? in: "Annuaire de la Société d’histoire et d’archéologie de Dambach-la-Ville", Obernai 22/1988

Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992, S. 103

Claude Gensburger, Les Juif d’Obernai sous le Saint Empire romain germanique, in: "Almanach du Keren Kayemeth l’Israel", 1992

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1045 - 1047

Gerd Mentgen, Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß. Forschungen zur Geschichte der Juden, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.", Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1995, S. 31/32, S. 227 - 229, S. 255 - 270 und S. 398 f. 

Obernai, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Abbildungen, die auf die jüdische Ortshistorie verweisen)

Jean Camille Bloch, Obernai – une Communauté Juive bien dans sa ville, hrg. Communauté Israélte d’Obernai, o.J.

Mairie Obernai (Hrg.), Pose de 12 Stolpersteine, le 13 juin 2022, aus: obernai.fr (2022)

Charles E. Ritterband (Red.), Die Neue Synagoge im elsässischen Obernai, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 142 (Sept. 2024)

Charles E. Ritterband (Red.), Synagogen und jüdisches Leben in Obernai, Elsass, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 142 (Sept. 2024)